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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Zwei ganz unterschiedliche Konzertabende in der Alten Oper

Tanz auf dem Vulkan und
Festlich-barocke Himmelfahrtsmusiken

Von Petra Kammann

Maurice Ravels La Valse. Poème choréographique, George Gershwins Concerto in F für Klavier und Orchester und Béla Bartóks Konzert für Orchester Sz 116 – Ein herausfordernder Abend mit Igor Levit, dem Orchestre de Paris und unter der Leitung von Gast-Dirigent Manfred Honeck in der Alten Oper. Und am Abend zuvor „Bach beflügelt“: Jubilierend-Schwingendes zum Himmelfahrtsfest mit dem belgischen Vokalensemble Vox Luminis und dem Freiburger Barockorchester.

Volles Haus in der Alten Oper mit dem Pianisten Igor Levit und dem Orchestre de Paris unter Leitung von Manfred Honeck; Foto: Petra Kammann 

Transatlantische Klangwelten mit Igor Levit
und Rausch der Rhythmik 

Ravels „La valse. Poème choréographique

Was verbindet Ravel, Bartók und Gershwin? Paris, Wien, Leipzig, Ungarn und  Amerika? Walzerseligkeit, verzerrte Rhythmen, die dissonanten Harmonien oder gar die Doppelbödigkeit? Es wurde ein ungewöhnlich dynamischer Konzertabend, den die Konzertdirektion Pro Arte in der Alten Oper veranstaltete.

Ursprünglich lautete der Titel für Maurice Ravels Werk „La valse Poème choréographique“ aus dem Jahre 1920 schlicht und beziehungsreich „Wien“, sind doch Spuren von Erinnerung an die Walzerseligkeit der einstigen k.u.k. Donau-Monarchie-Metropole musikalisch in das Werk verwoben. Gleichzeitig wird auch schon zu Anfang die bedrohliche Atmosphäre von etwas Apokalyptischem spürbar.

Flüchtig lassen sich durch schwebende Nebelschleier hindurch walzertanzende Paare erkennen. Nach und nach lösen sich die Schleier auf: man erblickt einen riesigen Saal mit zahllosen im Kreise wirbelnden Menschen. Die Szene erhellt sich zunehmend; plötzlich erstrahlen die Kronleuchter in hellem Glanz. Eine kaiserliche Residenz um 1855. Nach und nach treten an die Stelle der Walzerseligkeit verzerrte Rhythmen und dissonante Harmonien. Das Stück endet in einem Ausbruch von Gewalt und Chaos“, notierte der Komponist selbst zu der changierenden Atmosphäre, die ihn offensichtlich zu dieser Komposition anregte.

Dieses Bild übersetzten die Instrumentalisten in eine musikalische Sprache. So nahmen die Streicher des Orchestre de Paris sanft die schwingenden Wellenbewegungen des Wiener Tanzes auf, während die Bläser und die wilden Schlagzeuger das kompositorische Gefüge fast auseinander brechen ließen. Angesichts eines neuen drohenden Weltkriegs und des zerbrechlichen Friedens in Europa entfaltete das Atmosphärische von „La Valse“ mit der Spannung zwischen feinsten Pianissimo-Tönen und in die Tiefe ziehenden Längen eine geradezu alarmierende Wirkung.

Für Ravel selbst als gebrochenem Helden war es wohl das musikalische Antidot zur Erfahrung des Grauens im Ersten Weltkrieg. Fabelhaft, wie Manfred Honeck dieses doppelbödige Werk dirigierte!

Igor Levit, versunken in das Piano: ©Felix Broede, Sony Classical

George Gershwins Concerto in F für Klavier und Orchester 

Das 1925 uraufgeführte großartige Klavierkonzert von George Gershwin Concerto in F für Klavier und Orchester steht nur äußerst selten auf dem Programm, obwohl es doch zu den interessantesten Werken Gershwins. zählt. Eigentlich hatte der Komponist in Paris  damals Unterricht bei Nadia Boulanger und Maurice Ravel nehmen wollen. Doch lehnten Beide ab, aus Angst, Gershwins ganz eigenen jazzigen Ton durch einen klassischen Überbau kaputt zu machen. Dennoch bewegt sich das Werk zwischen Klassik und Moderne und fügt der klassischen dreisätzigen Form außerdem ganz unterschiedliche Jazzelemente hinzu. Orchestriert hat es der US-amerikanische Komponist sogar selbst, obwohl er auf diesem Gebiet Autodidakt war, weswegen es heute auch verschiedene Fassungen und Aufführungspraxen davon gibt.

