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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Kulp und warum er zum Fall wurde“ von Ulrike Damm

Das Leben – eine einzige Kommunikationspanne

Von Thomas Hocke

„Kulp und warum er zum Fall wurde“ von Ulrike Damm ist ein kluges Buch. Fast hält man kurz inne – nicht, um das sofort zu widerrufen oder sogleich in Zweifel zu ziehen, nein, weil man durch die Beschäftigung mit dem Buch gehalten ist, präzise zu formulieren und immer den Schein von der Wirklichkeit zu trennen. Man wird unwillkürlich Beobachter seiner eigenen Sätze. Ulrike Damm hat uns den Spiegel vorgehalten. Ein kluges Buch über den ur-menschlichen Versuch, Kommunikation herzustellen, was, wie man in dem Roman permanent erfährt, zum Scheitern verurteilt ist, weil es die Beziehung(en) unmöglich machen.

Der Roman „Kult und warum er zum Fall wurde“, ist bei DRAVA erschienen

Die Protagonisten scheitern fast ausnahmslos daran – und gleichsam wie als Spiegel der realen Gesellschaft – bröckelt schon kaum nach der Aufnahme von weiteren Kommunikationsversuchen der schöne Schein. Sämtliche Personen, ob Kulp oder seine Schwester Vera, seine (und ihre) Eltern, sein Freund, ein Polizist, eine kurz auftauchende Bekannte aus der Vergangenheit, sie alle haben Probleme im Zusammenleben und versuchen, sich davon zu befreien, was jeweils scheitert. Einzig seiner Schwester gelingt der Befreiungsschlag, wenn auch auf sehr kuriose Weise…

Die Autorin spielt ein wenig mit den Namen, die sie den Personen gibt, gleich ob es um Kulp selbst geht oder um Vera oder auch um Gunst, den Psychiater, der nur eine vorübergehende Rolle spielt – vielleicht, weil er gegen das Ethos der Psychiater verstoßen hat, selbst in die Therapie einzugreifen. Man fühlt sich in manchem an die Namensgebung in den Thomas Mannschen Romanen erinnert. Auch bei Ulrike Damm „machen“ die Namen „einen Sinn“. Philosophisch konfrontiert sie uns mit der Frage: was ist Wirklichkeit, und was ist nur Abbild der Realität? Geschickt hantiert sie mit den verschiedenen Bildern von Wirklichkeit, baut ein Puzzle daraus.

Kulp ist, verursacht durch einen selbstverschuldeten Autounfall, von Anfang des Romans an blind, blind geworden. Doch, so grausam es auch klingen mag, für ihn ist es sogar das Beste. Der vor dem Unfall verhinderte Schriftsteller wird zum Organisator eines neuen Lebens – der Unfall damit zu einer kathartischen Übung. Ihm folgen andere und verändern völlig sein bisheriges Leben: Kulp lernt (wieder) zu lesen, zu schreiben, diesmal mit Hilfe von Schablonen, die er selber fertigt. Von seinem Freund, dem er allerdings die allzugroße Nähe verweigert, sollen seine Texte publiziert werden. In welcher Form, bleibt nebulös, wird nicht so ganz „sichtbar“… Wie der Leser das sieht, ist letztlich auch egal. Vielleicht ist auch das nur Schein?

Natürlich dauert der Prozess der Veränderung lange, die Rückkehr zum früheren Schreiben, wie auch die Versuche dazu. Die Vorstellung aber bleibt immer im Hintergrund präsent.

Kulp durchläuft verschiedene Stadien von Versuchen, schriftstellerisch zu reüssieren: vor und nach dem Unfall. Ein Versuch ist es, den „intellektuellen Müll“ zu begreifen, den er (schon rein äußerlich) durch Sammeln verursacht hat, so als könne man durch die Vielfalt der Konzepte anderer Menschen das eigene Ich besser begreifbar machen. Das spiegelt sich auch im vortrefflichen Cover des Buchs, das man man mit fortschreitender Lektüre erst begreift. Es zeigt, wie die Unordnung das bisherige Leben beeinflusst hat.

Man kann trotz vieler Details auch immer den Überblick behalten – denn das Konstrukt des Romans ist raffiniert angelegt: am Anfang rechnet man förmlich mit der Larmoyanz des Verunglückten und wird „enttäuscht“. Sie tritt nämlich nicht ein und wird auch im weiteren Verlauf nicht zum Thema. Manchmal ist man jedoch von der Treffsicherheit der Erkenntnisprozesse fast erschlagen, von den vielen, weises Nachdenken evozierenden Formulierungen, die bisweilen den Lesefluss blockieren. Denn es sind so viele, und man würde eigentlich nur allzu gerne erst einmal kurz über den ein oder anderen Prozess länger nachdenken …

Aber da ist man auch schon beim Thema – das für das Begreifen des Romans unerlässlich ist, bei dem latent auftauchenden Begriff des Nach-Denkens, der Beschäftigung mit dem Schein, dem Sein – und dem Versuch, Brücken zu schlagen.

Das Konstrukt des Romans löst sich beim Eintauchen in das Beziehungsgeflecht auf – bis zu einer dann erwarteten, in immer neue Wendungen geführten kulminierenden Schlussszene: Die erscheint gleichsam logisch, doch weil so viele „Stolpersteine“ während des Lesens gelegt werden, fühlt man sich als Leser auch erst am Ende für die brachiale Abrechnung mit der Vergangenheit richtig gewappnet …

Um die Aussage vom Anfang noch einmal aufzugreifen: Das Buch ist ein kluges Buch, vor allem durch das vielfach verästelte Konstrukt, in das man nach und nach eintaucht – und welches sich am Ende auflöst.

 

Der Journalist Dr. Thomas Hocke, war Redakteur bei Aspekte im ZDF. 

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