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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Neues Leben in alten Gemäuern – Das Graue Haus am Rhein

Stilsicher und stimmungsvoll, gehoben, aber nicht abgehoben

von Petra Kammann 

In Oestrich-Winkel war es einst das Stammhaus der Familie Greiffenclau, deren Stammbaum bis zum Jahr 1097 zurückverfolgt werden kann, das Graue Haus. Bis 1330 diente es der Familie wohl als Wohnsitz, später dann als Wohnhaus für die Beschäftigten von Schloss Vollrads. Viele Jahre lang lag das charakteristische romanische Gebäude, das auch einmal ein Sterne-Restaurant mit Egbert Engelhardt beherbergte, im Dornröschenschlaf. Doch nun können Rheingau-Liebhaber und Gourmets hier wieder auf ihre Kosten kommen und sich verwöhnen lassen…

Blick vom Grauen Haus auf die Rheinpromenade; Foto: Petra Kammann

1964 hatte der damalige Besitzer Erwein Graf Matuschka-Greiffenclau nach einer Brandkatastrophe mit Hilfe des Landes Hessen, des Rheingau-Taunus-Kreises und der Stadt Oestrich-Winkel das Graue Haus zum Gourmet-Restaurant ausgebaut. Und die berühmten Bogenfenster in einem Raum wurden durch die Initiative Matuschka-Greiffenclaus zum Symbol für die Rheingauer Charta-Weine. Nach dessen Freitod 1997 wurde es allerdings dann still im Grauen Haus. Die Immobilie hatte mehrfach den Eigentümer gewechselt, zuletzt gehörte sie dem Wiesbadener Unternehmer Klaus Bochmann bzw. seiner Stiftung, der es sanierte und zur Akademie ausbauen und schließlich verkaufen wollte.

Der Wiesbadener Unternehmer Dr. Manuel Stirn; Foto: Uwe Kammann

Das kam einem anderen Wiesbadener Unternehmer zu Ohren: Dr. Manuel Stirn, dessen Lebensmittelpunkt zuletzt das „Trüffel“ in der Landeshauptstadt war. Er hatte dort vor über 30 Jahren einen Fein­kostladen mit Bistro, Restaurant, inklusive Hotel zu einem veritablen Gourmet-Familien-Im­perium auf- und ausgebaut.

Einerseits wollte er, als er in Rente ging, „leiser treten“, hatte auch schon die Wiesbadener „Trüffel“-Gourmet-Locations in die Hände seiner Familie gegeben. Seiner Frau Cristina und der Tochter Carolina hatte er inzwischen das begehrte Feinkostgeschäft und das Catering anvertraut, seinem Sohn Martino das Restaurant, das jetzt „Martino Kitchen“ heißt. Manuel Stirn war es dann also, der im April des vergangenen Jahres in Oestrich-Winkel das legendäre Graue Haus, ein unvergleichliches Kulturdenkmal, erworben hat, um es neu zu „bespielen“.

Denn er hatte sich in dieses historische Gemäuer, um das sich – wie in der Rhein-Romantik um die Burgen – viele Legenden ranken, verliebt. Und sehr wohl kann er sich noch an die großen Zeiten des Grauen Hauses erinnern. Jetzt, da es zum Verkauf stand, wollte er seinen Traum von einem solch bedeutenden historischen Gebäude wahrmachen.

Das historische Gemäuer des „Grauen Hauses“ in  Oestrich-Winkel, Foto: Petra Kammann

„Vielleicht bin ich verrückt“, sagt er. „Ja, wirklich, ich bin verrückt nach diesem wundervollen Ort. Aber er verdient es, dass endlich wieder Leben in die alten Mauern einzieht, dass wieder Gläser mit frischem Riesling hier klingen und Menschen sich treffen, um gemeinsam eine schöne, genussvolle Zeit zu verbringen“. Also hat er es im vergangenen April gekauft und gleich Nägel mit Köpfen gemacht.

Stirn selbst hatte vor vielen Jahren im geschichtsträchtigen Italien studiert und dort die mediterrane Lebensart kennen und lieben gelernt. Seine Frau Cristina ist Italienerin, auch seine beiden Kinder tragen italienische Vornamen. Ein solches Anwesen zu besitzen, machte ihn stolz und er ging hochmotiviert die Sache an. Natürlich erinnert sein Neukonzept des Grauen Hauses an das renommierte Wiesbadener Feinkostunternehmen „Trüffel“. Kein Wunder, steckt dahinter doch auch viel professionelle Erfahrung und Know How, die er in Östrich-Winkel bestens übertragen konnte.

