home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Starke Stücke im Schauspiel Frankfurt (21)

Geld, Macht, Widerstand

von Renate Feyerbacher

„ÖL!“, „Michael Kohlhaas“, „Wickie und die starken Männer“. Diese Stücke sind in dieser Spielzeit herausragend.

Öl!“ nach dem Roman von Upton SinclairFür die Bühne bearbeitet von Jan Christoph Gockel, sowie Katrin Spira und Ensemble, Foto: Thomas Aurin

Unglaublich viel Öl hat die Menschheit bislang verbrannt. Die Zahl der Autos hat sich drastisch erhöht. Die Chemie-Industrie hätte ohne Öl nicht die Bedeutung bekommen können. Viele Produkte, die wir brauchen, wie Medikamente, Textilien, Kosmetika, Verpackungen und vieles andere mehr gäbe es ohne Erdöl nicht.

Regisseur Jan-Christoph Gockel hat eine Abschiedsparty für das Ende vom Rohstoff Öl inszeniert. Er predigt nicht, mahnt nicht, verherrlicht nicht. Ein skurriler, lebendiger Theaterabend mobilisiert die Gedanken zur Klimakrise, zu den Protesten der Fridays for Future-Bewegung, zum derzeitigen ausbeuterischen Kapitalismus.

Es ist viel, was im Theaterstück zur Sprache kommt und was erzählt wird. Das hat auch damit zu tun, das der Romanautor Upton Sinclair in 21 Kapiteln in seinem bereits 1927 erschienenen Buch „OIL!“, welches sich mit den Familiengeschichten des Ölbarons J. Arnold Ross und seines Sohnes Bunny sowie mit den armen Mitgliedern der Familie Watkins beschäftigt.

Aus einem so umfangreichen Buch eine Auswahl zu treffen, ist für die Bühne natürlich ein schwieriges Unterfangen. Der Roman trug übrigens im Deutschen zunächst den Titel „Petroleum“. 2013 gab es eine Neuübersetzung – nun lautet der Titel des Romans „Öl!“

Der amerikanische Autor, der Journalist und Sozialreformer Upton Sinclair (1878-1968) stammte aus einer verarmten Familie und kam aus dem Süden der USA. Er studierte in New York, verdiente mit Groschenromanen seinen Unterhalt. Früh kam er mit dem Sozialismus in Kontakt, kandidierte öfters für politische Posten, war 1934 Gouverneurskandidat der Demokraten. 1906hatte er in„The Jungle“ („Der Dschungel“)  die Missstände in den Schlachthöfen von Chicago aufgedeckt. Damit gelang ihm der literarische Durchbruch. „Schmutzaufwühler“, „Nestbeschmutzer“ nannte man ihn. Sein Roman „Oil!“ beschäftige 1927 sogar die Zensur.

1943 erhielt Sinclair dann für „Dragon‘s Theeth“ („Drachenzähne“) aus dem mehrbändigen Lanny-Budd-Zyklus den Pulitzer Preis. Mit Albert Einstein, der ihn schätzte, war Sinclair über Jahre brieflich verbunden.

Was geschieht im Stück?

Der Vater – Wolfram Koch als J. Arnold Ross mit Cowboyhut und Ledermantel – skrupellos, manchmal aber, als wäre er nicht immer dabei -, trimmt den 12-jährigen Bunny für die Rolle des Ölmanns. Was bedeutet es, den richtigen Riecher zu entwickeln und gnadenlos vorzugehen, wenn es darum geht, Land zu erwerben? Torsten Flassig spielt Bunny in seinem Zwiespalt überzeugend.

Der Junge wächst mit allen finanziellen und materiellen Vorteilen eines reichen Kindes auf. Der alte Ross beraubt die Watkins-Geschwister des Grundstücks. Bunny bewundert die Watkins aber mehr und mehr – vor allem den ältesten Paul (André Meyer, stark). Er ist Sozialist und Gewerkschafter und wird zum Streikführer gegen Ross. Später wird er als Soldat eingezogen. Eli, der religiöse Fanatiker (Andreas Vogler, überzeugend scheinheilig), sieht in der Ausbeutung der Erde einen göttlichen Willen. Ruth, seine Schwester (Lotte Schubert, engagiert), ist eine kluge Aktivistin, die sich gegen den naiven Bunny und seinen skrupellosen Vater stellt. Der kriegt nämlich den Hals nicht voll, steigt auch noch ins Filmgeschäft ein, steigert sein Vermögen weiter und will sich verewigen lassen.

