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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„KUNST FÜR KEINEN. 1933–1945“ in der Schirn

UNGESEHENES

von Petra Kammann

Eine bemerkenswerte Ausstellung in der Schirn widmet sich einem wenig erforschten Thema anhand von vierzehn Biografien von Künstlerinnen und Künstlern in der Nazi-Zeit und deren künstlerischer Praxis. Sie bezeugt damit, dass nicht allein Apathie, Stillstand und Aussichtlosigkeit die künstlerische Arbeit in dieser Zeit bestimmten. Es gab durchaus unterschiedliche Strategien und Handlungsspielräume derer, die keine Nähe zum Regime suchten oder fanden. Manche von ihnen zogen sich auf das eigene Werk zurück, andere beschäftigten sich mit existenziellen Themen. Die Ausstellung ist nur noch wenige Tage in der Schirn zu sehen. Eine Gelegenheit, vorgefasste Urteile zu überprüfen und sich von der künstlerischen Qualität etlicher solcher Werke überzeugen zu lassen.

Blick in die Ausstellung; Foto: Petra Kammann

Wenn es um die Jahre 1933 – 1945 ging, stand meist die Kunst der Exilkünstler im Fokus wissenschaftlicher Forschungen und Ausstellungen. Mit der Beurteilung derjenigen Künstler, die in Deutschland blieben, tun wir uns dagegen eher schwer. Waren sie alle lediglich angepasste Opportunisten? Oft war auch von „innerer Emigration“ die Rede, wenn es um Künstler ging, die in dieser Zeit nicht ins Ausland geflohen waren. Dabei galten einige von ihnen als „entartet“. Etliche jüdische Künstler hatten kaum eine andere Chance, als ins Exil zu gehen. Anderen war es unterschiedlichen Gründen unmöglich. Sie blieben und versuchten, das Beste aus ihrer Situation zu machen. Ausstellen durften sie dennoch nicht, sofern sie nicht Mitglied in der RKK, der Reichkulturkammer, waren, die wiederum ihrerseits entschied, wer künstlerisch vertretbar war und wer nicht.

Edmund Kesting (1892 bis 1970) zum Beispiel. Die Gestapo hatte im Mai 1933 sein Atelier durchsucht. Daher fotografierte er fortan vorzugsweise des Nachts und hielt sich in anderen „unverfänglichen“ Räumlichkeiten auf, in denen er sich nicht beobachtet fühlte. Es entstanden teils rätselhafte Fotografien. Der Maler blieb trotzdem. Ganz unmittelbar und überzeugend war dann seine malerische Reaktion auf die Zerstörung Dresdens 1945, mit einem sehr eindrucksvollen „Totentanz Dresden“, ein Bild des Grauens, das die Skelette vor der zerstörten Dresdner Frauenkirche zeigt. Nichts gab es, was er nicht wahrgenommen hätte.

Sie blieben und schufen trotzdem interessante Werke – die 14 Protagonisten der Ausstellung; Foto: Petra Kammann

Ähnlich beeindruckend sind die Gemälde von Otto Dix (1891 bis 1969), der sich in der Weimarer Republik durch seine düsteren Landschaften und sozialkritisch-allegorischen Bildern einen Namen gemacht hatte und schon gleich 1933 seinen Lehrstuhl an der Dresdner Akademie verlor. 260 seiner Werke galten als „entartet“, wurden beschlagnahmt und diffamiert. Als Mitglied der Reichkammer hatte er aber geringe Möglichkeiten auszustellen. Er hatte seine sozialkritischen Themen gegen christlich-allegorische ausgetauscht. Er schien sich anzupassen, wechselte den Ort, und zog an den Bodensee, was ihm das Überleben ermöglichte. Dort im Verborgenen packte er dann aber erneut expressiv-figurativ gesellschaftskritische Themen an.

Oder Willi Baumeister (1889-1955), der zunächst Professor für Gebrauchsgrafik an der Frankfurter Kunstgewerbeschule, der heutigen Städelschule, war und pünktlich 1933 entlassen wurde. Außerdem wurden damals 125 seiner Werke beschlagnahmt. Und nur ein einziges Mal durfte er bis 1945 nochmal ausstellen. Er trotzte der Situation, indem er bis dahin 600 neue Werke schuf, jedoch weniger konstruktivistisch, sondern eher biomorph. Und er griff archaisch-figürliche Themen auf, die sich mit dem Thema Bewegung beschäftigen. Über Wasser halten konnte er sich vor allem aber, weil er für den Farbfabrikanten Kurt Herberts, der im Dritten Reich Architekten und Künstler, die von der Gestapo verfolgt wurden, nach Wuppertal holte und ihnen Ateliers zur Verfügung stellte. Hier experimentierte Baumeister im Labor mit Lacken, woraus dann auch seine experimentellen Lacktafeln entstanden. Herberts anthroposophisch gestaltetes Wohnhaus Waldfrieden hat übrigens der britische Bildhauer Tony Cragg gekauft und wieder bestens renoviert. Zweifellos eine Hommage an den unangepassten Industriellen. Die Villa ist heute umgeben von Tony Craggs herausragenden Skulpturenpark Waldfrieden.

