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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

DAM-Architekturpreis 2022: Lob für Offenheit und Flexibilität

Die diesjährige Auswahl zeigt wieder eine große Vielfalt der Formen

Von Uwe Kammann

Wie sich der Lobestenor aus Jurymund doch ähneln kann. „Ein Projekt, das Gemeinschaft neu definiert und mit ihr eine Architektur, die sich selbstbewusst zurückhält und maximal auf die Bedürfnisse der Nutzer eingeht. Ein außergewöhnliches Beispiel für ein Wohnbauprojekt, in dem man das aktive Leben der Bewohner spürt und Gemeinschaft gestaltet wird.“ So liest sich Beispiel 1 im soliden Jahrbuch für Deutsche Architektur. Beispiel 2 geht so: „Veränderung ist eine Konstante des Lebens. Ob Wohnen oder Arbeiten, Wachsen oder Schrumpfen, Famiie oder WG, hier ist alles möglich. Ein mutiges und spannendes Experiment.“ Und Beispiel 3? „Aus der Architekturgeschichte wissen wir, neue Formen des Zusammenlebens bedingen immer auch neue Formen der Architektur“.

ARGE SUMMACUMFEMMER BÜRO JULIANE GREB , Genossenschaftliches Wohnhaus „San Riemo“, München; Foto: Florian Summa 

Nun, das erste Zitat gilt dem Sieger unterm Siegel des DAM-Preises für Architektur in Deutschland aus dem Jahr 2018. Die letzten beiden Zitate finden sich im gerade erschienenen Band des Deutschen Architektur Jahrbuchs 2022. Und wieder, wie vor vier Jahren, setzte die Jury des Deutschen Architekturmuseums ein Genossenschaftsmodell ganz oben auf das Siegespodest – wobei sich beide Wohnanlagen in München befinden. Ein Zufall? Oder doch Zeichen für eine Vorliebe und eine Vorzugs-Sichtweise der Expertenjury (Vorsitz: Christiane Thalgott), welche aus diesen rund 100 nominierten Bauten schließlich ein Viertel für eine „Shortlist“ auswählte. Vier davon wiederum wurden in einer weiteren Filterfunktion zu „Finalisten“ gekürt – mit dem Genossenschaftshaus als Bestem der Besten.

In den drei Jahren dazwischen war die Wahl auf zwei Kulturbauten gefallen (den von Grund auf neu gestalteten Kulturpalast in Dresden und die neue Eingangsgalerie auf der Museumsinsel in Berlin) und ein witzig-freches Misch-Objekt (Arbeiten, Sport, Freizeit, Gastronomie) in einem transformierten Münchner Industrieviertel. Dass in so kurzem Abstand zwei in ihren Praxis-Ambitionen flexibel zu nutzende, mit Offenheit und Freiheit verschiedener (Zusammen-)Lebensformen werbende Wohnanlagen den Höchstbeifall der Juroren fanden, spricht schon für eine klar zu erkennende Denkrichtung, auch für eine deutlich ausgeprägte begleitende Sympathie: Es soll um eine Neuorientierung gehen, um Modellhaftes, um das ganz praktische Aus-Leben gemeinschaftlicher Formen, um eine Überwindung der gewohnten (und in der Regel sehr gewöhnlichen) Standards im städtischen Wohnungsbau.

Dieser starke Akzent auf bestimmten (und nicht alltäglichen) sozialen Qualitäten zeigt sich in diesem Jahr selbst auf dem Titelbild des Architektur-Jahrbuchs (erschienen wieder bei DOM publishers). Denn wir können uns dieses Mal kein (halbwegs repräsentatives) Gesamtbild vom Siegerbau (ARGE SUMMACUMFEMMER BÜRO JULIANE GREB) machen, sondern erleben im kleinen Ausschnitt, wie es dort in einem vorgehängten Wintergarten aussieht, mit allem Krimskrams, den Bewohner in ihrem Umfeld bevorzugen (in Fotos des Innenteils immerhin zeigt sich eine interessantere, großflächige Gitterstruktur).