Vater Ross hält Bunny bei der Stange und engagiert die Hollywood-Schauspielerin Vee Tracy (Caroline Dietrich, mondän), die dafür sorgen soll. Aber je älter Bunny wird, desto mehr widern ihn Ausbeutung und Bestechung an. Bunnys Idealismus drängt ihn zwischen die Fronten von Glamour und Politik, seine eigenen Privilegien und hin zu den Sympathien für die Arbeiterschaft.

Aber „Die Figuren stehen in ihrem eigenen Dreck – und Glamour und Erfolg fußen auf den Grundfesten von Lüge, Korruption und Ausbeutung der Natur.“ (so Arnold Schwarzegger im Programmheft)

Julia Kurzweg hat passend dazu eine Bühne mit vielen Effekten entworfen. Das Zeichen Hollywood ist immer dabei sowie ein altes Auto und die Öl-Pfütze, um die herum sich alles abspielt. Die Kostüme entwarf Amit Epstein und die überraschenden Licht-Momente verantwortete Marcel Heyde.
Die Live-Kamera von Benjamin Lüdtke und Eike Zuleeg, der das Konzept und die Bildgestaltung plante, war ständig gefordert und ausgezeichnet geführt. Verrückte Szenen. Für Musik und Hörspiel war Matthias Grübel zuständig.

Ein virtuoser Theaterabend, der allerdings die tiefe Problematik des Themas nicht wirklich wahrnimmt. Aber das Publikum war begeistert. Es war eben viel los, manchmal halt zu viel…

Weitere Aufführungstermine:
21. November
3.,15.,17.,18. und 22.Dezember

Rechtschaffen – Entsetzlich

Die historischen Gestalt Hans Kohlhase hat um 1500 bis 1540 – wurde er in Berlin hingerichtet – gelebt. Im Streit mit Gefolgsleuten des sächsischen Kurfürsten geschieht ihm Unrecht. Er greift zur Selbstjustiz, nicht zuletzt, um sein Verlangen nach Gerechtigkeit zu stillen. Dabei wird er am Ende zum Mörder. Mit vielen Petitionen und Schreiben hat Kohlhase versucht, sein Recht zu bekommen. Vergeblich. Er glaubt, es sich durch Gewalt und Mord holen zu können. Auch unbeteiligte Bürger werden nicht verschont.

„Michael Kohlhaas“ (Aus einer alten Chronik) nach Heinrich von KleistFür die Bühne bearbeitet von Felicitas Brucker und Alexander Leiffheidt; Foto: Thomas Aurin

Der Reformator Martin Luther schrieb Kohlhase 1534 einen Brief, in dem er ihn mahnt: „Demnach, so Ihr meines Rats begehret (wie ihr schreibet) so rate ich, nehmt Friede an, wo er Euch werden kann, und leidet lieber an Gut und Ehre Schaden, denn daß Ihr Euch weiter sollt begeben in solch Fürnehmen“ [= in solch ein Unternehmen/Vorhaben].“ (Zitiert nach Wikipedia)

Das sind die schlichten Fakten zur historischen Figur, die Heinrich von Kleist (1777-1811) sich für seine grandiose Erzählung „Michael Kohlhaas“ zum Vorbild nahm, die er zwei Jahrhunderte nach dem historischen Ereignis schrieb.

Zwei Rappen werden Michael Kohlhaas wegen des Wegezolls als Pfand genommen. Für ihn ist das illegal. Er fordert sie zurück, muss aber feststellen, dass sie durch die Feldarbeit an Wert verloren haben. Er beginnt, rechtliche Schritte einzuleiten.

An den Ufern der Havel lebte, um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts ein Roßhändler, namens Michael Kohlhaas, Sohn eines Schulmeisters, ein der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit. [..] Das Rechtsgefühl aber machte ihn zum Räuber und Mörder.“ So beginnt Kleist seine längste Erzählung.

Mit dem Gespräch zwischen Martin Luther und Michael Kohlhaas, der ungebeten kommt, beginnt das Stück. Kohlhaas will beichten, aber Luther verweigert ihm die Vergebung. Luther: „Wer hätte dich aus der Gemeinschaft des Staates, in welchem du lebtest, verstoßen? Kohlhaas: „Verstoßen!“ [..] „Verstoßen [..], nenne ich den, dem der Schutz der Gesetze versagt ist!“ (Kleist Erzählung)

In Kleists Erzählung entsteht daraus eine längere Auseinandersetzung. Es wird auch ein Plakat, das Luther zuvor veröffentlicht hatte, erwähnt. Darin heißt es:“ „Das Schwert, wisse, das du führst, ist das Schwert des Raubes und der Mordlust, ein Rebell bist Du und kein Krieger des gerechten Gottes, und dein Ziel auf Erden ist, Rad und Galgen, und jenseits die Verdammnis, die über die Missetat und die Gottlosigkeit verhängt ist.

