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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

FLOW – Neue skulpturale Fotografien von Alia Ali in der Galerie Peter Sillem

Shades of Blue und verwobene Kulturmuster

Eindrücke von Petra Kammann

Gerade wurde bekannt, dass die jemenitisch-bosnisch-amerikanische Multimediakünstlerin Alia Ali als eine der vielversprechendsten Künstler:innen der Gegenwart mit dem Artsy Vanguard 2021 der Kunstplattform Artsy ausgezeichnet wurde. FeuilletonFrankfurt gratuliert! Noch bis zum 18. Dezember sind ihre dreidimensionalen Fotoarbeiten aus dem Jahre 2021 in der Galerie Peter Sillem zu sehen. Neben dem Werkblock „Flow“ stellt sie dort auch ihre Arbeiten der Serie „Indigo“ aus.

Alia Ali (li) im Gespräch mit Monopol-Kunstkritikerin Silke Hohmann (re) vor der Indigo-Serie; Foto: Petra Kammann

Auf den ersten Blick muten ihre Bilder ein wenig exotisch-orientalisch und auch sehr dekorativ an. Beides stimmt. Bei jedem ihrer Objekte spürt man natürlich ihre Freude an der Schönheit von Textilien. Aber gleichzeitig ist man bei näherem Hinschauen doch auch irritiert. In der Indigo-Serie verschieben sich die Muster unmerklich und plötzlich fühlt man sich angeschaut, obwohl es keinerlei Blickkontakt mit der dahinter liegenden verhüllten Gestalt gibt, die aus dem Rahmen heraus in den Raum zu treten scheint.

Alia Ali stellt die herkömmlichen Web-, Muster- und Falttechniken in neue globale Zusammenhänge. Genau das macht das konzeptionell Besondere ihrer Arbeiten aus. Die verdeckten dreidimensional wirkenden Gesichter lassen sich nur erahnen und sie scheinen durch ihre Haltung zu uns zu sprechen, während wir als Betrachter traditioneller Porträts die Personen mit dem Blick in Besitz nehmen. Hier aber stellen die anonymen Personen uns Fragen wie:

Wer oder was verbirgt sich hinter den Stoffdrapagen denn eigentlich tatsächlich? Aus welchem Kulturkreis, aus welchem Land kommen die Personen? Sind es Männer, sind es Frauen? Sind sie Repräsentanten einer höheren Gesellschaftsschicht oder aus einer eher sozial schwachen? Sind sie schön, sind sie hässlich? Warum tragen sie diese gemusterte Kleidung? Haben sie etwas zu verbergen? Und wenn ja, Warum?

Alia Ali: FLOW, 2021. Site specific installation, Uzbek silk ikat. Galerie—Peter—Sillem,.
Frankfurt am Main, on view through Saturday, 18 December 2021

Noch irritierender ist der in verschiedene Ikat-Muster eingekleidete Raum in der Galerie Peter Sillem. Da gehen einem förmlich die Augen über und man sucht nach Halt und Orientierung, was die Künstlerin zweifellos beabsichtigt hat. Wir stehen auf schwankendem Boden und damit erinnert sie an die Geschichte der Stoffe und auch an deren Migration aus den Ursprungsländern.

In der Serie „Flow“ hat sie ihre Figuren mit Ikat-Textilien in Ankara oder Dutch Wax verhüllt, in die bedruckten farbigen Baumwollstoffe, die man zum Beispiel auf der Straße zwischen Accra, Dakar und Lagos vorfindet. Bei dieser speziellen Webtechnik wird das Garn vor der Verarbeitung abschnittsweise eingefärbt.

Das Trompe l’œuil fasziniert auch die türkische Künstlerin Gözde Ju; Foto: Petra Kammann

Um effizienter produzieren zu können, suchte man im 19. Jahrhundert eine Technik, mit der das flüssige Wachs maschinell auf Stempel aufgetragen wird. Denn das Gewebe sollte vollständig durchdrungen werden, damit der Stoff beidseitig mit Farbe gefärbt wird und das Muster sowohl auf der Vorder- als auch auf der Rückseite in gleicher Qualität sichtbar ist.

