Bisherige museale Modefotografie-Ausstellungen haben sich vor allem auf den weiblichen Körper aus männlicher Perspektive konzentriert. „Female View„, eine Ausstellung im Lübecker St. Anna Museum, rückt nun die oft zu Unrecht vernachlässigte Modefotografie von Fotografinnen in den Fokus. Zwar war die Modefotografie stark von Frauen geprägt, gleich ob in trendeigen Magazinen wie Harper’s Bazaar oder Vogue oder der Sibylle, einer Mode-Kulturzeitschrift der ehemaligen DDR. Aber Frauen traten nur selten als Akteure auf. Exemplarisch wird in der Lübecker Ausstellung anhand ausgewählter Positionen eine Entwicklung von den 1930er Jahren bis heute dargestellt: um die 150 Fotografien von 21 Künstlerinnen sowie Fashion Videos, u.a. von der gebürtigen Frankfurterin Ellen von Unwerth zu sehen.
Museumsleiterin Antje Britt-Maehlmann vor den Fotos von Helmut Newton und Alice Springs alias June Newton; Foto: Petra Kammann
Die Schau widmet sich dem Wandel des fotografischen Bildes und seiner medialen Verbreitung. Und sie stellt sie jeweils in ein historisches und ästhetisches Umfeld, von der Modezeitschrift über den Ausstellungsraum, vom Coffee Table Book zur Videoinszenierung bis hin zur digitalen Selbstinszenierung in den heutigen sozialen Medien.
Allein die Karrieren der jeweiligen Fotografinnen sind spannend, die wir nur abschnitthaft darstellen können. Sie verlaufen in der Regel etwas anders als die der männlichen Kollegen. So machte etwa die 1923 im australischen Melbourne als June Browne geborene June Newton, die Ehefrau des Emigranten Helmut Newton, unter dem Künstlernamen Alice Springs eine eigene Karriere als Fotografin und Porträtistin der „Großen und Schönen“ dieser Welt. Angefangen von den Helle Angels, Nicole Kidman oder Madonna bis hin zu Vertretern der Kulturszene wie Billy Wilder, Audrey Hepburn, Dennis Hopper, Claude Chabrol, Catherine Deneuve, Yves Saint Laurent oder Karl Lagerfeld, um nur einige Prominente herauszugreifen.
Mit eigenen Fotoarbeiten hatte die einst erfolgreiche australische Schauspielerin jedoch erst 1970 begonnen, als das Newton-Paar in Paris wohnte, und Helmut bei einem wichtigen Auftrag eine Grippe hatte. Die gewitzte Ehefrau ließ sich kurzerhand die Kamera und die Einstellungen von ihrem Mann erklären und startete mit ihrem Foto von einem rauchenden Model für die französische Zigarettenfirma Gitanes gleich eine erfolgreiche Kampagne. Dieser unmittelbare Erfolg motivierte sie weiterzumachen. Und schon 1978 bekam sie ihre erste eigene Einzelausstellung in Amsterdam. Außerdem betreute sie als künstlerische Direktorin Newtons Publikationen und diverse internationale Magazine.
Helmut Newton wiederum hatte einen festen Vertrag mit der französischen „Vogue“, für die er 25 Jahre lang die wichtigsten Modeaufnahmen machte. Daneben arbeitete er auch für zahlreiche andere Blätter, während sie die Szenarien arrangierte. June agierte als Artdirektorin für Magazine wie Vanity fair, allerdings stets unter dem Pseudonym Alice Springs. Daneben porträtierten und inszenierten sich June und Helmut Newton immer auch gegenseitig und versammelten diese persönlichen Fotos voneinander in dem Bildband „Them and us“. Auf ihren Fotografien dokumentierte Alice Springs – anders als Helmut Newton – nicht allein das Aussehen der Prominenten, sondern fing vielmehr deren Ausstrahlung bzw. deren Aura ein. Und noch nach seinem Tod nahm die Hochbetagte die Dinge in die Hand und betreute bis zu ihrem eigenen Tod im vergangenen Jahr die Helmut Newton Foundation .
GABO neben ihren Fotos von Yoko Ono, Jessica Schwarz und Eva Padberg; Foto: Petra Kammann
Völlig anders die Geschichte von GABO. Die studierte Grafikdesignerin hatte schon als internationales Model gearbeitet, als sie entschied, dass sie den subjektiven Blick und das Bild durch das Kameraauge lieber selbst bestimmen wollte. Eine Begegnung mit Helmut Newton war für sie der Auslöser, nicht nur ihre Haut zu Markte tragen zu wollen. Sie arbeitete mit großen Teams für internationale Magazine wie Stern, Vogue, Spiegel, Park Avenue oder Guido und findet heute, dass die Arbeit mit Frauen oft leichter und natürlicher sei. Dabei gesteht sie, dass die technische Bearbeitung der Bilddaten oft besser bei den männlichen Kollegen aufgehoben sei.
Wunderbar komponiert mit natürlichem Licht aufgenommen sind ihre im St. Annen-Museum ausgestellten Fotos. Bestens erfasst sie charakteristische Momente der abgelichteten Persönlichkeiten, gleich ob Jessica Schwarz in lasziver Haltung, deren seidenes Kleid förmlich in den Seerosenteich hineinzufließen scheint, während die leicht androgyne Yoko Ono, die stark und drahtig die beiden Betonwände von sich wegdrückt und es bei Eva Padberg so aussieht, als rutschte die aus ihrem Mund baumelnde Spaghetti-Nudel vom Mund gleich ins üppige Dekolletee. Starke Bilder für die jeweils Abgelichteten.
