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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Carte Blanche: Sir András Schiff spielt Bach und anderes in der Alten Oper

Der Musikerzähler

Von Petra Kammann

Die Frankfurter Bachkonzerte gaben dem in Budapest geborenen Pianisten am 9. April im Großen Saal der Alten Oper eine Carte blanche, d.h. auf dem Programm stand lediglich: „Bach und anderes“. Den Inhalt des Überraschungspakets kannte allein der fabelhafte Pianist selbst. So erfreute er das Publikum mit musikalischem Genuss, gepaart mit feinem Humor und einem Schuss Nachdenklichkeit. Mit Bach beginne er den Tag, sagt Schiff. Das sei gut für die seelisch-körperliche Hygiene. Denn als Pianist sei man von den herausragenden Kompositionen verwöhnt. So also begann der Solo-Abend im großen Saal der Alten Oper, an dem Bach im Mittelpunkt stand. Schiff versprach, dass man nur das Beste höre werde. Damit hatte er nicht zu viel versprochen…

Sir András Schiff © Alte Oper Frankfurt, Tibor Pluto

Der Ton macht die Musik. Konzentriert und fein im Anschlag nimmt András Schiff uns unmittelbar mit der „Aria“ aus den Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach BWV 988 in seinen musikalisch verwobenen musikalischen Kosmos, bevor der Solo-Pianist die beiden schwergewichtigen Komponisten Bach und Mozart mit angespielten Beispielen gegenüberstellt. Launig und anschaulich kommt er dabei zunächst auf Bachs „Cappriccio in D-Dur “ zu sprechen, das der noch junge Bach anlässlich der Abreise seines geliebten und geschätzten Bruders Johann Jakob Bach nach Schweden geschrieben hat, um ihn von der Reise abzuhalten. Auch seine Freunde versuchten es. Doch Johann Sebastians älterer Bruder Johann Jakob war war nun mal ein Oboist, der beschlossen hatte, in die Armee von Karl XII. am königlichen Hof von Schweden einzutreten.

Musikalisch imaginiert werden die möglichen Überfälle auf der Reise mit dem Springen auf den Tasten des Pianos, dem das „einschmeichelnde“ Lamento der Freunde in der traurig-melancholisch anmutenden Tonart f-Moll gegenübersteht. Schiff macht das musikalisch-seelische Erlebnis dieser Abenteuerreise ganz und gar fühlbar, indem er neben dem Spiel geradezu kindlich naiv und völlig ungekünstelt die sechs kurzen und prägnanten Sätze erläutert mit den Tonleiter- und Oktavfiguren in der „Aria di Postiglione“, dann macht er das überlagerte Fugenthema im Finale hörbar in der schlichten, durch das eingängige Posthornmotiv unterbrochenen Melodie. Launig kapriziös und damit der musikalischen Gattung entsprechend vermittelt Schiff, wie auch die Musik selbst humorvoll sein kann, wenn nur die Tonrepetitionen durch Dreiklänge, die das Posthorn imitieren, gebrochen werden.

Und dann zieht er die innerlich verbundene Fortentwicklung der Musikgeschichte auf, indem er die beiden Schwergewichte Johann Sebastian Bach und Wolfgang Amadeus Mozart nicht nur einfach gegenüberstellt, sondern sie gleichsam raffiniert und schlicht miteinander verzahnt. Er erläutert, was Klangfarben der Musik für ihn bedeuten wie B-Dur= silbern  G-Dur =Vermeer-Blau. Wer weiß, hört eben besser und möchte in den Erläuterungen des so differenzierten Pianisten nichts verpassen.

Beglückend: das etwa dreistündige Konzert von Sir András Schiff; Foto: Petra Kammann

Ganz nonchalant leitet Schiff zunächst auf ein kleines Mozart-Stück über auf die kontrapunktisch angelegte kleine „Gigue G-Dur KV 574“. In ihrer puristischen Modernität erinnere sie geradezu an Zwölftonmusik und an Bach.
Zweimal hatte Mozart sich in Leipzig aufgehalten und zuletzt, wohl 1789, dort Bekanntschaft mit dem Bach’schen Werk gemacht. Da ließ er sich wohl ebenso von dessen Gigues inspirieren wie von Bachs „Französischer Suite“.

Schmunzelnd und hintersinnig reflektierte Schiff – allein wegen der Abfolge der darin enthaltenen Tänze  – über Europa, steht doch am Anfang noch eine unbekümmerte Allemande (deutscher Tanz), gefolgt von der flotten temporeichen französischen Courante und der ergreifend-elegischen spanischen Sarabande und endet mit einer „schottischen“? Gigue, einem ausscherenden Tanz.

Faszinierend auch zu hören, wie Mozart sich in seiner ganz präzis gespielten Fantasie No. 4 in c-Moll, KV 475 offensichtlich von Bachs h-moll-Fuge aus dem ersten Teil des Wohltemperierten Klaviers wie vom dreistimmigen Ricercar aus dem „Musikalischen Opfer, BWV 1079“ des barocken Meisters beeinflussen ließ.

