home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

1000 Jahre Freud und Leid. Erinnerungen des chinesischen Künstlers Ai Weiwei

Ai Weiwei stellte seine Erinnerungen „1000 Jahre Freud und Leid“ (Penguin) im Gespräch mit Daniel Kehlmann am Berliner Ensemble vor. Darin erzählt er vor allem seine persönliche Geschichte. Weltweit ist das Buch in 14 Sprachen erschienen. Veit Schubert las Auschnitte daraus.

von Simone Hamm

„1000 Jahre Freud und Leid“  – dieser Titel ist eine Zeile aus einem Gedicht von Ai Qing, Ai Weiweis Vater. Seinem Vater, dem Lyriker Ai Qing und seinem Sohn Lao gibt widmet der Künstler viele Seiten.

Ai Weiwei 2019 in Frankfurt; Foto: Petra Kammann

Der Abend in Berlin war europaweit die einzige Veranstaltung. Daniel Kehlmann stellte Ai Weiwei als den größten lebenden Künstler vor, allerdings einen, der in seiner Heimat totgeschwiegen werde. Ob  Ai Weiwei sich denn vorstellen können, wieder nach China zurückzukehren, wollte Kehlmann wissen. Morgen, wenn es möglich sei.

In China wurde sein Vater mit der Familie zwanzig Jahre lang in die Mandschurei und nah Xinjiang verbannt, sie lebten dort in einem Erdloch. Da habe er gelernt, so Ai Weiwei, sich unter der Erde wohlzufühlen. Deswegen befinde  sich sein riesiges Atelier am Prenzlauer Berg in den Kellergewölben einer alten Brauerei.

Der Vater hatte seine Bücher und seine Kunstbuchsammlung verbrannt. So wollte er die Familie schützen – was nämlich, wenn die Rotgardisten Bände mit Barock- oder Renaissancekunst gefunden hätten?

Einmal habe ein Schweinepo in der Eingangsöffnung gehangen, mit vereinten Kräften habe man das Schwein nach oben geschoben. Seinen Humor hat Ai Weiwei nicht verloren. Er sei jung gewesen und dumm, das helfe manchmal.

Ai Weiwei mit der Witwe des Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo. Die chinesische Lyrikerin, Malerin, Fotokünstlerin hatte in der Frankfurter Galerie-Peter-Sillem ausgestellt; Foto: Petra Kammann

In dieser Zeit habe keiner keinem getraut. So etwas würden totalitäre Systeme erreichen. Die Angst vor Denunziation werde unter dem Druck so groß, dass man selbst den eigenen Eltern, den Kindern nicht mehr traut. Es gelte nur noch, irgendwie zu überleben.

1981 durfte Ai Weiwei als einer der ersten Künstler in die USA reisen, 12 Jahre lang hat er New York gelebt. Als er in der Bowery ankam, so der Künstler, sei das gewesen, als wäre er aus Eiswasser in heißes Wasser getaucht worden.

Als sein Vater erkrankte, kehrte er 1993 nach China zurück. In seinen Blogs äußerte er sich kritisch über die chinesische Regierung. Damals hätten soziale Medien in China noch Freiheit bedeutet, heute dienten sie vor allem als Mittel der Unterdrückung.

Ai Weiwei: 1000 Jahre Freud und Leid.
Erinnerungen.
Penguin. 38,00

 

Ai Weiwei recherchierte zum Erdbeben in Sichuan, bei dem tausende von Schulkindern ums Leben kamen. Das wurde verschwiegen. Er aber fand die Namen der Toten heraus, widmete ihnen eine große Installation, auf denen die Namen der Toten verlesen, ihre Ranzen gezeigt wurden.

Er wurde geschlagen, erlitt eine Hirnblutung. Nur weil er sich wenige Tage später zufällig in Deutschland befand, konnte er, nachdem er in München im Klinikum Großhadern behandelt worden war, überleben. Als er nach China wieder zurückkehrte, musste er sein Atelier räumen, durfte nicht mehr ins Ausland reisen.

Seinen Humor hat er selbst dann nicht verloren, als er 2011, viele Jahre später, wegen regierungskritischer Bemerkungen ins Gefängnis geworfen wurde. Wie er das überlebt habe, fragt Kehlmann ihn und entschuldigt sich gleich für seine naive Frage. Er habe die beiden Soldaten, die mit ihm in einer Zelle lebten, ununterbrochen beobachtet. Er habe viel Phantasie.

Seine Mutter habe immer geglaubt, er werde einmal ein zweiter Picasso. Eigentlich halte sie nicht viel von seiner Kunst. Nur, weil er seine Mutter achte und ihrem Urteil vertraue, nehme er seine Kunst heute nicht mehr allzu wichtig.

Ai Weiwei hat Berlin, hat Deutschland scharf kritisiert. Der 64-jährige lebt heutzutage in Portugal. Aber selbst auf hartnäckiges Nachfragen Kehlmanns blieb er freundlich. Auf die rassistischen Vorfälle, die ihn aus Berlin vertrieben haben, ging er nicht ein. Er liebe die Deutschen, aber er sei auch ein kritischer Mensch. Und er habe ein großes Mundwerk.

Scharfe Kritik übte er an der europäischen Flüchtlingspolitik. Auf Lesbos hatte er Flüchtlinge getroffen und fotografiert. Aus diesen Fotos ist – zusammen mit Kleidung der Geflüchteten, die er wie in einem second hand shop aufgehängt hatte – ein großes Kunstwerk entstanden.

Schlangen vor der Eröffnung der Ai Weiwei-Ausstellung in Düsseldorf im K20 und K21 2019; Foto: Petra Kammann

Auf das Verhältnis Deutschland – China angesprochen, sagte er: „Wir Chinesen können leiden. Die Deutschen spielen Schach, wir spielen Go.“ Das Ziel beim Go Spiel ist es, die Steine des Gegners einzukreisen und mehr und mehr Fläche auf dem Spielfeld zu erobern.

 

 

Comments are closed.