Der Intendant der Alten Oper Markus Fein – Ein Brückenbauer
Kleiner Blick hinter die Kulissen der Alten Oper
Besuch beim Intendanten Dr. Markus Fein. Ein Ohren- und Augenöffner
Von Petra Kammann
Dr. Markus Fein, Intendant der Alten Oper in seinem Arbeitszimmer; Foto: Petra Kammann
Sein Büro liegt im 4. Stock, wo der Blick auf die Eschersheimer Anlage / Ecke Reuterweg fällt. Auf seinem Schreibtisch liegt die Kopie einer Partitur mit Anmerkungen und – wie zu erwarten – viel zu bewältigende Post. Am Fenster steht ein kleines Holzmodell, das dem Innenleben einer Schweizer Uhr ähnelt, ein in sich ganz verzahntes Räderwerk. Es erinnert an die tägliche Arbeit, bei der alles ineinandergreifen muss. Daneben ein paar Kuriositäten wie zum Beispiel ein Schwarz-Weiß-Foto aus dem beginnenden 20. Jahrhundert mit Komponisten der sogenannten „Zweiten Wiener Schule“ wie Alban Berg und Anton Webern, der die freie Atonalität bei Arnold Schönberg studiert hatte. „Schaun Sie mal, wer das fotografiert hat? Die Signatur zeigt M. Fein. Das muss aber eine Wiener Fotografin zu sein, die nichts mit Markus Fein zu tun hat.“ Trotzdem: Wenn das kein Omen ist!
Vertreter der Zweiten Wiener Schule mit Alban Berg (mit Fliege) und Anton Webern; Foto vom Foto: Petra Kammann
Dann eine weitere Kuriosität: ein kleiner Fürstenberg-Porzellanteller mit der Aufschrift „Das Alte Opernhaus“, darunter das komplett gezeichnete Opernhaus, so wie es vor dem Krieg aussah. Das gibt Rätsel auf, denn seit 1944 war das ehemalige Opernhaus eine Ruine. Es scheint ihm Spaß zu machen, Rätsel zu lösen, Dahinterliegendes aufzudecken. Und Dinge zu erfinden. An der hinteren Wand des nicht gerade üppig bemessenen Büros hängt ein großes Plakat mit dem FRATOPIA-Motiv. Da bläst sich eine Art Ballon über dem Gebäude der Alten Oper auf und auf dem Opernplatz ist ein grüner Grasteppich ausgebreitet. Mit fast diebischer Freude fragt Markus Fein mich, was da an Stelle des Leitspruchs „Dem Wahren, Schoenen, Guten“ in neuen Lettern steht, nämlich: „Open. Enjoy. Explore“. An der seitlichen Bürowand wiederum hängt ein weiteres Plakat mit der Seitenflanke des Gebäudes der Alten Oper, auf der „HEREINSPAZIERT!“ gedruckt ist. Schon der erste Eindruck vom Arbeitszimmer des Intendanten zeigt, hier wird alles auf den Prüfstand gestellt, Vergangenheit und Zukunft ausgeleuchtet. So geht es dann auch gleich medias in res in unser Gespräch.
Markus Fein betrachtet das Haus aus verschiedenen Perspektiven; Foto: Petra Kammann
Petra Kammann: Statt des „Wahren, Schoenen und Guten“ haben Sie das Schlagwort „Enjoy“ in die Mitte gestellt. Steht nun vor allem der Spaß im Zentrum Ihrer Programmplanung? Oder ist das ironisch gemeint?
Markus Fein: Nein, das ist doch nur ein kleines Wörtchen. Das Programm der Alten Oper ist natürlich enorm vielseitig. Wir haben selbstverständlich hochwertige klassische Veranstaltungen wie den Auftritt der Wiener Philharmoniker oder der Berliner Philharmoniker und anderer renommierter Orchester und Solisten, die es immer hier gab und auch immer geben wird. Daneben haben wir einen neuen Bereich aufgemacht, den man unter: „Neues Hören“ subsummieren kann. Da geht es sowohl um Entdeckung als auch um Vermittlung und um anspruchsvoll dramaturgische Überlegungen. Da ist uns etwa das „Mitten am Rand-Festival“ mit dem Perspektivwechsel sehr wichtig oder auch die „Programminseln“. Unser Anliegen ist es, Brücken zu bauen und ein Vermittlungsprogramm für die Erwachsenen aufzulegen, daher der „Alte Oper Campus“. Neu ist auch das Format „Hereinspaziert!“, was man mit „Alte Oper-Programm für Einsteiger“ umschreiben könnte. Und wenn es nun „Enjoy“ heißt, so hat auch das hier in Frankfurt Tradition. Von Anfang an, also seit der Wiedereröffnung 1981, gab es immer schon Jazz-Veranstaltungen. Hier wurden die Jazz-Nights erfunden. Wir waren also nie ein reiner Klassik-Tempel.
