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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Binding-Kulturpreise 2020 und 2021

Brücke zwischen Studium und Beruf und ein wichtiges Gütesiegel der Ausbildung „Das Zukunftsorchester“ – Junge Deutsche Philharmonie

Musikalisch und tänzerisch

von Renate Feyerbacher

Die Preisträger 2020 und 2021, Von links:  Ina Hauck (Städträtin) , Justin Auer (JDPh), Bergit Gräfin Douglas, Jacob Bussmann (ID_Frankfurt), Otto Völker (Vorstand Binding Brauerei), Foto: Renate Feyerbacher

Frankfurt kann sich glücklich schätzen, eine solche Musik-Institution in ihrem Stadtgebiet zu haben. Die Rede ist von der Jungen Deutschen Philharmonie, in der etwa 260 junge Musiker und Musikerinnen im Alter von 18 bis 28 musizieren. Sie sind die besten Studierenden deutscher Musikhochschulen.

Schon 2020 hatte die Jury des Binding Kulturpreises dem Orchester den mit 50.000 Euro dotierten Preis zugesprochen. Nun wurde die Verleihung, die sonst immer im Sommer stattfindet, am 30.Oktober in der Paulskirche nachgeholt.

„Ohne Fleiß kein Binding-Preis“, scherzte  Bergit Gräfin Douglas. Kulturdezernentin Dr. Ina Hartwig konnte wegen Krankheit nicht kommen und schickte Stadträtin Ina Hauck.

Kulturdezernentin Hartwig hatte angesichts der Corona Pandemie im 46. Magazin „Der Taktgeber“, das mehrmals erscheint und über die Aktivitäten, über die jungen Orchester-mitglieder, über Konzerte und mehr informiert, die Bedeutung von Künstlerinnen und Künstlern hervorgehoben. Diese vermittelten mit ihrer Arbeit Hoffnung, Orientierung und Utopien und können so unverhoffte Erkenntnisse hervorrufen und eigene kreative Phantasie mobilisieren, welche die eigene Handlungsfähigkeit erweitern. Die Musikerinnen und Musiker der JDPh brächten „Qualität ebenso Energie und Experimentierfreude in die gemeinsame Musik ein, testen Grenzen aus, brechen traditionelle Hörgewohnheiten auf und ermöglichen so die Entstehung außergewöhnlicher Klang- und Konzerterfahrungen.“ Kultur ist eben kein Freizeitvergnügen, auf das verzichtet werden kann.

 Urkunde; Foto: Renate Feyerbacher

Der derzeitige Vorstandssprecher der Jungen Deutschen Philharmonie (JDPh), der Schlagzeuger Justin Auer, nahm die Urkunde von Gräfin Douglas entgegen und bedankte sich froh-bewegt für die wichtige finanzielle Unterstützung, aber auch dafür, dass der Preis ihnen für die bevorstehenden Herausforderungen Mut und Zuversicht vermittelt.

Vor sieben Jahren noch hatte die Junge Deutsche Philharmonie ihr 40-jähriges Bestehen mit einem Festkonzert in der Alten Oper gefeiert. Gleichzeitig übergab der damalige Dirigent Lothar Zagrosek den Dirigentenstab an Jonathan Nott, der noch heute der erste Dirigent und künstlerische Berater des Orchesters ist und in Zukunft auch bleiben wird. Der gebürtige Brite – er war viele Jahre Chefdirigent der Bamberger Symphoniker– ist Musikdirektor des Tokyo Symphony und Chefdirigent sowie Musikdirektor des Orchestre de la Suisse Romande.

Laudator war der Musikredakteur des Hessischen Rundfunks Dr. Andreas Bomba. Er erinnerte an die Gründung 1974. Daran, dass Jahre zuvor das Bundesjugendorchester gegründet worden war, zu dem die Crème de la Crème der 14- bis 19-jährigen Musikerinnen und Musiker gehörten und gehören. Als sie es aus Altersgründen verlassen mussten, gründeten sie das Bundesstudentenorchester alias die Junge Deutsche Philharmonie. Sie ist basisdemokratisch organisiert. Das heißt, die Mitglieder bestimmen alles selbst, machen fast alles selbst und wählen aus ihren Reihen den Vorstand und den Programmausschuss.

