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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Sechs Cello-Suiten von Johann Sebastian Bach, kombiniert mit zeitgenössischen Miniaturen von Komponisten aus sechs verschiedenen Kontinenten

Lichtvolle Klänge in dunkler Zeit

Von Petra Kammann

Interkultureller Dialog zwischen den sechs Cello-Suiten von Johann Sebastian Bach und zeitgenössischen Cello-Miniaturen von Komponisten aus sechs verschiedenen Kontinenten: Der Cellist und Echo-Klassik-Preisträger Benedict Kloeckner hat während der ersten Pandemie unter dem Motto „Klänge des Lichts“ zeitgenössische Cello-Miniaturen zu den Bach-Suiten bei fünf Komponisten und einer Komponistin in Auftrag gegeben, gewissermaßen als solidarisch-künstlerisches Echo auf die weltweite Corona-Krise. Uraufgeführt wurde das so entstandene knapp dreistündige Cello-Solo-Konzert im Sommer 2020 in Kloster Eberbach und auf Burg Namedy. Nun wurde es Anfang Dezember in der Alten Oper Frankfurt aufgeführt.

Der Cellist Benedict Kloeckner im Mozart-Saal der Alten Oper in Frankfurt; Foto: Petra Kammann

Die Stimmung an diesem Adventsabend in Frankfurt war eine besondere. Auf dem Reuterweg, im Rothschildpark, in der gesamten Innenstadt waren wegen der verschiedenen Demonstrationen – neun Demonstrationen von Querdenkern, Impfgegnern und Gegendemonstranten  waren angekündigt – Heerscharen von Polizeiwagen und Polizisten im Einsatz. Hinzukam, dass 2 G für bestimmte Veranstaltungen und den Besuch besonderer Lokalitäten nun nicht mehr ausreichte. So mussten Konzertbesucher der Alten Oper vor dem Eintreten in die Räume noch eine gesonderte frische Impfbescheinigung vorlegen. Außerdem mussten etliche Konzerte wegen neuer veränderter Lockdownregeln  kurzfristig abgesagt werden.

Das Chaos – auch im Konzerthaus selbst – war an diesem Tag wohl für alle Beteiligten und Betroffenen groß. Umso schöner, wenn es einem gelang, in letzter Minute doch noch in den Mozartsaal hineinschlüpfen zu können. Schon die besondere Kerzenbeleuchtung auf der Bühne vor dem Podest, auf das sich der Solo-Cellist platziert hatte, versetzte einen dann unmittelbar in eine völlig andere, in eine Willkommens-Stimmung. Die kleinen flackernden Lichter begleiteten das so präzise wie exzellente und variationsreiche Spiel von Benedict Kloeckner bis zum Schluss.

Die Zuhörer, die es eben trotz der verschiedenen Widrigkeiten geschafft hatten, ins Konzert zu kommen, waren dann auch bis zum Schluss äußerst aufmerksame und intensive Zuhörer. Unmittelbar, nachdem Benedict Kloeckner mit seinem wunderschönen alten Cello den ersten Ton des Präludiums mit seinen zahlreichen Tonleitermotiven und Arpeggien der berühmten 1. Bachschen Cello-Suite anstrich, war die erwartungsvolle Spannung im Saal förmlich mit Händen zu greifen. Um es gleich vorwegzunehmen, das Publikum wurde für seine Aufmerksamkeit in jeglicher Hinsicht belohnt, denn Kloeckner schöpfte im Laufe des fast dreistündigen Solo-Spiels die ganze Bandbreite dieses so einnehmend klingenden Instruments aus.

Mal war sein Strich kraftvoll, mal kam er tänzerisch daher, mal rhythmisch, wild und leidenschaftlich, mal klangen die Töne aus der Tiefe des Cello-Bauchs ganz melancholisch. Kloeckner verstand es, seine Technik der Interpretation der jeweiligen Suite oder auch der zeitgenössischen „Echos“ aus der Auseinandersetzung mit dem Urtext anzupassen. So klangen auch manche Bach-Passagen geradezu hochmodern. Und er spielte durchgehend hochkonzentriert, nicht etwa vom Blatt, sondern alles par coeur, also auswendig, aus dem Kopf – schon mnemotechnisch eine Glanzleistung.