Nun haben Sie die letzten beiden Pandemie-Jahre als Ausnahmezustand erlebt. Gehen Sie nach dem „Ritt auf der Rasierklinge“ – wie Sie selbst es einmal formulierten – und der Erfahrung von Mehrarbeit statt Stille, in Ihrer Planung nun eher mit Vorsicht oder mit Zuversicht in die kommende Saison?
Ich kann nur sagen: Wir gehen mit vollgeblähten Segeln in diese neue Saison. Wir haben ein sehr umfangreiches Programm voller neuer Ideen, neuer Formate, neuer Premieren aufgelegt. Zugleich müssen wir natürlich alles austarieren. Wir dürfen nicht naiv agieren und müssen an die Wirtschaftlichkeit dieses Hauses denken.
Der Opernplatz mitten in der Stadt heute; Foto: Petra Kammann
Dafür sind Sie ganz schön in die Vollen gegangen: mit 160 Veranstaltungen, was bedeutet jeden 2. Tag eine neue Veranstaltung. Mit welcher Manpower können Sie das eigentlich überhaupt stemmen? Wie viele festangestellte Mitarbeiter haben Sie?
Wir haben knapp vierzig Mitarbeiter. Verglichen mit den anderen Häusern ist das wenig.
Woran liegt das?
Es gab vor vielen Jahren die Grundsatzentscheidung, dieses Haus in seiner Verwaltungsstruktur zu verschlanken. Viele Mitarbeiter, die vorher Teil der Belegschaft waren, wurden outgesourct. Das betrifft etwa die Hostessen, den Technikbereich, den Kartenservice. Das sind alles jetzt Dienstleister.
Ist das nicht auch kompliziert, so etwas zu managen, weil auch die Marktpreise dafür schwanken und es kurzfristig kompliziert werden kann, wenn man wieder schnell umplanen muss, wie die Erfahrung der letzten beiden Jahre gezeigt hat? Wie können Sie denn überhaupt vernünftig und einigermaßen sicher planen? Ihr Programm ist ja nicht nur voll, sondern auch sehr differenziert auf Zielgruppen zugeschnitten?
Unter Kostenaspekten ist das schon zweischneidig. Aber wir haben nur zwei Möglichkeiten: Entweder wir gehen in die Planung und damit in die Vorleistung, was immer auch Unsicherheit bedeutet. Oder wir sagen: wir wissen nicht, wie der Herbst unter Pandemiegesichtspunkten wird und ziehen daraus die Konsequenz, erst einmal abzuwarten. Dann ist der Herbst da und wir haben die Möglichkeit, Konzerte zu veranstalten. Dann können wir jedoch nicht aus dem Moment heraus entscheiden „jetzt kommen die Berliner Philharmoniker zu uns“. Denn die sind dann schon längst ausgebucht. Immerhin spielen sie in der ganzen Welt. Also könnten wir dann erst im darauffolgenden April mit ihnen starten; anders gesagt: Mit einer solchen abwartenden Haltung würden wir eine ganze Saison verlieren.
Das ist aber nicht zu verantworten, weder wirtschaftlich noch inhaltlich. Denn dieses Haus muss offen stehen für die Menschen der Stadt Frankfurt, für Besucher und unser Publikum aus nah und fern. Wie jedes andere Konzerthaus lebt die Alte Oper von hochwertigen Veranstaltungen und der Begegnung mit Menschen. Also können wir gar nichts anderes tun, als in ein Risiko zu gehen. Natürlich versuchen wir, dieses Risiko zu minimieren.
Mit der Stadt Frankfurt können Sie aber auch auf eine stabile Basis zurückgreifen, von der aus Sie planen können, nicht zuletzt auch finanziell?
Viele glauben, wir wären von der Stadt Frankfurt vollfinanziert. Unser Budget wird aber tatsächlich von rund einem Drittel durch Mittel der Stadt Frankfurt gedeckt. Vom Land Hessen bekommen wir übrigens keine Zuwendungen. Anders gesagt: Die öffentlichen Mittel der Stadt Frankfurt sind überlebenswichtig für die Alte Oper, aber sie reichen bei weitem nicht aus, dieses Haus zu finanzieren. Wir müssen zwei Drittel unseres Budgets durch Drittmittel erwirtschaften, etwa durch Ticketeinnahmen, Vermietungen oder Zuwendungen durch Sponsoren und Stiftungen.