ARGE SUMMACUMFEMMER BÜRO JULIANE GREB , Genossenschaftliches Wohnhaus „San Riemo“, München; Foto: Florian Summa

Leicht könnte man den Verdacht haben, mit der „leisen Architektursprache“ (Juror-Urteil) sei es nicht so weit her, und auch die weiteren Fotos mit Außenansichten bestätigen eher nicht, dass es sich hier um ein „Haus mit Charakter“ (Juror) handelt, ebenso wenig eines, das „städtische Dichte“ hervorbringt. Da schien, wenn denn die mediale Anschauung nicht trügt, der 2018er Bau weitaus überzeugendere Qualitäten aufzuweisen, sowohl in der Behandlung der Volumen, dem spannungsreichen Ausbalancieren der einzelnen Teilbereiche als auch der Gestaltung Fassaden und kleinerer Details.

Doch das, so legen auch die begleitenden Texte nahe, war nicht das Hauptaugenmerk der Jury. FAZ-Architekturkritiker Matthias Alexander wählte in seiner Besprechung des diesjährigen DAM-Preises eine diese formale Bescheidenheit spiegelnde feine Ironie: „Spröder Wohnen“. Und moniert zu Recht: Wenn die Fassadengestaltung des sechsgeschossigen Baus mit weißem Wellblech und ebenso gewellten Polycarbonatplatten von der Jury als „heiter“ gelobt werde, dann sage das mehr aus über das monotone Umfeld der bisherigen Neubauten auf dem ehemaligem Münchner Flughaften Riem als über die ästhetischen Qualitäten des Siegergebäudes (das übrigens, wie lustig, San Riemo getauft wurde).

Wie widersprüchlich-gegenläufig die Urteile bei einem weiteren Finalisten ausfallen können, das zeigt sich geradezu exemplarisch bei einem Gebäude, das in jeder Hinsicht auftrumpfen möchte – als drittes Arbeitshaus des Springer-Konzerns, gleich gegenüber den beiden Hochhäusern aus zwei früheren Epochen. Wobei die erste Phase auch ein politisches Bekenntnis war: Am Kopf des goldfarbenen Baus, unmittelbar an der Mauer, strahlte der Konzern per Leuchtschrift Nachrichten in den östlichen Teil Berlins. Der zweite, schlankere Turm erhielt eine kühle Silberfassade, gehörte zur Bekenntnis-Architektur des des coolen Technokratismus.

OFFICE FOR METROPOLITAN ARCHITECTURE (OMA), Axel-Springer-Neubau, Berlin, Foto: Laurian Ghinitoiu

Und jetzt, dritter Schritt, steht gleich gegenüber, nur durch eine Straße getrennt, ein Monolith, der die übliche Traufhöhe (22 Meter) des umliegenden früheren Pressequartiers um das Doppelte übertrifft. Auf einer Seite kleidet sich dieses vom Office for Metropolitan Architecture (jeder verbindet mit dem Kürzel sofort Rem Koolhaas) entworfene monumentale Ausrufezeichen in schwarzes Glas. Auf der anderen Seite reißt es in einer diagonalen Raumgeste sein Maul auf, bis zur Oberkante. Das Innere wird vor Regen und Wind geschützt durch einen Glasvorhang, den ein dreidimensional ausgelegte Gitterwerk trägt, was zu einer visuellen Dauerbewegung mit kristallinen Effekten führt.

Wow, sollen die Betrachter und Besucher dieses Koolhaas-Springer-Werkes sagen, wie spektakulär ist das denn! Wow, sollen die darin arbeitenden Angestellten (und temporär Zuarbeitenden sagen), hier haben wir endlich unsere Spiel-, achnein, unsere Arbeitswiese, konzipiert für ein glückliches 3000er-Team. Hier klemmen wir den Klapprechner unter den Arm, gehen mit diesem ultimativen Work-Tool spazieren, suchen uns auf einer der abgetreppten unteren Ebenen einen Platz, fläzen uns auf Kissen, genießen den über vierzig Meter hohen Luftraum über uns als höchsten (anregenden?) Luxus, gruppieren uns zu Arbeitseinheiten. Und bei alldem sind wir dann ungeheuer kreativ – und produktiv natürlich auch. Individuell und im Kollektiv, versprochen ist versprochen.