Nach einer kurzen Pause verbeugt Manfred Honeck sich kurz vor dem Publikum, und schon geht es los mit einem rasanten Paukenschlag, gefolgt von einem Trommelwirbel, mit dem George Gershwins Concerto in F für Klavier und Orchester im Großen Saal der Alten Oper ganz präsent war, als Igor Levit zunächst mit der linken Hand zu seinem fulminanten Klavierpart einsetzte und mit dem vom Charleston-Rhythmus geprägten Allegro und betörenden Jazzmelodien seine behänden Fingerläufe fortsetzte.

Geradezu nostalgisch, fast bluesartig und in manchem geradezu zurückgenommen geriet dann das reizvoll-melancholische Adagio des zweiten Satzes, was auch in den feineren Solo-Kadenzen zum Ausdruck kam.

Mit einem stürmischen Allegro Agitato und dem Rondo beendete Levit dann den furiosen dritten Satz mit aberwitzigen Läufen auf der Klaviatur, wo sich das Klavier und das vom Dirigenten angestachelte Orchester zu übertreffen und zu übertrumpfen schienen. Mit Anklängen an Ragtime und an Gershwins „Rhapsody in Blue“, dann schien eine „Orgie von Rhythmen“ mit vielerlei jazzigen Themen durch, bis das Konzert voller Jubel endete. Im Zusammenspiel hatte der so renommierte wie erfahrene Dirigent Manfred Honeck auch dem Pariser Starorchester, dem Orchestre National de Paris, eine spannende Bandbreite an Klangfarben und rhythmischen Jazz-Akzenten entlockt.

Eine ungeheure – auch technische – Herausforderung stellten sowohl für den Pianisten Igor Levit das Tempo für dessen Fingerbeweglichkeit als auch das aufeinander abgestimmte Zusammenspiel für Orchester und Dirigent dar. Die Verve, die dadurch erzeugt wurde, animierte das Publikum zu stürmischem Beifall. Levit steuerte dann als Zugabe Gershwins Balladen-Hit „The man I love“ bei.

Béla Bartók mit „Konzert für Orchester Sz116“

Nach der Pause dirigierte Honeck mit nicht nachlassendem Elan Béla Bartóks „Konzert für Orchester Sz116“ aus dem Kriegsjahr 1943, das im amerikanischen Exil entstanden war, wo der ungarische Komponist seit wenigen Jahren lebte, aber ständig unter Heimatverlust litt. Die Rastlosigkeit der amerikanischen Gesellschaft ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Schwerkrank nahm Bartók nochmal all seine kreativen Kräfte zusammen für einen orchestralen Abgesang, in dem Ruhepunkte ebenfalls eher selten sind.

Das fünfsätzige Werk hat er bewusst nicht als Sinfonie angelegt. Vielmehr wollte er in seiner Komposition den Rahmen geben, um den verschiedenen Soloinstrumenten Gelegenheit für virtuose Ausgestaltung zu gewähren mit vielfältig verschiedenen Rhythmen, wobei es auch jede Menge grelle Klangeffekte oder auch schrille Zitate gibt wie die karikierten Melodien aus der „Lustigen Witwe“ von Franz Léhar. Immer wieder prallen auf die Kantilenen der Holzbläser und Streicher und auf die feinen „Gesänge“ von Flöte und Oboe äußerst harte Kontraste. Brausend und stürmisch endet das Werk mit einem spektakulären Presto.

Vom kaum hörbaren Pianissimo bis zum lärmenden Fortissimo reizte Manfred Honeck gemeinsam mit dem französischen Eliteorchester die gesamte Dynamik dieses späten Bartók-Stückes aus, so dass die herausragende Qualität der einzelnen Spieler des Pariser Orchesters in allen Schattierungen und in ihrer gesamten Spannbreite, die den Übergang zur Musik des beginnenden 20. Jahrhunderts markiert, vernehmbar wurde. Die Zugabe einer gekürzten Walzerfolge aus dem „Rosenkavalier“ von Richard Strauss setzte nach dem fulminanten Spiel- und Dirigier-Abend weitere Emotionen des Publikums in Gang.

https://proarte-frankfurt.de

„Beflügelnder Bach“, Telemann und Biber

Ganz anders dagegen klang am Tag zuvor ein Abend der Frankfurter Bachkonzerte. Es gelingt der hochkarätigen Frankfurter Konzertreihe in der Alten Oper immer wieder, interessante und neue Ansätze und Anlässe zur Kunst Johann Sebastian Bachs zu finden. Diesmal stand das in Vergessenheit geratene Musik zum Himmelfahrtsfest, das alljährlich zwischen Ostern und Pfingsten stattfindet, im Zentrum. Das Datum der 40 Tage nach Ostern war der Anlass, nicht nur die Kantaten- und Oratorienkunst des barocken Leipziger Komponisten zum Klingen zu bringen und den damit verbundenen Gesang in den Vordergrund zu stellen, sondern auch auf ein unbekannteres Oratorium aufmerksam zu machen. Für uns Heutige zählen vor allem Ostern und Weihnachten zu den besonderen christlichen Festtagen, weswegen das Bach’sche Weihnachtsoratorium oder die Passionen kurz vor Ostern sich großer Beliebtheit erfreuen. Dass es auch zum christlichen Fest Christi Himmelfahrt ein spezielles Oratorium und Kantaten gibt, ist den meisten hingegen kaum bewusst.