Wie sind Sie denn aus der zwei Jahre andauernden und in dieser Hinsicht lähmenden Pandemiesituation herausgekommen?
Da sind wir noch gar nicht raus, sondern mittendrin. Die Besucher kommen noch nicht so wie vorher. Das betrifft nicht nur uns, sondern sämtliche Häuser in Deutschland wie auch in Europa. Solange die Menschen Abonnements haben, kommen sie und nehmen natürlich auch die Konzerte wahr. Denn sie haben ihre Plätze ja schon ein dreiviertel Jahr zuvor gekauft. Im freien Kartenverkauf wird es da schon schwieriger. Da trauen sich viele noch nicht. Seit einigen Wochen spüren wir jedoch einen Trendwechsel. Etliche unserer Konzerte im Mai sind sehr gut besucht. Das stimmt uns optimistisch.
Hinzukommt jetzt auch noch der unselige Krieg, der die Menschen lähmt. Daher nochmal meine Frage nach Zuversicht und Vorsicht.
Unsere Aufgabe besteht darin, Dinge neu auszuprobieren und den Menschen Glück und Zuversicht zu schenken. Das war immer schon eine wichtige Aufgabe der Kultur. Und es ist nicht etwa neu, dass die Kultur selbst in Krisenzeiten stattfindet. Sogar in den Trümmern des Kriegs wurde noch musiziert. Denn Musik spendet auch Trost. Anders gesagt: Gerade in einer Zeit, die derart von Umbrüchen, Sorgen und Krisen geprägt ist, wollen wir als Alte Oper an der Seite der Menschen stehen und Ihnen ein Konzertangebot unterbreiten. Zugleich sind wir selbst Teil dieser durch die Pandemie verursachten Krise. Wir müssen also wirtschaftlich klug vorgehen.
Für die kommende Spielzeit bedeutet dies etwa auch, dass wir die Karten zunächst für eine Schachbrettanordnung im Saal verkaufen. Das hat in solch komplizierten Zeiten sogar wirtschaftliche Vorteile. Außerdem entspricht es in manchem den Bedürfnissen der Menschen, nicht so dicht gedrängt beieinander zu sitzen. Und wenn es dann wieder möglich ist, einen ganzen Saal zu besetzen, dann können wir auch kurzfristig aufstocken. Das ist bei der Größe der Alten Oper machbar. Unbedingt wollen wir vermeiden, dass die Besucher wieder kurzfristig in einem dritten Corona-Jahr durch behördliche Vorgaben vor den Kopf gestoßen werden. Es erscheint uns deshalb sinnvoll, erst einmal vorsichtiger zu agieren und die Besucher zunächst mit Abstand zu platzieren. Wie gesagt: Dann wieder Tickets neu in den Verkauf zu geben, wenn die Pandemie überwunden ist, funktioniert. Andersrum aber eben nicht.
Die Alte Oper zwischen den Gebäuden verschiedener Jahrhunderte; Foto: Petra Kammann
Nun ist die Alte Oper ja nicht nur ein Konzerthaus, sie steht auch für Kongresse und festliche Bälle, für Veranstaltungen sämtlicher Art. Wie managen Sie das?
Was die Kongresse angeht, so ist die Auftragslage erstaunlich gut. Wir hatten am Beginn der Pandemie die Sorge, dass die Menschen aufgrund von Videocalls und Internetkonferenzen auf Dauer von solchen Veranstaltungen Abstand nehmen würden. Aber die Auftragsbücher sind voll, weil der Bedarf an Präsenzveranstaltungen groß ist. Und darüber sind wir froh.
Carte Blanche für Sir András Schiff am Ende des Klaviertages „Piano Panorama“; Foto: Petra Kammann
Wer vieles macht und jedem etwas bietet, steht in der Gefahr, oberflächlich oder beliebig zu werden. Sie haben für die Vielfalt entsprechende Konzertformate aufgelegt. Wen wollen Sie damit jeweils erreichen? Und wie können Sie dabei Ihr Profil behalten oder gar schärfen?