OFFICE FOR METROPOLITAN ARCHITECTURE (OMA), Axel-Springer-Neubau, Berlin, Foto: Laurian Ghinitoiu

In einer hochgehievten Glasbrücke als durchgehendem Studio lassen sich die Fernsehleute des Konzerns bei der Arbeit zugucken, ob gern oder lieber nicht, das interessiert einen Architekten wie Koolhaas eher nicht. Er verbreitet mit arrogant wirkender Emphase das Vokabular des als zwanglose Offenheit buchstabierten Fortschritts, stattet die neue Arbeitswelt mit dem nötigen New-Flow-Überbau aus, konstruiert aus einem rhetorischen Management-Baukasten genau jene Zukunftseuphorie, die Konzernchef Döpfner bei allen Gelegenheiten emphatisch nachgebetet hat – und die auch die Jury lesbar in den Bann geschlagen hat. Bemerkenswert immerhin, dass DAM-Direktor Peter Cachola Schmal in seinem fast schwärmerischen Begründungstext für den Finalistenrang des Springer-Setzlings doch einige relativierende Abers eingebaut hat, beispielsweise, was den hinsichtlich der Grundfigur deplatzierten Haupteingang betrifft.

Aber das Aufgeblasene dieses Baus, sein präpotentes Modernitätsgehabe, mit dem er die Arbeitswelten der Zukunft definieren will: das und anderes mehr nimmt ein paar Seiten weiter der Architekturkritiker Falk Jaeger in seinen kritischen Blick. Er steuert in diesem Jahr den obligatorischen Essay zum Jahrbuch bei, nimmt damit, wenn man so will, die Libero-Position ein. Er kann also ganz unabhängig von all’ den Experten und Juroren, die erst an der Hunderter-Auswahl für die Longlist, dann an der Shortlist und schließlich an der Feinauswahl der Finalisten mitgewirkt haben, seine Sicht der Dinge – der Tendenzen, der Theorien – darlegen.

Und da kommt er angesichts der allgemeinen Loblieder – speziell was Bürobauten angeht –, also angesichts der Loblieder auf Flexibilität, offene Räumen (schicker: open spaces), Wohlfühlfaktoren, Effektivität, Nomadenbüros, Transparenz, Aufenthaltsoptionen, Werkstattatmosphäre, Kontaktfreude, Kommunikation (um ein paar Schlagworte zu nennen) zu einer sehr kritischen, eher negativen Einschätzung der ausgerufenen Trends. Kurz: Er sieht darin vor allem einen Hype. Befördert und propagiert von jungen Firmen (nicht zuletzt in Sachen Neue Medien und Digitalisierung unterwegs), die auf Innovation setzen (bei rascher Korrektur im Falle von Irrwegen), die mit besonderen Räumen und Angebote auch um Mitarbeiter konkurrieren. Ein Werbeetikett dabei: Premium. Und eine Muss-Eigenschaft: Innovation.

All das sieht er gesteigert im Springer-Neubau (Anspruch: „Gebautes Internet“). Und lässt dann die Luft aus dem Ballon: „Vielleicht sollte man die blumigen Metaphern zu Beton und Glas gewordener Virtualität nicht ganz so wörtlich nehmen und das Haus einfach nur als eines der signature buildings verstehen, die heute Konzerne bei Stararchitekten ordern, um damit um Aufmerksamkeit und Bedeutung zu wetteifern.“ Sprich: Auch hier geht es nur um den Bilbao-Effekt, dem ein passender Überbau zugemessen wird.

Dann fragt man eben auch nicht, was der gigantische Luftraum über der Laptop-Gemeinde – allen Ökoversprechen zum Trotz – an Energie für Heizung und Kühlung verlangt. Dann vergleicht man schon gar nicht, ob der Bürobrocken sich gut ins einstige Presseviertel einfügt. Dann vergisst man den Modell-Nukleus der niederländischen Botschaft, die Koolhaas früh in Berlin gebaut hat. Dann erwähnt keiner mehr die Terrassenräume mit Menschenmaßstab, mit denen Scharoun seiner Staatsbibliothek am Kulturforum ein völlig neues Konzept von Mobilität und Offenheit eingezogen hat. Und dann ist auch die Kritik am Stargehabe und –status weit entfernt, mit der am selben Kulturforum Herzog & de Meuron dessen stadträumliche Qualitäten per Scheunengestus (sie nennen es „Ur-Haus“) zerstören.