Blick vom Restaurant durch die romanischen Bögen auf den Rhein, Foto: Petra Kammann

Im Grauen Haus traf Stirn zudem – wie er selbst sagt – auf einen guten baulichen Zustand, so dass vor allem „nur“ das Innenleben neu gestaltet werden musste. Dabei grenzt es dennoch an ein Wunder, dass er nach der inneren Kernsanierung ab Juli nun schon im November nach gerade mal fünf Monaten eröffnen konnte. Immer mit dem Ziel vor Augen, einen kulinarisch qualitätvollen Treffpunkt für Genießer verschiedenster Couleur und sozialer Herkunft zu schaffen, frei nach dem Motto:

„Gehoben, aber nicht abgehoben“ und stets unter Berücksichtigung des Denkmalschutzes. Für Stirn muss es bei einem hochwertigen und gut durchdachten multifunktionalen Gastro-Konzept nicht unbedingt eine Sterneküche sein. Zurückgreifen und bauen konnte er im dazu passenden Innenausbau und bei der konsequenten Gestaltung auch auf die lange Zusammenarbeit mit der Innenarchitektin Birgit Bals (Bals + Wirth).

Auch für den kleinen Hunger zwischendurch kann man sich an der Feinkosttheke etwas aussuchen und vor Ort verzehren; Foto: Petra Kammann

Im vorderen Bereich laden inzwischen ein Café bzw. eine Vinothek zum Stöbern, Schnabulieren und Verweilen ein. In dem Feinkostshop findet man aus eigener täglich frischer Herstellung, köstliche ausgesuchte Schinken-, Wurst- und Käsesorten sowie feinste Öl- und Essigprodukte, Feinkostsalate, besondere Brotsorten und etliches mehr. Neben dem Delikatessenverkauf, den delikat zubereiteten Fleisch-, Fisch- und Wildprodukten gibt es hier auch erstklassigen Wein zu kosten.

Ausgewählte Weine kann man hier auch kosten; Foto: Uwe Kammann

Da bietet die Wein- und Spirituosen-Abteilung eine besondere Auswahl von sorgfältig zusammengestelltem Wein, Champagner und Cognac – meist aus Italien, Frankreich und Spanien neben vielen anderen Spezialitäten, Aperitifs und Digestifs an.

Bei seiner Auswahl setzt Stirn daneben auch auf die traditionelle Verbindung zu den Charta-Winzern von heute. Und deshalb gibt es im Grauen Haus dafür eine Extra-Charta-Weinkarte.

Im Bistro mit den 18 Plätzen kann man sich ganz entspannt auf ein Glas Wein und kleinere Leckerbissen verabreden. In der angrenzenden Delikatessen-Theke gibt es feine Kost aus Deutschland, Frankreich und Italien zum Mitnehmen oder nach Auswahl eben auch zum dort Verspeisen.

Blick in das Bistro, Foto: Stirn

In der kommenden Freiluft-Saison soll dann außerdem der Garten wieder öffnen. Das Podest für die Außengastronomie ist bereits verankert. Es soll im Stil einer Gutsschänke betrieben werden, wo man bei einem Rheingauausflug spontan etwas verkosten kann. Für die kühleren Tage ist dazu noch ein verglaster Wintergarten vorgesehen, dessen Türen dann weit geöffnet werden können, sobald es der erste Sonnenstrahl erlaubt.

Das Bistro ist in Grün- und Gelb-Tönen ausgestaltet, Farben der Natur, die an die Weingegend erinnern. Zwischen Küche und Tiefparterre transportiert ein neu eingebauter Aufzug die appetitlich angerichteten Speisen nach oben ins Bistro und ins Restaurant.

Der Mix entspricht dem Küchenkonzept – es soll hier für jeden Geschmack und für jeden Geldbeutel etwas zu finden sein, und das immer frisch angerichtet und in bester Qualität.

Blick ins Restaurant vom Dachgeschoss aus; Foto: Petra Kammann

24 Plätze gibt es im Fine Dining Restaurant, dem Herzstück des Grauen Hauses. Die Trüffel-Tagliolini mit dem rohen Eigelb zum Unterheben oder das echte zarte Wiener Schnitzel mit warmem Kartoffel- und frischem Gurkensalat. Einfach köstlich!