Ich glaube zunächst, dass es wichtig ist, die Tradition der klassischen Musik zu bewahren, sie fort zu setzen und in die Zukunft zu führen. Der Sinnspruch „Dem Wahren, Schoenen Guten“, der auf der Alten Oper steht, stammt aus einem ganz anderen Jahrhundert und mag heute wie aus der Zeit gefallen scheinen. Aber dieser Sinnspruch ist heute noch aktuell; wir haben in Deutschland eine in der ganzen Welt bewunderte Musiklandschaft. Die Alte Oper setzt sich dafür ein, dieses „Weltkulturerbe“ von Bach bis Heiner Goebbels zu hüten und zu pflegen. Ein Zweites kommt jedoch hinzu: Wir wollen diese Begriffe mit neuem Leben füllen und das Erbe der bürgerlichen Musikkultur ins 21. Jahrhundert übersetzen. Beides hat also seinen Platz in der Alten Oper: Es ist uns ein Bedürfnis, klassische Konzerte in klassischem Format zu veranstalten, sie mit Leidenschaft zu präsentieren und dem Publikum nahezubringen. Klavierabende mit großen Pianisten wie András Schiff oder Seong-Jin Cho oder ein Concertgebouw Amsterdam, eines der besten Orchester der Welt, ebenso einzuladen wie hochkarätige Jazzmusiker. Herkömmliche Konzerte bilden den Kern, mit dem wir ein Publikum ansprechen. Wir können diese Musik in dem phantastischen Umfeld der Alten Oper mit perfekter Akustik auf höchstem Niveau erlebbar machen. Um dieses Herzstück gruppieren sich andere Programminhalte, die neue Wege zur Musik eröffnen sollen.
Gleichzeitig gehört zu Ihrem Programm aber auch so etwas wie die Horror Picture Show?
Wir haben eben eine enorme Programmvielfalt. Dieses Haus ist so breit aufgestellt, wie ich es von keinem anderen Ort in Deutschland kenne, weder von der Elbphilharmonie noch von der Berliner Philharmonie. Bei uns können wir Filmkonzerte, Musicals, Entertainmentveranstaltungen, Klassik, Barock, Neue Musik, Jazz auf die Bühne bringen und haben eine Fülle von neuen Konzertformaten ins Leben gerufen. Es gibt Menschen, die ein Konzert einfach so genießen wollen, wie es seit 100 oder 200 Jahren existiert. Und dann wiederum sind Menschen froh, wenn sie Musik ganz anders erleben. Ein Beispiel dafür ist unser Format „2 x Hören“. Dabei soll das Ohr auf Besonderheiten eines klassischen Werks gelenkt werden. Auf dem Programm steht bei „2 x hören“ ein einzelnes Werk, dieses wird jedoch zweimal von den Musikern gespielt, ganz zu Beginn des Abends und am Ende; dazwischen liegt ein Gespräch mit den Musikern über ihre Sicht auf die Musik und ein Werkstatt-Teil, in dem wir mit Hörexperimenten und vielen Klangbeispielen der Musiker die Ohren der Besucher öffnen wollen. „2 x hören“ will also nicht belehren, sondern die Besucher hineinziehen in den Kosmos der Musik und den Besuchern die Gelegenheit bieten, hinter die „Fassade“ zu blicken.
Das Aris-Quartett in der Reihe „2 x hören“ am 8. Mai der Alten Oper Frankfurt, Foto: © Simona Bednarek
Und genau da engagieren Sie sich ja auch persönlich als Moderator…
Ja, es macht mir viel Spaß, Menschen mitzunehmen in die Interpretationswerkstatt, ihnen zu zeigen, wie viel Leben eines Komponisten oder einer ganzen Epoche in den scheinbar fertigen Werken eingeschlossen ist. Natürlich gibt es schöne Melodien, die man atmosphärisch wahrnehmen kann. Aber der Hörvorgang selbst ist faszinierend und vielfältig. In dieser Reihe wird das komponierte Kunstwerk befragt, das in seiner jeweiligen Zeit entstanden ist und oft auch einen ganz persönlichen Hintergrund hat. Da tritt man durch das Vertiefen des Wissens in einen neuen Dialog mit dem Werk. Diesen Dialog mit dem Kunstwerk zu befeuern und zu belegen und neue Kommunikationsmöglichkeiten herzustellen, ist eine Aufgabe von Intendanten und Dramaturgen.
Auch beim neuen Klavierfest der Alten Oper versuchen Sie neue Wege zu gehen.