Nachdenklicher in Ton und Reflexion wurde das Programm, weil Schiff die „schwarze“ Tonart h-Moll als Vorahnung des Todes und der Angst im 2-teiligen Präludium zu Ende des Wohltemperierten Klavier Teil 1 aufgriff. Im Hinterkopf spielte da das „Kyrie eleison“ aus der h-Moll-Messe mit. Da die zweiteilige Form der Bach’schen Komposition mit Wiederholungszeichen versehen sind, bezog Schiff sich auch darauf und sagte so selbstironisch wie demütig: „Wer bin ich denn als Interpret, dass ich etwas dem Komponisten vorschreibe und eine Wiederholung weglasse. Schließlich gibt er mir doch auch die Chance, es beim 2. Mal besser zu spielen.“ Ja, die Vorgaben seines verehrten Komponisten Bach sind ihm heilig. So wird sein Spiel in der Wiederholung zu einer ausklingenden Meditation, die das Ende des bis dahin schon sehr gelungenen Konzerts hätte sein können.

Aber nein. Ihr folgte eine 20-minütige Pause, in die er das Publikum mit den Worten entließ: „Es würde mich freuen, wenn Sie wiederkommen.“

Auch hier wurde eine neue Klangwirkung – stark, eigenwillig, selbstbewusst und frei– angespielt, die das pianistische Spektrum noch einmal erheblich erweiterte. Denn nach der Pause kaprizierte Schiff sich mit dem Spiel der c-Moll-Klaviersonate des verkannten Komponisten Joseph Haydns, der noch immer im Schatten von Mozart stehe und das zu Unrecht. Die Kompositionsgeschichte dieser Haydn’schen c-Moll-Sonate, der ersten veritablen Klaviersonate, reicht in das Jahr 1771 zurück.

Auch Haydns Schüler Beethoven glaubte, nichts von seinem Lehrer gelernt zu haben. Dabei habe Beethoven von ihm sehr wohl die Variationstechnik übernommen … Außerdem: Mozart stehe nun mal für „singende Musik“ und Haydn für die „sprechende Musik“. Zum Abschluss spielte András Schiff Beethovens späte zweiteilige E-Dur-Sonate op. 109, ein reifes, kontrastreiches Werk, das der Komponist Maximiliane Brentano, der Nichte des Dichters Clemens Brentano (1778–1842) widmete.

Der Schwerpunkt der Sonate, die parallel zur Arbeit an der Missa solemnis mit Beethovens eindringlicher „Bitte um inneren und äußeren Frieden“ entstand,  liegt auf dem innigen Schluss, mit dessen letztem Ton der Pianist erst einmal eine große Stille im Saal erzeugte. Schiff hatte mit Anmut und vollkommener Ruhe diese Beethoven Sonate mit den verhallenden Echos völlig unpathetisch und innerlich gespielt, dabei Zeit und Raum aufgehoben und den besonderen Abend  zu einem kosmischen Erlebnis werden lassen. Dieser Eindruck vertiefte die Erkenntnis, dass eine so emotional wie interpretatorisch durchdrungene Musik Trost in diesen finsteren Zeiten spendet.

Das Publikum dankte es dem Künstler nach dem dreistündigen Konzert mit stehenden Ovationen und es hatte auch begriffen, dass jegliche Zugabe bei dem durchdachten Ablauf des konzis zusammengestellten Konzerts fehl am Platz gewesen wäre. Es verließ den Konzertsaal wie geläutert …

Überzeugende Demutsgesten: Verneigung vor den Komponisten, dann vor dem Instrument und schließlich vor dem Publikum; Foto: Petra Kammann

Biographie András Schiff

Sir András Schiff liebt die Tradition. Dabei sieht er es als großes Privileg, die berühmten Klavierwerke der alten Meister lebendig zu halten, wobei Bach seit seinen Anfängen eine besondere Rolle in seinem Leben spielt.

Geboren wurde András Schiff 1953 im ungarischen Budapest. Von der Musikbegeisterung seiner Eltern angesteckt, beginnt er als Fünfjähriger mit dem Klavierunterricht. Mit vierzehn Jahren folgt schließlich ein Studium an der Franz-Liszt-Musikakademie Budapest. Während eines Sommeraufenthaltes in England lernt er den Dirigenten George Malcom kennen, der sein Interesse an der Musik Bachs weckt. Fortan lehnt András Schiff technische Übungen am Klavier ab und zieht sein ganzes Können aus der Musik des barocken Meisters. Heute ist er international sowohl als Solist, als auch mit großen Orchestern unterwegs, wobei sein Fokus neben Bach auf den großen Klavierwerken von Beethoven, Mozart und Schubert liegt.

Neben der Musik nutzt András Schiff, der mittlerweile die österreichische und die britische Staatsbürgerschaft besitzt, seine Popularität, um auf die politischen Missstände in seinem Heimatland aufmerksam zu machen. 2014 wurde er in den englischen Ritterstand erhoben.

Am 18. Dezember 2022 wird Sir Andràs Schiff mit seiner Capella Andrea Barca Bachs Klavierkonzerte 1,2,3,4,5,und 7 spielen.

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