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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Eine Woche, ein Leben“- Buchpräsentation des Romans von Nassir Djafari in der „Fabrik“

Eine Vater- Sohn-Geschichte und die verschiedenen Lebenswelten

von Petra Kammann 

Eine ungewöhnliche Buchpräsentation und Live-„Premiere“ zwei Jahre nach Erscheinen eines Debütromans: eine Autoren-Lesung mit dem iranischstämmigen, in Deutschland lebenden Autor Nassir Djafari, mit Klezmer-Klängen auf der Klarinette von Roman Kuperschmidt, dem forschen Radio- und Krimi-Moderator Ulrich Noller und dem stimmgewaltigen Schauspieler Stéphane Bittoun im Gewölbekeller der „Fabrik“ in Sachsenhausen, wo bereits seit Jahren regelmäßig Konzerte stattfinden, während an den oberen, seit 1969 leer stehenden Stockwerken hinter den Planen demnächst ein neuer Ort für die Kultur entsteht…

Der Autor Nassir Djafari; Foto: Petra Kammann

Die Baugerüste und Fassadenverkleidungen im Hof der einstigen P.P. Heinz Oelfabrik, eines Gebäudes aus dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, als Mineralöl noch Zukunft versprach, weisen darauf hin, dass an diesem scheinbaren Lost place demnächst etwas Neues entstehen wird. Bis dahin aber werden Auftritte von Musikern und kleine Kunstausstellungen im Kellerraum abgehalten, wohin eine steile Treppe abwärts führt. Unten angekommen, empfängt einen dort das Backsteingewölbe ganz unmittelbar mit seinem Charme. Hier darf zur Lesung (vor- und nachher), zu der Nassiar Djafari eingeladen wurde, auch getrunken und gegessen werden, sodass allein schon dadurch eine lockere und familiäre Atmosphäre innerhalb des Publikums entsteht. Das Zusammenspiel und Zusammengehörigkeitsgefühl bestimmte dann auch die Buch-Präsentation selbst. Keine geheiligte Stille vor den gewaltigen Worten eines Autors wie bei manchen Wasserglas-Lesungen..

v.l.n.r.: Moderator Ulrich Noller, Autor Nassir Djafari und der Klarinettist Roman Kuperschmidt , Foto: Petra Kammann

Der Autor hat sein Erstlingswerk „Eine Woche, ein Leben“ mitten in der ersten Pandemiewelle kurz vor der Leipziger Buchmesse 2020, die dann abgesagt wurde, im Graswurzelverlag Sujet veröffentlicht, was zur Folge hatte, dass etliche Lesungen und Veranstaltungen ausfielen, im „zweiten Frühling“ 2021 dann erneut oder nur mit viel Abstand und Maske vor dem Gesicht der Zuhörer. Dass es sich außerdem um den Debütroman eines 69-Jährigen handelte, machte die Sache nicht besser, führte jedoch auch zu neuen Erfahrungen wie Online-Präsentationen und Kontakten zu anderen Autoren.

Wie Djafari sein Buch trotzdem vorstellen konnte, welche Rolle Identität und Herkunft, das Verhältnis von Vater und Sohn, in seinem Roman spielen, erzählte der Autor völlig unaufgeregt in der ersten „echten“ Premiere nach nunmehr zwei Jahren vor einem vollbesetzten Raum mit lebendem Publikum und blieb keine Antwort auf die provokativ-lockeren Multiple-Choice-Fragen seines Moderators Ulrich Noller schuldig. Der eröffnete das Gespräch provokativ und zur Erheiterung des Publikums mit der Frage, ob der Autor lieber Nektarine, Melone, Banane möge. Djafari entschied sich für die reife saftige Wassermelone, was auch später als Anknüpfungspunkt zur Frage diente, wie sich denn bei ihm das Schreiben selbst entwickelt habe. „Früchte müssen reifen wie das Leben und wie Romane“, so Djafari. Und so beschrieb er auch die Entwicklung, wie er selbst im schon fortgeschritteneren Alter zum Schreiben kam.

Der Schauspieler und Regisseur Stéphane Bittoun; Foto: Petra Kammann

Überraschend war dann wiederum für Djafari, seinen Text von einem gestandenen Profi-Schauspieler, Sprecher und Regisseur wie Stéphane Bittoun gelesen zu erleben, der den Text– versehen mit eigenen Markierungen – „wie eine Partitur“ las. Organisch verschränkt und insgesamt abwechslungsreich waren die vier Akteure des Abends und spielten sich die Bälle zu. Für die Übergänge sorgten die zu Herzen gehenden zarten und bewegenden Klarinettenklänge von Roman Kupferschmidt, der bekannte Songs auf seine eigene Weise improvisierte und die verschiedenen Welten musikalisch miteinander verband. Spielt doch der Roman selbst ebenfalls in verschiedenen Welten.