Ja, bei unserem Klavierfest „Piano Panorama“ wollen wir dem Konzertbesucher neue Hörerlebnisse vermitteln. Es war sehr bereichernd, die unterschiedlichsten Formen von Klaviermusik in den verschiedenen Räumen der Alten Oper zu erleben. Wir wollten damit zum Ausdruck bringen, dass man einen Klavierabend nicht nur durch einen bestimmten Komponisten und Pianisten genießen kann, sondern dass man den Kosmos des Instruments an sich erkunden kann, indem man an einem Tag ganz verschiedene Impulse vermittelt bekommt. Da konnte man zum Beispiel im Liszt-Salon entschleunigte Klaviermusik mit Florian Hölscher und mit ihm den Klang der Langsamkeit erleben, daneben aber auch Klaviermusik unterschiedlicher Epochen, von der Barockmusik bis zur Neuen Musik. Im Albert Mangelsdorff-Foyer wiederum konnte man sich mit Matthias Kirschnereit auf die Kompositionen von Felix Mendelssohn und seiner Schwester Fanny Hensel-Mendelssohn einlassen. Und wenn man im Schumann-Salon Mäuschen spielen wollte, konnte man hören und staunen, wie ein Klavierprofessor Laien unterrichtet und wie man auch als Laie etwas von ihm lernen konnte. Im Mozart-Saal wiederum traf man auf junge Nachwuchspianisten aus den verschiedensten Ländern, während man im Clara Schumann Foyer unserem erfahrenen Klaviertechniker Herrn Brech zuhören konnte, der faszinierend über das Thema Intonation und Stimmen des Instruments sprach. An diesem Tag wurden so unterschiedlichste Perspektiven aufgezeigt, gleich ob es ums Instrument, unterschiedliche Pianisten oder unterschiedliche Werke ging. Und man konnte sich das Programm selber zusammenstellen, was sowohl inspirierend als auch kommunikativ war.
War das Publikum da ganz gemischt und waren verschiedene Altersstufen vertreten?
Ja, das hat mich sehr gefreut. Aber nicht nur bei „Piano Panorama“, auch bei den Veranstaltungen des Festivals „Mitten am Rand“ waren viele junge Konzertbesucher vertreten. Da wurde die „Kunst der Fuge“ von Johann Sebastian Bach in einer Fassung gespielt, wobei das Cembalo in der Mitte stand und andere Musiker, die ein Consort, ein Ensemble, gebildet haben, am Rand saßen, während das Publikum zwischen der Mitte und dem Rand saß. Auch beim Spielen von Beethovens Großer Fuge op. 133 waren die Musiker in der Mitte als geschlossener Kreis zueinander gerichtet, während das Publikum außen saß. Dann drehten sich alle um, und der Klang wurde zu den Rändern hin gespielt. Auf diese Weise entstand ein völlig anderes Klangerlebnis. Das fand am Nachmittag statt und war natürlich auch kein Vollkonzert. Aber mit solchen Formen und veränderten Perspektiven kann man das Wahrnehmen und Denken der Menschen aufschließen.
Insofern bedeutet das Auflegen verschiedener Formate nicht: „anything goes“, sondern Ihnen liegt daran, unterschiedliche Annäherungsweisen an Musik zu ermöglichen.
Es geht immer um eine Aktivierung und Vernetzung und darum, die Ohren aufzumachen und dabei Neues zu entdecken.
Dr. Markus Fein auf der Pressekonferenz der Frankfurter Bachkonzerte; Foto: Petra Kammann
Außerdem haben Sie Ihre Fühler zu anderen Kultur-Institutionen ausgestreckt, zum Historischem Museum oder zum Städel Museum. Hängt das eigentlich mit Ihrer eigenen Ausbildung zusammen? Neben den Musikwissenschaften haben Sie auch Kunstgeschichte studiert und vielleicht daher auch ein besonders Verhältnis zur Bildenden Kunst oder zur Geschichte?
Das Interesse speist sich aus unterschiedlichen Quellen. Das Zusammenspiel der Künste ist sicher ein persönliches Interesse von mir. Es gibt sicher so eine Verwandtschaft, ein Band, was die Künste, die Musik, die Architektur, die Philosophie, die Kulturgeschichte miteinander verbindet und verwebt, was man am Ende eine Epoche oder den Zeitgeist nennt.
Die Verbindung der Künste hat aber nichts mit dem Wagnerschen Begriff vom Gesamtkunstwerk zu tun?
Nein, ich finde es sehr faszinierend, die Musik in Beziehung zu etwas Anderem, zu einer anderen Disziplin, zu setzen. Das ist auch für die Zuhörer sehr spannend. Und ich finde es reizvoll und sinnvoll, wenn sich benachbarte Kulturinstitutionen austauschen, sich verbinden und dadurch auch persönlich miteinander verkehren. Oft kennen sich da gerade mal die Intendanten. Das war es dann auch schon. Es ist doch befruchtend, sympathisch, sinnvoll und schön, wenn Institutionen sich berühren und miteinander verkehren, erst recht in einer Zeit der Krise. Das ist auch spannend für die Besucher. Bei „Musik Plus“ etwa gehen die Konzertbesucher nachmittags ins Städel oder ins Literaturhaus und bekommen ein passendes Programm präsentiert, das mit dem zusammenhängt, was sie abends in der Alten Oper erleben.
