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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

30 Jahre MDR: „Stimme des Wandels und der Zukunft“

Festrede der Intendantin Karola Wille bei der Jubiläumsfeier

Zwei wichtige Jubiläen kennzeichnen in diesem Jahr die Medienlandschaft: ARTE und der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) bestehen jeweils dreißig Jahre. Beide haben eine Besonderheit: ARTE als europäischer Kulturkanal, MDR als neugegründeter Sender der drei Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mit einer zentralen Mittlerfunktion im vereinten Deutschland; und mit einem starken Kulturkern – gerade baut der MDR federführend für die ARD eine digitale Kulturplattform auf. Beim Festakt am 29. Juni in Leipzig hielt die Intendantin des MDR, Karola Wille, eine programmatisch ausgerichtete Rede, in der sie den Wert der Medienfreiheit für die Demokratie betonte. Dabei griff sie auch auf, was zuvor Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als zentrales Motiv mit großer Leidenschaft ausgeführt hatte. Dem Festakt folgte eine große Mitarbeiter-Jubiläumsfeier auf dem Freigelände des MDR, genau zwischen den hochmodernen Neubauten und den renovierten Verwaltungsbauten des vorher dort befindlichen Leipziger Schlachthofes. Im folgenden dokumentiert FeuilletonFrankfurt die Rede der MDR-Intendantin (der Link zur Rede des Bundespräsidenten folgt am Schluss).

Prof. Karola Wille bei ihrer Festtagsrede im MDR in Leipzig; Foto: Petra Kammann

 

Karola Wille: 

Kein Ort. Nirgends. Dieser berühmte Roman von Christa Wolf – gleichzeitig in Ost und West erschienen – ließ sich nicht zuletzt auf die Freiheit beziehen. Auch auf die Freiheit der Medien. Als Zehntausende 1989 mutig Meinungs- und Medienfreiheit hier in Leipzig forderten, haben sie mit Sicherheit eines nicht geahnt: dass zwei Jahre nach ihren Protesten der einstige Schlachthof der Stadt zu einem Hort der publizistischen Freiheit werden würde: als Sitz des neugegründeten Mitteldeutschen Rundfunks.

Seit mittlerweile 30 Jahren ist das vorher Undenkbare Realität. Der MDR ist seit seiner Gründung ein fester Ort für die Medienfreiheit. Und damit ein Forum, das Wesentliches ermöglicht: nämlich den Zugang zu unabhängigen Informationen, zu einem offenen Austausch, zu einer freien Meinungsbildung und zu einer produktiven Teilhabe.

Wie lebensnotwendig das ist – und gleichzeitig: wie gefährdet –, das zeigt sich heute weltweit. Besonders schmerzlich derzeit bei den jegliche Kritik ausschließenden Propagandamedien in Russland. Hier im Osten Deutschlands war vor drei Jahrzehnten klar: Nie wieder Staatsfunk. Deshalb sollte hier ein Sender entstehen, dessen Sinn und Ziel nur eines sein konnte und sollte: Einer freien Meinungsbildung in einer offenen Gesellschaft zu dienen. In knappster Formel: EinMDR für alle.

Und dazu ein Vorbild: als überaus innovationsfreudiger Sender. Bei dem die Freude am Neuen auch klar eine weitere Dimension hat:

Der MDR will und kann Zukunft.

War das alles am Anfang genauso vorstellbar? Haben alle Beteiligten kommen sehen, wie schnell der MDR eine wichtige Säule im ARD-Verbund werden würde?

Welche Phantasie unseren Gründungsintendanten Udo Reiter damals beflügelt hat, die ehemalige Handelsbörse des Schlachthofs zur zentralen Schaltstation eines nagelneuen Mitglieds der ARD zu adeln, das können wir ihn leider nicht mehr fragen.

Offensichtlich ist: Er steckte den neuen Weg im Osten zielstrebig ab. So innovativ wie beharrlich, so flexibel wie nachhaltig. Und ein damals täglich wachsender Kreis von festen und freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern meisterte mit beeindruckendem Engagement, viel Pragmatismus und einer immensen Veränderungsbereitschaft den Aufbau einer neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt.

