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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Kara Walker in der Kunsthalle Schirn: Kettengeschichte der Gewalt

Eindrucksvolle Ausstellung der US-Künstlerin – Eine vielfältige Arbeitssschau

Von Uwe Kammann

Zwei starke Frauen in der Schirn, wobei der Publikumszuspruch deutliche Präferenzen zeigt: eine dichte Traube von Bewunderern und Liebhabern bei Paula Modersohn-Becker; viel weniger, aber sehr genau schauende und musternde Besucher bei Kara Walker.

Blick in die Schirn-Ausstellung; Foto: Petra Kammann

Dort, bei Modersohn-Becker, die nun weithin bekannten Ikonen einer sehr eigenständigen Moderne vom Anfang des 19. Jahrhunderts, durchaus mit einem Aufbruchcharakter wie bei Cézanne und Gauguin, das alles präsentiert vor anheimelnd farbigen Wänden.

Blick in die Ausstellung; Foto: Petra Kammann

Hier, bei Walker, eine schier überbordende Fülle von schwarz-weiß-dominierten Arbeiten, oft Collagen, scherenschnittartige Blätter, rohen Textblöcken, einigen großformatigen Ölbildern  mit expressiver Geste, das alles ergänzt um eine Kabine für Animationsfilme: eine komprimierte Scherenschnittgeschiche Amerikas – die Geschichte der Sklaverei. Es ist eine Großschau voller Wucht, verstörend, anziehend, irritierend, satt von Erfahrungen, Botschaften, Propaganda, Erschrecken, Sex und Gewalt.

Wer die Schwelle zu dieser Welt – hier ein Werk-Universum auf und vor hellgrauem Wandgrund – überschreitet, kann sich nicht entziehen, kann sich nicht in eine Haltung der lediglich neugierigen Distanz flüchten. Ganz im Gegenteil, man wird geradezu hineingezogen in diese sehr persönliche Welt der 1969 geborenen Künstlerin, die für die Schirn-Schau auch eigens die Hängung und Anordnung arrangiert hat: eine doppelte Intensität, die eine ganz andere Wirkung und Betroffenheit als seinerzeit die Werkschau von Cady Noland hervorruft, mit der das von allen anderen Werken leergeräumte Museum für Moderne Kunst ein (USA-)Amerika demonstrieren wollte, das im gesellschaftlichen Innern nichts anderes barg als Gewalt – eine in Gittern, Handschellen, Alltagsmüll, Baseballschlägern kondensierte Gewalt, in der Intention (scheinbar) objektiviert. In der endlosen Wiederholung bald so kalt wie leer.

Blick in die Ausstellung; Foto: Petra Kammann

Ganz anders die Arbeiten von Kara Walker, die sie für Frankfurt als umfassenden Einblick und Ausblick konzipiert hat: als Archivschau. Sie beobachtet, notiert, malt, skizziert. Und arrangiert damit – oft kleinteilig, in Skizzen, Umrissen, Scherenschnittkonturen, in grob gepinselten, eruptiv hingeworfenen Schriftzügen und Parolen – ein ganzes Universum, ein Kaleidoskop der interpretierenden Wahrnehmung. Ein abgründiges, ja, eines, das die Entstehung der amerikanischen Nation nicht als Pionier-, gar als Heldengeschichte zeichnet, sondern als eine Geschichte der Eroberung, der Unterdrückung, der Ausbeutung, ganz wesentlich natürlich auch als eine Kettengeschichte der Sklaverei (was im Schlussraum der Ausstellung in hintergründigen Filmanimationen kulminiert).

