„Hier bin ich – Meidner“. Kunst im Kabinett des Jüdischen Museums
Späte Ehre für den verfemten jüdischen Avantgardekünstler
Ludwig Meidner (1884 − 1966) ist für das Jüdische Museum Frankfurt, das seit beinahe 30 Jahren seinen künstlerischen Nachlass betreut, ein Künstler von zentraler Bedeutung. Das Jüdische Museum betreut in seinem Ludwig Meidner-Archiv den Nachlass des ungewöhnlich vielseitigen und hintergründigen Künstlers, der in Berlin als Expressionist gefeiert und als Jude von den Nationalsozialisten als „entartet“ diffamiert und mit einem Malverbot geächtet wurde. So ging der der Künstler 1939 ins Exil nach London, wo er und seine Familie in großer Armut und Isolation lebten. Da Meidner nicht in die englische Kunstszene integriert war, konnte er dort auch nicht reüssieren, so der Kurator der Ludwig Meidner-Gesellschaft Erik Riedel. Meidner kehrte – anders als viele Emigranten – 1953 wieder nach Deutschland zurück. Im Raum „Kunst und Exil“ der Dauerausstellung im Rothschild-Palais, wo immer wechselnde Arbeiten von Exilkünstlerinnen und -künstlern zu sehen sind, kann man nun Werke von Ludwig Meidner aus zwei privaten Sammlungen entdecken.
Ludwig Meidner, „Selbstbildnis“, 1943, Öl auf Pappe, Privatbesitz; Foto: Uwe Dietmar, Frankfurt
Es war eine ungewöhnliche Vernissage an einem strahlenden Maimorgen im Jüdischen Museum. Die beiden Schwestern, Cornelia-Katrin von Plottnitz und Monika Thimm (geb. Walz) waren gewissermaßen als Zeitzeuginnen, Sammlerinnen und Leihgeberinnen gekommen. Denn als junge Mädchen hatten sie Meidner im dörflichen Marxheim im Taunus kennengelernt, wo er ab 1955 lebte.
Als Meidner 1953 alleine nach Deutschland zurückkehrte, blieb seine Frau Else Meidner – auch sie Künstlerin – in London, während ihr Sohn David schon früh nach Israel emigriert war. Der aus dem Exil nach Deutschland heimgekehrte Ludwig hatte zunächst im Jüdischen Altersheim in Frankfurt Unterschlupf gefunden. Doch dank der Unterstützung der Galeristin und Expressionisten-Sammlerin Hanna Bekker vom Rath konnte der Künstler 1955 in Hofheim-Marxheim schließlich ein Atelier beziehen, wo er die Ölmalerei wieder aufnehmen und Porträts, religiöse Darstellungen, Landschaften und Stillleben malen konnte, was er im Exil, wo er vor allem gezeichnet hatte, schmerzlich vermisste.
Cornelia-Kathrin von Plottnitz, alias Conny Walz vor „ihrer“ Rötelzeichnung; Foto: Petra Kammann
Cornelia-Kathrin von Plottnitz (Conny Walz), die mit ihrer Schwester zur Vernissage gekommen war, schilderte sehr anschaulich, was für ein äußerst schlichtes ungeheiztes Atelier im Hinterhof das war, wo Meidner Menschen aus der Umgebung nach dem Motto porträtierte, was ihm vielleicht nebenbei auch ein paar Einkünfte garantierte: „Wer vorbeikommt, wird gezeichnet“. So war es auch zur Begegnung mit den jungen Mädchen, den beiden Schwestern Conny Walz und Moni Walz (Monika Thimm) gekommen. Die 16-jährige „Conny“, die damals der Enge der 50er Jahre entfliehen wollte, hatte Meidner in einem Jazzkeller kennengelernt, wo er ihr den Vorschlag unterbreitet hatte, sie zu porträtieren. Das stachelte ihre Abenteuerlust und Entdeckerfreude an. Sie nahm also das Angebot des Porträtiertwerdens begeistert an.
Aus ihrer Begegnung mit dem Maler wurden Connys regelmäßige Atelierbesuche mit tiefgründigen und auch humorvollen Gesprächen während der Sitzungen, und am Ende erwuchs daraus eine langjährige Freundschaft, aus der sich auch ein langer Briefwechsel mit dem äußerst witzigen und gewitzten Künstler entspann, geprägt von Zuneigung und gegenseitigem Geschätztwerden. Äußerst selbstironisch ging der damals bald 75-Jährige Künstler, der das Atelier mit seinem jüngeren Schüler Jörg teilte, mit seinem Ego um, indem er sich in den Briefen an Conny auch lustige Spitznamen in den Schlussformeln verpasste wie: „Herzlichst Deine Lieblinge Jörg und Lulex“, Dein „Susemil Senkrecht“ oder mit „With best regards Pif Paf Poltri“.
