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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Die Nacht vor Weihnachten“ von Nikolai A.Rimski-Korsakow. Erstaufführung an der Oper Frankfurt

Das Heilige der Natur – Mythologisches um die Wintersonnenwende

von Renate Feyerbacher

Fotos: Monika Rittershaus / Oper Frankfurt

Der Oper liegt eine Erzählung aus „Abende auf einem Weiler bei Dikanja“ von Nikolai W.Gogol zugrunde, den der Komponist Nikolai A.Rimski-Korsakow (1844-1908) in seinem Sinne zum Libretto umarbeitete. Dezember 1895 wurde sie im Mariinski Theater in St.Petersburg uraufgeführt.

In der Bildmitte Georgy Vasiliev (Wakula), Julia Muzychenko (Oksana) und Alexey Tikhomirov (Tschub; mit dem Gemälde von Nikolai W. Gogol) sowie Ensemble, Foto: Monika Rittershaus / Oper Frankfurt

Korsakow hatte mit dem Komponieren begonnen oder seine Oper eventuell so lange zurückgehalten bis Pjotr Tschaikowski (1840-1893) starb. Dieser hatte einundzwanzig Jahre zuvor das Werk „Wakula der Schmied“, das später eine Neufassung mit dem Titel „Das Pantöffelchen“ erfuhr, geschaffen. Die Oper setzte sich auf der Bühne aber nicht durch.

Bei Tschaikowsky sind es Gogols Figuren: die Hexe Solocha, ein mannstolles Wesen, ihr Sohn Wakula, der Schmied, die Dorfschönheit Oksana, die Wakula liebt, ihr Vater Tschub und der Teufel.

Nikolai W.Gogol (1809-1852), der aus urkrainischem Kleinadel stammte, beschreibt den Teufel in seiner Erzählung: „[..]Von rückwärts sah er dafür ganz wie der Gouvernementsanwalt in Uniform aus, denn er hatte hinten einen spitzen langen Schwanz hängen, wie ihn ein moderner Uniformfrack hatte [..] dass es weder ein Deutscher noch der Gouvernementsanwalt, sondern einfach der Teufel war, dem nur diese letzte Nacht blieb, in der er sich auf der Welt herumtreiben und die guten Menschen zur Sünde verführen durfte. Morgen schon musste er beim ersten Glockenschlag der Frühmesse mit eingezogenem Schwanz schleunigst in sein Loch fahren.“ (Zitat aus Programmheft S.54)

Diese Gogol’schen Figuren und andere sind auch alle in Rimski-Korsakows Oper versammelt, die aber selten zur Aufführung kommt. Zu Unrecht. Fast wäre die Uraufführung sogar gescheitert, weil die Zarin auftritt und das war verboten. Kurzfristig wurde die Rolle der Zarin rausgenommen und durch eine männliche Durchlaucht ersetzt. War übrigens Kaiserin Katharina II. gemeint? Die Szene mit der Zarin ist in Frankfurt jedenfalls brillant inszeniert.

Regisseur Christof Loy, der den Tschaikowski Liederabend „Nur wer die Sehnsucht kennt“ präsentierte, ist begeistert von der Oper „Die Nacht vor Weihnachten“, von der Musik, aber auch von der Sprachvirtuosität, von den grotesk-exotischen, satirischen und komödiantischen Einfällen des Komponisten, von den heterogenen Elementen: gute und böse Kräfte, Christliches und Heidnisches, Glaube und Aberglaube, Realität und Fantasie, Freud und Leid, Götter und Menschen.

Jüngling Owsen, der Frühlingsgott, kommt aus den Lüften geflogen und verbindet sich mit der jungfräulichen Göttin Koljada, getanzt von der Ballerina Ayelet Polne und dem Tänzer Gorka Culebras. Rimski-Korsakows pantheistisches Weltbild wird hier sinnlich durch Tanz umgesetzt, einstudiert von Choreograf Klevis Elmazaj.

In der Regie von Christof Loy hat der Teufel in der diesjährigen Frankfurter Erstaufführung, einen langen, dünnen Schwanz. Er beklagt sich bei Witwe Solocha über ihren frommen Sohn Wakula, der ihn an der Kirchenfassade verhöhnt hat und bedauert, dass die Menschen keinen Respekt mehr vor ihm haben, aber es fehle auch die Gottesfurcht.