Liv Liberg, die Fotografin, die über 15 Jahre ihre Schwester zum Model hatte; Foto: Petra Kammann
Die Fotografinnen sind so individuell wie ihre Arbeiten. Eine Besonderheit bilden die jungen Schwestern Liberg. Die an der Königlichen Akademie der Bildenden Künste in Den Haag ausgebildete und 1992 geborene Fotografin Liv Liberg hatte bereits im Alter von 10 Jahren begonnen, ihre Schwester Britt Liberg zu fotografieren, und das 15 Jahre lang. Die Fotos von ihrer Schwester strahlen eine gewisse Zerbrechlichkeit, bisweilen Melancholie aus und lassen auf Nähe und Vertrautheit zwischen den beiden schließen, die der fremde Blick eines Fotografen kaum erhaschen könnte.
Britt Liberg, das schwesterliche Model; Foto: Petra Kammann
Und doch hat jedes der einzelnen Fotos eine eigene Aussage und zeigt die Entwicklungen zum Erwachsenwerden. Die Fotos wurden 2019 in dem Band „Sister Sister“ versammelt und machte die beiden berühmt. Heute produziert Liv auch für größere Modestrecken in diversen Magazinen und ihre Schwester arbeitet inzwischen auch als Model mit anderen Fotografen, jedoch nach wie vor bevorzugt mit ihrer Schwester. Bekannt wurden Liv Libergs Fotografien, weil sie einzelne wohlkomponierte Fotos ganz exklusiv bei Instagram postet und entsprechend viele Follower hatte.
Auch Mode in den Trümmern fotografierte Lee Miller in den 40ern; Foto: Petra Kammann
Eigentlich beginnt die Ausstellung aber mit Vintage-Prints der 1930er und 1940er Jahre. Besonders erwähnenswert sind die Fotos von Lee Miller, die kürzlich auch eine Ausstellung in den Rüsselheimer Opelvillen hatte, wo eine ganz andere Seite der Fotografin gezeigt wurde, nämlich etliche politische Bilder, welche die Verheerungen durch den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust für die amerikanische Vogue dokumentierten. Ursprünglich hatte die aus den USA stammende Fotografin in Paris als Assistentin von Man Ray gearbeitet, wo sie aber schon begann, für Harper’s Bazaar und für die Vogue zu arbeiten.
Die als Modell, Fotografin und Surrealistin bekannt gewordene Amerikanerin hatte von 1944 bis 1945 genauso eindrückliche Kriegsfotos gemacht. Und in der letzten Phase des Zweiten Weltkriegs begleitete sie sogar die US-Truppen nach Deutschland, um zu dokumentieren, wie es dort aussah. Damit stieß Lee Miller in einen Bereich der Fotografie vor, der bis dahin vor allem männlichen Kollegen dominiert war.
Sem Stil der Zeit entsprechend: modern, zwischen „neuer Sachlichkeit“ und Freikörperkultur waren Yvas Fotos
Vor Beginn des Zweiten Weltkriegs betrieb auch die Berliner Fotografin Else Ernestine Neuländer, genannt Yva, ein sehr erfolgreiches Fotoatelier, das sich auf Modefotografie spezialisiert hatte. In diesem Atelier war u.a. auch Helmut Newton, der ursprünglich Helmut Neustädter hieß, ausgebildet worden. Wegen ihres Erfolgs glaubte die Jüdin nicht emigrieren zu müssen, erhielt jedoch ab 1938 wegen ihrer jüdischen Herkunft Berufsverbot. 1942 wurde sie schließlich deportiert und vermutlich im Vernichtungslager Sobibor ermordet.
Viele der in den alten Klosterhallen ausgestellten Künstlerinnen waren und sind nicht nur Mode- und Porträtkünstlerinnen. Da sie sich jeweils sehr genau mit den politischen und gesellschaftlichen Umständen auseinandersetzen, sind ihre Fotografien auch deren Ausdruck. Sie dokumentieren das gesellschaftliche Leben in der jeweiligen Zeit und stellen die Frauen in ihren neuen, für den Beruf geeigneten Kleidern dar. Und da in den 1940er-Jahren das Material knapp war, musste auch die Kleidung entsprechend sein, sowohl praktisch als auch haltbar.
Die Zeitschrift Sibylle war Kult fürDDR-Fotografinnen wie Sibylle Bergemann oder Ute Mahler; Foto: Petra Kammann
Das trifft auch auf die Modefotografie aus der Deutschen Demokratischen Republik zu, der eigens eine Abteilung gewidmet ist. Mode fand dort oft im Untergrund statt, was sich zum Beispiel in Kulturmodezeitschrift Sibylle wiederspiegelte, für die Ute Mahler (nach der Wende „Ostkreuz“) und Sibylle Bergemann fotografierten.
Das Mode-Ideal hat sich gewandelt, ist vielfältiger geworden; Foto: Petra Kammann
Und natürlich sind etliche Fotografinnen mehr zu erwähnen wie Bettina Rheims mit ihren randständigen Gender Studies oder Nadine Ijewere, die den Fokus auf Menschen legt, die nicht dem Mainstream entsprechen oder Amber Pinkerton, die sich mit den Streetstyles ihres Heimatlandes Jamaika beschäftigt. Sie bilden auf ihren Fotos andere und neue Idealtypen ab als Claudia Schiffer, die Ellen von Unwerth in den 1980er Jahren als perfekte Mode-Ikone auf ihrem Höhepunkt zeigt.
Man kann in der Ausstellung Stunden verbringen und immer wieder neue Aspekte entdecken.