Den Stadtraum wahrnehmen und Kooperationen pflegen, Dr. Fein hier mit Dr. Nikolaus Reinhuber, dem Vorsitzenden der Frankfurter Bachkonzerte; Foto: Petra Kammann
In Frankfurt liegen diese vielen Kulturinstitutionen auf engstem Raum beieinander, was den meisten von außerhalb oft gar nicht in dem Maße bewusst ist. Glauben Sie, dass das in der Mainmetropole wegen des kompakten Zentrums auch besonders gut möglich ist?
Darin liegt tatsächlich eine Riesenchance. Zugleich macht man in einer Großstadt wie Frankfurt die Erfahrung, dass das städtische Leben natürlich auch schnelllebig ist; die Menschen haben wenig Zeit und wollen schnell und unverbindlich konsumieren. Im Programm der Alten Oper wollen wir hierzu eine Art Gegengewicht bilden und sagen: Komm erstmal runter und verbring mit uns einen Nachmittag. Lass Dich ein auf die Begegnung mit Kultur.
Haben Sie den Umgang mit Zeit in Ihrer vorherigen Position als Leiter des Festivals in Mecklenburg-Vorpommern auch so erlebt? Wollten die Menschen nur schnell durch die Veranstaltungen surfen? Oder haben Sie da eher mehr Muße wahrgenommen? Wenn ja, haben Sie vermutlich von dieser Erfahrung profitiert?
Ja, das mag sein. Das hängt vermutlich mit dem ländlichen Raum zusammen und auch mit dem, was ein Festival für die Menschen bedeutet. Innerhalb eines Festivals erleben die Besucher eine Art Ausnahmezustand. Ein Konzert in der Großstadt hat dagegen etwas Alltägliches, ist eingetaktet in den Alltag, was ebenfalls seine Reize hat. Viele gehen nach einem vollgepackten Arbeitstag abends dann noch mal zur Entspannung in ein Konzerthaus. Das ist etwas anderes, als wenn ich sage, ich mache einen Ausflug, fahre nach Salzburg und erlebe die Festspielwochen. Dem widme ich dann zum Beispiel ein komplettes Wochenende, völlig losgelöst vom Alltag.
Nun versuchen Sie ja, hier in dieser Stadt beide Erfahrungen miteinander zu verbinden. Sie schaffen zum Beispiel Klangbrücken, die sowohl Synergien als auch Konkurrenz verursachen können. Da steht eine Veranstaltungsreihe wie „Mainly Mozart“ auf dem Programm. In Wiesbaden gibt es das volle Mozart-Programm bei den Maifestspielen, ganz in der Nähe auch das Rheingau Musik Festival oder das ambitionierte Programm der Kronberg Academy. Bedeutet das für Sie nicht auch Konkurrenz oder sehen Sie da eher die Synergieeffekte?
Ich mache seit 25 Jahren Veranstaltungen im Kulturbetrieb und werde seitdem auf das Phänomen Konkurrenz angesprochen. Ich kann es eigentlich gar nicht nachvollziehen. Ich denke völlig anders. Unser Problem ist doch nicht, dass sich auch andere für den Kulturbetrieb engagieren. Meine Konkurrenz ist vielmehr die Lethargie, die Kulturlosigkeit, das Internet, das uns irgendwie vereinsamt. Das sind meine „Gegner“ und „Konkurrenten“. Für mich ist indes jeder, der sich für Kultur engagiert, ein möglicher Partner. Wir wollen die Lebendigkeit der Kultur in der Stadt ermöglichen. Das sollte unser gemeinsames Ziel sein. Je lebendiger die Kulturstadt Frankfurt ist, desto besser. Auch für die Alte Oper.
In Ihrer Reihe „Mein Lieblingsstück“ experimentieren Sie ja auch mit bekannten Namen, die unmittelbar nichts mit Musik zu tun haben. Da fordern Sie Menschen auf wie Christine Lagarde, die Präsidentin der EZB, oder Johnny Klinke, den Leiter des Varietétheaters Tigerpalast oder Rüdiger von Rosen, der bestens in der Stadtgesellschaft vernetzt, bis 2021 Präsident der Frankfurter Gesellschaft für Handel, Industrie und Wissenschaft war, um über ihr Lieblingsstück zu sprechen.
