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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Literatur als Inspirationsquelle im Schaffen großer Komponisten. Vortrag in der Villa Wertheimber in Bad Homburg

Die Modernität romantischer Literatur und Musik

„Durch alle Töne tönet
Im bunten Erdentraum
Ein leiser Ton gezogen
Für den, der heimlich lauschet“

Friedrich Schlegel (1772-1829)

Zahlreiche Lieder und Klavierstücke Robert Schumanns sind inspiriert durch literarische Vorlagen und Gedichte von Hölderlin, Schlegel, Heine, Eichendorff oder E.T.A. Hoffmann. Sie wurden zum Inbegriff eines romantischen Wertegefühls und Denkens. Wie sie Robert Schumann beflügelten, darüber sprach im Hölderlin-Zentrum der Villa Wertheimber in Bad Homburg vor der Höhe der Pianist Burkard Schliessmann, der bekannt ist für seine Interpretationen romantischer Werke, in dem differenzierten Vortrag „Ästhetik, Interpretation und Wahrheit in der Kunst“.

Der Pianist Burkard Schliessmann bei seinem Vortrag in der Villa Wertheimer; Foto: Petra Kammann

Am Rande des Gustavgartens, eines Landschaftsparks nach englischem Vorbild, liegt die frisch renovierte Villa Wertheimber. Einst war sie der Sommersitz der Frankfurter Bankiersfamilie Wertheimber, der in der Nachkriegszeit zur Nervenklinik umgestaltet wurde. Entstanden ist sie um die Wende zum 20. Jahrhundert. Seit 2017 befindet sich dort nicht nur das „Gedächtnis“ der Kurstadt am Taunus als städtisches Archiv, vor allem aber auch das Hölderlin-Zentrum, war Hölderlin doch zweifellos der bedeutendste Dichter-Gast in der Taunusstadt. Die Original-Bibliothek und das Editionsarchiv des bedeutenden Hölderlinforschers D. E. Sattler hat hier eine neue Heimat gefunden. Das Hölderlin-Kabinett ist im Foyer der Villa Wertheimber eingerichtet, wo Wechselausstellungen stattfinden mit Original-Handschriften und Faksimiles von Friedrich Hölderlins Werken.

Die Villa Wertheimber in Bad Homburg; Foto: Petra Kammann

Seit 2020 darf in der neoklassizistischen Villa geforscht werden und hier werden regelmäßig Gedicht-Manuskripte von Hölderlin gezeigt, während im 2. Stock sogar Hölderlin-Preisträger, Hölderlinforscher sowie Schriftsteller  kostenfrei wohnen, forschen und schreiben können. Nun lebte der Dichter selbst zwei Mal in Bad Homburg vor der Höhe, nämlich von 1798 – 1800 und von 1804 – 1806, und er war dort sehr produktiv. In dieser Zeit verfasste er zahlreiche Gedichte sowie den 2. Band seines berühmten „Hyperion“. Die Taunusstadt ist neben Tübingen im Besitz des zweitgrößten Bestands an Hölderlin-Gedichten und ist stolz darauf.

Dr. Bettina Gentzcke, Kulturbereichsleiterin der Stadt Bad Homburg; Foto: Petra Kammann

Das ist auch der Aufhänger zu einer Veranstaltung, die ursprünglich als Konzert geplant war. Dr. Bettina Gentzcke, Kulturbereichsleiterin der Stadt Bad Homburg, hatte erfahren, dass der Pianist Burkard Schliessmann gerade dabei war, die  „Gesänge der Frühe“ von Robert Schumann einzuspielen, was sie an die späten Hymnen Hölderlins, an die „Nachtgesänge“ und an das von Hölderlin, Hegel und Schelling 1796 verfasste Systemprogramm erinnerte, in dem es heißt: „Das Problem ist, dass die Musik tatsächlich da beginnt, wo die Formulierung der Sprache endet.“…. Oder besser: Wo die Möglichkeiten der Sprache ihre Grenzen erreichte …“ Und so wurde aus dem Vorgespräch der Kulturbeauftragten mit dem Pianisten und geplanten Konzert plötzlich ein Vortrag des in der ästhetischen Theorie der Romantik bewanderten Schliessmann.

„Durch alle Töne tönet
Im bunten Erdentraum
Ein leiser Ton gezogen
Für den, der heimlich lauschet“
heißt es – wie schon oben erwähnt – beim Frühromantiker Friedrich Schlegel.

Aufbruchs- und Verfallphase musikalischer Harmonie als Vorläufer der Moderne

Es wurde ein anspruchsvoller Vortrag über Grenzen und Überschreiten dieser Grenzen, frei nach E.T.A. Hoffmann: „Wo die Sprache aufhört, fängt Musik an“, um hernach die schier unerschöpflichen Verbindungen von Sprache und Musik sowohl literarisch als auch musiktheoretisch und philosophisch auszuloten mit der Grundthese, dass Emotion und Wahrheit einander bedingen.

