Eine Ausstellung in der Margit-Horváth-Stiftung in Mörfelden-Waldorf
Vom 80. Jahrestag der Wannsee Konferenz am 20. Januar 2022 bis zum internationalen Holocaust Gedenktag am 27. Januar
Ein kleiner Einblick von Petra Kammann
Eine Ausstellung in der Gedenkstätte der Margit-Horváth-Stiftung zeigt anhand von zwei Beispielen, was die Zielsetzung der Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942 vor 80 Jahren bewirkte, und zwar am individuellen Beispiel der aus Mörfelden stammenden Familie Oppenheimer-van Bingen, die nach der Emigration in die Niederlande, von dort aus unmittelbar in das KZ Sobibór deportiert wurde. Daneben bekommt man einen Begriff davon, was es für die jungen ungarischen Jüdinnen bedeutet haben mag, in der KZ-Außenstelle Walldorf inhaftiert zu sein und wie heutige junge Studentinnen darüber denken.
Als am 27. Januar 1945 Soldaten der Roten Armee das KZ Auschwitz befreiten, waren damals dort nur noch 7.000 Gefangene am Leben. Um die 1,1 Millionen Menschen waren dort insgesamt ermordet worden. Im August 1942 waren von Auschwitz-Birkenau ungarische Frauen direkt in die KZ-Außenstelle nach Walldorf transportiert worden, wo 1.700 junge ungarische Jüdinnen inhaftiert waren. Ende November wurden sie dann entkräftet in das KZ Ravensbrück deportiert. Zu Kriegsende haben in der KZ-Außenstelle Mörfelden-Walldorf von den einst 1.700 Mädchen und jungen Frauen lediglich 330 überlebt.
In den vergangenen Jahrzehnten haben sich viele Menschen aus dem einstigen Arbeiterviertel Mörfelden-Walldorf um die Aufarbeitung der Geschichte dieses Lagers gekümmert, etliche Ausgrabungen gemeinsam mit Jugendlichen durchgeführt und viele Kontakte zu Überlebenden des Lagers geknüpft und zu deren Familien weiterausgebaut bis hin zu den Enkeln. Freigelegt wurden die Mauerreste von jungen engagierten Menschen des In- und Auslandes in ihrer Freizeit.
Cornelia Rühlig, Vorsitzende der Margit-Horváth-Stiftung, erläutert die Geschichte der Mörfelder Familien, die nach Auschwitz kamen; Foto: Petra Kammann
Dabei ist auch ein Ort für junge Menschen entstanden, die sich heute mit Fragen der gesellschaftlichen Diskriminierung von Minderheiten beschäftigen wollen. So verweisen die Mauerreste im unteren Geschoss des heutigen Gebäudes auf die ehemaligen Kellerräume unter der Küchenbaracke, in der 1944 inhaftierte junge Mädchen und Frauen, die häufig schwer geprügelt wurden. Viele von ihnen waren zwischen 15 und 17 Jahren. Eine der inhaftierten Frauen, die Näherin Rószi Klein, wurde sogar zu Tode geprügelt, war auf einem Schild zwischen den Steinen zu lesen. Vermutlich waren es mehrere.
Eine der inhaftierten Frauen war im Keller der Küchenbaracke zu Tode geprügelt worden; Foto: Petra Kammann
Für die junge Generation von heute sind die fortwirkenden Traumata auch der Überlebenden und ihrer Kindeskinder oftmals unvorstellbar fern. Zur Eröffnung der aktuellen Mörfelder Ausstellung, die am 27. Januar zum Holocaust-Gedenktag endet, waren daher zwei junge Studentinnen, Vertreterinnen dieser Generation, gekommen, um über ihre persönliche Erfahrung zu sprechen, darüber, welche Wirkung es für ihr Leben hatte, dass sie Sobibór, das deutsche Vernichtungslager im besetzten Polen, besichtigt haben, wo schätzungsweise 250.000 Juden und Roma ermordet worden waren. Die beiden Studentinnen waren schockiert, hatten ihre Erfahrungen im Tagebuch festgehalten und beschäftigen sich seither damit, anderen davon zu berichten.
Das Todeslager von Sobibór. Hierher wurde Trude am 8. Juni 1943 umgebracht und verbrannt; Foto: Petra Kammann
Dieses scheinbar endlose Meer an Steinen wie auf dem Foto sichtbar, wo hinter jedem einzelnen Stein, eine individuelle Geschichte steht, hatte sie zunächst – darin waren beide sich ganz einig – völlig aus dem Gleichgewicht geworfen. Außer einem Schornstein in der Ferne wies nichts mehr auf das Schicksal der Menschen oder irgendeine Tätigkeit hin. Es war wie die Vorstellung von der totalen Auslöschung menschlichen Lebens, die beide beim Besuch in der Vernichtungsstätte aus der Fassung gebracht hatte. Hier liegen, verstreut auf dem Boden die Listen mit den Namen. Theoretisch wussten sie eigentlich schon, was auf sie zukam, weil sie zuvor bereits andere Gedenkstätten besucht und den Schluss für sich daraus gezogen hatten: Nie wieder!