Visionär damals der Neubau des MDR; Foto: Petra Kammann

Es war für mich und viele Kolleginnen und Kollegen ein Privileg für das Leben und eine einmalige Gelegenheit, diese Rundfunkanstalt mit aufzubauen und gestalten zu dürfen. Wenn ich heute in diesen Raum und auf diesen MDR blicke, erfüllt mich das gemeinsam Erreichte mit größtem Stolz und Respekt. Und ich freue mich deshalb auch sehr, dass so viele Wegbegleiterinnen und Wegbegleiteter heute gekommen sind – aus der Politik, aus den Gremien des MDR, Vertreter aus der Gesellschaft, Vertreter aus der ARD und anderen Medien und unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – und danke allen sehr herzlich, die den MDR in diesen 30 Jahren zu einer Erfolgsgeschichte gemacht haben. An Herausforderungen fehlte es nicht.

Dass Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen relativ schnell zusammenfanden, um im Südosten des neuen Rundfunk-Deutschlands eine Dreiländeranstalt zu bilden, fanden nicht wenige Beobachter damals staunenswert. Dieses Grundbekenntnis der drei Länder zu einer Dreiländeranstalt ist ein herausragender Wert und auch im Nachgang eine weitsichtige Weichenstellung der Gründungsmütter und -väter in den drei Parlamenten.

Unsere Dreiländeranstalt ist deshalb von Anfang an auch mehr als die Summe ihrer Teile. Sie ist ein publizistisch und wirtschaftlich leistungsstarkes Medienhaus für die Menschen in Mitteldeutschland und darüber hinaus: mit dem seit 25 Jahren erfolgreichsten dritten Fernsehsehprogramm, mit täglich mehreren Millionen Hörerinnen und Hörern unserer Radioprogramme und mit mittlerweile jährlich mehreren 100 Millionen Abrufen unserer Angebote im Netz – und dazu mit hohen Vertrauenswerten.

↑ Über 12 Hektar umfasste das Gelände des ehemaligen Leipziger Schlachthofes im Süden der Messestadt Leipzig. Luftaufnahme 1992 Foto: MDR/Morgenstern

Heute befindet sich dort die MDR-Sendezentrale in Leipzig ; Foto: MDR/Martin Jehnichen (Aufnahme 2013)

Die erste Direktorenriege kam fast ausschließlich aus dem Westen – allerdings mit Stellvertretern alle ausschließlich aus dem Osten. Was damals unkonventionell war, war gleichzeitig so richtig wie wichtig. Heute sind wir ein Sender mit über 80 Prozent ostdeutschen Führungskräften, der mit großem Erfolg Spitzenpersonal exportiert – erst jüngst nach Bayern.

Noch erstaunlicher fanden viele damals die programmliche Balance zwischen der Annäherung an Neues und der Besinnung auf Bekanntes. Ostdeutsche Identitäten im Programm nicht beiseite zu schieben, war für uns wichtig. Es war uns wichtig, Lebenshilfe in den vollkommen umgestülpten Lebensverhältnissen nicht als platt zu verachten. Orientierung zu vermitteln in einer nie gekannten Umbruchsituation: Das war in der Aufbauphase DAS Gebot der Stunde.

Deshalb entstanden beispielsweise die neue Nachrichtensendung „MDR Aktuell“ sowie Regionalmagazine für die drei Länder; und es blieben Sendungen wie „Polizeiruf 110“ oder „Außenseiter – Spitzenreiter“, eine Kultsendung, die selbst gerade ihr 50-jähriges Jubiläum feiert. Tief verwurzelt in der Region, nahe an den Menschen, an ihren Themen, Problemen, Freuden und Sorgen – das wollten wir sein. Mediale Heimat und verlässlicher Begleiter – das ist die Erfolgsformel des MDR von Anfang an.

Ständige Veränderung gehört bis heute zum MDR. Aus den Startbedingungen heraus ist unsere Grundüberzeugung und unser Credo: Wir müssen und wollen uns immer wieder verändern. Damit wir bleiben was wir sind: ein Vertrauensanker und relevant für alle Menschen.