Der erste fast förmliche und höfliche Brief richtete sich indes an die Mutter des jungen Mädchens, an die „Verehrte Frau Walz“, der er die Sorgen um das Wohlergehen ihrer Tochter nehmen wollte. Denn die empfand die beengende Atmosphäre der 1950er Jahre damals sehr stark und wollte eigentlich vor allem raus, so dass das kreative Chaos des Bohemien-Ateliers zum begehrten Anziehungspunkt für die junge Frau wurde. Hier fühlte sie sich ernstgenommen und geborgen. Da das Porträtieren auch erst am Abend um 20 Uhr losging, war das die Alternative für sie zum Gang in eine der damals üblichen Diskos. Sie fühlte sich im Atelier geborgen. So entstand eine Reihe Porträts von ihr. Jetzt hängt die erste Rötelzeichnung von ihr, die er ihr zu ihrem 17. Geburtstag schenkte, im Jüdischen Museum.
Monika Timm, alias Moni, vor „ihrer“ Rötelzeichnung; Foto: Petra Kammann
Anders erging es ihrer älteren Schwester „Moni“. Sie fühlte sich während des Porträtsitzens eher unbehaglich, weil Meidner sie „so intensiv anschaute“, während er zeichnete, was sie wiederum so irritierte, so dass es nur zu einer Rötelzeichnung von ihr kam. Viel später begann sie jedoch gemeinsam mit ihrem Mann den Künstler Ludwig Meidner zu schätzen und kaufte ihm das ein oder andere Bild ab, das in der Marxheimer Zeit, die dieser als seine „zweite Heimat“ empfand, entstanden war. Ganze acht Jahre hatte der in Marxheim gelebt und gearbeitet, bis er nach Darmstadt umzog: Dort begann eine neue Phase, verbunden mit einer Ausstellung auf der Mathildenhöhe.
Meidner starb dann 1966, gerade mal drei Jahre später in Darmstadt. Er blieb zunächst weitgehend vergessen beziehungsweise ohne nennenswerte Anerkennung. Zwar erhielt er zahlreiche Ehrungen, aber an seine Vorkriegserfolge konnte er leider nicht mehr anknüpfen. Als auch nicht einmal sein 100. Geburtstag gewürdigt wurde, beschloss von Plottnitz, sich intensiv für sein Werk einzusetzen und gründete die Ludwig Meidner Gesellschaft, wodurch auch größere Ausstellungen entstanden. Beteiligt am Projekt wurden das Museum Giersch der Goethe-Universität, das Kunst Archiv Darmstadt, das Stadtmuseum Hofheim, das Institut Mathildenhöhe, das Jüdische Museum Frankfurt sowie als Kooperationspartner die Galerie Netuschil in Darmstadt, so dass dann an seinem 50. Todestag eine Ausstellung realisiert werden konnte.
Die beiden Kuratorinnen Asta von Mandelsloh und Laura Schilling; Foto: Petra Kammann
Nach dem Tod des Künstlers hatten die beiden Schwestern begonnen, seine Werke, deren Entstehung sie erlebt hatte, zu kaufen und zu sammeln. Die jetzige Ausstellung präsentiert Zeichnungen und Gemälde aus dem Privatbesitz der beiden Schwestern. Einige der Bilder werden wohl künftig in den Nachlass des Jüdischen Museum eingehen, wo noch ein großer Schatz zu heben ist. Klug eingefädelt hatte Prof. Mirjam Wenzel, die Direktorin des Hauses, dass die Kabinettausstellung nun auch von zwei jungen Studentinnen der Goethe-Universität (Curatorial Studies) kuratiert wurde, das Werk auch wissenschaftlich einzuordnen. Wohl eine Art Staffelübergabe an eine neue Generation, die auch mit dem Thema der Exil-Kunst betraut wurde.
Im Fokus steht hier in der Kabinettausstellung das innere Erleben unter der Verwendung sich wandelnder Stilmittel. Während der Laufzeit der Ausstellung wird der Großteil der Papierarbeiten einmal ausgewechselt. Zunächst sind Porträts neben Zeichnungen der 1920er und im Anschluss Arbeiten aus dem Exil zu sehen.
Die beiden Schwestern Monika Timm und Cornelia-Kathrin von Plottnitz, Foto: Petra Kammann
Als Avantgardekünstler, frommer Jude und einer der wenigen Emigranten, die in die Bundesrepublik Deutschland zurückkehrten, verkörperte Meidner die Widersprüche deutsch-jüdischer Existenz im 20. Jahrhundert und er wurde lange Zeit im Kunstbetrieb kaum wahrgenommen. Nun wird nach langer Zeit ein Werkverzeichnis der Gemälde Meidners in Kooperation mit der Ludwig Meidner Gesellschaft und der Stiftung Citoyen vorbereitet, das Ende 2022 erscheinen wird.
Zweifellos ein Meilenstein für die Aufarbeitung eines herausragenden Werkes von einem facettenreichen Exilkünstler.
Petra Kammann
→ Museum Giersch zeigt „Horcher in die Zeit – Ludwig Meidner im Exil“