Eine viel zu lange Betrachtung an dieser Stelle? Vielleicht. Doch scheint sie angebracht, um ein wenig Wasser in den Wein bei der Auswahl zweier Finalisten, darunter des Siegers, zu schütten. Vielleicht sollte man beim Lobpreis von Kernmaximen wie Innovation, Offenheit und Flexibilät – unabhängig, ob es um Wohnen oder Arbeiten geht – doch auch andere Kriterien nicht vergessen. Warum, so eine immer wieder gestellte schlichte Frage, sind Gründerzeitviertel mit ihren doch eher standardisierten Wohnungen in festen Mauern so begehrt? Warum fühlen sich immer noch viele Mitarbeiter (eigene Empirie, Umfragen, Studien) in Büros wohl, die auch Intimität und hohe Konzentration erlauben, dazu auch in Maßen eine eigene Gestaltung, inklusive Materialien und {soll’s geben) von Krimskrams? Was ja gemeinschaftliche Räume verschiedener Größe und Funktion nicht ausschließt.

BURGER RUDACS ARCHITEKTEN, John Cranko Ballettschule, Stuttgart, Foto: Brigida González

Aber gut, darüber mag die Zeit hinweggehen. Dass die bunte Mischung von Lebenssedimenten nicht wenigen Architekten ein Dorn im Auge ist und sie einen Purismus bis zur Rigidität bevorzugen, ist vielerorts zu sehen. Das schönste Beispiel dafür (und ein sehr überzeugendes dazu) ist in der gegenwärtigen Auswahl des DAM-Preises sicher die neue Ballettschule in Stuttgart, benannt nach dem Pionier dieser berühmten Kultureinrichtung, John Cranko. Es ist ein abgestufter Bau, dessen Baukörper sich der Hanglage (Höhenunterschied: 21 Meter) in idealer Anordnung und Rhythmisierung anpassen. Noch wirken die scharfkantigen Kuben mit ihren ultraglatten Betonwänden (und nur wenigen Fensterausschnitten) perfekt. Ob sie den Witterungseinflüssen widerstehen, welche den Anfangszauber der solcherart raffiniert gesteigerten Abstraktion standhalten werden? Die Fotos allerdings vermitteln derzeit eine pure Lust an eleganter Gestaltung (auch innen) dieses Baus (Burger Budacs Architekten), der sicher zu Recht wegen seiner sichtbaren Qualitäten als Finalist gekürt wurde.

FLORIAN NAGLER ARCHITEKTEN, Forschungshäuser Bad Aibling, Bad Aibling, Foto: Schels Lanz PK Odessa

Solche Attraktion bieten die drei „Forschungshäuser“ nicht, die von Florian Nagler Architekten in Bad Aibling gleich nebeneinander in ganz ähnlicher Form verwirklicht hat, in einer eher schlichten Formensprache (Rundbogenfenster sind da fast schon extravagant), vor allem aber unter einer gemeinsamen Fragestellung: Wie lässt sich heute „einfach“ bauen, um gesellschaftlichen Bedürfnissen zu entsprechen, die natürlich auch mit Bezahlbarkeit, mit Nachhaltigkeit, also mit Kreislaufwirtschaft und Materialgüte zu tun haben? Bei den Forschungshäusern sollen solche Fragestellung auch mit Messdaten erhoben werden, in einer „Verzahnung zwischen Forschung und Realität“, wie es heißt. Dann sollte sich auch herausstellen, welche Bauweise welche Vorteile bietet: ob aus Holz, aus Leichtbeton oder aus Ziegel. (Übrigens: Inzwischen scheint eine massive Ziegelbauweise wieder viele Freunde zu gewinnen, weil sie ohne großen technischen Nebenaufwand spürbar klimatische Vorteile aufweist.)