Die Einrichtung mit zeitgemäßem sitzfreundlichem Mobiliar ist in sanften Rosé-, Grau- und Sand-Tönen gehalten, welche die Farben des charakteristischen Sandsteins der romanischen Bogenfenster aufnehmen, die untrennbar mit dem Grauen Haus verbunden sind.

Die Bogenfenster waren es übrigens auch, die einst bei der Entstehung der Charta-Weine, dem Zusammenschluss der Top-Erzeuger des klassischen Rheingau Rieslings, Pate gestanden haben. Ihre Grundform wurde zum Signet, das man heute noch auf den entsprechenden Weinetiketten wiederfindet.

Die Fotos im Restaurant erinnern an die bewegte Umbaugeschichte des Hauses, Foto: Petra Kammann

Montags bis Freitags wird nun täglich ab 11.30 Uhr der sicher raffinierteste Mittagstisch im Rheingau angeboten. Ich selbst habe verzweifelt schon in der Mittagszeit mit ausländischen Freunden außerhalb der Saison etwas Entsprechendes gesucht. Im Grauen Haus werden jetzt also wechselnde frisch zubereitete Gerichte von höchster Qualität mit ausgesuchten Zutaten aus Deutschland, Italien, Frankreich und Spanien in einer Art overcross-Küche zur Auswahl angeboten, auch für den kleineren Geldbeutel. Ein Genuss für alle.

Köstliche Desserts mit sizilianischen Finessen: Tiramissù mit Pistazienkrokant; Foto: Petra Kammann 

Die Gesamtfläche der Location insgesamt umfasst insgesamt rund 1000 qm, wobei 386 qm den Innenflächen vorbehalten sind. In einem Nebengebäude liegt die Administration. Da man bei der Ausgestaltung des Gebäudes möglichst viel von der historischen Substanz erhalten wollte, hat Stirn hat hier – wie schon erwähnt – bewusst mit der bewährten Innenarchitektin Birgit Bals zusammengearbeitet, die in dem Gebäude nicht nur eine stilsichere Einheit geschaffen hat, sondern auch eine Verbindung zur Wiesbadener Location, weshalb hier auch der Name Trüffel wieder auftaucht.

Hier wird gerade das Trauzimmer mit 14 Plätzen eingerichtet. Die Bogenfenster erinnern an die Charta-Weine; Foto: Petra Kammann

Neben den bestehenden Elementen wurden nicht zuletzt eindrucksvoll alte Bruchsteinmauern freigelegt und regionale Baumaterialien muteinbezogen. So könnten die antik wirkenden Fliesen in Bistro und Feinkost-Shop aus Frankreich oder Italien stammen, kommen aber lediglich „von der anderen Rheinseite“, wo es so etwas inzwischen auch gibt, wie Stirn berichtet. Sensibel wurde an den verschiedensten Stellen das Funktionale und Zeitgenössische dem Alten im Sinne eines Gesamtkonzepts angepasst.

Unterm Dach, quasi als Krönung des Ganzen, darf geheiratet und anschließend geschlemmt werden. Hier kommt sogar der Bürgermeister des Ortes persönlich, um die Trauung abzuhalten. Und auf dem historischen Bechstein-Flügel, einem Erbstück von Manuel Stirns Großvater, kann dazu die entsprechende Hochzeitsmusik aufgespielt werden.

In die Töpfe geschaut und fotografiert hat Uwe Kammann (Foto) bei Küchenchef Björn Theis 

Bis zu 15 neuen Stellen hat Stirn im gesamten Grauen Haus geschaffen, alle bestens getaktet. Küchenchefs, der aufmerksam umsichtige Restaurantleiter Franco Gagliano aus Mailand mit sizilianischem Ursprung, der seit zwanzig Jahren in Wiesbaden lebt und hier sehr glücklich ist, oder die Chefin des Feinkost-Shops Bettina Berge; sie alle arbeiten teamorientiert, damit ein Rädchen ins andere greifen kann und sorgen dafür und vermitteln den Gästen das Gefühl, dass sie willkommen sind. Björn Theis führt die Küche als Doppelspitze.

Ausgelöst durch die Pandemie und die Schließung vieler Restaurants im Lockdown, sind viele Mitarbeiter aus der Restauration in andere Bereiche abgewandert. Deshalb ist es nicht ganz so leicht, auf Dauer etwa Personal im Service zu finden. Stirn lädt daher auch weitere mögliche Mitarbeiter ein, die Freude an einer Herausforderung haben, in einem so ungewöhnlichen Rahmen und Ort tätig zu werden, sich bei ihm zu melden.