Regisseurin Felicitas Brucker jedoch interessiert nicht der historische Luther. Er ist halt eine Instanz. Der Abend beginnt und endet jedoch mit Luther. Kleist lässt die Widersacher mal Recht, mal Unrecht haben, mal beides. Das macht die Geschichte so komplex und die Beantwortung der Frage nach Gerechtigkeit so schwierig. Ein beunruhigender Text, dessen Aspekte Felicitas Brucker auch für die heutige Krise sieht.

Es ist die zweite Inszenierung am Schauspiel Frankfurt der in Stuttgart geborenen Regisseurin, die in München und London Literatur-, Theater- und Kommunikationswissenschaften sowie Regie studierte und heute von allen großen deutschsprachigen Bühnen hofiert wird. 2019 sprang sie für eine erkrankte Kollegin ein und machte sich an die Arbeit von Gerhart Hauptmanns „Die Ratten“. Eine ausgefallene Arbeit, die mir aber als zu hektisch und wenig empathisch in Erinnerung ist. Kohlhaas ist in unserer Gesellschaft gegenwärtig. Diesen Gedanken vermittelt sie.

Brucker lässt das Geschehen auf verengter Bühne spielen. Viva Schudt hat ein außergewöhnliches Bühnenbild mit mehreren Ebenen, mit Zimmern,  auch mit engen Passagen entworfen, durch die nur gekrochen werden kann. Fluchtwege. Vorzügliche Voraussetzung für ein lebendiges Theaterspiel. Es gab spannende Szenen, aber auch zu viele statische Momente vorne am Bühnenrand, wo erzählt und berichtet wird. Zum Beispiel, als Kohlhaas seinen schwer verletzten Knecht Herse buchstäblich verhört, um herauszubekommen, wie es dazu kam, dass er so geschunden wurde.

Ohne Zweifel erfährt Michael Kohlhaas Unrecht. Zunächst versucht er durch Einsprüche, Petitionen sein Recht zu bekommen. Seine Frau Lisbeth kommt beim Versuch, ihm bei den Adeligen sein Recht zu verschaffen, bei einem Unfall, das ihr durch die Wache am Schlosstor zugefügt wurde, um. Als sie stirbt, zeigt sie auf das Bibelwort: „Vergib deinen Feinden.“ Vergeblich diese Hoffnung. Kohlhaas verkauft Haus und Hof und beginnt seinen Rachefeldzug. Dabei verschont er auch Unbeteiligte und Unschuldige nicht.

Schwierig bleibt in dieser Aufführung, dass außer Sebastian Reiß, die Schauspieler*innen zwei oder drei verschiedene Rollen übernehmen müssen: Sebastian Reiß als Kohlhaas, Matthias Redlhammer als Luther / Kurfürst von Sachsen, Stefan Graf als Wenzel von Tronka/ Scharfrichter, Sarah Grunert als Lisbeth /Hinz von Tronka / Nagelschmidt, Annie Nowak als Herse / Kunz von Tronka, Nils Kreutlinger als Schlossvogt /Sternbald / Prinz von Meissen. Dadurch geht Klarheit verloren. Dennoch. Sie retten die Inszenierung durch ihr ausgezeichnetes Spiel. Einen Besuch der Aufführung, die vom Publikum bei der Premiere verhalten aufgenommen wurde, sollte man trotz meiner Einwände erwägen.

Weitere Termine:
19. und 27. November
2.,4. und 31. Dezember

 

„Wickie und die starken Männer“ nach Runer Jonsson

In den nächsten Wochen wird das Schauspiel Frankfurt vor allem von Kindern belagert sein. Wickie, gespielt von dem neuen Ensemblemitglied Annie Nowak, die im Kohlhaas den geschundenen Knecht Herse darstellt, zeigt sich zunächst alleine vor dem Vorhang. Lebendig, jung und sympathisch ist diese Wickie, die alle auf der Bühne auf Trapp hält: die sogenannten starken Männer und das Kinderpublikum.