Das finde ich sehr schön. Mit diesem Format können wir mit ganz unterschiedlichen Personen aus den Bereichen, die sie verkörpern, auch eine Stadtgesellschaft abbilden und erfahren dabei noch etwas ganz Persönliches über sie. Das „Lieblingsstück“ ist eine wunderbare Erfindung der Gesellschaft der Freunde der Alten Oper.
Sie haben ja auch professionelle Erfahrungen mit anderen Großstädten wie Berlin, Hamburg oder München. Finden Sie, dass das Engagement für die Stadtgesellschaft in Frankfurt besonders ausgeprägt ist?
Hamburg hat ebenfalls eine sehr stolze Bürgertradition. Sicherlich sind es historisch vor allem die freien Bürgerstädte gegenüber den Residenzstädten, die sich dessen bewusst sind, dass sie aus der Mitte der Stadtgesellschaft heraus agieren können und müssen. So ist nicht zuletzt dieses Konzerthaus aus der Frankfurter Stadtgesellschaft entstanden. Mit dem Senckenberg Museum, dem Städel Museum und etlichen anderen Institutionen war und ist es genauso. Dieses Bewusstsein ist tief in der Frankfurter DNA verwurzelt.
Das alte unzerstörte Opernhaus, wohl um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert, Foto vom Foto: Petra Kammann
Dabei hat das Alte Opernhaus von 1880 architektonisch ja auch einen imperialen Gestus, während das heutige Innenleben eher den Geist der liberalen 1980er Jahre spiegelt. Insofern leben Sie in diesem Haus ja doch ein wenig zwischen den Welten. Im vorderen Bereich mit dem historischen Restaurant Opéra atmen Sie förmlich die imperialen Traditionen des ausgehenden 19. Jahrhunderts ein. Gleichzeitig wollen Sie ganz zeitgenössisch sein, haben das Innenleben des Hauses modernisiert, indem Sie neue Verweilmöglichkeiten geschaffen haben wie das Schumann Foyer. Stand dahinter die Idee, dieses Gebäude müsste auch täglich benutzbar sein? In entsprechenden zeitgenössischen Gebäuden wird das ja von Beginn an so konzipiert, man denke nur an die Oper in Oslo, wo das „Hereinspaziert!“ schon architektonisch unterstützt wird.
Das ist für mich ein Wunschbild, etwas, was mir vor meinem geistigen Auge durchaus vorschwebt. Freilich gibt es bei uns Gründe, die dagegen sprechen, das Haus den ganzen Tag Besuchern frei zur Verfügung zu stellen, u. a. durch unsere Nutzung als Kongresshaus. „Komme einfach in die Alte Oper am Nachmittag!“ Vielleicht erlebst du was und liest dort Zeitung und entdeckst den Ort auch als Konzerthaus. Das wäre natürlich sehr schön. Leider aber trägt sich das nicht;. schnöde technische und wirtschaftliche Gründe sprechen dagegen. Ansonsten versuchen wir zu realisieren, was möglich ist. So haben wir beispielsweise die Mittagskonzerte eingeführt. Ein kurzes Konzert – eine Stunde mit Lunchangebot. Das findet an zwei verschiedenen Orten statt: das halbstündige Konzert im Mozart-Saal und dann geht es ins Clara Schumann-Foyer auf die Ebene 2. Und dort gibt es ein schnelles Buffet. Und das Ganze für 25 Euro inkl. Lunch. Danach kann man wieder erfrischt und inspiriert in die zweite Tageshälfte gehen.
Sie kooperieren ja mit der Naxoshalle und mit dem Palmengarten. Haben Sie über diese beiden Orte hinaus noch andere Zielvorstellungen von Klangbrücken in die Stadt hinein?
Ja klar. Die Alte Oper zu verlassen ist reizvoll, weil wir dann direkt auf Menschen zugehen können; wir tun das in der Reihe „Auswärtsspiel“. Man muss diesen Schritt aber auch gut begründen. Mit der Alten Oper haben wir immerhin einen der schönsten Veranstaltungsorte Deutschlands, und das mit einer perfekten Akustik. Wenn wir das Haus verlassen, dann muss das also einen inhaltlichen Grund haben. Das macht nur Sinn, wenn es uns zu neuen Programmen anregt und es etwas anderes ermöglicht, das wiederum die Besucher inspiriert. Das hat mir bei den Naxoshallen gefallen, dort ist das gut aufgegangen.