In der Nacht vor Weihnachten geht es im ukrainischen Dorf Dikanka turbulent zu. Dort weiß jeder um Wakulas Liebe zu Oksana, die sie nicht zu erwidern scheint, aber alle anderen Dorfburschen abblitzen lässt.

Sie weiß, dass Solocha auf das Erbe ihres Vaters Tschub, der geil auf sie ist, spekuliert. Solocha bittet deswegen den Teufel, ein Treffen zwischen ihrem Sohn und Oksana zu verhindern.

Sie schwingt sich auf den Besen und die Beiden düsen in den Sternenhimmel, dem sie die Sterne raubt und er den Mond in seine Tasche steckt. Mondfinsternis.

v.l.n.r.: Georgy Vasiliev (Wakula) und Andrei Popov (Teufel); Foto: Monika Rittershaus /Oper Frankfurt

Faszinierend staune ich über die Bewegungsabläufe der Teufelsbrut, Solocha und Teufel, die vor einem die ganze Bühne einnehmenden Sternenhimmel erfolgen und dabei singen.

Für diese sensationellen Flugchoreographien – später fliegen der Teufel und Wakula durchs All zur Zarin– konnte der Regisseur und Bühnenbildner Ran Arthur Braun, ein weltweit renommierter Live Stunts-Koordinator und Spezialist für Kampfchoreographie, gewonnen werden. Was für eine großartige Kunst die Flugtechnik doch ist! Was für ein Mut der Sängerin und der Sänger!

Johannes Leiacker, Schöpfer vieler großartiger Bühnenbilder nicht allein in Frankfurt, sondern weltweit, hat sich zusammen mit Lichtdesigner Olaf Winter den Sternenhimmel ausgedacht. Fantasievoll sind die Kostüme, die Ursula Renzenbrink entwarf.

Die Dorfbewohner irren in der Dunkelheit umher, da ja der Mond gestohlen wurde, und finden ihre Häuser nicht mehr. Solocha ist mittlerweile mit dem Teufel vom Himmelsausflug zurückgekehrt und beide freuen sich auf einen Abend zu zweit, als es klopft. Es ist der Bürgermeister. Blitzschnell muss der Teufel verschwinden – in einen Kohlensack. Wieder Klopfen, jetzt landet der Bürgermeister im Sack. Der Diakon kommt und geht gleich zur Sache – grunzendes Liebesspiel auf dem Sofa. Wieder Klopfen: es ist Tschub. Wie die andern landet auch der Diakon im Sack. Wieder Klopfen: Tschub muss zum Diakon in den Sack. Es ist Wakula, Solochas Sohn, der seinen Liebeskummer zu Hause abladen will.

Unter dem Gelächter der Mädchen, die zum Singen zusammen gekommen waren, bekam Wakula mit, dass Oksana ihn nur heiraten will, wenn er ihr die Schuhe besorgt, welche die Zarin trägt.

v.l.n.r. Alexey Tikhomirov (Tschub), Andrei Popov (Teufel), Enkelejda Shkoza (Solocha) und Peter Marsh (Der Diakon Ossip)

Wakula nimmt die Säcke aus der Wohnung seiner Mutter mit, in denen Weihnachtsbraten und weitere Leckereien vermutet werden. Er selbst behält den kleinsten und verabschiedet sich für immer aus dem Dorf.

Aus dem Sack klettert der Teufel und der gläubige Wakula bekreuzigt sich. Damit macht er ihn gefügig und verlangt, ihn durch die Luft zum Zarenhof zu bringen. Wakula landet vor der Zarin und bekommt ihre Schuhe.

Weihnachtsmorgen: Oksana macht sich Vorwürfe, denn es heißt, Wakula habe sich erhängt beziehungsweise im See ertränkt. Sie bereut ihr Spiel mit Wakula und als er mit den Schuhen erscheint, gesteht sie ihm ihre Liebe und beteuert, dass sie ihn auch ohne die Schuhe geheiratet hätte.

Nikolai Rimski-Korsakow, der Gogols Text erweiterte, schuf ein Märchen mit philosophischen, pantheistischen Gedanken und poetischen Momenten – Wakula. Die Musik, die er dazu komponierte, ist außergewöhnlich. Ukrainische Gesänge, die Koljadas, verweben sich unmerklich mit der Operntradition. Die starken Chöre, einstudiert von Tilman Michael, verkörpern das einfache Volk. Der Chor der Lacher erinnert an den Chor in Webers Freischütz.