Ansonsten gilt, was auch schon in den Vorjahren überdeutlich war: Das Baugeschehen in der Deutschland ist von großer Vielfalt geprägt, auch in den verschiedenen Großbereichen der Aufgaben und Typologien. Also vom Wohnen über Arbeiten und Funktionsbauten (wie für den Verkehr, hier sind Brücken vertreten) bis zu den kulturellen Institutionen. Eine einfache, traditionelle Sprache in den Grundformen (wie das Satteldach in verschiedenen Neigungen, ganz rein und klassisch ausgeprägt bei der Flussmeisterstelle Deggendorf – bogevischs buero & Stadtplaner – und einem landschaftseingebetteten Schulzentrum im schweizerischen Azmoos) ist ebenso zu finden wie Extravagantes. Das allerdings ist in diesem Preisjahr (für Bauten in der Kernzeit 2020) in der Shortlist nicht so häufig zu finden. (Ein kleines Wunder: Auch das vielen Architekten verhasste Berliner Humboldt-Forum in der Interpretation von Franco Stella und der vielerorts auch wegen seiner strengen Architektursprache umstrittene gmp-Flughafen BER hatten es immerhin auf die Longlist geschafft.)

 BOGEVISCHS BUERO ARCHITKTEN & STADTPLANER Flussmeisterstelle, Deggendorf , Foto: Rainer Taepper 

Spektakulär ist natürlich ein Großbau wie der Kö-Bogen 2, mit dem Ingenhoven Architects den Gründgens-Platz in Düsseldorf neu gefasst hat: Zur 50er Jahre-Ikone des immer noch hocheleganten Dreischeibenhauses und des direkt benachbarten, heiter ausschwingenden Theaters von Bernhard Pfau gesellt sich jetzt, als gegenüberliegender Kontrast, ein abgeknickter Terrassenbau, dessen zum weißen Schauspielhaus weisende Fassade komplett aus exakt beschnittenen Hainbuchenhecken besteht. Über eine daneben angeordnete, angeschnittene Viertelpyramide mit einer Grasdecke hat der Architekt eine klare Sichtschneise angelegt – das Ganze fungiert als künstliches Tal.

Ebenso spektakulär ist der Düsseldorfer Lokalmatador bei den drei für die Shortlist ausgewählten Bauten deutscher Architekten im Ausland vertreten: mit einem Hochhaus in Tokio, das urbane Begrünung in hocheleganter Form interpretiert – mit einladender Wirkung, die sich speziell dem breiter gelagerten, dann sich verjüngenden Sockel verdankt. In der Longlist übrigens hat Ingenhoven einen weiteren Platz erobert: mit der Sanierung des schon erwähnten Düsseldorfer Schauspielhauses. Die sichtbarste äußere Veränderung dabei: das vorher bronzierte Glas um das ebenerdige Foyer durch Klarglas zu ersetzen. Der Transparenz-Effekt ist verblüffend (ähnlich übrigens wie bei der nun klaren Glasfassade der Neuen Nationalgalerie in Berlin).

INGENHOVENARCHITECTS, Kö-Bogen II mit Sanierung Düsseldorfer Schauspielhaus, Düsseldorf, Foto: ingenhoven architects/HGEsch

Außergewöhnlich attraktiv: Dieses Prädikat verdient vor allem zwei Projekte von Behnisch Architekten. Das eine ist ein Schulcampus in Bernhausen von Behnisch Architekten, ein trotz seiner Größe heiteres, helles und großzügig terrassiertes Haus mit horizontalen Brüstungslinien. Das andere ist die neue Adidas Sportarena, im Jahrbuch als „Landmark Buildung“ bezeichnet – ein in den Proportionen flach wirkender (tatsächlich gar nicht so kleiner) Quader, der über einem Luftgeschoss von Diagonalstützen getragen wird und durch eine filigrane Sonnenschutzstruktur eine sehr markante Hülle bekommen hat {wie plump wirkt demgegenüber die Grobstrickfassade von Teherani am Eschenheimer Turm in Frankfurt). Zu den eleganten Erscheinungen gehört ebenfalls ein Logistikzentrum, bei dem auch die Verwaltung unter einem großen schwebenden Dach Platz findet (haascookzemmrich STUDIO2050). Wenn so etwas doch Schule machen könnte …

