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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Mit Jazz in den Frühling“ hieß das Motto im Holzhausenschlösschen

Intensiv und unvergesslich: zwei Frankfurter Jazzkonzerte

„Unforgettable“ – Spielen für Emil Mangelsdorff

Von Uwe Kammann

Ein Aprilscherz? Ach, nur eine Wetterlaune. „Mit Jazz in den Frühling. Swing Spring“, so hatte es die Frankfurter Bürgerstiftung weiß auf grün gedruckt, um das Holzhausenschlösschen an fünf Tagen in einen veritablen Jazzclub zu verwandeln. Doch zum Auftakt des bekannt wetterwendischen Monats kam es jäh zu einem kleinen Wintereinbruch mit Schnee, Anlass für launige Bemerkungen des Pianisten Thilo Wagner, dem die künstlerische Leitung anvertraut war – wenn man so will, in der Nachfolge des Anfang des Jahres verstorbenen Emil Mangelsdorff, mit dem eine weltweit legendäre Jazzreihe an diesem so intimen Frankfurter Ort verbunden war und ist: „Emil und seine Freunde“.

v.l.n.r.: Thilo Wagner, Wilson de Oliveira, Tony Lakatos, Jean-Philippe Wadle, Peter Weniger und  Axel Papa – Video: Klaus Radke / Auftaktfoto: Petra Kammann

Eine Reihe mit weit über 200 Konzerten, an deren Ursprung vor nunmehr 31 Jahren Thilo Wagner erinnerte: eine Idee, an der auch er beteiligt war. Und die mit ihm verbunden blieb, so wie auch der Bassist Jean-Philipp Wadle und der Schlagzeuger Axel Pape in den letzten Jahren treu zum Quartett gehörten, dessen „Primus inter Pares“ – so nannte es Thilo Wagner ohne jeden Neid – immer Emil Mangelsdorff war. Der dann, mit eigenen Entdeckungen und solchen aus seinem Umkreis, immer wieder Musiker aus der Jazzwelt ins Holzhausenschlösschen zu seinen monatlichen Konzerten einlud, manifestiert im Titel der Reihe: „Emil und seine Freunde“.

Schmunzelnd hält Pianist Thilo Wagner die Fäden zusammen; Foto: Petra Kammann

Am zweiten Tag des April waren es gleich drei Gäste, welche im Gedenken an Emil ein Feuerwerk an großartigem Jazz zündeten – Thilo Wagner bezeichnete sie salopp als „unsere drei Tenöre“, Anspielungen auf ihre Saxophon-Spezialität. Einer der drei, Peter Weniger aus Berlin, war vor zwanzig Jahren erstmals Gast auf dieser Frankfurter Bühne. Die anderen beiden, Tony Lakatos und Wilson de Oliveira, gehören zum Urgestein der Frankfurter Jazzszene, waren eng befreundet mit Emil Mangelsdorff, haben in vielfältigen Kombinationen gespielt, mit nahezu unzähligen internationalen Auftritten, aber auch lokal dieser Stadt eng verbunden, so in der renommierten Bigband des Hessischen Rundfunks.

Doch das soll und muss reichen, um den Rahmen zu beschreiben, dessen Umrisse – den Frühling mit swingendem Jazz zu feiern – schon vor zwei Jahren gezogen wurden, bevor dann Corona alle Pläne über den Haufen warf. Aber eben nicht den feurigen Geist, der darin steckte, ein Geist mit einer Freiheitsgeste, die sich jetzt geradezu entlud, im gegenseitigen Befeuern mit einem Publikum, das es genauso wie die Akteure genoss, sich wieder nahe zu sein, im direkten Kontakt, getragen von der Spannung der gemeinsamen Anwesenheit.