Das sogenannte Waxprintverfahren war von den Niederländern entdeckt worden, als sie die Muster indonesischer Batikstoffe kopierten und als Textildrucke industriell herstellten, um die gemusterten Baumwollstoffe in der damaligen Kolonie Java zu vermarkten. Traditionell aber wurde es im Jemen, in Westafrika, in Indien, Indonesien, Usbekistan, Vietnam und Japan, und in Mexico, hergestellt.

Einst galt das Tuch, das aus natürlichen Pigmenten von kostbaren Pflanzen eingefärbt wurde, als „heiliges Gewebe“. In Japan wurde Ikat- Seide für hochwertige Kimonos benutzt, ebenso in Usbekistan.

Arbeiten aus Alia Alias Serie „Indigo“; Foto: Petra Kammann

Ein Teil der in der Galerie ausgestellten Exponate befasst sich mit Indigo-Textilien – heute die Basisfarbe von klassischen Jeans. Das Blau galt in früheren Jahrhunderten immer als besonders seltene und kostbare Farbe. Dass die Farbe des Indigos Blau ist, ist aber Zufall und rührt daher, dass das Licht im orange-roten Spektralbereich absorbiert wird. Damals wurde das Blau aus Lapislazuli oder aus Pflanzen gewonnen, ab dem 19. Jahrhundert dann auch künstlich chemisch hergestellt, so dass blaugefärbte Stoffe auch in anderen Ländern vermarktet wurden.

Insofern sind Alia Alis Fotoarbeiten einerseits eine Hommage an die historische Bedeutung des Indigo-Pigments und darüberhinaus eine Auseinandersetzung mit dem, wie visuelle Wahrnehmung überhaupt funktioniert. Fasziniert von der Farbe Blau ist Ali nicht zuletzt wegen eines gefährlichen Ausflugs in den Himalaya, wo sie vom Blick in den Himmel berauscht, anschließend das Blau meditierend erlebte.

Begrüßungsrede von Alia Ali, in der sie Peter Sillem  und ihren anwesenden Eltern (rechts) dankt, die eigens aus Marokko angereist waren

Alia Ali verweist mit ihren Arbeiten auf die komplexen kulturellen Zusammenhänge und kreativen Prozesse, die mit der Geschichte dieser Stoffe verbunden sind und lässt die Muster miteinander kommunizieren.

Die Tochter einer bosnischen Mutter und eines jemenitischen Vaters – beide Migranten und Linguisten –  wuchs immer zwischen West-Asien, Vietnam und Europa unterwegs auf. Da war nicht zwangsläufig die Sprache das Verständigungsmittel. Also suchte sie nach neuen Mustern der Verständigung, die auf Traditionen basieren, nach einer Sprache, die alle verstehen. Und sie erlebte die Stoffe als etwas für den Menschen etwas ganz Schönes und Existenzielles, in dem wir uns jenseits von Rassen und Genderzugehörigkeit geborgen fühlen. Daher sucht Ali jeweils in den verschiedenen Regionen alte Textilmanufakturen auf, um an die Kultur der archaischen Muster zu erinner, anzuknüpfen und sie zu transformieren.

Ihren Eltern, die heute in Marokko leben und eigens zur Vernissage angereist waren, dankte sie ebenso warmherzig wie ihrem Galeristen Peter Sillem, der ihr nun schon die dritte Ausstellung ermöglichte und der sie ständig motivierte, weiterzumachen. Außerdem habe er Frankfurt für sie zu einem kleinen Stück Heimat gemacht.

Alia Alis ungewöhnliche und grenzüberschreitende Arbeiten sind inzwischen in wichtigen Museumssammlungen vertreten wie zum Beispiel: The Princeton University Art Museum, The New Orleans Museum of Art, The Benton Museum of Art, The Tucson Museum of Art und The Arab American National Museum, außerdem in zahlreichen internationalen Privat- und Unternehmenssammlungen.

Galerie Peter Sillem

FLOW, Alia Ali

Frankensteiner Strasse
160594 Frankfurt am Main
069 61 99 55 50

Mi + Fr 10-16 Uhr, Do 10-18 Uhr, Sa 14-16 Uhr u.n.V
info@galerie-peter-sillem.com
http://www.galerie-peter-sillem.com

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