Knapp zusammengefasst die Story: Ein iranischstämmiger, in Frankfurt lebender Vater namens Hamid versucht verzweifelt, Kontakt zu seinem Sohn Timm herzustellen, der sich wiederum in seinem Zimmer und vor dem Computer klebend, zunehmend abschottet. Timm wiederum, dessen Großeltern aus dem Iran nach Deutschland eingewandert waren, beginnt sich aber zunehmend für seine Wurzeln zu interessieren, während er seinem Vater vorwirft, „deutscher als die Deutschen“ sein zu wollen. Hamid wiederum interessiert sich überhaupt nicht für das Herkunftsland seiner Eltern. Beruflich beschäftigt der sich mit Lateinamerika, wohin er häufig reist. Denn der Sohn iranischer Einwanderer hat es zum promovierten Sozialwissenschaftler an einem renommierten Forschungsinstitut gebracht und für ihn ist es ein Alptraum, dass sein Sohn ein Versager werden und am Ende auf der Straße landen könnte.

Es sei einst eine große Liebe zwischen Vater und Sohn gewesen – wenn auch bei fehlendem Vertrauen – und ein verzweifelter Versuch, den anderen wieder zu gewinnen.  Aber es gebe eine Substanz, sagte der Autor über das Verhältnis. Durch den Perspektivwechsel sei es aber gelungen, die Erlebnisse mal aus der einen, mal aus der anderen Perspektive zu erzählen. Es kommt einem bekannt vor, was man da liest. Aber es ist anders. Man erfährt im zweiten Teil Dinge, die man im ersten nicht wusste. Die beiden nähern sich an.

So der eine Teil der Geschichte. Erst eine gemeinsame Reise nach Peru, zu welcher der Vater seinen Sohn überreden kann, führt zu einem unerwarteten Rollentausch. Sie wird damit zu einer Reise in die Vergangenheit und zu einem Neubeginn, auch der Beziehung zwischen den beiden…

Nassir Djafari und seine Frau Anita Djafari, die langjährige Chefin von Lit.Prom; Foto: Petra Kammann

Und zu erfahren, wie es zum Schreiben selbst kam für den 1952 in Isfahan, im Iran geborenen Autor, der im Alter von 5 Jahren zusammen mit seinen Eltern und Brüdern nach Frankfurt am Main kam, war sehr spannend. Djafari war nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre in verschiedenen Funktionen für die deutsche und internationale Entwicklungszusammenarbeit tätig, davon auch mehrere Jahre als volkswirtschaftlicher Berater in Brasilien, Peru und Polen, hatte auch im Laufe seiner Berufstätigkeit etliche Artikel über die politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen von Schwellen- und Entwicklungsländern geschrieben und veröffentlicht.

Deshalb sei es natürlich für ihn sehr aufgeregend gewesen, beim Schreiben des Romans sein Inneres preiszugeben und sich nach der Veröffentlichung der Reaktion des Publikums auszusetzen, denn ganz klar sei: „Sehet her! Das bin ich!, selbst, wenn vieles erfunden ist.“

Das persönlichere Schreiben hatte sich für ihn auf einer gemeinsamen Reise mit seiner iranischen Mutter im Jahre 2007 in die Vergangenheit im Iran ergeben, wo es zu berührenden Begegnungen mit Freunden und Verwandten kam, und er solche bewegenden Episoden schriftlich festgehalten hatte.

Daraufhin ermunterte ihn seine Frau Anita, eine gestandene, im wahrsten Wortsinn ausgezeichnete „Bücherfrau“ und langjährige Leiterin von Lit.Prom, dem Literaturverein, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Literatur aus Regionen wie Afrika, Asien und Lateinamerika in den Fokus zu rücken und die auch die Weltempfängerliste herausgibt, einen Schreib-Workshop auf Rügen zu machen, was in das Ende von Nassirs Berufszeit fiel. Sein Exposé wurde angenommen. Es motivierte ihn, weiterzuschreiben, was am Ende der Grundstock seines Debütromans wurde, auch wenn er erst richtig am Ball bleiben konnte, als seine Berufstätigkeit endete, um mit den Personen zu leben und sich in sie und ihre Psyche hineinzuschreiben.

Dass dieser Roman keine „Eintagsfliege“ werden würde, zeigt sich schon darin, dass bereits sein zweiter Roman in den kommenden Tagen – ebenfalls im Sujet Verlag – erscheinen wird. Eine Kostprobe aus dem neuen Roman mit dem Titel „Mathab“ gab der Autor diesmal selbst. Da steht eine Frau im Mittelpunkt, die mit ihrem Ehemann und ihren Kindern in den 1950er Jahren aus dem Iran nach Deutschland eingewandert ist. In dem bewegten Frankfurt lebt sie im Widerstreit zwischen ihrer herkömmlichen Moral und den Freiheiten des modernen westlichen Lebens. Djafari las eine anschauliche Szene, bei der in den turbulenten Zeiten der späten 60er Jahre die Protagonistin Mathab ihren Augen kaum traut, als sie, hervorgerufen durch einen Stau an der Zeppelinallee, plötzlich ihre Tochter Azadeh unter den Sprechchören „Hoho Ho Chi Minh“ auf der Bockenheimer deklarierend gegen den Vietnamkrieg entdeckt, anstatt für ihr Abitur zu arbeiten …

Man darf gespannt sein. Denn Djafari ist in seiner gereiften Sicht auf die Welt ein hervorragender Beobachter von Alltagszenen, die es in sich haben. Er hat auch hier den Innen-Blick und die Sicht von außen, welche die Geschichten umso authentischer und glaubwürdiger machen.

 

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