Und weiter: wir müssen unsere Erfahrung mit dem Grauen weitergeben, damit so etwas nicht mehr passiert. Und hier vor Ort nun wurde dieses Gefühl im Anblick des großen, in der Gedenkstätte ausgestellten Fotos von Sobibór, wir müssen unsere Erfahrung weitergeben, wieder präsent. Maria, deren Eltern von Pakistan nach Deutschland geflüchtet waren, konnte sich der Tränen nicht erwehren, weil sie spürte, was es für ihren kürzlich verstorbenen Großvater bedeutet haben mag, dass seine Kinder aus allen vertrauten Zusammenhängen gerissen wurden, abgesehen von der Sorge um das Leben in der ungewissen Zukunft in einem anderen, weit entfernten Land. Das sei ihr gerade beim Anblick dieses Steinfeldes noch einmal schmerzlich bewusst geworden, nun nicht mehr mit einem in ihrer Kindheit nahen Menschen wie dem vertrauten Großvater kommunizieren zu können.
„Passt bitte auf meine Puppe auf, bis ich zurück bin“, sagte die noch strahlende 11-jährige Trude Oppenheimer-van Bingen, zu ihrer Freundin kurz vor ihrer Deportation
Ausgestellt in der Gedenkstätte sind Dokumente und Gegenstände der aus Mörfelden stammenden jüdischen Familie Oppenheimer-van Bingen, die zunächst in die Niederlande nach Rijssen emigriert war und von dort aus in das KZ Sobibór deportiert wurde. Die gerade mal 11-jährige Tochter Trude, deren Puppe nun stellvertretend im Zentrum der Ausstellung steht, durfte ihr damaliges heißbeliebtes Spielzeug nicht mitnehmen. Ein für sie sicherlich emotional besonders schmerzlicher Verlust. Aber glücklicherweise hatte ihre Freundin sie für sie aufbewahrt. Im Hintergrund der Puppe und des Foto-Porträts der ganz optimistisch dreinblickenden Trude ist der Weg, den die Gefangenen von der Rampe am Bahnhof bis zu den Gaskammern gehen mussten, symbolisch angezeigt. Ein anrührendes Bild, das man so leicht nicht vergisst!
Und welche architektonische Idee steckt in dem ungewöhnlichen und eindrucksvollen Zentrum? Wie wurde die Geschichte dieses Lagers aufgearbeitet? Zu welchen Themen wird heute dort gearbeitet? Welche Rolle spielen dabei aktuelle Formen des Antisemitismus? Hier, in der Gedenkstätte bekommt das Grauen jeweils ein Gesicht und eine Ahnung wird vermittelt, was es für die dahinter stehenden Menschen bedeutet haben mag.
Roberto Fabian, Leiter der jüdischen Volkshochschule Frankfurt und Direktor der Mendelssohn-Bartholdy-Schule in Sulzbach; Foto: Petra Kammann
Dazu führt der Leiter der jüdischen Volkshochschule Frankfurt und Direktor der Mendelssohn-Bartholdy-Schule in Sulzbach, Roberto Fabian, am 27. Januar 2022 zwischen 14:00 und 15:00 Uhr ein Online-Gespräch mit Cornelia Rühlig, der Vorsitzenden der Margit-Horváth-Stiftung, außerdem mit Katja Schüler, der Enkelin einer Überlebenden der KZ-Außenstelle Walldorf. Daran kann man jeder und jede online teilnehmen. Die Teilnahme ist kostenlos.
In dieser Gedenkwoche , zwischen dem 20. und 27. Januar, gibt es in der Gedenkstätte außerdem täglich jeweils eine Lesung um 18 Uhr des Buches “Die Zertrennung” von Salmen Gradowski. Gradowski war im sogenannten “Sonderkommando” in Auschwitz-Birkenau, d.h. zur Arbeit in den Gaskammern und Krematorien, eingesetzt. Er war auch einer der Anführer des Aufstandes dieses Sonderkommandos gegen die SS am 7. Oktober 1944 und wurde dabei getötet. Harte Fakten haben lange Wirkungen. Und sie lassen sich nun einmal nicht verdrängen.
Bemerkenswert, wie die Ausstellung in Mörfelden einen Bogen schlägt von historischen Ereignissen wie der Wannseekonferenz hin zu einem konkreten berührenden Gesicht, zur individuellenGeschichten einer einzelnen Person, so dass die Erinnerung an die Vergangenheit, zu denen es kaum mehr Zeitzeugen gibt, greifbare Konturen bekommt und an unser Mitgefühl appelliert.
v. l.n.r.: Thomas Winkler, Bürgermeister von Mörfelden-Walldorf, Emil Mangelsdorff, die Frankfurter Musikerin und Autorin Donata Elschenbroich, Cornelia Rühlig
P.S. Nach Redaktionsschluss erreichte uns die traurige Nachricht vom Tod des Frankfurter Jazzmusikers Emil Mangelsdorff (96), der noch am 10. Oktober 2021 anlässlich des 5-jährigen Bestehens der Gedenkstätte, einer Veranstaltung mit Kinder und Kindeskindern von ehemaligen Inhaftierten, die aus Norwegen, USA und Frankreich eigens angereist waren, dort gespielt und von seinen Erlebnissen in der NS-Zeit erzählt hatte.
Ein Nachruf wird folgen.
Adresse:
Gedenkstätte Margit-Horváth-Stiftung
Familie-Jürges-Weg 1
64546 Mörfelden-Walldorf
Die Ausstellung endet am 27. Januar 2022.