Vox Luminis mit Lionel Meunier mit dem Freiburger Barockorchester unter Leitung von Konzertmeisterin Leila Schayegh, Foto: Petra Kammann

Dabei hat allein Bach vier Kantaten für dieses „kleine“ Hochfest zwischen Ostern und Pfingsten komponiert, von denen an diesem Abend zwei erklangen, während der weit herumgekommene und unendlich fleißige Telemann insgesamt 58  Kantaten schuf, von denen 36 erhalten sind. An diesem Abend in der Alten Oper wurde allerdings nur seine Kantate „Ich fahre auf zu meinem Vater“ gesungen. Das jedoch war dank der hervorragenden Stimmen des belgisch-wallonischen Ensembles Vox Luminis, äußerst gelungen. Unterstützt wurden die Sänger und Sängerinnen vom renommierten Freiburger Barockorchester, einem der gefragtesten, mit historischen Instrumenten der Barockzeit.

Dass der Moment, 40 Tage nach Ostern in den Himmel, in das Reich Gottes aufzufahren, für die in der Barockzeit lebenden Musiker wie Bach und Telemann besonders erhebend gewesen sein muss, kann man sich unschwer vorstellen. „Ascensio Domini“ wurde im 18. Jahrhundert ausgesprochen festlich begangen, da die Idee von Himmel an den Gedanken der Erlösung gekoppelt schien.

Während Telemann seine Kantate „Ich fahre auf zu meinem Vater“ für Streicher, zwei Oboen, Traversflöten, Hörner und Continuo mit Jesu beginnen lässt, der die Himmelfahrt verifiziert und mit „eurem Vater“ und „eurem Gott“ den wohltuenden Grundstein für die Auseinandersetzung der Gläubigen legt, geben die beflügelnden Arien im Oratorium wiederum Statements darüber ab, was diese Himmelfahrt für uns Christenmenschen eigentlich bedeutet.

In künstlerischer Hinsicht war es ein Glücksfall, dass zu diesem Konzert nicht nur das belgische Vokalensemble Vox Luminis und das Freiburger Barockorchester aufeinander trafen, um gemeinsam unter der Leitung von Konzertmeisterin Leila Schayegh festliche Himmelfahrtsmusiken wie Bachs Kantate „Auf Christi Himmelfahrt allein“  und Telemanns Kantate „Ich fahre auf zu meinem Vater“ zu interpretieren, vielmehr waren auch ganz hervorragende und uneitle Solisten zu erleben wie etwa die Sopranistin Zsuzsi Tóth, dann der sehr präsente Bass Lionel Meunier oder auch der Countertenor Alexander Chance, der in Bachs Himmelfahrtsoratorium „Ach, bleibe doch, mein liebstes Wesen“ selig umspielt von der Oboe d’amore, klar im Duett und mit sparsamer Basso continuo Begleitung fast schwebend hauchte: „So bleibe doch noch hier, sonst werd ich ganz von Schmerz umgeben„.

Überraschend nach der Pause dann war die wenig bekannte 11. Rosenkranz-Sonate des böhmischen Violinvirtuosen Heinrich Ignaz Bieber, die – sparsam instrumentiert –  von einer einzelnen Violine und einem Basso continuo getragen wird. Hier zeigte Gast-Konzertmeisterin Leila Schayegh auch ihre ganze Könnerschaft. Bibers Himmelfahrt kommt ganz ohne Chöre aus und wirkt daher aber etwas monotoner als die jubilierenden Arien. Vermutlich galt Biber aber genau das als Zeichen ruhender Frömmigkeit. Die Verbindung mit den teils mystischen Geheimnissen des Rosenkranzbetens in all seinen Dimensionen und Wiederholungen haben heute etwas Eigentümliches. Im gesamten Konzert wirkte dieser Einschub vor allem aber beruhigend, stellte er auch einen instrumentalen Gegenpart zu den vokalen Werken Bachs und Telemanns dar. Mit der Abschlusskantate „Lobet Gott in seinen Reichen“ BWV 11, ursprünglich der festliche Eingangschor, den Bach selbst 1732 zur Feier des Leipziger Thomanerchors  und der renovierten Thomasschule zu Leipzig dirigiert hatte, verließ man den Saal von „Bach beflügelt“, ganz so wie das Konzert überschrieben war.

https://www.frankfurter-bachkonzerte.de

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