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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Zeichen der Freundschaft“ – Schenkung aus dem Nachlass von Ulrike Crespo (1950–2019) an das Städel 

Ein echtes Freundschaftsgeschenk

Von Petra Kammann

Eines der bedeutendsten Vermächtnisse der letzten Jahre verdankt das Städel Museum der Frankfurter Fotografin Ulrike Crespo (1950–2019). Die Stifterin hinterließ dem Städel über 90 Gemälde und Zeichnungen, darunter Meisterwerke von Franz Marc, Otto Dix, Oskar Schlemmer, Max Ernst, Jean Dubuffet, Cy Twombly und anderen. Sie ergänzen die Städel’sche Sammlung auf die glücklichste Weise.

Wassily Kandinsky,  Kallmünz – Hellgrüne Berge 1903, Öl auf vorgrundierter Leinwand 23.5 × 32.8 cm, Erworben 2019 als Vermächtnis von Ulrike Crespo aus der Sammlung Karl Ströher Foto: Städel Museum, Frankfurt am Main

„Das Städel Museum ist Ulrike Crespo zu größtem Dank verpflichtet“, erklärte Städel-Direktor Philipp Demandt strahlend in der Pressekonferenz. Mit mehr als 90 Gemälden und Arbeiten auf Papier – Werke der Klassischen Moderne und der unmittelbaren Zeitgenossenschaft, vom Expressionismus bis zur US-amerikanischen Pop-Art –  sei es die bedeutendste Schenkung, die das Städel aus dem Nachlass der 2019 verstorbenen Frankfurter Fotografin, Psychologin und Mäzenin Ulrike Crespo erhalten habe, darunter die „Bauhaustreppe“, ein Aquarell von Oskar Schlemmer zu seinem Gemälde „Bauhaustreppe“, das heute im Museum of Modern Art in New York hängt und als Protest auf die Schließung des Bauhauses entstanden war.

Städel-Direktor Philipp Demandt; Foto: Petra Kammann

Das Städel Museum verdankt der Philanthropin Ulrike Crespo so Werke wie die Bleistiftzeichnung der „Pferde“ von Franz Marc, „Kallmünz – Hellgrüne Berge“, ein frühes Gemälde dieser frischen farblich durchglühten Landschaft von Wassily Kandinsky aus dem Jahre 1903, in der sich Kandinsky heimlich mit Gabriele Münter verlobte, ein fast hingetuschtes Aquarell „Die Köpfe“ von Otto Dix, das experimentell surrealistische Gemälde „Grätenwald“ von Max Ernst von 1927 oder eine ungewöhnliche Bleistiftzeichnung des Bildhauers Alberto Giacometti, um nur ein paar der Highlights der subtilen Sammlung im kleinen Format herauszugreifen.

Franz Marc, Drei Pferde in hügeliger Landschaft 1910/11, Grafit, teils laviert, auf Vergépapier, Blatt: 112 × 179 mm, Erworben 2019 als Vermächtnis von Ulrike Crespo aus der Sammlung Karl Ströher, Foto: Städel Museum, Frankfurt am Main

Aus den insgesamt 72 ausgestellten Arbeiten werden 44 aus dem Vermächtnis von Ulrike Crespo gezeigt. Diese ausgewählten Arbeiten treten nun in einen Dialog mit Werken aus der Sammlung des Städel Museums und schließen Lücken, die das Städel 1937 durch die Beschlagnahme von Kunstwerken im Rahmen der Aktion „Entartete Kunst“ verloren hat.

Demandt erzählte auch von seinen persönlichen Begegnungen mit „Ulli“ Crespo im privaten Kreis, wo er sie in ihrer großzügigen Wohnung im Holzhausenviertel besuchte. „Das Aquarell von Otto Dix hing hinter dem großen Tisch, um den wir saßen und Klimt im Schlafzimmer.“ Schon sehr früh nach seiner Ankunft in Frankfurt habe Crespo ihm gesagt, sie sollten sich doch einmal zusammensetzen, um gemeinsam über den Nachlass ihrer Kunstwerke nachzudenken.

Oskar Schlemmer, Bauhaustreppe, 1931,Bleistift und Aquarell auf Velinpapier, Blatt: 279 × 219 mm, Erworben 2019 als Vermächtnis von Ulrike Crespo aus der Sammlung Karl Ströher, Foto: Städel Museum, Frankfurt am Main

Aber er habe das zunächst noch nicht als so dringend angesehen, weil Ulli ihm viel zu jung erschienen sei, um über so etwas zu sprechen. Und dann aber habe er sie nach einer längeren Pause wiedergetroffen, als sie die Haare ganz kurz trug und schon stärker von ihrer Krankheit gezeichnet war, da habe sie darauf gedrungen, er möge doch eine Auswahl für die Städel’sche Sammlung zu treffen. Im Nachhinein empfand Demandt dies als großen Vertrauensbeweis.