Im speziellen Fall trifft jedoch die französische Redensart eigentlich besser den Sachverhalt. In Kloeckners Spiel bildeten Herz und Verstand nämlich eine Einheit. Was er in den streng komponierten Bachsuiten rational (mit dem Kopf ) analysiert hatte und präzise spielte, hatte er eben auch emotional (par coeur) verinnerlicht und durchdrungen, was nicht etwa bedeutet, dass er sich deswegen von Sentimentalitäten hätte verführen lassen.

Meisterte auch die vertracktesten Passagen; Foto: Petra Kammann

Dabei spielt er dieses kostbare historische Instrument von 1680 von Francesco Rugeri aus Cremona voll expressiver Ausdruckskraft. Es musste aber vor allem zum Ende hin wegen der intensiven Beanspruchung ab und zu neu gestimmt und justiert werden, nicht zuletzt sicher auch wegen der Heizungsluft und der Klimaanlage. Dabei blieb er immer souverän und war ganz präsent im Raum. Sein Credo lautet: „Die Musik ist schließlich kein Museum. Sie ist eine lebendige Kultur. Ich glaube, das müssen wir heute auch so klar dem Publikum kommunizieren. Und das sei ihm besonders in der Pandemie klargeworden, dass das, was große Kunst ausmache, fast immer aus großen Krisen und Widerständen hervorgegangen sei. Deshalb war er in den Zeiten stornierter Konzerte wohl auch gleich mutig aufs Ganze gegangen.

Da habe er zeitgenössische Komponisten hinzuziehen wollen, um gemeinsam mit ihnen diese Phase zu bewältigen. Dabei sei Bach in seiner klaren Kompositionsstruktur für ihn persönlich besonders wichtig gewesen. Nun aber wollte er in Erfahrung bringen, wie die Auswirkungen der Pandemie  in anderen Teilen der Erde von den Künstlern wahrgenommen wurden. Daher beauftragte er unter dem Motto „Klänge des Lichts“ sechs international renommierte Komponisten mit Miniaturen, deren Auseinandersetzung mit den Bach-Suiten als eine Antwort auf die Herausforderungen der aktuellen Situation zu verstehen sind. 

„Allein die sechs Bach-Suiten sind für jeden Cellisten das Herzstück des Repertoires, und dazu mit diesen tollen Komponisten zu arbeiten, das fügt beidem etwas hinzu und hat dieses schwierige letzte Jahr zumindest von meiner Laune her etwas gerettet”, erzählte er freimütig in einem concerti-Interview im April 2021. Mag sein, dass ihn dabei der katalanische Altmeister des Cellos, Pablo Casals, mit seinem Urteil über Bachs Cello-Suiten beeinflusst hat, der schon sagte: „Sie sind die Quintessenz von Bachs Werk, und Bach selbst ist die Quintessenz der gesamten Musik.“

Kloeckners Wunsch, diese Cello-Suiten aufzunehmen, ist über lange Zeit in ihm gereift. Dabei wollte er diese Suiten in ein neues Licht rücken, musikalische Analogien dazu finden und gestalten, was den Herausforderungen der aktuellen Krisenlage entspricht. In der Realität kam dieser Plan im Corona-Herbst 2020 zum Tragen, als das Spiel der Bachsuiten in Verbindung mit den zeitgenössischen Miniaturen unter dem Thema „Klänge des Lichts“ im SWR Studio Kaiserslautern auch aufgenommen wurde.

Kurzes Treffen an der Künstlergarderobe nach dem Konzert; Foto: Petra Kammann

Mit einigen der von ihm aufgeforderten Komponisten arbeitet der Cellist und Festivalleiter des Internationalen Musikfestival Koblenz Benedict Kloeckner schon seit einigen Jahren zusammen wie etwa mit dem 1968 geborenen, französischen Komponisten Éric Tanguy. Andere habe er erst durch das Projekt  kennen- und lieben gelernt wie zum Beispiel den renommierten japanischen Komponisten Dai Fujikura aus Osaka.