INGENHOVEN ARCHITECTS , Toranomon, Tokio (Japan), Foto: ingenhoven architects/HGEsch

Vieles gäbe es noch zu erwähnen. So die vielfach bewiesene Vorliebe für Ziegel. Mit einer Longlist-Kuriosität: ein Gründerzeithaus in Chemitz wurde vom Putz zugunsten des Ziegeleffekts ‚befreit’ – und wirkt in der Putz-Reihe der Straße merkwürdig falsch und fremd. Oder das postmoderne Aufhübschen eines schlichten 50er-Jahre-Reihenhauses mit Rundfenster, Eingangstür-Spitzgiebel und grüner Froschreminiszenz.  Das  wird außer der Jury nicht alle Betrachter überzeugen können.

Doch ein solcherart garantierter Knalleffekt (an unscheinarer Stelle) ist nicht das Hauptmerkmal des diesjährigen DAM-Architekturpreises. Er verleitet zum Studium der Vielfaltigkeit, des Nebeneinanders von relativ jungen Büros mit den Namen der Arrivierten und ihren schnell erkennbaren Handschriften: wie beispielhaft Chipperfield mit seinen Jacoby Studios in Paderborn oder Arno Lederer (der in Frankfurt das Historische Museum gebaut hat) mit seiner Landesbibliothek in Stuttgart. Auffällig ist – und dies nun schon wiederholt –, dass im Norden und in der Mitte Deutschlands für die Shortlist-Jury der Befund vorherrscht, in Sachen besonderer Architekturqualität ziemlich verwaist zu sein. Berlin, Bayern und Baden-Württemberg können dagegen punkten. Nichts als Zufall?

Neubau Museum für Volkskunde Molfsee Architektur, ppp Architekten + Stadtplaner GmbH www.ppp-architekten.de

Wie auch immer: Der DAM-Preis lehrt sehen. Womöglich auch verstehen. Und er regt an, in vielerlei Hinsicht. Wir dürfen gespannt sein, wo noch überall viel Luft nach oben zu entdecken ist. Ob irgendwann auch das schon lange avisierte neue Münchner Konzerthaus dabei sein wird? Eine verblüffende Formähnlichkeit ist diesmal schon vorhanden: mit den äußerlichen Sarkophag-Anklängen des Freiluftmuseums Molfsee (ppp architekten + stadtplaner). Von innen vermitteln die steilen Dachkonstruktionen eine hohe Ausstrahlungskraft. Lassen wir uns überraschen.

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Die Ausstellung zum DAM-Architekturpreis ist noch bis zum 27. März zu sehen. Mit großformatigen Fotos, Plänen und Modellen erlaubt sie natürlich eine wesentlich genauere Anschauung. Weil das angestammte Haus des Deutschen Architekturmuseums am Schaumainkai derzeit renoviert wird, residiert das DAM für voraussichtlich zwei Jahre in einem Ausweichquartier im Frankfurter Ostend (Henschelstraße 16A, 60314 Frankfurt am Main).

Online wird der Preis ausführlich über die Seite dam-preis.de vorgestellt. Alle Nominierungen finden sich dort unter https://www.dam-preis.de/de/107/dam-preis-2022/nominierungen/. In Druckform finden sich die Objekte der Longlist im „Architekturführer Deutschland 2022“ (DOM publishers, 28 Euro). Die Siegerobjekte, die übrigen Finalisten und die Objekte der Shortlist werden im „Deutsche Architektur Jahrbuch 2022“ ausführlich vorgestellt (DOM publishers, 38 Euro). Das Buch enthält außerdem einen Essay zu gewandelten Vorstellungen beim Büro, ein Interview zu Tendenzen und Möglichkeiten der Bau-Begrünung und einen ausführlichen Informations- und Serviceteil. – Partner des DAM beim Architekturpreis ist seit fünf Jahren die auf designorientierte Gebäudetechnik (wie Licht, Beschattung, Klima, Türkommunikation) spezialisierte Firma Jung.

 

 

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