Aber zunächst einmal wollte er alles anschauen. Von der Qualität ihrer gesammelten Werke hatte er sich schon von seinen Besuchen bei ihr überzeugen können. Dann bekam er erst einmal klitzekleine Thumbnails von ihr zugeschickt, auf denen nicht soviel zu erkennen war, entschied aber: Alles! Umso beglückender sei dann das Eintreffen der bestens verpackten Arbeiten in Kisten gewesen. Denn jedes einzelne Werk sei auch nach gründlicher Prüfung hochklassig gewesen.

Ulrike Crespo; Foto: Chris O’Dell

Natürlich konnte die Wella-Miterbin von der weitaus umfangreicheren Sammlung ihres kunstliebenden Großvaters Karl Ströher profitieren, der seinerzeit ebenfalls schon ein Konvolut dem Städel anvertraut hatte. Zuvor hatte er Werke der Romantik gesammelt, von denen einige demnächst wohl dem Deutschen Romantik-Museum zugutekommen werden. Übrigens hat der Darmstädter Industrielle mit 87 Werken seiner Sammlung auch den Grundstock für das Frankfurter MMK (Museum für Moderne Kunst) gelegt. So fand Demandt es völlig in Ordnung, dass nun ihre Beuys-Werke an das MMK, das schon im Besitz anderer Beuys-Werke ist, gingen.

Ulrike Crespo sei eine bekennende Frankfurterin gewesen, sagte Christiane Riedel, die als Kunstgeschichtlerin, Architekturhistorikerin und Literaturwissenschaftlerin seit Kurzem im Vorstand der Crespo Foundation sitzt, welche auch junge Künstler und Künstlerinnen in ihrer professionellen Entwicklung unterstützt. Insofern sei es für sie selbstverständlich gewesen, dass Ulrike Crespo Teile des Erbes von ihrem Großvater Karl Ströher, der das weltweit fungierende Unternehmen Wella in Darmstadt mit aufgebaut hatte, nun an Frankfurter Museen übergab.

Christiane Riedel, Vorständin der Crespo Foundation in Frankfurt am Main; Foto: Petra Kammann 

„Ulli Crespo war eines sehr wichtig: Die Kunst sollte der ganzen Gesellschaft zugänglich sein. Sie wollte es noch mehr Menschen ermöglichen, ihre Persönlichkeit durch die sinnlich-ästhetische Erfahrung von Kunst und Kultur zu entfalten – und gründete auch dafür ihre Stiftung, die Crespo Foundation. Ihr Vermächtnis an das Städel Museum folgt dieser Logik“, sagt Christiane Riedel, Vorstand der Crespo Foundation. Und weiter: „Wir sind sehr glücklich, nun diese Ausstellung zu Ehren der Werke und Werte von Ulli Crespo zu erleben“.

Und Riedel zeichnete ein warmherziges Porträt der künstlerisch arbeitenden Fotografin, für die ästhetische Bildung immer von größter Bedeutung gewesen sei. Crespo habe mit zahlreichen Projekten gesellschaftlich Benachteiligte gefördert und dabei einen Schwerpunkt auf Bildung und Kreativität gelegt. Sie habe Künstlerinnen und Künstler unterstützt, aber auch Kunstinstitutionen, und baute eine Sammlung zeitgenössischer Kunst auf. Bildende Kunst war ihr ein existentielles Anliegen – und das hatte Familientradition.

Ihr Großvater Karl Ströher war selbst ein begeisterter Zeichner und tauschte sich mit befreundeten Künstlern aus wie mit Willi Baumeister, und er erwarb nach dem Krieg Werke der Klassischen Moderne, von unmittelbaren Zeitgenossen bis hin zur Pop-Art-Sammlung, die er 1968 vom New Yorker Versicherungsmakler Leon Kraushar (1913‒1967) kaufte und die auch den internationalen Ruf der Sammlung Ströher bestimmen sollte.

Paul Klee, Tannenwald, 1914, Aquarell auf Velinpapier, Erworben 2019 als Vermächtnis von Ulrike Crespo aus der Sammlung Karl Ströher; Foto: Städel Museum, Frankfurt am Main

Da Ströhers Enkelin außerdem auch Psychologin war, sei es der Philanthropin (Menschenfreundin) ein Leichtes gewesen, sich in andere hineinzuversetzen, vor allem auch in Kreative. Ihre Überzeugung „Menschen stark machen!“ gelte daher nicht nur als Grundsatz für die Stiftung.