Schon der Auftakt des Konzerts verdient nur ein Prädikat: fulminant. „Light and Lovely“, ja, das klingt als Titel fast harmlos. Doch als die drei Saxophonisten gemeinsam loslegten, verbreiteten sie pure Kraft, explosiv, temperamentvoll, feurig. Um dann in den Soli und im variierenden Zusammenspiel alle Linien aufzuzeigen, die in diesem Stück von Davis Griffin vom Anfang der 80er Jahre einen betörenden Reichtum entfalten. Und so ging es weiter, mit immer neuen Bögen, mit eigenen Arrangements der Saxophonisten, auch einer eigenen Komposition („Silver and Gold“ von Tony Lakatos), welche Klassiker der Jazzgeschichte zitierten, umspielten, mit großer Souveränität interpretierten, besser gesagt: neu schufen.

In vorderster Reihe links: Teslime Mangelsdorff und Bürgermeisterin Dr. Eskandari-Grünberg; Foto: Petra Kammann

Welche Spielfreude, welcher Spielwitz, welch’ kraftvolle musikalische Linien. Schon am zeitlichen Rahmen lässt sich ermessen, welchen Reichtum das Quartett und seine drei Freundes-Gäste den Stücken abgewannen, zu den auch „Naima“ von John Coltrane und „Three and One“ von Thad Jones gehörten. Sechs Titel, dann noch als kostbar-populäre Zugabe „Blue Monk“ von Thelonius Monk – und es waren nahezu zwei Stunden gefüllt, welche dem Publikum vorkamen, als seien sie im – hochkonzentierten – Fluge vergangen. Ja, es hätte mehr, noch viel mehr sein dürfen.

Doch Thilo Wagner, der seine brillanten Piano-Läufe oft mit einem nach innen gerichteten verschmitzten Lächeln begleitete, bemerkte dann doch, zu Recht, dass auch der schönste Abend einmal zu Ende gehen müsse. Das begeisterte Publikum – auch Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg gab dem Konzert und damit auch Emil Mangelsdorff die Ehre, während der stets inspierende Bürgerstiftungs-Chef Clemens Greve wegen Corona zu strenger Quarantäne verpflichtet war – applaudierte lange im Stehen, ein Echo auf dieses musikalische Ereignis, das noch lange einen Nachhall finden wird, so außergewöhnlich war die musikalische Qualität, so intensiv die Spannung, die sich aufbaute.

Standing Ovations für das Emil-Mangelsdorff-Gedenkkonzert; Foto: Petra Kammann

Und dies eben auch in jenen eher poetischen, nachdenklicheren, verhalteneren Momenten, wie sie mit Balladen verbunden sind wie „Chelsea Bridge“ von Billy Strayhorn oder „Soul Eyes“ von Mal Waldron. Atemberaubend, wie zart die Soli einsetzen können (Peter Weniger verschloss im Nachhören oft die Augen), getragen, rhythmisiert vom ungemein akzentuierten Bass Jean-Phillipe Wadles, an anderen Stellen vorwärtsgetrieben von Axel Pape, der mit seinem Schlagzeug eine beeindruckende Vielzahl und Vielfalt an perkussiven Tonwelten erzeugen kann, vom zartesten Besengeräusch bis zu hochdramatisch treibenden Wirbeln. Und immer in ihrer inneren Qualität zur äußersten Kenntlichkeit gebracht durch das geradezu traumwandlerisch inspirierte und inspirierende Pianospiel Thilo Wagners.

Herausragend und international preisgekrönt: die Jazz-Sängerin Barbara Bürkle; Foto: Petra Kammann

Wer das Glück hatte, auch am Vorabend Gast im Holzhausenschlösschen zu sein, der konnte hören (und intensiv erleben), wie verschieden Jazzwelten sein können. Und auch dabei wieder die Qualitäten des außergewöhnlichen Pianisten bewundern. An diesem denkwürdigen Schnee-Aprilabend war er in ganz selbstverständlicher Präsenz ein Part des Quartetts „Swingin’ Woods“ (salopp übersetzt mit ‚Schwingendes Gehölz’) aus Stuttgart. Zentral und tragend bei diesem Ensemble ist Barbara Bürkle, eine ganz außergewöhnliche Jazzsängerin.

