Die Compagnie Hervé Koubi bei den Highlights des internationalen Tanzes
Schuld des Tages am Ende der Nacht?
von Simone Hamm
Hipphopper aus Algerien, Streetdancer aus Marokko, Artisten aus Burkina Faso, modern dance-Künstler aus Frankreich und Israel– sie alle tanzen in Hervé Koubis Kompanie. Hervé Koubi ist in Frankreich als Sohn algerischer Immigranten aufgewachsen, sein Vater Jude, seine Mutter Muslima. Koubi promovierte zunächst in Pharmazie. Doch weder hinter einem Apothekertisch noch in einem Forschungslabor sah er seine Berufung. Er wollte Tänzer werden, studierte Tanz und Choreografie in Aix-Marseilles und an der Marseiller Oper. Seit 2010 hat er seine eigene Kompanie. Die Campagne Hervé Koubi. Keiner seiner Tänzer hatte zuvor jemals auf der Bühne gestanden. Und dann das in der Bonner Oper.
Wo bleibt im Kampf das Individuum? Szene aus: „Les nuits barbares“; Foto: Michel Cavalca
In „Ce que le Jour doit à la nuit“ („Die Schuld des Tages am Ende der Nacht“) greift er Motive aus einer Novelle von Yasmina Khadra auf: Ein junger Mann wird von einer Familie zur anderen geschickt. Dies erinnert ihn an seine eigene Geschichte, auch Khadra ist ein Wanderer, ein Wanderer zwischen den Welten. Er sagt:„ Ich empfinde wie ein Orientalist des 20. Jahrhunderts, der nach Algerien kommt.“
Auf der Bühne wiederum tanzen 14 muskulöse Männer mit nacktem Oberkörper und weiten weißen Hosen. Auf einer Hand drehen sie sich um sich selbst, springen in die Höhe, werfen sich zu Boden. Kraftvoll, athletisch und sehr sinnlich. Dazu arabische Musik von Hamsa El Din und dem Kronos Quartett.
In „Les Nuits Barbares où Les Premiers Marins Du Monde“ („die Nacht der Barbarei oder der Morgen, an dem alles begann“) machen Koubis Tänzer eine Zeitreise in den Orient. Sie tragen silberne, glitzernde Helme mit Gesichtsvesier, graue Röcke über engen Jeans. Sie tanzen miteinander, ihre Bewegungen sind wild und weit, ihre Sprünge atemberaubend. Sie tanzen allein, miteinander, bilden eine Gruppe, fallen wieder auseinander.
Sie sind Fremde aus Persien, Babylonien, Arabien, aus den Mittelmeerländern. Und dann ändert sich das Bild.
Was gerade noch lebendig war, droht, aggressiv zu werden. Sie tragen Säbel bei sich. Sie werfen die silbernen Helme fort. Sie zeigen asiatische Kampfkunst mit Stöcken. Die eben noch friedliche Tänzergruppe wird hochexplosiv. Die Tänzer tanzen nicht mehr miteinander, sie kämpfen gegeneinander. Und das tun sie in dieser Inszenierung nicht ohne Ironie.
Denn, wenn sie die glitzernden Helme tragen, erklingen zu arabischer Musik auch Klänge von Richard Wagner. Wenn sie kämpfen, hören wir eine Mischung aus algerischer Musik und Gabriel Faurés Kompositionen, und wenn sie schließlich mit Stöcken tanzen, ein Kreuz bilden, erklingt Mozarts „Requiem“.
14 Männer aus der ganzen Welt reisen durch die Zeit, zeigen, wie aus Frieden Krieg entstehen, aber auch, wie Musik und Tanz dieses Gegeneinander zu einem Miteinander machen könnte. Die Tänzer tragen einander von der Bühne, helfen sich gegenseitig.Eine Utopie?
However. Ein Mut machender Abend mit einer einfachen, klaren Botschaft.