Die Rede des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier; Foto: Petra Kammann

Sie, lieber Herr Bundespräsident, haben gerade sehr klare, sehr eindeutige Worte gefunden, um die zentrale Rolle der Medien bei der Formierung einer liberalen, einer offenen Gesellschaft zu beschreiben, besser noch: zu beschwören. Dafür auch im Namen aller Kolleginnen und Kollegen herzlichen Dank. Alle verantwortungsvollen Politikerinnen und Politiker, da bin ich sicher, werden jedes Ihrer Worte unterstreichen. Nicht zuletzt aus unserer eigenen Erfahrung heraus wissen wir nur zu gut, welch hohes Gut die Rundfunkfreiheit ist, und dass es sie immer wieder zu verteidigen gilt.

Wir sind froh und es ist wichtig, dass es eine lebhafte Debatte über den richtigen Weg gibt, diese freie, unabhängige und vielfältige Medienlandschaft, die wir hier aus Überzeugung leben und gestalten, zukunftsfest zu machen – und zwar in Deutschland, aber auch in Europa. Zu dieser Reformdiskussion gehört die Hauptfrage, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk ein funktionierendes Gespräch der Gesellschaft mit sich selbst ermöglichen kann, und das in einer Welt der entgrenzten Kommunikation und unzähliger fragmentierter Teilöffentlichkeiten. Es geht um die Grundwerte, die Zielsetzungen, die Arbeitsweisen, kurz: die Grundfesten unseres Selbstverständnisses.

Spricht gegenüber dem Bundespräsidenten die Rolle der Medien an; Foto: Petra Kammann

Heute, im digitalen Zeitalter des Jederzeit und überall – und zwar auf jedem Gerät – sprechen wir statt vom Programm lieber von Inhalten; wir verfolgen fein verästelte Ausspielwege, wir arbeiten mit Hybridformen, in denen Bilder, Töne, Texte ineinander übergehen.  Wir haben beim MDR frühzeitig Trimedialität nicht nur auf unsere Fahnen geschrieben, sondern auch im Alltag praktiziert und sind seit langem ein crossmedial arbeitendes Medienhaus.

Dabei haben die Qualitäten unserer Inhalte, entgegen manchen Befürchtungen, nicht gelitten. Ganz im Gegenteil. Dies gehört mit zu dem publizistischen Reichtum, der am heutigen Tag von uns allen zu feiern ist und den wir, wann immer möglich, auch vor Ort, zu den Menschen, in die Regionen, tragen.

Talkrunde über die Zukunft des Rundfunks mit den Ministerpräsidenten von Thüringen und Sachsen; Foto: Petra Kammann

In diesen Wochen sind etwa unsere Klangkörper – das MDR Sinfonieorchester, der Rundfunkchor und der MDR Kinderchor – mit dem MDR-Musiksommer wieder an 50 Orten in Mitteldeutschland unterwegs; in Kirchen, Schlössern, Parks und Industriedenkmälern – wirklich überall, und das in Stadt und Land.

Seit seiner Gründung versteht sich der MDR als Kulturförderer und –veranstalter, nicht zuletzt wegen des großen kulturellen Reichtums hier in Mitteldeutschland; und auch aus der tiefen Überzeugung heraus, dass Kunst und Kultur elementar waren und sind, wenn es um die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft geht.

Die Gesellschaft von morgen hat auch der KiKA unter Federführung des MDR von Anfang an seit 25 Jahren fest im Blick. Mit innovativen Formaten, die Fantasie, Werteorientierung und Medienkompetenz auch bei den Kleinsten fördern. Ob KiKA-App oder „Kikaninchen“ – was Kinder cool finden, ist für ihre Eltern längst ein fest verankertes Gütesiegel.

Es ist viel Preiswürdiges in unserer Dreiländeranstalt entstanden. Nicht weniges davon war und ist dabei, was mit der Besonderheit, der großen Geschichte und den Erfahrungsschätzen unseres Sendegebietes zu tun hat; Kernland der Reformation, Weimarer Republik, die Erfahrungen zweier Diktaturen und ein tiefgreifender gesellschaftlicher Transformationsprozess in den vergangenen 30 Jahren.

Viele Titel könnte und müsste ich jetzt nennen. Aus Gründen der Gerechtigkeit wäre das mehr als heikel. Auch wenn natürlich sofort „Der Turmals leuchtendes Beispiel einfällt. Oder beim Radio die preisgekrönte Wendekomödie, das Hörspiel Die Sicherheit einer geschlossenen Fahrgastzelle“.