Die Erstaufführung seines Cellokonzerts habe er im Mozarteum in Salzburg gespielt, während Kloeckner die australische Komponistin Elena Kats Chernin per Zufall auf einem Roadtrip durch Polen über eine CD im Auto gehört und sie daraufhin angeschrieben habe. Sie hatte spontan auf seine Mailanfrage geantwortet. Seitdem ist er mit ihr in Kontakt. Ihr Solo-Kurz-Stück trägt bezeichnenderweise den Titel „I am Cello“ und bezieht sich auf Bachs Cello-Suite Nr. 2. Ihre kompositorische Miniatur, mal Lied, mal Geschichte, mal an Walzer erinnernder Tanz, öffnet sich langsam und zart und klingt fast wie eine „sich öffnende Blumenzwiebel“- So empfindet es die Komponistin wohl selbst.

„Unter dem Sternenhimmel des Rheins“ folgte auf Bachs bekannte Cello-Suite Nr. 1. Der Mexikaner José L. Elizondo hat sich indes eher von Bachs sechster Cello-Suite inspirieren lassen. Aber nicht ausschließlich. Die hügelige Landschaft zwischen Rhein und Main im Oberen Mittelrheintal, Benedict Kloeckners Heimat in Rheinland-Pfalz, mit ihren mittelalterlichen Burgen, taten das Übrige. So klingt seine Komposition wie ein Ritt mit dem Pferd durch die in manchem mittelalterlich anmutende Gegend. Das hört man, wenn Kloeckner mit dem Handrücken auf den Cello-Korpus klopft. In dieser Gegend wurde das kurze Stück übrigens in dieser Landschaft auch unter freiem Himmel uraufgeführt.

Besonders farbenprächtig, rau und schillernd geht es in dem ausgesprochen rhythmisch angelegten Kurz-Stück „Soweto Cello Riffs“ des Südafrikaners Bongani Ndodana-Breen zu, der für sein Cello-Echo als Reaktion auf die dynamische Cello Suite Nr. 3 Elemente aus Afropop und südafrikanischem Jazz verarbeitet hat. Seine Rhythmen führen einem die wilde akustische Kulisse der Slums von Mombasa vor das innere Auge. Die fragmentarische Geräuschkulisse aus hupenden Minibustaxis und westafrikanischer Township E-Gitarren wird dabei virtuos auf die ganze Bandbreite der technischen Möglichkeit des Cellos übertragen.

Froh über das Gelungene, Foto: Petra Kammann

Anders die Miniatur des französischen Komponisten Éric Tanguy, mit dem Benedict Kloeckner schon über zehn Jahre lang erfolgreich zusammenarbeitet. So widmete der Komponist dem Cellisten 2020 das kurze Zwischenstück „In between“. Darin reagiert er auf Bachs Cello-Suite Nr. 4, in einer schwer definierbaren „Zwischenzeit“ Orientierung suchend, welche während der Pandemie durch omnipräsente Gefühlsschwankungen geprägt, zwischen Unsicherheit und Hoffnung changieren.

Der US-Amerikaner Geoffrey Gordon wiederum stellt seine Komposition „Nes qu’on porroit“ als Antwort auf Bachs Suite Nr. 5 in einen größeren historischen Kontext, indem er auf vergangene Pandemien und Seuchen der Menscheitsgeschichte Bezug nimmt, wie auf die Pest, die um 1350 gewütet hat und an der fast die Hälfte der europäischen Bevölkerung starb. Seine Komposition basiert auf dem Text des französischen Komponisten und Dichters der Ars Nova, Guillaume de Machaut (1300 – 1377), und auf Werke anderer Komponisten, welche ebenfalls dramatische Weltlagen durchlebt haben wie zwischen 1629 und 1631, als die italienische Pest oder zu Beginn des Ersten Weltkriegs die Spanische Grippe die Bevölkerung dezimierte. So entstand eine komplex verwobene akustische Collage über Schmerz, Stärke, Verlust, Sehnsucht nach Wiedervereinigung nach langer Quarantänezeit und über das Durchhaltevermögen. Das könnte heute so manchem Musiker Mut machen.

