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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Angst vor dem Bildnis einer alten nackten Frau und ihren Pistolen

Wie die Deutsche Bahn ein Ausstellungsplakat im Bonner Bahnhof und auf Kölner S-Bahnhöfen hat verbieten lassen.

Von Simone Hamm

Die Malerin Maria Lassnig zeigt ihren Körper ungeschönt, schonungslos. Sie ist nackt, hat die Beine gespreizt. In den Händen hält sie zwei Pistolen: Die eine hat sie an ihre Schläfe gesetzt, die andere zielt auf die Betrachter. Sie hat ihre großen, eisblauen Augen direkt auf sie gerichtet. Maria Lassnig war 81 Jahre alt, als sie dieses Selbstportrait malte. Aktuell wirbt das Bonner Kunstmuseum damit für die Ausstellung: Maria Lassnig – wach bleiben. Es hängt an Litfasssäulen, Plakatwänden. Es sollte auch auf Infoscreens der Deutschen Bahn am Bonner Hauptbahnhof und in Kölner S-Bahnstationen auf die Ausstellung aufmerksam machen.

Maria Lassnig, Du oder Ich, 2005, Privatsammlung, Courtesy Hauser & Wirth Collection, Services © Maria Lassnig Stiftung / VG Bild-Kunst, Bonn 2021/ Foto: Stefan Altenburger, Photography Zürich

Doch das Bildnis der unbekleideten Frau mit der faltigen Haut, das im Jahre 2005 entstanden ist, provoziert offenbar noch heute. Jedenfalls die Damen und Herren von der Deutschen Bahn. Sie möchten die Betrachter vor so viel nackter Gewalt schützen. Laut Pressesprecher Deutsche Bundesbahn könnten die Pistolen in der Hand der alten nackten Dame als bedrohlich empfunden werden. Auf den Infoscreens – den Nachrichten und Werbebildschirmen auf den Bahnsteigen – darf das Plakat nicht gezeigt werden.

Erschütternde Bilder der Gewalt, die die Menschen in der Ukraine im Krieg erleben, sind hingegen überall zu sehen.

Es muss also um etwas ganz anders gehen als um die Darstellung von Gewalt, um das Bild einer alten, nackten Frau, das keinerlei Begehren weckt, die sich verletzlich gibt in ihrer Blöße. Ist also nicht die Pistole die Provokation, sondern die alte, welke Haut? Hätte man das Plakat auch abgelehnt, wenn eine nackte Juliette Binoche oder eine nackte Paula Beer sich eine Pistole die Schläfe gehalten hätten?

Auf bunten Werbefotos, natürlich auch auf den Screens im Bonner Hauptbahnhof, sind andere Frauen zu sehen: jung, schön und leichtbekleidet. Solche Bilder werden gezeigt, die Werbefilme ebenfalls. Frauen empfehlen Parfüm, Schokolade, Hautcremes. Sie sind rank und schlank und gut gelaunt. Niemand käme auf die Idee, so etwas zu verbieten. Es gibt Pressefreiheit. Und es gibt die Kunstfreiheit. Nur bei extrem sexistischen Darstellungen spricht der Deutsche Werberat eine Rüge aus. Bilder einer großen Malerin gehören sicher nicht dazu.

Nun reiht sich die Deutsche Bahn ein in die Gruppe derjenigen, die freiwillig Kunst zensieren. In den sozialen Medien, bei Instagram und Facebook geht man noch weiter. Hier soll Nacktheit überhaupt nicht mehr zu sehen sein, gleichgültig, ob es sich um Gustave Courbets berühmten „Ursprung der Welt“, um das ikonische Antikriegs-Foto eines vor Napalmbomben fliehenden nackten Kindes oder um einen Porno handelt. Gleichzeitig aber können und konnten blanke Hasstiraden gepostet werden.

Zeit ihres Lebens hat sich die Künstlerin Maria Lassnig künstlerisch mit ihrem Körper, mit ihrer Selbstwahrnehmung beschäftigt. (Das teilt sie übrigens mit vielen in der Kunstgeschichte herausragenden Künstlern). Sie ging schonungslos mit sich selbst um. Ihren inneren Körper erlebte sie anders als den äußeren Blick darauf. Ihr immer wiederkehrendes Thema war das Verhältnis zwischen sich und der Welt. Ihre Porträts sind radikal, sie ging aber davon aus, dass die Betrachter ihrer Werke damit leben könnten. Ausgerechnet vor einem Bild dieser Malerin sollen die Bonner, die auf die Bahn, die Kölner, die auf die S-Bahn warten, geschützt werden. Als ob sie sich nicht selbst ein Bild machen könnten!…

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