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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Fjodor M. Dostojewski – Der Erzähler des Tragikomischen

Zum 200. Geburstag des großen russischen Dichters

Von Gisela Erbslöh

Der russische Schriftsteller Fjodor Dostojewski hat Weltliteratur geschrieben. Seine Romane „Schuld und Sühne“, „Die Brüder Karamasow“ oder „Die Dämonen“ sind bis heute aktuell. Man hat ihn als großen Psychologen bezeichnet, als Propheten, politischen Denker und Religionsphilosophen. Wer war dieser 1821 in Moskau geborene Mann, der auch eine Zeitlang in Deutschland lebte und in Baden-Baden, in Bad Homburg, in Wiesbaden die Spielbank besuchte?

Fjodor M. Dostojewski, 1871 porträtiert von Vasily Perov, das heute in der Tretjakov Galerie hängt

Man stelle sich Dostojewski vor. Kaum hat er geheiratet, da muss er vor seinen russischen Gläubigern ins Ausland fliehen. Er landet mit seiner jungen Frau in Baden-Baden, schreibt keine einzige Zeile, sondern verspielt das wenige Geld, das sie zur Verfügung haben.

Er ist einer der wirkungsvollsten und meistgelesenen Autoren der Weltliteratur: Fjodor Michajlowitsch Dostojewski, ein virtuoser Erzähler und Schöpfer tragikomischer, sehr menschlicher Figuren, der periodisch sein Geld in den Spielbanken Europas verspielte.

In einer entlegenen Ecke von Baden-Baden steht seine Skulptur, barfuß, ärmlich gekleidet, den Blick für immer in Richtung des hiesigen Spielkasinos gerichtet, und im Rücken ein Straßenschild mit der Aufschrift „Platz der badischen Revolutionäre“.

Ausgerechnet. Ist das, fragt sich die Betrachterin, Ironie oder Absicht? Denn Dostojewski verabscheute alles Revolutionäre seiner Zeit. Nachzulesen unter anderem  in seinem faszinierenden Roman „Die Dämonen“, in dem der Entwurf einer totalitären Utopie die Schrecken des Stalinismus im 20. Jahrhundert vorwegnimmt.

Doch auch dem westlichen Europa als Quelle kapitalistischer wie sozialistischer Ideen stand Dostojewski äußerst kritisch gegenüber und das Deutschland des 19. Jahrhunderts. Was er über das zeitgenössische Europa dachte, hielt er 1864 in seinem noch heute lesenswerten Buch „Winteraufzeichnungen über Sommereindrücke“ fest.

Gleich ob Baden-Baden, Wiesbaden oder Bad Homburg und überhaupt das westliche Europa mochte Dostojewski gar nicht. „Baden-Baden ist die Hölle“, schrieb er einem Freund nach seinem dritten Aufenthalt in der schon damals weltbekannten badischen Kurstadt. Das war im Jahr 1867. Als Autor und Publizist hatte er sich in Russland bereits einen Namen gemacht, aber auch Furchtbares erlebt, und die Hölle steckte wohl mehr in ihm selbst als im Tal an der Oos.

Geboren wurde er vor 200 Jahren in Moskau als Sohn eines Armenarztes. Der ließ ihn in Petersburg zum Militäringenieur ausbilden, doch der Sohn wusste früh, dass die Literatur seine Sache war. Mit 25 Jahren gelang ihm ein phänomenales Debut. „Arme Leute“ hieß dieser erste Roman, der seinen Ruf als „neuer Gogol“ und „Anwalt der kleinen Leute“ begründete. Doch bald holte ihn die bittere Realität des autokratischen Regimes von Zar Nikolaj I ein, der das russische Reich mit einem Netz von Spionen überzogen hatte.

Der junge Autor war Mitglied eines verbotenen Lesekreises um den Sozialisten Petraschewski gewesen. Der Kreis flog auf, die Teilnehmer wurden verhaftet und viele von ihnen zum Tode verurteilt, darunter Dostojewski. Er stand bereits auf dem Schafott, als in letzter Sekunde die Begnadigung verkündet wurde. Das Trauma, der Erschießung entgegensehen und die letzten Minuten zählen zu müssen, hat er nie verwinden können.

Es folgte die Hölle: zehn Jahre Zwangsarbeit und Dienst als einfacher Soldat in Sibirien. Ende der 1850er Jahre durfte er in die russische Hauptstadt zurückkehren: nun epilepsiekrank, bald auch glückspielsüchtig und gewandelt zum flammenden Monarchisten und Nationalisten.

Als er mit 59 Jahren in St. Petersburg starb, kamen Zehntausende zu seinem Begräbnis.

Man hat Dostojewski als großen Psychologen bezeichnet, als Propheten, politischen Denker und Religionsphilosophen. Und im heutigen Russland wird er von gewissen Gruppierungen als Vordenker und Stifter der russischen Einheit gefeiert.

Tatsächlich war er ein wandelndes Paradox. Ein genialer Autor voller innerer Widersprüche. Seine dunklen Seiten kamen vorwiegend in seinem „Tagebuch eines Schriftstellers“ der letzten zehn Lebensjahre zum Ausdruck. Der orthodoxe Glaube war für ihn existentiell, aber er war auch ein großer Zweifler; seine literarischen Figuren ließ er christliche Nächstenliebe und Versöhnung predigen, aber er schmähte Juden und Polen, er hieß Kriege aufgrund ihrer „verjüngenden Wirkung“ gut und idealisierte das „russische Volk“, das die Mission mit seiner einzigartigen, spirituellen Kraft die Welt zu erlösen und zu erneuern habe.

Der Künstler in ihm war jedoch ungleich stärker als der Ideologe. Dostojewski schrieb keine „Wohlfühl-Literatur“, aber er wusste, wie man das Publikum mit Spannung bei der Stange hält. Er hatte Witz und Humor und ein untrügliches Gespür für das Komische, dem als Kehrseite immer das Tragische beigemischt ist. Seine Erzählungen und Romane behandeln umstrittene Ideen und brennende Fragen nicht nur seines Jahrhunderts. Als Autor, der den Leser in Tiefen des menschlichen Bewusstseins hineingeführt hat wie kein anderer, wird er immer aktuell bleiben.

 

 

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