Grimme-Preise gibt es mittlerweile auch für unsere Netzangebote, wie für das Webspezial „Das Wunder von Leipzig“ bereits 2010.

„Das Wunder von Leipzig“ ist ein Titel, den ich sofort auf Städte wie Halle, Erfurt, Magdeburg oder Dresden übertrage. Derzeit bauen wir am „Wunder von Weimar. Die dort angesiedelte, von uns betreute neue Gemeinschaftseinrichtung der ARD – vernetzt mit dem ZDF und Deutschlandradio – macht in diesen Tagen mit ersten digitalen Kulturprojekten und mit einem bundesweiten Ideenwettbewerb „ARD-Creators“ zum Thema „Was verbindet unsere Gesellschaft“ auf sich aufmerksam.

Es ist eine wirklich faszinierende Herausforderung für uns, die ganzheitlichen Ideen des Bauhauses in einer digitalen Welt weiterzudenken, mit der Entgrenzung klassischer Kunstsparten, neuen Einsichten und Zugängen sowie Erfahrungen durch eine Vernetzung mit Vielem und Vielen.

Wunder brauchen mehr als Zauberer. Sie brauchen Entwürfe, Strategien, Pläne, Phantasie. Sie brauchen Navigatoren, Organisatoren, Träumer, Medienvisionäre – und aber auch Analytiker, die ganz nüchtern die Landschaften ringsum beobachten und genau vermessen, mit Neugier, mit Offenheit, aber auch mit gebotener Distanz und Argwohn gegenüber rein modischen Neuerungen.

Wir beim MDR haben diese Vorausüberlegungen systematisch in das Zentrum unserer Arbeit gestellt. Damit alles zusammen den Markierungen Zukunft und Zukunftsfähigkeit dienen kann – um mitten in der Gesellschaft zu sein und zu bleiben und dabei die Lebenswirklichkeiten der Menschen in all ihren differenzierten Ausformungen auch spiegeln zu können; und – ganz wichtig – einen respektvollen Debattenraum zu schaffen; und das auch im Digitalen.

Es kommt wohl auch nicht von ungefähr, dass an einem Ort wie diesem, wo die Medienfreiheitsrechte vor 30 Jahren von den Bürgerinnen und Bürgern erstritten wurden, alle Public-Value-Medienhäuser in Deutschland, der Schweiz und Österreich sowie wissenschaftliche Einrichtungen bereits den dritten „Leipziger Impuls“ gemeinsam auf den Weg gebracht haben. Hier geben sie alle gemeinsam tragfähige und nachhaltige Antworten, auf welchen Feldern sich öffentlich-rechtliche Medienhäuser im digitalen Zeitalter weiterentwickeln und auch neu denken müssen, um ihrer Verantwortung für gesellschaftlichen Zusammenhalt und einer freien Meinungsbildung für jeden gerecht werden zu können.

Zum A und O gehört, dafür konsequent in Inhalten zu denken und dies sofort in trimediale, in hybride Modelle zu übersetzen, auch gattungsübergreifend. Es geht darum, über früher verteidigte Tellerränder hinaus alle weiteren Möglichkeiten im Blick zu haben. Was bedeutet, das Mediale als heute immer Zusammenhängendes zu begreifen, um in diesem Rahmen wiederum ganz Eigenständiges zu gestalten.

Sprechen über die beliebte Streaming-Serie „Die Pflegionärin“, v.l.n.r.: Medienjournalist Uwe Kammann, Intendantin Karola Wille  und Hauptdarstellerin Benita Sarah Bailey, im Hintergrund – Boris Lochthofen, Direktor des MDR-Landesfunkhauses Thüringen; Foto: Petra Kammann

Innovation und Kreativität müssen dabei alle an diesen Prozessen Beteiligte beflügeln. Es darf aber auch nicht an Mut und Leidenschaft fehlen, ebenso an der Bereitschaft, bekanntes Terrain zu verlassen und Ungewohntes neugierig zu erkunden und dabei Phantasieräume zu öffnen.