Mit dem wunderbar sprachspielerischen Titel „Sweet Suites“ reagierte der 1977 geborene japanische Komponist Dai Fujikura auf die ganz besonders herausfordernde Bach-Suite Nr. 6, die eigentlich für die Viola Pomposa, d.h. für ein Instrument mit 5 Saiten, geschrieben wurde. Sein Kompositionsprinzip ist das motivisch-akustische Echo, mit dem Fujikura sich gekonnt gleich auf mehrere der Bach-Suiten rückbezieht. Das Tableau changiert zwischen der barocken und der musikalisch neuen Welt. So erzeugt er eine oszillierende Klanglandschaft, die zum Ende hin in kaum mehr wahrnehmbar leise und höchste Höhen entschwebt und eine fast atmende Stille erzeugt.

Nach einem gebührenden Abstand zu dieser Stille brandete dann aber der Applaus des Publikums für den hervorragenden kreativen Cellisten auf, der sich trotz der immensen, nicht zuletzt physischen Anstrengung auch noch zu zwei weiteren sehr berührenden Zugaben bewegen ließ, die dem Thema angemessen waren. Das waren zunächst einmal die vibrierende „Lamentatio“ des 1962 geborenen, sizilianischen Komponisten und Cellisten Giovanni Sollima, in denen Kloeckner das Klagelied summend mitsang, bevor sich in einem entfesselten Allegro voller unsteter Rhythmen auch heftig und temperamentvoll Widerstand gegen die Klage aufbäumte.

Die letzte Zugabe widmete Kloeckner dem katalanischen Altmeister des Cello, Pau (Pablo) Casals (1890 – 1973), mit dem traditionellen katalanischen Lied „El Cant dels Ocells“, das Casals für Cello interpretiert hatte, mit dem „Gesang der Vögel“ von 32 kleinen und großen Vogelarten, vom Hänfling bis zur Nachtigall, vom Kaiseradler bis zum Waldkauz, die mit ihrem Konzert Christi Geburt feiern. Ein angemessener Abschied von der Bühne in der krisenbehafteten Vorweihnachtszeit, verbunden mit einer Friedensbotschaft. Denn Casals selbst hatte seine Exilkonzerte seit 1939 immer mit diesem Cello-Gesang beendet und ihn auch 1961 im Weißen Haus bei den Kennedys als Zeichen der Hoffnung  vorgetragen. Wer der im Konzert Anwesenden könnte diesen besonderen Abend vergessen?

Verbeugung vor dem begeisterten Publikum, Foto: Petra Kammann

Wer nicht im Konzert war, hat mit der gerade erschienenen exzellent aufgenommenen CD die Gelegenheit, es sich zu Hause oder unterwegs in Ruhe anzuhören. Auch das ist ob der akustischen Qualität ein Vergnügen, .

Das Konzert ist als Solo-Album von Benedict Kloeckner bei Brilliant Classics aufgenommen worden. Auf drei CDs präsentiert der Cellist Johann Sebastian Bachs sechs Solo-Suiten für Violoncello BWV 1007-1012 sowie Cello-Minitaturen Violoncello Brilliant Classics  // Katalognummer 96403 // 3 CDs // VÖ Deutschland 

 CD I Johann Sebastian Bach (1685-1750) [1-6] SUITE NR. 1 IN G-DUR BWV 1007 José L. Elizondo (*1972) [7] „UNTER DEM STERNENHIMMEL DES RHEINS“ Johann Sebastian Bach (1685-1750) [8-13] Johann Sebastian Bach: SUITE NR. 2 IN D-MOLL BWV 1008 Elena Kats-Chernin (*1957) [14] „I AM CELLO“ Johann Sebastian Bach (1685-1750) [15-20] Johann Sebastian Bach: SUITE NR. 3 IN C-DUR BWV 1009 Bongani Ndodana-Breen (*1975) [21] „SOWETO CELLO RIFFS“ CD II Johann Sebastian Bach (1685-1750) [1-6] Johann Sebastian Bach: SUITE NR. 4 IN ES-DUR BWV 1010 Eric Tanguy (*1968) [7] „IN BETWEEN” Johann Sebastian Bach (1685-1750) [8-13] Johann Sebastian Bach: SUITE NR. 5 IN C-MOLL BWV 1011 Geoffrey Gordon (*1968) [14] „NE QU’ON PORROIT“ CD III Johann Sebastian Bach (1685-1750) [1-6] Johann Sebastian Bach: SUITE NR. 6 IN D-DUR BWV 1012 Dai Fujikura (*1977) [7] „SWEET SUITES“ 

 

 

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