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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Berlin und seine Theater in den Zeiten von Corona

Noch immer. Auch im März 2022.

von Simone Hamm

Am Deutschen Theater fielen gleich zwei Premieren ins Wasser, „Auslöschung“ nach Thomas Bernhard und „Werther“ nach Goethe. Bei der Schaubühne fielen Stücke mit Joachim Meyerhoff aus und man setzte auf „Peer Gynt“ und „Richard III.“ mit Lars Eidinger. Doch selbst diesen Berserker hielt es nicht auf den Beinen. Auch diese Aufführungen fanden nicht statt. Barrie Koksys Inszenierung von „Hoffmanns Erzählungen“ sollte noch ein paar Mal gespielt werden. Keine der geplanten Aufführungen war zu sehen. Das Berliner Ensemble setzte in diesen Tagen auf Matthias Brandt und Kosksys „Dreigroschenoper“.

Adam Benzwi, Barrie Kosky und Oliver Reese im Berliner Ensemble Foto: © Moritz Haase /BE

Der Star aus Koskys „Dreigroschenoper“ Nico Holonics fällt schon seit einiger Zeit coronabedingt aus. Und auch Thilo Nest als Peachum wurde krank. Die beiden Hautdarsteller also. Intendant Oliver Reese verzweifelte nicht, bat Veit Schubert, der hunderte von Malen den Peachum in Bob Wilsons Inszenierung gespielt hatte, noch einmal einzuspringen und holte den Schauspieler Christian Friedel ans Berliner Ensemble.

Kosky hat kein „Babylon Berlin“ geschaffen, nicht die Zwanziger Jahre heraufbeschworen. Kosky, von dem man es kaum erwartet hätte, kommt mit einem Vorhang aus Lametta und einem hölzernen verschiebbaren Treppengerüst aus. Selten sind mehr als drei Personen gleichzeitig auf der Bühne.

Ganz zu Anfang ist der schwarzglitzernde Lamettavorhang  noch zugezogen. Da erscheint hoch oben ein Gesicht, stark geschminkt, als grüße Frau Luna. Es ist aber Josefin Platt, der Mond über Soho, die die Moritat vom Haifisch singt. Ein phänomenaler Auftakt. Und sie wird auch den Schlussakkord setzen, genauso: als rundes, bleiches Gesicht, das aus dem schwarzen Vorhang lugt, wird sie singen: „Und die einen stehen im Dunklen und die andern stehen im Licht.“

Kathrin Wehlisch spielt den Polizeipräsidenten Tiger-Brown, der eine Art Waffenstillstand mit dem Mörder und Verbrecher Mackie Messer geschlossen hat ,als Charlie Chaplin.

Cynthia Micas ist eine hinreißende Polly im weißen Rüschenhochzeitskleid. Ihre Mutter (Constanze Becker im Pelzmantel mit blutrot geschminkten Mund) versucht, die verliebte Tochter und den wutschnaubenden Mann ganz kühl zu beruhigen. Polly hat Mackie Messer ganz einfach geheiratet. Aus einer Laune heraus. In einem Stall. Das schmeckt ihrem Vater nicht. Und er wird alles tun, um Mackie Messer an den Galgen zu bekommen. Denn er kennt dessen Schwäche: seine „Mädchen“. In der Dreigroschenoper verrät jeder jeden.

Mit seinen weichen Gesichtszügen will Christian Friedel so gar nicht in die Rolle Mackie Messers passen. Liebevoll umgarnt er Polly, die er heiraten will. Aber dann! Alles nur Show! Er wird ein anderer, steigert sich von Song zu Song. Wird böse, wird diabolisch. Rast über die Bühne, klettert in Windeseile am Holzgerüst hoch und wieder runter. Mit seinen dunkel geschminkten Augen und seinem teuflischen Lächeln gerät ihm jeder Song zum Highlight. Es ist ein Parforceritt und er gelingt.

Oliver Reese kann in seiner Loge aufatmen.

BERLINER ENSEMBLE: Mathias Brandt in „Mein Name sei Gantenbein“ von Max Frisch, Regie: Oliver Reese, © Matthias Horn 

„Mein Name sei Gantenbein“ , ein Solostück für Matthias Brandt, hat Reese selbst inszeniert. Brandt spielt  nach zwanzig Jahren Bühnenabstinenz wieder Theater. Wer den Roman von Max Frisch gelesen hat, kennt seine feinen Ziselierungen, den langsamen Aufbau einer Szene, die dann in einem Bonmot wie „man kann einen Blinden nicht hinters Licht führen“ oder „ich probiere Geschichten an wie Kleider“ endet. Das Theaterstück muss sich zwangsläufig auf diese Höhepunkte konzentrieren. Einen Vorlauf gibt es nicht. Deshalb ist es ein schmaler Grad, auf dem sich Regisseur und Schauspieler bewegen. Die philosophischen Aspekte der Frisch’chen Fragen: „Wer bin ich? Wer beeinflusst mich, mein Denken und Handeln? Was will ich?“ können auf der Bühne nur zu kurz kommen. Bei Max Frisch ist das alles miteinander verwoben, der eine taucht auf, verschwindet wieder, kehrt viele Seiten später zurück. Reese hat „Mein Name sei Gantenbein“ als Monolog inszeniert. „Ein Mann hat eine Erfahrung gemacht, jetzt sucht er die Geschichte dazu.“

Wenn das Wagnis dennoch gelingt, so ist das einem fulminanten Matthias Brandt zu verdanken. Brandt ist ein alternder Mann, verlassen von seiner Frau, der sich verschiedene Szenarien vorstellt.

Brandt steht in einem großen, hölzernen Kasten, trägt Hut und Trenchcoat. Er will einen Blinden spielen, der doch alles sieht. Daraus würden sich neue Konstellationen ergeben. Wenn seine Frau Lila, eine bekannte Schauspielerin, untreu wäre, dann könnte er das ganz leicht herausfinden. Geht sie doch davon aus, er sei blind. Er besuchte Camilla in ihrem Nagelstudio und wüsste doch genau, dass sie ihr Geld eigentlich als Hure verdient. Sie wiederum hätte längst durchschaut, dass er gar nicht blind sei. Und dann könnte er noch der betrogene Ehemann sein oder der Betrüger. Er ist ein todkranker Wissenschaftler, der nach Harvard wollte.

Brandt verkörpert alle diese Rollen durch Accessoires, die er aus Kästen in einer hölzernen Wand zieht: eine Blindenbrille, eine Weinflasche, ein Whiskeyglas, ein Blindenstock. Was er nicht mehr braucht, wirft er in den Orchestergraben.

Dieser Gantenbein ist ein anderer. Und das passt dann doch wieder gut zu Max Frischs Roman, der als Vorlage gedient hat.

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