„Wickie und die starken Männer“ nach Runer Jonsson:  Robert Gerloff, Michael Schütz, Nils Kreutinger, Stefan Graf, Sebastian Reiß, Annie Nowak, davor: Abdul Aziz Al Khayat, Lenz Moretti, Julia Pitsch, Alexej Voigtländer, Amaru Albancando; Foto: Jessica Schäfer

Kinder kennen Wickie aus dem Kinderbuch des schwedischen Journalisten und Autors Runer Jonsson und des Illustrators Ewert Karlsson, das 1964 erstmals in Deutsch erschien und gleich den Deutschen Kinderbuchpreis erhielt. Neuübersetzungen mit neuen Illustrationen sind mittlerweile auf dem Markt. Richtig bekannt aber wurde Wickie erst durch die Zeichentrickserie des ZDF und 2009 durch den Film des Regisseurs Michael Herbig.

Wickie ist immer noch in. Jonsson schrieb die Geschichte für seinen Sohn, Karlsson zeichnete für seine Tochter. Die Frage, ob Junge oder Mädchen stellt sich also nicht.

Starke Männer? Bis vor kurzem ging man davon aus, dass nur Wikinger-Männer das Kriegsgeschäft bedienten. In Sagen wurde auch von Frauen gesprochen. Nun bestätigt ein Grabfund in Schweden, dass Frauen auch das Militärhandwerk beherrschten und daran teilnahmen.
Wikinger, das ist ein Sammelbegriff für verschiedene Völker aus dem Norden, die mit ihren Schiffen unterwegs waren. Sie überfielen Dörfer, Klöster in Europa und versklavten die Bewohner. Sie waren aber auch gute Händler und vor allem bedeutende Schiffsbauer.

Jonssons Wickie ist ängstlich, aber schlau. Nachdem Wickie den großmäuligen Vater Halvar von Flake beim Tierrätsel-Wettbewerb – unterstützt von den Kindern – besiegte, darf er nun mit auf große See-Fahrt. Das durften Kinder früher natürlich nicht.

Wickies Stärke ist es, nach Lösungen zu suchen und zu finden, um gefährliche und scheinbar ausweglose Situationen zu entschärfen. Seine Ideen kommen ihm vor allem nach heftigem Nasenreiben. Sie sind pfiffig, aber auch friedliebend und suchen immer nach Verständigung. Die Bearbeiter des Stücks haben aktuelle Bezüge eingebaut, die von sechsjährigen Kindern nicht unbedingt verstanden werden. Zum Beispiel die Szene mit dem nach Wurst und Fleisch gierigen König. Herrlich ist seine Garde mit den übergroßen Fleischgabeln. Die klare Botschaft, lautet: weniger Fleisch essen.

Auf der Drehbühne kommt ein beachtlich großes Wikinger Schiff angesegelt. Die Bühne und die Videos hat Maximilian Lindner gestaltet, und Johanna Hlawica hatte tolle Ideen für die Kostüme. Das ist eine handwerklich großartige Leistung der Werkstätten der Städtischen Bühnen, die sie anfertigten. Gefallen haben auch die Choreografien von Zoë Knights, die, wie das ganze Geschehen, von den Lichtideen des Johannes Richter begleitet werden. Cornelius Borgolte hat die Musik zusammengestellt. Die Live-Musikgruppe setzt entscheidende musikalische Akzente und unterstützt so manche Szene.

Last, but not least: für die Rollen von Halvar, seine starken Männer und seine Frau wurden Top-Schauspieler gefunden. Michael Schütz als Halvar, Stefan Graf als Snorre, Nils Kreutlinger als Gorm, Sebastian Reiß als Tjure – er spielt übrigens den Michael Kohlhaas – Susanne Buchberger als Ylva / Königin und – wie schon erwähnt – Annie Nowak als Wickie.

In der einen Stunde und 30 Minuten – ohne Pause – kam nie Langeweile auf. Kinder und Erwachsene dankten mit viel Beifall.

Die Kontrollen sind streng. Alle im Publikum trugen Mundschutz und mussten den Impfnachweis beziehungsweise das Heft mit den Testeintragungen vorzeigen.

 

Schulvorstellungen sind November und Dezember das Hauptangebot. Aber man kann sich um Einzeltickets bemühen.

Weitere Vorstellungen

am 28.11., am 5.12., 12.12., 19.12., 25.12.

An diesen Tagen gibt es jeweils zwei Vorstellungen um 14 und 17 Uhr. Kartentelefon: 069 212 49 49 4

www.schauspielfrankfurt.de 

 

Comments are closed.