Denn – dies ein Vorteil im Rheingau – das Graue Haus zählt auch zu den wenigen Restaurationsbetrieben, die ohne Winterpause, wie sie in diesem Landstrich in vielen Betrieben üblich ist, geöffnet zu sein. „Das Jahr hat 12 Monate, die wir füllen werden“, lautet Stirns feste Überzeugung. Diese Erkenntnis erscheint mir als bekennender Rheingau-Liebhaberin durchaus nicht aus der Luft gegriffen.

Das Team vom „Feinkost“– v.l.n.r.: Jens Kuntze, Bettina Berge (Leiterin), Lydia Mayer-Rezun; Foto: Uwe Kammann

Schließlich bringt Stirn nicht nur viel Erfahrung aus der Praxis in Hotellerie, Gastronomie und der Lebensmittel-Branche mit, er ist auch Chef der Eichenwald Consulting, einer erfolgreichen Beratungsgesellschaft, die seit vielen Jahren mit zahlreichen Anbietern von Premium-Produkten, wie man im Gästebuch nachlesen kann, bestens vernetzt ist. Da finden sich gute Wünsche so bekannter Namen Rheingauer Winzer wie Molitor oder Ralf Bengel aus Schloss Vollrads.

Manual Stirn verwirklicht ein Stück mediterrane Lebenskunst im Rheingau; Foto: Petra Kammann

Dabei schlägt Stirns Herz nach wie vor für Italien, wo er studiert und promoviert hat, aber auch ebenso für Grundwerte wie Solidität, Langlebigkeit und Schönheit. Als Unternehmer verkörpert er ein kostbares Stück Geschichte des deutschen Mittelstands, der gerade im Verschwinden begriffen ist. Umso bemerkenswerter, dass sich der 67-Jährige der Herausforderung, diese Grundwerte und ein Stück Rheingaugeschichte zu bewahren, gerne und aus voller Überzeugung stellt.

Zeitgenössisches Signet an alten Mauern, Foto: Petra Kammann

Adresse:

Graues Haus – Trüffel im Rheingau
Graugasse 10, 65375 Oestrich-Winkel

www.graueshaus.com

Öffnungszeiten: 

Feinkost:
Mo. – Fr. 9-00 bis 18.00 Uhr / Sa. 9.00 – 16.00 Uhr

Café-Bistro:

MoSa 9.0022.30 Uhr
sonntags bis Ostern geschlossen

Restaurant:

MoSa 11.3015.00 Uhr und MoSa 17.3022.30 Uhr
sonntags bis Ostern geschlossen

Speisekarte:

graueshaus_restaurant

Anfahrt von Frankfurt aus wegen der Umleitung:

Mit dem Auto über die A 66 bis Wiesbaden, dann Umleitung  ab Ausfahrt Mainzerstraße in Richtung Rüdesheim, dann Ausfahrt in  Östrich-Winkel

Mehr Informationen zu Hessen Mobil unter:

www.mobil.hessen.de

 

Charta-Weine:

Die Vereinigung der CHARTA-Weingüter wurde 1984 in der Schatzkammer der Hochschule Geisenheim gegründet. Die Gründerväter waren: Prof. Dr. Helmut Becker, Dr. Hans Ambrosi, Erwein Graf Matuschka-Greiffenclau, Bernhard und Heinrich Breuer. Nach der Gründung wuchs die Vereinigung schnell auf 50 Mitgliedsbetriebe an, die einen CHARTA-Wein produzierten. 1999 fusionierte die CHARTA-Vereinigung mit dem VDP.Rheingau. Heute gilt die CHARTAVereinigung als Grundstein für das folgende ERSTE und GROSSE GEWÄCHS®.

Ziel der Vereinigung ist es, den klassischen Rheingau Riesling zu pflegen, der sich geschmacklich trocken, fruchtbetont und rassig präsentiert. Die trocken bis feinherb ausgebauten Rieslinge fungieren hervorragend als Speisebegleiter und eignen sich gut zur Reife. Die Weine müssen zu 100 % aus vollreifem Riesling-Lesegut aus besten Rheingauer Lagen gekeltert werden. Im September nach der Weinlese, also ca. nach 12 Monaten, dürfen die Weine vermarktet werden. Zuvor müssen sie in einer Blindverkostung von einer Prüfungs-Kommission getestetwerden. Erkennen kann man einen CHARTA Wein an der Schlegelflasche sowie dem charakteristischen romanischen Doppelbogen, der auf der Kapsel und auf dem Rückenetikett erscheint.

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