home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Christian Krachts „Eurotrash“ an der Berliner Schaubühne

Ein irrer Segeltörn

von Simone Hamm

Kracht war 2021 mit „Eurotrash“ für die Short-List des Deutschen Buchpreises nominiert worden. In seinem Roman „Eurotrash“ holt ein Mann seine alte tabletten- und alkoholsüchtige Mutter aus der Psychiatrie, packt ein paar Hermès-Tücher, reichlich Wodka und Pillen für sie ein, bestellt ein Taxi, hebt mit ihr 600.000 Euro von ihrem Konto ab und reist mit ihr durch die Schweiz…

Joachim Meyerhoff und Angela Winkler in: „Eurotrash“ von Christian Kracht. Regie: Jan Bosse, Foto: Fabian Schellhorn/ Schaubühne

Mit auf die Reise nimmt dieser Mann, der sich Christian Kracht nennt, die Gespenster seiner Jugend: den nationalsozialistischen Großvater, der auch nach Kriegsende und Entnazifizierung ein Nazi blieb, den Vater, einen Emporkömmling, der die rechte Hand Axel Springers war und der die Mutter nach der Trennung um eine Expressionisten-Sammlung betrogen hat, die Erfahrungen in einem kanadischen Internat, in dem er als Elfjähriger missbraucht wurde.

Was davon Teile seiner Biografie sind (der Vater war Generalbevollmächtigter bei Axel Springer), und was darüber hinaus erfunden ist, lässt Kracht im Dunkeln.

Jan Bosse hat „Eurotrash“ für die Berliner Schaubühne dramatisiert. Joachim Meyerhoff wird, nachdem er sich umgezogen hat, den schmierigen Parka abgelegt und einen hellblauen Anzug angezogen hat, zu Christian Kracht mit flachsblonder Perücke.

Angela Winkler im gelben Chanelkleid, mit Sonnenbrille und violetter Perücke ist die kapriziöse Mutter, streng und biestig. Niemals kann der Sohn es ihr recht machen. Ziel der Reise ist es, soviel Geld wie möglich zum Fenster herauszuwerfen. Sie besteigen eine Segelyacht (kein Taxi wie im Roman), mit dem sie durch die Schweiz reisen, in die Berge, denn die Mutter wünscht, ein Edelweiß zu sehen.

Krachts Roman ist bitterböse und bisweilen auch sehr komisch. Bosse hat sich nämlich dazu entschieden, die Komik zu übernehmen und manchmal – wie in dem Bild vom Schiff – ins Absurde zu steigern.

Meyerhoff gibt einen lässigen, lustigen Christian Kracht. Doch hinter allem Spielwitz, hinter manchmal geradezu slapstickhaften Einlagen, etwa, wenn Meyerhoff/Kracht übers Schiff stolpert, verkörpert dieser die dahinterliegende Einsamkeit, die Verlorenheit, die Traurigkeit des nach Anerkennung der Mutter heischenden Sohnes.

Angela Winkler als Mutter und Joachim Meyerhoff als Christian Kracht; Foto: Fabian Schellhorn/ Schaubühne

Angela Winkler ist sein perfektes Gegenüber. Zart und zerbrechlich ist sie, herrisch und garstig zugleich. Sie wirft ihm sein mangelndes Talent vor, hätte er doch einen Roman geschrieben wie W.G. Sebald, würde er wenigstens mal eine „anständigen“ Roman von Flaubert lesen. Diese den Sohn herabwürdigende Mutter ist von Ängsten geprägt, von ihm abhängig.

Denn sie lässt sich nur von Geschichten beruhigen, die der Sohn für sie erfindet. Sie offenbart ihm ein Geheimnis. Auch sie ist als Elfjährige missbraucht worden, immer wieder. Aber darüber hat sie nie gesprochen, ebensowenig wie über den Missbrauch des Sohnes.

An diesem so beredten Theaterabend ist das allgemeine Schweigen groß.

Bosse vertraut seinen beiden Schauspielern, schafft keine Szenen, sondern hält sich eng an die Romanvorlage. Sie enttäuschen weder ihn noch das Publikum. Sie sind einfach großartig, auch und gerade in ihren Widersprüchen.

Die Mutter will jetzt nach Afrika, um die Hinterteile der Zebras zu betrachten. Eine Tür im Bühnenraum öffnet sich. Wir sehen Menschen, die den Ku’damm entlang flanieren.

Was also wahr ist und was „nur“ Spiel, das wollte Bosse in seiner Version von „Eurotrash“ ebensowenig enthüllen wie Christian Kracht in seinem Roman.

Comments are closed.