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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Warum in die Ferne schweifen… das Bingenheimer Ried

Eine Reise wert – Auch in das gute Nahe

von Paulina Heiligenthal

„Die ganze Natur ist eine Melodie,
in der eine tiefe Harmonie verborgen ist.
Die Natur schafft ewig neue Gestalten;
was da ist, war noch nie,
was da war – kommt nicht wieder –
alles ist neu und dennoch immer das Alte.“
                              – Johann Wolfgang von Goethe –

Das Bingenheimer Ried an einem sonnigen Wintertag, Alle Fotos: Paulina Heiligenthal

Vogelgezwitscher, Froschgequake, Schnabelgeklapper, Schwanengesang: das Bingenheimer Ried ist ein einzigartiges Vogelparadies. Als ich an einem Frühjahrsmorgen mit dem neuen Teleobjektiv in dieser Landschaft unterwegs bin, lacht die Sonne vom Himmel. Und ich wundere mich, dass an so einem schönen Morgen nur eine Handvoll Besucher den Weg hierher gefunden hat.

Das Bingenheimer Ried liegt mitten in der Wetterau, zwischen Taunus und Vogelsberg, nur rund 40 Kilometer nordöstlich von Frankfurt bei Gettenau/Echzell. Eingebettet in die „Mittlere Horloff-Aue“, handelt es sich hierbei um eine Überflutungsfläche des Flüsschens Horloff mit einer Größe von 85 Hektar. Es ist eines der bedeutendsten Naturschutzgebiete Hessens. Schon 1985 wurde das Ried zum Naturschutzgebiet erklärt, ursprünglich zum Schutz und Erhalt der Brutgebiete von Entenvögeln.

Der Storch ist ein Sinnbild für verbesserte Umweltbedingungen

Inzwischen ist das hydrologische Naturparadies ein Rast-und Brutgebiet für rund 30 Vogelarten und zugleich ein Durchzugsgebiet für Zugvögel und Wintergäste, die an das Element Wasser gebunden sind. Zur Zugzeit kann man neben allen heimischen Entenarten wie Spießente, Pfeifente, Löffel- und Krickente hier auch viele Watvögel sehen. Das Naturschutzgebiet ist aber auch eines der besten hessischen Brutplätze für Tüpfelsumpfhuhn und Wasserralle. Außerdem brüten Kiebitz und Bekassine, Rohrweihe, Waldohreule und Blaukehlchen.

Das Naturparadies ist reich an Artenvielfalt

Am öffentlichkeitswirksamsten sind die Weißstörche, die hier in großen Scharen nisten, stolzieren oder majestätisch mit ihren Flügeln ausschlagen. 1993 brütete hier das erste Storchenpaar seit langer Zeit. War noch vor 20 Jahren ein einziger gesichteter Storch erwähnenswert, gibt es jetzt 120 Storchenpaare in der Wetterau. Insbesondere aufgrund seiner Bedeutung für den Erhalt seltener Vogelarten ist das Bingenheimer Ried seit 2008 Teil des europäischen Schutzgebietsnetzes NATURA 2000. Welch eine Auszeichnung!

Die brütenden Weißstörche in einem der bedeutendsten hessischen Naturschutzgebiete leisten tolle Öffentlichkeitsarbeit

Im Winterhalbjahr und Frühjahr werden die ausgedehnten Wiesen- und Schilfflächen vom Hochwasser der Horloff überschwemmt, so dass große Flachwasserzonen entstehen. Mittels eines Stauwehrs wird der natürliche Wechsel von Überschwemmung und Trockenheit nachempfunden. Im Frühsommer wird der Wasserpegel allmählich verringert, um bis zum Herbst als Weidelandschaft zu fungieren. Davon ausgenommen sind einige in den letzten Jahren angelegte Tümpel, die in das Gebiet integriert sind. Die wechselnden Wasserstände und die unterschiedlichen Vegetationstypen prägen das Gebiet und begründen die hohe Artenvielfalt.

Gesang der Höckerschwäne inmitten des Sees

Im Gebiet leben auch tausende Kröten, Laubfrösche und Molche, so dass es sich um den wichtigsten Lebensraum für Amphibien in Hessen handelt. Vor diesem Hintergrund überrascht die hohe Anzahl von 38 im Gebiet festgestellten Libellenarten nicht. Die ursprüngliche Natur, ihre seltene Flora und Fauna laden zum Verweilen, Wandern, Radfahren, vor allem zum Beobachten ein. Der abwechslungsreiche Rundweg ist kinderwagen- und rollstuhltauglich. Der Aussichtsturm mit Panoramafenster leider nicht, bietet er doch einen großartigen Ausblick über die Wasserfläche und ihre Inselbewohner.

Momentan werden 340 Junggraugänschen großgezogen. Noch sind sie nicht flugfähig, noch mausern die Eltern nicht, Zeit für die Beringung

Es ist mein zweiter Besuch hier. Bereits Ende Februar hatte ich mich von der Schönheit der Natur, der Weite der Auenlandschaft und der friedlichen Vogelwelt berühren lassen. Damals waren viele Fotografen mit Riesen-Teleobjektiven und Stativen im Handkarren unterwegs. Schon im Winter war ich beeindruckt von diesem Naturschutzgebiet – im Frühjahr überrascht und begeistert das Bingenheimer Ried mit üppig blühenden Wasserpflanzen und Blumenflächen, mit nistenden Weißstörchen und fürsorglichen Grauganspaaren, die ihre Kinderscharen hüten, mit Höckerschwänen und vielen anderen Vogelarten.

Papaver orientalis leuchtet im Morgenlicht, Alle Fotos: Paulina Heiligenthal

Nach der Beweidung in der sommerlichen Trockenphase werde ich mich sicher wieder dort einfinden, um erneut die Meisterwerke dieses Biotops einzufangen, die endlose Weite der Landschaft einzuatmen, die beglückte Seele zu spüren. Das Bingenheimer Ried ist ein unentdeckter Schatz direkt vor unserer Haustür. Eine Reise wert!

 

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