Aus ihren Reihen ist das Ensemble Modern hervorgegangen. Namhafte Dirigenten standen und stehen immer wieder am Pult und großartige Solisten beziehungsweise Solistinnen sind dabei. Mehrere Preise haben sie gewonnen. Interessierte Musik-Studentinnen und – Studenten können sich bis in den Dezember hinein zum Probenspiel anmelden.

In der studienfreien Zeit wird im Haus der Jungen Deutschen Philharmonie in der Schwedlerstraße in Frankfurt geprobt. Das Orchester ist zu Konzerten unterwegs. So war etwa das Orchester im September zur Herbsttournee, genannt „Freigeist“, mit dem Pianisten Kit Armstrong und dem Dirigenten Andrée de Ridder unterwegs.

Wenn Corona es zulässt, wird Jonathan Nott das Neujahrskonzert 2022 „Hommage“ in der Alten Oper dirigieren. Klassische Werke, aber auch immer wieder Werke moderner Komponisten, im Januar sogar die Uraufführung eines Auftragswerks, gehören zum Programm.„Call“ nennt sich  die Winter-Kammermusik, die im Februar in hessischen Orten stattfindet.

JDPh – Vorstände mit den Musikerinnen und dem Pianisten (links), Foto: Renate Feyerbacher

Drei junge Künstlerinnen der JDPh – die Geigerin Saskia Niehl, die Bratschistin Franziska Wenzel, die Cellistin Anne-Claire Dani und der Pianist Guillaume Durand – erfreuten durch ihr meisterhaftes Spiel der Klavier-Quartette von Mozart und Brahms. Eine schöne Präsentation.

 

Informationen:

www.jdph.de oder info@jdph.de

Tel 069 – 94343050,

 

Der Binding-Kulturpreis 2021 an ID_Frankfurt

Ein Zusammenspiel von vielen

Das Kuratorium der Binding Kulturstiftung hat sich in diesem Jahr bewusst für Aktive im darstellerischen und tänzerischen Bereich ausgesprochen, die besonders von der Pandemie betroffen waren und sind.

Kulturdezernentin Dr. Ina Hartwig nannte die Auszeichnung „hoch verdient“. Dass Frankfurt mehr und mehr zu einem der bundesweit wichtigsten Zentren der experimentelleren Formen der Darstellenden Kunst werde, sei auch ein Verdienst von ID_Frankfurt.

„Das Neue entsteht einfach, wird mancher sagen, es entsteht einfach, wie von selbst. – Ich denke, das stimmt nicht. – Ich denke, das Neue ist nicht da, es muss gemacht werden, – mit anderen Worten, das Neue ist Arbeit. Es entsteht vielleicht auch aus Phantasie, Zufall, Liebe, Wut, aber sicher ist es Arbeit. Man könnte sagen, Kunst ist die Arbeit am Neuen“, so Peter Michalzik in seiner Laudatio, die er mir zuschickte.

Michalzik, Autor von Büchern über Gustaf Gründgens, Siegfried Unseld, Heinrich von Kleist, Theaterkritiker, Journalist, Gastprofessor für „Performance und Autorschaft“ an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt und Dozent am Mozarteum in Salzburg, setzt sich zögerlich mit der gar nicht trivialen Frage auseinander, was ID_Frankfurt ist. Sie sei nicht einfach zu beantworten, nur zögerlich habe er sich herangetastet.

ID_Frankfurt, die Independent Dance and Performance ist eine gemeinnützige Assoziation freischaffender Künstler*innen, Theoretiker*innen und Vermittler*innen in Choreografie und Performance, die in Frankfurt am Main und Umgebung tätig sind. So steht es auf der offiziellen Seite des Vereins, von dem ich bis dato nichts gehört und nichts gewusst hatte.

Der Verband wurde 2009 zur Verbesserung der Arbeitssituation und zur Selbstorganisation gegründet. Die Aktivitäten von ID_Frankfurt werden von den Mitgliedern kollaborativ und solidarisch entwickelt und getragen. Ein wechselnder ehrenamtlicher Vorstand begleitet und unterstützt diese Prozesse und sorgt für eine kontinuierliche kulturpolitische Arbeit.