Gewidmet hatten die Musiker – es gehörten weiter dazu der Bassist Jens Loh und der Gitarrist Bruno Müller – diesen Abend dem Pianisten und Sänger Nat King Cole, der in manchem konventioneller, traditioneller agierte, seine Jazz-Praktik einer populäreren Sparte näherte, auch Titel komponierte, sang und interpretierte, welche in den Charts Furore machten, wie „Straighten up and Fly Right“ oder „Nature Boy“ von Eden Ahbez.

Das Besondere bei Barbara Bürkle: Sie verleugnet im Gesamtarrangement diese Charakteristik nie (Bass und Gitarre erinnern in nicht wenigen Momenten an perlende Abende in der Rainbow Bar im Rockefeller-Center), doch verleiht sie den Songs etwas Ur-Jazziges. Und dies mit einer Stimme, die sehr zart artikulieren kann, in der Melodieführung sehr genau, dabei immer von innen bewegt, mit einer hochmelodiösen Führung der einzelnen Linien.

Vom ersten Ton an (mit dem Titel „Almost Like Being in Love“ von Frederick Loewe und Alan Jay Lerner) vermittelte Barabara Bürkle eine hohe Präsenz, ohne je aufdringlich auf simple Effekte zu setzen. Dass sie mit Thilo Wagner bestens harmoniert (2014 haben sie ein erstes Album aufgenommen), ist wiederum kein Wunder. Denn beide verfügen über dieselbe Virtuosität, über die Fähigkeit, in einer frei schwingenden Interpretation den Stücken eine ganz eigene Frische zu verleihen. Sie wiederum hat nichts, was auch nur den Hauch von steriler Klarheit ausströmte. Sondern sie ist innerlich geprägt von einer prononcierten Modularität und – von Charme und Wärme. Auch Witz (dies betont das Programmblatt nicht zu Unrecht) blitzt immer wieder auf, nicht zuletzt in den kleinen begleitenden Erläuterungen, welche die Sängerin in die Präsentation einflicht.

v.l.n.r.: Bassist Jens Loh, Sängerin Barbara Bürkle und Gitarrist Bruno Müller: Fabelhaft – die Swinging Woods

In der Mischung all’ dieser Eigenschaften wird dann selbst aus dem Ohrwurm „Smile“ (von Charlie Chaplin 1936 für seinen Film „Moderne Zeiten“ komponiert, zunächst als reine Musik) ein aufregend neu klingender Song, mit bester musikalischer Modulation, aufgepeppt dann noch mit einer spitzbübischen und spitzmündigen Flöt-Einlage. Auch die Interpretation eines schlagernahen „Quizás, Quizás, Quizás“ (Nat King Cole, so fügt sie als Hintergrund hinzu, sei „clever“ gewesen, habe sich mit solchen sprachlichen Varianten beispielsweise auch den spanischen Markt erobert) bekommt bei ihr etwas im besten Sinne Swingendes, etwas Ur-Jazziges, ohne die Nähe zu anderen Musikgenres zu verraten.

Ein in jeder Note tatsächlich schwingender, ein in der hohen Präsenz auch beschwingender Abend, ganz so, wie es das Motto dieser Reihe der Frankfurter Bürgerstiftung beschworen hat (die übrigens als Abschluss ein ‚Fensterjazzkonzert’ für Kinder – wohlgemerkt: von drei bis neunzig Jahren – ins Programm genommen hat. Auch hier erklatschte sich das sichtlich begeisterte Publikum mit gesteigertem Rhythmus eine Zugabe, eine, die sogar im Titel das Besondere des Abends charakterisierte. „Unforgettable“, 1951 von Irving Gordon geschrieben, mit großem Erfolg von Nat King Cole zu ‚seinem’ Hit gemacht, beschloss den Abend. Der in vielem unvergesslich sein wird. Nicht zuletzt, weil der späte Frankfurter Abend sich an diesem 1. April so schneefest erwies wie den ganzen Winter nicht.

P.S. Wegen der speziellen, auf den Park ausgerichteten Beleuchtung waren farbneutrale Aufnahmen leider nicht möglich. 

Frankfurter Bürgerstiftung im Holzhausenschlösschen
Justinianstraße 5
60322 Frankfurt
www.frankfurter-buergerstiftung.de

 

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