Generalmusikdirektor Sebastian Weigle orientiert sich mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester eng an der Dramaturgie des Textes und schafft so eine musikalisch-textlich überzeugende Einheit. Über 60 Musiker sind dabei.

Julia Muzychenko (Oksana) und Ensemble, Foto: Monika Rittershaus / Oper Frankfurt

Die einmaligen Sängerinnen und Sänger machen den Abend zu einem Erlebnis. Tenor Georgy Vasiliev als Wakula, Sopranistin Julia Muzychenko als Oksana, Bassist Alexey Tikhomirov als Tschub, Tenor Andrei Popov als Teufel sind Stars aus der russischen Schule, die in ihrem Land, aber auch weltweit für Furore sorgen. Sie alle singen zum ersten Mal an der Oper Frankfurt und geben außer Popov, ihr Rollendebüt.

So auch die Mezzosopranistin, die aus Albanien stammende Enkelejda Shkoza, die aber schon einmal in Frankfurt war. Sie ist geprägt von der italienischen  Schule. Eine tolle Solocha und Frau mit violetter Nase.

Alle weiteren Rollen werden von Mitgliedern aus dem Ensemble zum ersten Mal gesungen: Anthony Robin Schneider als Panas, Sebastian Geyer als Bürgermeister, Peter Marsh als Diakon Ossip, Bianca Andrew als Zarin, Thomas Faulkner als Pazjuk, Barbara Zechmeister als Frau mit gewöhnlicher Nase. Alle sängerisch und schauspielerisch brillant.

Christof Loy wird alle sehr gefordert haben. Seine Regieideen jedenfalls überraschen immer wieder. „Die Nacht vor Weihnachten“, mal ein Opernabend bei dem niemand stirbt, heiter, aber nachdenklich, und der die Konkurrenten versöhnt. Laute Bravorufe des Publikums.

Es wird schwierig sein, Karten zu bekommen, denn die soeben in Kraft getretene neue Corona-Schutzverordnung lässt nur noch 530 Besucher in der Oper Frankfurt zu.

Bis in den Januar hinein wird derzeit die Oper gespielt.

www.oper-frankfurt.de

Trailer:

https://oper-frankfurt.de/de/mediathek/?id_media=309

 

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Wiederaufnahme von “Die lustige Witwe” von Franz Lehár in neuer Besetzung

 Auch diese Operette ist leider von den Corona-Schutzbestimmungen betroffen.

Die gefeierte Inszenierung von Claus Guth aus dem Jahr 2018 wartet mit einem neuen Gesangsteam auf unter anderem mit: Annette Dasch als Hanna und Johannes Martin Kränzle als Danilo, zwei Lieblingen des Frankfurter Publikums. Sie wechseln sich ab mit Juanita Lascarro und Iurii Samailow, der Danilo bereits in der Premiere hervorragend sang. Der junge ukrainische Bariton, Ensemblemitglied, ist auf dem Weg zur Metropolitan Opera in New York (MET), hat aber in dieser Spielzeit mehrere Verpflichtungen.

Johannes Martin Kränzle (Danilo), Annette Dasch (Hanna), Klaus Haderer (Regisseur) und Stefan Biaesch (Kameramann) Barbara Foto: Uli Aumüller /Oper Frankfurt

Dasch und Kränzle sind als Paar vertraut und leidenschaftlich. Kränzle, älter als Samailow, ist als Danilo glaubwürdiger.

Die in Rumänien geborene Sopranistin Florina Ilie ist seit einem Jahr im Ensemble. Sie hat die Rolle der Valencienne übernommen. In der Premiere war es Elizabeth Reiter, die mit Bravour den sängerischen und tänzerischen Part meisterte. Das gelingt Florina Ilie ebenso. Sie ist in jeder Beziehung eine spritzige Grisette.

Michel Porter, 2018 bereits dabei, ist nun in die Rolle des Camille de Rosillon geschlüpft. Die Entwicklung des jungen amerikanischen Sängers, der nach dem Opernstudio, Mitglied im Frankfurter Opern-Ensemble wurde, ist enorm. Salzburg, Berlin, München, Dresden haben ihn bereits eingeladen. Seine tenorale Stimme gefällt durch eine feine Geschmeidigkeit und sein aufdringliches Spiel als Camille – herrlich.

Die nächste Aufführung soll am Samstag, den 18.12. sein.

 

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