Michalzik nennt die Adjektive, die den Verein charakterisieren: kollaborativ, solidarisch, ehrenamtlich, kontinuierlich, kulturpolitisch und beweglich, definiert sich immer wieder neu. Es wird viel diskutiert – ein Netzwerk. Workshops und Vorträge werden angeboten.

Otto Völker, Gräfin Douglas, Mitglieder von ID Frankfurt – rechts Bomba, Hauck, Foto: Renate Feyerbacher

Der Laudator hatte seine Rede in vier Themen aufgeteilt. Im zweiten Aspekt lässt er die Tanzszene von Frankfurt Revue passieren, beginnend mit dem TAT, weiter mit Forsythe, dem Mousonturm und dem Naxos Studio. Zwei Jahre bevor Forsythe in Frankfurt begann, war in Gießen das bundesrepublikanische Institut für Angewandte Theaterwissenschaft gegründet worden, ein Vorreiter von Formen, die man Performance nennt. Verbunden ist mit ihm auch der Name Heiner Goebbels, der zur Preisverleihung gekommen war. Noch mehr Namen von anderen Einrichtungen und Aktivitäten müssten genannt werden. Derzeit ist die Diskussion über ein Tanzhaus aktuell.

Als Punkt drei nennt Michalzik ID_Frankfurt einen Interessenverband. „Es geht aber eben nicht, wie sonst, primär um Macht, Einflusssphäre, Durchsetzung. Es geht um Ermöglichung. Simpel und konkret. Ein zentraler Punkt ist: Der Antrag. Der Weg von der Idee zum Antrag ist kompliziert, der Antrag ist inzwischen eine eigene Kunst und Antragstellen heißt, das Aushalten von Bürokratie. ID_Frankfurt hilft Künstler*Innen dabei. Mitglieder von ID Frankfurt lernen, Fördergelder professionell zu beantragen und zu verwenden.“ Geholfen wird auch bei der Gestaltung einer Website.

Und in Punkt vier bekundet der Laudator seine Zufriedenheit darüber, dass ID_Frankfurt den Preis bekommt. „Der Verein ermöglicht Dinge, die es woanders nicht gibt. Er macht das mit Pragmatismus aber auch mit einem gut funktionierenden Kompass, der nicht rein moralisch, nicht rein ästhetisch, nicht rein institutionell funktioniert, aber nun seit 12 Jahren mit bemerkenswerter Sicherheit eine Richtung bei der Entwicklung des Tanzes zeigt.

Die Stadt schuldet Ihnen Dank für eine ruhige, konzentrierte, kulturelle und gesellschaftliche Arbeit, für eine Arbeit in Selbständigkeit und mit eigenen Vorstellungen, aber ohne Selbstbezüglichkeit und Selbstbezogenheit, für Eigenständigkeit ohne verbohrten Eigensinn, für eine Arbeit, die nach Vorne schaut, ohne einen überkommenen Avantgardismus zu forcieren. Eine Arbeit, die jungen Künstlern Halt und Perspektive gibt, ohne einzuengen und festzulegen, für eine Institution, die nicht festgefahren ist.

Das ist, wie wir wissen, schwieriger als es scheint. Ich denke, und das ist mir ausgesprochen wichtig, wir können von ID_Frankfurt lernen.Auch dafür Danke.“

Als Darbietung schilderten Mitglieder den Aufbau eines Swing- beziehungsweise Tanzbodens, dessen Tanzteppich sich über Nacht glätten muss, bevor dort getanzt werden kann. Alle Mitglieder sind bei Veranstaltungen am Auf- und Abbau beteiligt. Ein mühsames Unterfangen.

Die Feierstunde in der Paulskirche, die sogar ein Zusammenkommen danach im Ratskeller, ermöglichte, war außergewöhnlich und brachte neue Erkenntnisse über kulturelle Aktivitäten. Es ist wirklich viel los im experimentellen Bereich der Stadt Frankfurt. Wahrscheinlich gäbe es noch viel mehr zu entdecken.

Zwei hochverdiente Binding Kulturpreise, die 100 000 Euro ausschütteten und zwei engagierte Kulturinstitutionen beglückten. Bergit Gräfin Douglas bedankte sich für Einsatz und Leidenschaft bei den scheidenden Kuratoriumsmitgliedern.

 

ID_Frankfurt e.V. 

Schmidtstraße 12
60326 Frankfurt am Main

info@idfrankfurt.com

 

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