Hart traf es in der Zeit des Nationalsozialismus die Frauen wie zum Beispiel Jeanne Mammen (1890 bis 1976), die in ganz prekärer Lage waren. Die gelernte Gebrauchsgrafikerin hatte so gut wie gar keine Einkünfte mehr und zog sich 1933 komplett aus dem Kunstbetrieb zurück. Als sie dann aber 1937 nach Paris zur Weltausstellung fuhr, traf sie auf Picassos Antikriegsbild „Guernica“, wodurch Picassos Formensprache ihre Arbeit fortan beeinflusste, vor allem das Gemälde des „Sterbenden Kriegers“, das um 1943 entstand: Hier sind die auch graphischen Bezüge zu Picasso offensichtlich, die erst einmal bei uns auch keinen Widerhall fanden.

Blick in die Ausstellung; Foto: Pater Kammann

Hannah Höch (1889-1978) wiederum war wegen ihres Erfolgs in den Niederlanden 1929 selbstbewusst nach Berlin zurückgekehrt. Aber schon 1932 wurde ihre erste Einzelausstellung im Dessauer Bauhaus durch Nationalsozialisten verhindert. Ihr Gemälde „Wilder Aufbruch“ von 1933 – eine unmittelbare Reaktion auf Hitlers Ernennung zum Reichskanzler – zeigt eine apokalyptische Endzeitvision. Trotzdem blieb sie in Deutschland und wandte sich Themen wie Pflanzen- und Landschaftsbildern zu. Sie wollte vor allem, dass ihre Werke, die sie Freunden anvertraut hatte, bewahrt blieben. Ab Kriegsbeginn lebte sie dann in Berlin-Heiligensee, wo ihre bemerkenswerten „Notzeitbilder“ entstanden.

Dies sind nur einige der ausgestellten Beispiele der 14 Künstler und Künstlerinnen, die aus renommierten deutschen Museen und Stiftungen in die Schirn kamen. Dass die dagebliebenen Künstler systemkonform gewesen wären, diesem Vorteil jedenfalls widerspricht die Ausstellung mit den hervorragend ausgewählten Werken. Zeitweise gab es auch inhaltliche Anpassung als Reaktion auf die totalitäre NS-Kunstpolitik. Unterschiedliche Strategien und Handlungsspielräume von Künstlerinnen und Künstlern während des Nationalsozialismus in Deutschland, die keine Nähe zum Regime suchten oder fanden, waren natürlich auch geprägt von Isolation, fehlendem Publikum und mangelndem Austausch, was jedenfalls das Schaffen jener prägte, denen die Arbeits- und Lebensgrundlage entzogen wurde. Ihre jeweils individuellen Schicksale und deren damit verbundene Kreativität sind daher in die Beurteilung einzubeziehen.

Zweifellos lässt sich Ähnliches übrigens durchaus auch über einige der DDR-Künstler sagen, denen in der westdeutschen Nachkriegskunstgeschichte, die eher an amerikanischen Leitbildern zeitgenössischer Kunst orientiert war, sicher genauso unrecht getan wurde. Vielleicht muss die Kunstgeschichte auch immer wieder mal neu geschrieben werden, wenn man nur genauer hinschaut.

 

KATALOG KUNST FÜR KEINEN. 1933–1945, herausgegeben von Ilka Voermann mit Beiträgen von Eva Atlan, Peter Chametzky, Verena Hein, Karoline Hille, Ina Jessen, Cathrin KlingsöhrLeroy, Kathleen Krenzlin, Marie Oucherif, Olaf Peters, Carmela Thiele, Ilka Voermann und Martina Weinland sowie einem Vorwort des Direktors der Schirn Kunsthalle Frankfurt Philipp Demandt. Deutsch-englische Ausgabe, 296 Seiten, 214 Abb., 27 × 19,6 cm, Hardcover, Hirmer Verlag, 39 € (SCHIRN), 49,90 € (Buchhandel) DIGITORIAL® Zur Ausstellung bietet die Schirn ein Digitorial® an. Das kostenfreie digitale Vermittlungsangebot ist in deutscher und englischer Sprache abrufbar unter:

www.schirn.de/digitorial 

 

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