Walkers Scherenschnittanimationsfilme in einer abgedunkelten Kabine; Foto: Petra Kammann

Ist diese Ausstellung jetzt bloß ein weiteres Echo auf die Blackness-Präsenz, wie sie spätestens seit dem Aufflammen der Black-Lives-Matter-Bewegung auch den europäischen, in besonderem Maße den deutschen Kulturraum an vielen Stellen imprägniert? Offensichtlich ist, dass Kara Walker ihr eigenes Schwarzsein zum Ausgangspunkt ihres Schaffens gemacht hat, dass sie die Rassen-Frage als immer noch dominierend ansieht für den gesellschaftlichen Gewalt-Status, den auch Barack Obama nicht im Kern hat mildern können, wie ein großformatiges Bild mit Rückgriff auf ein Shakespeare-Othello-Motiv belegt: Auch der farbige Präsident, lebensgroß, aber auch verfremdet dargestellt, frönt dort der  Gewalt. Ihr entgeht niemand in ihrer Welt, romantisierende Zwischentöne sind dort nicht vorgesehen, Andeutungen von Idylle sind nur Vorstufen von animalischer Begierde, oft drastisch inszeniert.

Blick in die Ausstellung; Foto: Petra Kammann

Auch Doppel- und Mehrdeutigkeiten grundieren das Werk, schon im Ausstellungstitel angelegt: „A Black Hole is Everything a Star Longs to Be“. Eine als falsch oder unmöglich gedeutete Versöhnung der weißen und schwarzen Welten wird strikt ausgeschlossen: „I WANT YOU to ENTER ME INVISIBLY TOUCH MY FEAR AND HAIR CALL ME NIGGER AND WHORE NOT WAVE YOUR WHITE FLAG AT ME NOT DEMAND PEACE AN RECONCILIATION“ wirft eine Tafel in dick gepinselten Großlettern dem Betrachter entgegen.

Das Faszinierende an Walkers politisch durchtränkter Welt: Es gibt auch zarte Szenen mit hingetuschter Farbigkeit, es gibt Hinwendungen zur Natur. Auch finden wir Bukolisches, fast schwärmerisch eingefangen; und einige Porträts zeigen fast altmeisterliche Zeichenkunst. Das alles sind Kontraste zum Verzerrenden, zum Drastischen, zum Verwirbelten, zum Dunklen und Abgründigen, das allerdings eine Art von Generalbass bildet. Dieses Abgründige, diese Kontinuität von Gewalt und Grausamkeit, dieses Eingeschlossensein in Traumata-Rollen – kollektiven und individuellen – durchzieht als schwarzer, im Inneren blutroter Faden die Ausstellung.

Walkers Schriftbilder können als Postkartenversendet werden; Foto: Petra Kammann

Mit dieser eindrücklichen Präsentation – gerade auch in der unmittelbaren Nachbarschaft zu den so eigenen Bildwelten von Paula Modersohn-Becker – ist der Schirn etwas gelungen, was bei den vielen bloß modisch-konformistischen Behandlungen des Themas ‚Black’ kaum zu erhoffen war: ein intensiver Blick auf eine bis ins Heute reichende Geschichte, und damit auch ein unmittelarer Anstoß zu einer nachhaltigen Auseinandersetzung.

„Kara Walker. A Black Hole is Everything a Star Longs to Be“
Eine Ausstellung des Kunstmuseums Basel in Kooperation mit der Schirn Kunsthalle Frankfurt und dem De Pont Museum, Tilburg.
bis 16. JANUAR 2022 

DIGITORIAL® Das digitale Vermittlungsangebot der Schirn bietet wissenswerte Hintergründe zur Ausstellung und erläutert die wesentlichen Inhalte. Es vermittelt kunst- und kulturhistorische Zusammenhänge und thematisiert über den US-amerikanischen Kontext hinaus deutsche Kolonialgeschichte und Rassismus in Deutschland. Dazu versammelt es auch unterschiedliche Perspektiven zu Kara Walkers Kunst von BPoCs aus Frankfurt und Umgebung. Das Digitorial zur Ausstellung ist kostenlos und in deutscher und englischer Sprache abrufbar unter www.schirn.de/digitorial 

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