Und dazu gehört ebenso, die immer vielfältigeren Meinungsspektren, Werthaltungen und Lebensentwürfe in offener Form medial zu vermitteln und dabei Brücken zu bauen, die den Dialog zwischen den unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen unterstützen.

Dies alles, ganz wichtig, ohne Besserwisserei, sondern auf Augenhöhe. Und dabei ist die Vermittlung von Werten etwas Anderes als meinungsstarkes Moralisieren. Was klare eigene Positionen nicht ausschließt, sofern die unterschiedlichen Standpunkte ausreichend dargestellt sind. Fehler sind dabei menschlich und damit unvermeidlich. Allein, sie müssen auch so benannt werden. Das gehört zur Transparenz, zur Kultur der Wahrhaftigkeit.

Unsere besondere gesellschaftspolitische Verantwortung ist der Legitimationskern unserer Arbeit. Die immer darin bestehen wird und muss, unsere Welt in all ihrer Vielfalt und damit auch in all ihren Widersprüchen möglichst genau darzustellen und auch mit Einordnung und Orientierungshilfe zu vermitteln. Was, wohlgemerkt, für alle Bestandteile unseres Auftrags gilt – von Kultur über Information bis zur Unterhaltung. Und genau deshalb ist unser Qualitätsmanagement im MDR gemeinwohlorientiert und tagtägliche Redaktionsaufgabe.

Das alles hat mit Glaubwürdigkeit zu tun, unserem wohl wichtigsten Kapital. Gerade in dieser Zeit, in der unzählige Informationen in immer kleineren Einheiten in Umlauf gebracht werden, nicht selten in verzerrender und vergifteter Art und häufig mit manipulativer Absicht. Demokratie muss auch im Internet funktionieren. Demokratie braucht alle Qualitäts-medien in unserer dualen Rundfunkordnung, wie auch die Printmedien. Und wir sind immer klug beraten, das uns alle Einende – unseren Wert für die Demokratie – in den Vorder-grund zu stellen.

Für uns öffentlich-rechtliche Medien ist dies Auftrag und eine große Verantwortung zugleich, der wir uns jeden Tag aufs Neue stellen. Wenn ich ganz wagemutig bin, dann sehe ich – mit klarem Blick auf dieses übergreifende Ziel – am Horizont ein weit ausgreifendes, in jeder Hinsicht vernetztes und vernetzendes digitales Kommunikationsmodell; in dem alle linearen und nonlinearen Angebote von ARD und sinnhafterweise mit ZDF und Deutschlandradio kinderleicht aufzufinden sind – und dies mit Empfehlungssystemen, die Vielfalt sichern und nicht einengen.

Ein gemeinwohlorientiertes Kommunikationsnetzwerk – die Medienadresse Nr. 1 in Deutschland. Weil es so einzigartig in seinem Anspruch, seiner Vielfalt, seiner Anmutung und seiner Attraktivität ist – und das gesellschaftliche Gespräch mit moderiert, mit Wertschätzung und Respekt.

Die von den Ländern derzeit auf den Weg gebrachte Reform des öffentlich-rechtlichen Auftrags ermöglicht uns vieles und ist eine zukunftsweisende Antwort mit einem Freiheitsraum für eigenverantwortliches gemeinwohlorientiertes Handeln. Und das auch für unsere Gremien, deren zivilgesellschaftliche Aufsichtsrolle weiter gestärkt wird. All dies im Sinne der Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Systems in unserer Demokratie.

Feier mit allen Mitarbeitern auf dem MDR-Gelände des ehemaligen Schlachthofs; Foto: Petra Kammann

Uns, dem Mitteldeutschen Rundfunk, kommt in der bundesweiten Medienlandschaft dabei auch in Zukunft eine besondere Rolle zu. Denn wir haben aus unserer Geschichte heraus zweifellos einen Erfahrungsvorsprung mit tiefgreifenden Um- und Aufbrüchen, mit Sinnsuche und Verlustängsten gleichermaßen. Auch 30 Jahre nach der deutschen Einheit bleiben widerstreitende Tendenzen und ein dauerhafter fundamentaler Veränderungsdruck – mit Polarisierungen und Spannungen.