Daneben machen Sie sich auch für die Zeitgenössische Musik stark, die oft bei Klassikhörern nicht so beliebt ist. Sie arbeiten einerseits mit dem Ensemble Modern – einer typischen Frankfurter Einrichtung – zusammen und kommentieren auch selber zeitgenössische Musik.
Sie spielen an auf die Reihe „2 x hören“. Darin machen wir in der kommenden Saison zum Beispiel auf Hindemith und auf andere Musik des 20. Jahrhunderts aufmerksam. Das macht sehr viel Freude. In der Reihe „2x hören“ haben wir gute Erfahrungen gemacht. So hatten wir ein Programm mit Charles Ives, also frühestes 20. Jahrhundert. Das Stück hätte sonst keine Chance gehabt. Aber durch das zweimalige Hören wurde es den Menschen nähergebracht. Wenn sie erleben, mit welcher Leidenschaft Musiker sich einsetzen und plötzlich in den Kosmos eintauchen, öffnen sich viele Menschen auch für Neue Musik.
Und demnächst wird Heiner Goebbels hier ja mit dem Ensemble Modern und seiner neuen Komposition „House of Call“ präsentiert. Glauben Sie, das wird vom Publikum angenommen?
Darauf freue ich mich sehr. Und ich bin überzeugt, dass es erfolgreich werden wird.
Heiner Goebbels bei der Probe zu „A House of Call“ in der ehemaligen Fabrik Fredenhagen in Offenbach, Foto: Petra Kammann
Haben Sie selber einen Lieblingsort in der Alten Oper?
Ich mag sehr gerne die Apsis vom Opéra, weil sie die verschiedenen Welten miteinander verbindet. Man befindet sich im historischen Teil des alten Opernhauses, guckt hinaus auf die Stadt mit den Hochhäusern. Das ist ein Blick zwischen den Welten und Jahrhunderten. Dieser Ort fasziniert mich. Ich könnte aber auch den Schnürboden nennen, wo man gewissermaßen vom Dach tief nach unten in den Großen Saal hinunterschaut, wo die ganze Technik verborgen ist. Es begeistert mich, weil Kunst natürlich auch ein technisches Fundament braucht. Damit Kunst entsteht, braucht es ganz viel Handwerk und ganz viel Technik. Es gibt andere Orte, die ich besonders mag. Etwa die Seitenbühne, wo der Inspizient sitzt. Dort spürt man kurz vor Konzertbeginn ein Knistern und wartet förmlich mit ihnen darauf, dass es gleich losgeht.
Haben Sie selbst auch ein Lieblingsstück oder eines, das Sie persönlich geprägt hat?
Als junger Mensch bin ich einmal mit meiner Mutter ins Konzert der Münchener Philharmoniker gegangen und habe dort die „Verklärte Nacht“ von Arnold Schönberg gehört. Ein spätromantisches überbordendes, hoch emotionales Stück. Das hat mich unglaublich gepackt. So eine Musik hatte ich vorher noch nicht erlebt. Es war das Betreten eines neuen Raumes. Man glaubt zu wissen, wie es ist, ein Konzert zu besuchen und dann geht man durch eine Tür und alles ist wie neu. Daraufhin habe ich mir die Schallplatte gekauft und das Stück monatelang gehört, bevor ich in die Schule gegangen bin.
Haben Sie als ausgebildeter Kunstwissenschaftler auch ein Lieblingsbild oder einen Lieblingsmaler?
Ich mag etwa sehr gern die Bilder von Jan Vermeer (1632 – 1675) und von Jean Siméon Chardin (1699 – 1779).
Haben Sie auch ein Lieblingsbuch oder eines, das Sie gerade intensiv lesen?
Ich lese gerade ein Buch von Volker Hagedorn, „Flammen“ (Rowohlt). Es handelt von der Zeit um 1900 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs, und das in Wien, Berlin, Paris, London. Es geht um private und politische Dramen, um Grenzen sprengende Erfahrungen um Franz Schreker, der im Opernhaus uraufgeführt wurde, um die „Wiener Schule“ insgesamt, aber man erfährt auch etwas über Claude Debussy, der in Frankreich eine neue Musiksprache schuf. Undundund… Eine sehr spannende Kulturgeschichte eben.
Ihre Lieblingstätigkeit in Ihrer Arbeit und in der Freizeit?
Die schönste Arbeit ist natürlich das Gestalten von Programmen. Und in der Freizeit ist das Zusammensein mit der Familie für mich das Schönste.
Haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch.