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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Madama Butterfly“ von Giacomo Puccini in der Oper Frankfurt

Gekaufte Liebe, gekaufte Ehe – Illusionen zweier junger Heranwachsender

von Renate Feyerbacher Fotos: Barbara Aumüller / Oper Frankfurt

Die japanische Tragödie „Madama Butterfly“ überzeugt bei der Premiere an der Oper Frankfurt am 22. Mai durch eine einfühlsame Inszenierung ohne Kirschblütenromantik, begeistert durch sängerische und musikalische Interpretation. Sowohl für den amerikanischen Regisseur R.B.Schlather, der schon als Kind Giacomo Puccini (1858-1924) liebte, als auch für den italienischen Dirigenten Antonello Manacorda, der lange einen Bogen um Puccini machte, ist es das erste Mal, dass sie eine Oper dieses Komponisten realisieren. Erstaunlich, was dabei herauskam.

Vincenzo Costanzo (Pinkerton), Heather Engebretson (Butterfly) und Ensemble: Barbara Aumüller

Für Manacorda, Gründungsmitglied des Mahler Chamber Orchestra, ist die Partitur eine Entdeckung. „Sie ist unglaublich dicht gearbeitet, weist eine reiche Palette von Farben auf und ist sehr durchdacht in der Instrumentation.“ (Gespräch mit Dramaturg Konrad Kuhn im Programmheft). Er habe einen genuinen Musikdramatiker kennengelernt, der darin durchaus mit Mozart vergleichbar sei.

Es ist, als würden die Musiker des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters eine ‚neue‘ Butterfly spielen: intensiv, einfühlsam, fein differenziert. So nie gehört. Dabei. Die Geschichte passiert mancherorts heute noch so ähnlich.

US-Marineleutnant Benjamin Franklin Pinkerton, dessen Schiff im Hafen von Nagasaki ankert, hat sich durch Makler und Heiratsvermittler Goro – herrlich schuftig Hans-Jürgen Lazar, Haus und Braut, nämlich  Cio-Cio-San genannt Butterfly, besorgen lassen. Sein Freund, Konsul Sharpless, begrüßt ihn und warnt ihn, als Pinkerton seine Rückkehr in die amerikanische Heimat und die dort geplante Heirat erwähnt, dass Cio-Cio-San die bevorstehende Eheschließung ernst nehmen könnte. Pinkerton denkt aber nur an eine „Ehe auf Zeit“. Die drei Monate, die er mit Cio-Cio-San, die ihn liebt, verbringt, waren für Beide harmonisch. Dann reist er ab.

Drei Jahre lang wartet sie auf seine Rückkehr nach Japan. Die Hoffnung, dass er sie mit in die USA nehmen würde, hat sie nicht aufgegeben. Immer wieder nennt sie sich eine „amerikanische Ehefrau“. Aber er hat in den USA längst eine Amerikanerin geheiratet. Als er dann mit dieser nach Japan kommt, erfährt er von seinem dreijährigen Sohn. Er ist allerdings zu feige, Cio-Cio-San zu begegnen. Den Jungen nehmen sie mit in die USA. Cio-Cio-San, jetzt 18 Jahre alt, tötet sich mit dem Dolch ihres Vaters, dessen Suizid ihr Leben überschattet hat.

Die Autorin Hyunseon Lee, die an der Universität Siegen lehrt, hat sich mit den Reise-Aufzeichnungen des französischen Marineoffiziers Pierre Loti „Madame Chrysanthème“, der 1885 nach Japan reiste und in Nagasaki stationiert war, auseinandergesetzt. Pierre Lotis Reise-Roman war weltweit ein sensationeller Erfolg, der ins Englische und andere Sprachen übersetzt wurde. In Japan gab es nämlich gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine offensive Modernisierung.

In dem Textauszug ihres Buches „Metamorphosen der Madame Butterfly“, zu lesen im Programmheft, schreibt Hyunseon Lee: „Die Ehe auf Zeit“ ist von öffentlichem Interesse und fungiert in einer interkulturellen Zone wie den Hafenstädten als wichtigster Begegnungsraum zwischen dem westlichen Mann und der japanischen Frau.“

Puccini glaubte zwar an die Qualität der Geschichte, die er im Drama der Amerikaner David Belasco und John Luther Long kennengelernt hatte, aber dann rang er zwei Jahre mit seinen Librettisten Giuseppe Giacosa und Luigi Illica um die Gestaltung des Textes. 1904 wurde „Madama Butterfly“, die Puccini seine modernste Oper nannte, schließlich in Mailand uraufgeführt.

v.l.n.r. Domen Križaj (Sharpless), Kelsey Lauritano (Suzuki), Jakob Fritschi (Das Kind Dolore) und Heather Engebretson (Butterfly)

Dirigent Manacorda und Regisseur Schlather waren sich von Anfang an darin einig, keinen Japan-Kitsch zuzulassen, wie er hin und wieder in Butterfly-Aufführungen noch zu sehen ist. Stattdessen: Bewegbare Innenwände, Schiebetüren, wenig Möbel, welche  japanische Häuser kennzeichnen. Johannes Leiacker, vielfach ausgezeichnet, hat diese Struktur für sein Bühnenbild übernommen. Nur eine Öffnung findet sich in einer der hohen Wände. Ein Stuhl, ein Brief, Geldscheine, ein Dolch als einzige Requisiten.

Auch Schatten spielen in japanischen Häusern eine wichtige Rolle. Lichtdesigner Olaf Winter ermöglicht entsprechend eindringliche Schattenmomente. Es werden auch von der Verwandtschaft und den Freundinnen keine Kimonos bei der Hochzeitszeremonie getragen, sondern Alltagskleidung – Ausnahme ist Onkel Bonze(Kihwan Sim), das spirituelle Oberhaupt der Familie. Er hatte Cio-Cio-San verflucht, als er erfuhr, dass sie ihrer Religion abgeschworen hatte. Daraufhin wenden sich alle von Butterfly ab. Nur Suzuki, ihre Dienerin und Freundin, steht weiterhin zu ihr.

Für Cio-Cio-San hat sich Doey Lüthi ausgefallene Roben ausgedacht. Zur Hochzeit trägt sie ein rotes Abendkleid – entlehnt aus dem Film Pretty Woman, während Pinkerton in Bermudas und Hemd über der Hose herumläuft. Sonoko Kamimura, freischaffende Tänzerin und Trainerin, studierte mit den beiden Sängerinnen Bewegungsabläufe ein. Notwendig, denn Butterfly rennt und fällt mehrfach zu Boden.

Regisseur Schlather hat sich bewusst für die abstrakte Direktheit des Bühnenbildes und der Kostüme entschieden. Dekoratives Beiwerk verstelle „den Blick auf universelle menschliche Beziehungen und Konflikte“. War es diese abstrakte Direktheit, nur einmal gab es eine Video-Einspielung des Sternenhimmels, die einige Zuschauer zu Buhrufen provozierten?

v.l.n.r.: Vincenzo Costanzo (Pinkerton), Karolina Makuła (Kate Pinkerton), Domen Krizaj (Sharpless) und Kelsey Lauritano (Suzuki)
Die Personenführung des Regisseurs ist aufregend-realistisch: eindringliche Momente wie zum Beispiel die Begegnung des schnöseligen, arroganten Pinkerton mit der geradezu demütigten Cio-Chio-San. Am Ende sind ihre Wahnsinns-Attacken unerträglich. Hinreißend die Szene mit dem Jungen, genannt Dolore, den sie wenig später weggeben muss, und Suzuki. Die Drei wirbeln ausgelassen über die Bühne. Man muss tief durchatmen, um nicht heulen zu müssen.

Als Heather Engebretson nach der Premiere alleine vor den Vorhang trat, wurde sie mit Bravorufen überschüttet und war zu Tränen gerührt. Es war ihr Rollendebüt. Die chinesisch-amerikanische Sopranistin, Absolventin der berühmten New Yorker Juillard School und mehrfach ausgezeichnet, hat an der Oper Frankfurt bereits verschiedene Rollen gesungen. Nun aber tritt sie mit ihrer großartigen, tief bewegenden Interpretation der Butterfly deutlich ins Rampenlicht.

Für den erkrankten Evan Leroy Johnson sprang der italienische Tenor Vinzenzo Costanzo als Pinkerton ein. Auch er erntete viel Applaus.

Der slowenische Bariton Domen Krizaj als Konsul Sharpless und Mezzosopranistin Kelsey Lauritano als Suzuki, beide Ensemblemitglieder, wurden lebhaft gefeiert, ebenso der Chor, den Alvaro Corral Matute, seit Beginn der Spielzeit Assistent des Chordirektors und Leiter des Kinderchors, einstudierte.

 

Diese „Madama Butterfly“, die am 4., 6., 10., 16., 30. Juni und am 3., 9. und 16.Juli erneut aufgeführt wird, sollte man sich nicht entgehen lassen.

Weitere Informationen:

www.oper-frankfurt.de

https://oper-frankfurt.de/de/mediathek/?id_media=340

 

 

 

 

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