Es sei immer Ulrike Crespos Wunsch gewesen, durch Kunst und die damit verbundenen Werte des Wahren, Schönen, Guten Menschen stark zu machen. Insofern sei sie, Riedel, nun glücklich darüber, dass es dem Städel nicht nur gelungen sei, in kurzer Zeit eine so hochwertige Ausstellung unter dem Titel „Zeichen der Freundschaft“ auszurichten, sondern darüberhinaus im Ausstellungstitel den Aspekt der Freundschaft zu betonen. Das  entspreche völlig der Persönlichkeit der Stifterin. Auch so kann ein Museum Danke sagen.

Die geschenkten Werkgruppen und Einzelpositionen korrespondierten in der jetzigen Ausstellung immer wieder mit Arbeiten aus dem Bestand des Städel Museums, so Regina Freyberger, die Kuratorin und Leiterin der Graphischen Sammlung ab 1750. Sie beziehen sich aufeinander, bereichern sich gegenseitig und schließen auch Lücken, die beispielsweise 1937 durch die Beschlagnahmung von Kunstwerken im Rahmen der Aktion „Entartete Kunst“ durch die Nationalsozialisten entstanden sind. Sie ergänzen und vertiefen die Städel’sche Sammlung.

Die Leiterin Graphische Sammlung ab 1750, Regina Freyberger, war Kuratorin der Ausstellung; Foto: Petra Kammann

Freyberger entschied sich daher für die nachvollziehbar chronologische Anordnung in sieben Kapiteln, die sie thematisch nach Werkgruppen ordnete:

Bauhauskünstler mit Feininger, Klee, Schlemmer, Moholy-Nagy,
Wege in die Abstraktion mit Hölzel, Kandinsky, Marc, Jawlensky,
Expressionistische Tendenzen mit Kirchner, Nolde, Rohlfs, Dix“,
Einzelpositionen mit Klimt, Ernst, Léger, Giacometti,
Art Brut mit Dubuffet
Nachkriegsmoderne mit Baumeister, Bissier, Winter und zu guterletzt
US-Amerikanische Kunst mit Francis, Twombly und Oldenburg.

Zwangsläufig müssen solche Bündelungen unter ein Thema etwas grob ausfallen, tragen aber auch zur Strukturierung der Wahrnehmung bei. So entstanden zum Beispiel nicht alle der geschenkten Werke unmittelbar am Bauhaus, spiegeln jedoch die an dieser Avant-Garde-Institution  charakteristische Suche nach neuen Formen wieder. Mal werden da Landschaft und Figuren zeichenhaft reduziert, mal kubistisch zerlegt oder geometrisch konstruiert bis hin zu Moholy-Nagys Komposition „Graue Überschneidungen“, die am Ende ganz abstrakt gestaltet und damit zur Abstraktion der jüngeren Werke überleitet.

László Moholy-Nagy, Graue Überschneidungen, Grey Overlappings 1930,  Tempera und Feder in Rot über Bleistift auf Velinpapier. Erworben 2019 als Vermächtnis von Ulrike Crespo aus der Sammlung Karl Ströher; Foto: Städel Museum, Frankfurt am Main

Auf der Website des Städel Museums kann man sich auch digital die Crespo-Sammlung, die noch bis zum 6. März 2022 in der Ausstellungshalle der Graphischen Sammlung zu sehen ist, anschauen. Ein Blick dahinein empfiehlt sich auch, zumal die zarten Papier-Werke aus konservatorischen Gründen sicher nicht dauerhaft in der Sammlung des Städel zu sehen sein werden. Das ersetzt natürlich nicht die unmittelbare Begegnung mit einer fein atmenden Papierarbeit, stellt jedoch schlüssige Entwicklungen von zeitgenössischen Gestaltungsprinzipien dar.

Weitere Infos:

Die Ausstellung ZEICHEN DER FREUNDSCHAFT. Ulrike Crespo beschenkt das Städel Museum ist bis zum 6. März 2022 in der Ausstellungshalle der Graphischen Sammlung  Städel Museum,  Schaumainkai 63, 60596 Frankfurt am Main, zu sehen

https://www.staedelmuseum.de/ 

Das filmische Porträt über Ulrike Crespo und ihr Vermächtnis wird in der Ausstellung und auf dem Städel YouTube-Kanal www.youtube.com/user/staedelmuseum gezeigt. 

Im Studiensaal der Graphischen Sammlung kann man sich nach Voranmeldung unter: graphischesammlung@staedelmuseum.deArbeiten auf Papier vorlegen lassen Mi, Fr 14.00–17.00 Uhr, Do 14.00–19.00 Uhr.

Aktuelle Corona-Informationen für den Besuch:

Eine Übersicht der jeweils geltenden behördlichen Vorgaben für Einzelbesucher und Gruppen ist unter
www.staedelmuseum.de/corona-infos  zu finden und unmittelbar vor dem Museumsbesuch tagesaktuell zu konsultieren. 

 

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