Unsere Antworten darauf sind insbesondere: Genau zuzuhören, die verschiedenartigen Lebenswirklichkeiten und die vielfältigen Lebensleistungen der Menschen bundesweit noch sichtbarer zu machen, noch mehr das Neue aus dem Alten heraus erzählen und verstärkt auf den Dialog mit und zwischen den Menschen zu setzen – als Vermittler zu den Themen der Zeit. Aber auch dort, wo nötig, Grenzen setzen, wenn Verfassungswerte verletzt und Strafrechtsnormen betroffen sind.

Dieses wertvolle Wissen können und wollen wir auch weiterhin einbringen – als starke Stimme des Ostens; nicht im Sinne einer Abgrenzung, sondern mit dem selbstbewussten Anspruch, zur inneren Einheit Deutschlands beizutragen und in den bundesweiten ARD-Angeboten zum Teil des bundesdeutschen „Wir“ zu machen. Beispielsweise als Analyst ostdeutscher Zeitgeschichte und Brückenbauer mit großen dokumentarischen Projekten.

Kapitalismus ohne Kapital – was der Osten anders macht“ ist ein gerade entstehendes Projekt zu der Frage, wie man hier Zukunftschancen aufbaut, ohne geerbtes Kapital und Großinvestoren. Deshalb ist der MDR auch eine Stimme des Wandels und der Zukunft.

Darüber hinaus, im internationalen Maßstab, erlaubt und fordert unsere Lage, dass wir auch eine besondere Mittlerfunktion wahrnehmen. Wir sehen uns heute mehr denn je in einer europäischen Mittlerrolle, mit dem klaren Ziel, den Blick nach Ost- und Mitteleuropa zu weiten und unsere Aufmerksamkeit noch viel stärker auch auf diesen Teil Europas zu lenken.

Deswegen haben wir zum Beispiel in der Europastadt Görlitz/Zgorzelec das erste binationale Studio in der ARD eröffnet, um die Vielfalt und das Zusammenleben der Menschen in einem Grenzgebiet sichtbar zu machen.

Insofern sind wir programmatisch und systematisch sogar mehr als eine Dreiländeranstalt, pflegen deshalb auch ganz bewusst unsere nachbarschaftlichen Beziehungen. Und dies an einer sensiblen Stelle, in jeder Hinsicht, nicht zuletzt historisch. In einem Europa, dessen Gemeinsamkeiten keineswegs mehr selbstverständlich sind, ist eine solche mediale Vermittlungsrolle notwendiger denn je.

Seit nunmehr über 30 Jahren ist der MDR ein Alltagsmedium für kommunikative Daseinsvorsorge hier in der Region und weit darüber hinaus. Unser tagtägliches Tun ist immer auf ein Ziel gerichtet, das alle Mühen wert ist: zum gelingenden Leben beizutragen. Für den einzelnen, für die Gesellschaft; als Grundlage für ein Leben in Selbstbestimmung, in Freiheit. Wir wissen: Wandel ist immer anstrengend.

Was wir dabei immer mitdenken müssen, das sagt uns ein finaler Dreisatz. Er klingt ein wenig vertrackt, ist in Wahrheit aber einfach. Es geht um eine oft übersehene Alltagsweisheit.

Nämlich: dass heute morgen gestern ist.

Ich freue mich, dass Sie alle hier im Saal mit mir das Gestern des Mitteldeutschen Rundfunks gewürdigt haben; dass Sie im gleichen Atemzug das stolz erreichte Heute mit allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, mit allen Wegbegleiterinnen und Wegbegleitern feiern; und dass Sie in diesem Kreis ein schönes, vielversprechendes Morgen erblicken. An dessen Realisierung wir alle arbeiten, in jedem weiteren Moment. Es ist das Publikum, es ist die Gesellschaft, die uns dabei jede Anstrengung wert sind.

Danke, dass Sie mich auf dieser gedanklichen Wanderung begleitet haben – und dass wir diesen Weg gemeinsam weitergehen werden. An schönen Ausblicken, gegründet auf soliden Einsichten, soll und wird es nicht fehlen. Damit wir bleiben, was wir sind: ein MDR für alle.

 

*Die optischen Hervorhebungen im Text erfolgten durch FeuilletonFrankfurt.

Hier die Festrede des Bundespräsidenten zum MDR-Jubiläum

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