Los ging es mit den Betrachtungen über Thomas Manns Künstler- und Epochenroman „Doktor Faustus“. Vor dem Hintergrund der letzten Tage des Zweiten Weltkriegs und des zerfallenden Nazi-Deutschlands berichtet der Protagonist Serenus Zeitblom darin vom Leben des Komponisten Adrian Leverkühn, von dessen früher Syphilis-Erkrankung, von seinem Pakt mit dem Teufel, den kompositorischen Erfolgen, von seinem Leben ohne Liebe und dem Ende in geistiger Umnachtung.

Mann lässt seinen Tonsetzer in dem raffiniert konstruierten Roman auch die Zwölftonmusik erfinden, die in Wirklichkeit von Arnold Schönberg stammt, was wiederum von Theodor W. Adorno in seinem 1949 erschienenen Grundlagenwerk „Philosophie der Neuen Musik“ aufgegriffen wurde. Adorno beschreibt, wie um 1910 durch Schönbergs Zwölftonreihen der notwendige Schritt zur Atonalität der Durchbruch zur neuen Musik geschieht und wie die Aufhebung der Tonalität eine Befreiung darstellt, dem Ausdruck Vorrang zu gewähren.

In seinem kompetenten Vortrag ging Schliessmann der Frage nach, wie Schumann die literarischen Vorlagen in Tonsprache und Harmonik umsetzte und welche Einflüsse daraus für die gesamte Musikgeschichte resultieren.

Das Reich der Phantasie sei mit Farben und Klängen durchwirkt, was Schumann, den einstigen Kritiker und Literaten, mit E.T.A. Hoffmann und mit Eichendorff verbinde. Schliessmann erläuterte, wie Schumann für das Irrationale und die Ambivalenz der Gefühle die entsprechende Akkorde findet. An dieser Stelle hätte man sich natürlich gewünscht, dass hier ein Flügel gestanden hätte, an dem er die entsprechenden musikalischen Argumente auf der Tastatur kurz hätte anschlagen und veranschaulichen können.

Nur in dem Zwiespalt der verschiedensten Empfindungen, der feindlichsten Empfindungen geht das höhere Leben auf“, heißt es in E.T.A. Hoffmanns satirischem Roman „Kater Murr“ über den Kapellmeister Johannes Kreisler.

Der Komponist und Musikphilosoph Prof. Karl Gottfried Brunotte interessierte sich ebenfalls für den Vortrag; Foto: Melanie Florin

Schumann verstand es wie kein anderer, Halluzinationen musikalisch zu produzieren, sei es durch obsessive Wiederholungen, sei es durch die konträre Höhe des Tons zum Gesagten. Ebenso versteht er es, das Eichendorff’sche „Zwielicht“, das Zwischenreich der Dämmerung, musikalisch hervorzulocken und auszudrücken, wie tückisch doch Friede und Zuversicht sind. Musikalisch untermauert er den trügerischen Schein einer Freundschaft, die Gefährdung der Liebe. „Was will dies Grau’n bedeuten?“ in der düsteren Komposition der Eichendorff-Verse (s.u.): „Was heut gehet müde unter, hebt sich morgen neu geboren.“ Die Zukunft des Morgen ist tonlich düster, verstörend modern und zeitnah komponiert.

Zwielicht

Dämmrung will die Flügel spreiten,
Schaurig rühren sich die Bäume,
Wolken zieh’n wie schwere Träume –
Was will dieses Grau’n bedeuten?

Hast ein Reh du lieb vor andern,
Laß es nicht alleine grasen,
Jäger zieh’n im Wald’ und blasen,
Stimmen hin und wider wandern.

Hast du einen Freund hienieden,
Trau ihm nicht zu dieser Stunde,
Freundlich wohl mit Aug’ und Munde,
Sinnt er Krieg im tück’schen Frieden.

Was heut müde gehet unter,
Hebt sich morgen neu geboren.
Manches bleibt in Nacht verloren –
Hüte dich, bleib’ wach und munter!

Seine Komposition „Zwielicht“ erinnere überdies an das polyphone Geflecht bei Joh. Sebastian Bach. Und Thomas Mann, der nach seinem Lieblingsgedicht gefragt wurde, antwortete: „Ein einzelnes lyrisches Gedicht anzugeben, dem allezeit mein ganzes Herz gehörte, ist mir ganz unmöglich“, räumt aber ein, dass es „wohl am ehesten „Zwielicht“ sei, aber wohl nur, weil Schumann es so genial vertont habe.

Dass Schumann sich als ‚Lyriker des Klaviers‘ erweist, lässt sich ebenso an der Franz Liszt gewidmeten Fantasie op. 17 in freier Sonatenform verfolgen, die von großer Expressivität ist. Der hier schon vorweggenommene Tristan-Akkord findet jedoch keine Auflösung.

Das Schicksal des Komponisten großer Klaviermusik endete in der Heilanstalt in Endenich.

Der klassische Konzertpianist Burkard Schliessmann zählt zu den bedeutendsten Pianisten der Gegenwart. Er lebt und arbeitet im Rhein-Main-Gebiet sowie in den USA. Zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den „Global Music Award“ und die „Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt am Main“, hat er 2020 erhalten.

 

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