„Born in Evin“ von Maryam Zaree mit anschließendem Filmgespräch im Naxos-Kino
Vom Sprechen und Schweigen in der 2. Generation
Eindrücke von Petra Kammann
In dem Film Born in Evin wird die Geschichte der Regisseurin und Schauspielerin Maryam Zaree erzählt, die sich auf die Suche macht nach den gewaltvollen Umständen ihrer Geburt in einem der berüchtigtsten politischen Gefängnisse im Iran. In ihrem bewegenden Dokumentarfilm begibt sich Maryam Zaree auf Spurensuche nach ihren eigenen Wurzeln. Im Frankfurter Naxos-Kino diskutierten nach der Vorführung des Films die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Irene Rosenkötter mit dem Iran-Experten, dem Journalisten Ali Sadrzadeh, Redakteur bei hr info.
Filmplakat von „Born in Evin“
Wer ist schon im Gefängnis geboren? Alles, was Maryam von ihrer Geburt weiß, ist, dass sie im Gefängnis geboren wurde. Als kleines Mädchen kam sie mit ihrer Mutter aus dem Iran nach Deutschland. Doch bis heute kann ihre Mutter über die schlimmen Ereignisse in der Heimat nicht sprechen. Die Familie hat nie über Verfolgung, Gefängnis und Folter gesprochen. Aber Maryam will ihre Geschichte erkunden und den „dunklen Fleck“ in ihrer Biografie beleuchten. Maryam Zaree trifft andere Überlebende, spricht mit Experten und sucht nach Schicksalsgenoss/innen, die wie sie im gleichen Evin-Gefängnis in Teheran geboren wurden, und erkundet nach und nach die Geschichte ihrer Eltern, die nach dem Sturz des Schahs 1979 im Iran im Gefängnis saßen.
Im Film, in den immer auch kleine persönliche Filmchen eingeblendet sind, begleiten wir sie auf der Suche nach ihrer Vergangenheit, diesem grausamen Kapitel der iranischen Geschichte. „Aufrichtig, mutig, entschieden und berührend sucht die Filmemacherin unerbittlich nach Antworten auf bisher nicht gestellte Fragen und zieht uns dabei immer tiefer in ihre Geschichte und zu einem kollektiven blinden Fleck. Sie steht unerschrocken auf und übernimmt die Verantwortung für eine ganze Generation, das Schweigen zu brechen”, beurteilte 2019 die Berlinale-Jury das Regiedebüt der durchaus erfolgreichen Schauspielerin Maryam Zaree, um ihr den Kompass-Perspektive-Preis für den besten Film der Sektion Perspektive Deutsches Kino zu verleihen.
Filmstill Nargess Eskandari-Grünberg und Maryam Zaree, produziert von Tondowski Films
Eine Anfangsszene skizziert deutlich das unwirtliche Terrain, in das das kleine Mädchen Maryam förmlich geworfen ist, wenn sie mit einem Fallschirm wie auf einem anderen Planeten landet. In diesem leisen, persönlichen und bisweilen humorvollen Film wird die politische Situation nicht ausgespart. Die Protagonistin, die gleichzeitig Erzählerin ist, macht unmittelbar die ambivalenten Emotionen sichtbar, mit denen sie im Lauf des Films zu kämpfen hat. Sie nimmt die Perspektive der „zweiten Generation“ der Töchter ein, die das Trauma ihrer Eltern miterleben mussten, die ihrerseits aber nie darüber reden konnten. Mit dem Film macht sie auf eindringliche Weise deutlich, was Menschen zurücklassen, wenn sie ihr Land verlassen, deckt die Gründe auf, warum sie flüchten müssen.
Wir sehen Gegenüberstellungen von Mutter und Tochter, die einerseits von großer Warmherzigkeit geprägt sind, und doch nicht für die Tochter zum erwünschten Ergebnis führen, was dem Film eine zusätzliche Tiefe und Authentizität und dazu eine große Lebendigkeit verleiht. Als sie schon drauf und dran ist, ihre Suche aufzugeben, wird sie in Frankreich ermutigt, sich den Fragen weiter zu stellen. Der Film erzählt von ihrer existenziellen Recherche, wobei sie selber zum Teil dieser Suche wird. Nachdem die Gespräche mit ihren Eltern sie nicht weiterbringen, um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, macht die Filmemacherin sich auf die Reise und spricht mit anderen Frauen, die ein ähnliches Schicksal wie ihre Mutter erlitten haben. Dabei trifft sie auf eine Reihe von starken, untereinander sehr solidarisch verbundenen Menschen, die aus dem Iran geflohen sind und eindrucksvoll von ihren Erfahrungen berichten.
Maryams Mutter, die Psychologische Psychotherapeutin Nargess Eskandari-Grünberg, Frankfurts heutige Bürgermeisterin, machte als alleinerziehende Mutter Karriere. Sie war zunächst beim Roten Kreuz tätig, studierte Psychologie und betreibt seither eine eigene Praxis. Von 2001 bis 2008 war sie Stadtverordnete, von 2008 bis 2016 Stadträtin für Integration. Im Jahr 2017 wurde sie Kandidatin der Grünen für die Frankfurter Oberbürgermeisterwahl. Ihre bewegende Bewerbungsrede, die Bestandteil des Films ist, strahlt eine große Überzeugung aus. Eskandari-Grünberg ist heute ebenfalls wieder Dezernentin für Diversität, Antidiskriminierung und gesellschaftliches Zusammenleben (ehemals war es das Dezernat für Integration), hat Frankfurt als ihr neues Lebenszentrum angenommen.
v.l.n.r: Diskussion mit dem Iran-Experten Ali Sadrzadeh und der Psychotherapeutin Irene Rosenkötter im Naxos-Kino, moderiert von Christina Budde; Foto: Petra Kammann
So erhellend wie vertiefend ist die sich dem Film anschließende Diskussion. Dr. Irene Rosenkötter, die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, berichtet, dass sie sich zunächst mit den psychischen Verletzungen in der Folge des Jugoslawienkriegs Anfang der 90er Jahre beschäftigt hat. Seither ließ sie auch das Thema der Verarbeitung von Gewalt nicht wieder los, um es analysierend in den Griff zu bekommen, weshalb sie sich auch im Frankfurter Arbeitskreis Trauma und Exil (FATRA e.V.) engagiert.
Sie sieht ein ähnliches Verhalten bei vergleichbaren Schicksalen in der „zweiten Generation“, etwa in der Beschäftigung mit Familien von Shoah-Überlebenden. Seinem Kind zu sagen, dass seine Eltern Opfer von Gewalt und Folter geworden sind, dass das Kind auch dabei war und dass das Leben zutiefst erschütternd sein kann, sei grundsätzlich sehr schwierig. Einerseits sei die Scham groß, überlebt zu haben und andrerseits die Angst, den Alltag nicht bewältigen und das eigene Leben leben zu können, wenn man sich zu sehr mit den zurückliegenden Problemen beschäftigen würde.
Dabei wird zwangsläufig Verdrängtes und Unverarbeitetes weitergegeben. Denn das Nicht-Gesagte habe große Macht auf die nachfolgende Generation. Vergleichbar sei daher auch die transgenerationale Weitergabe von Traumata. Das Grundvertrauen der Nachwachsenden sei erschüttert. Maryams persönliche Geschichte ist Teil einer kollektiven Grausamkeit, die im Film in kurzen historischen Sequenzen angerissen wird.
Filmstill: Maryam mit ihrem Vater, den sie erst sieben Jahre später nach seiner Flucht kennengelernt hat
Im Gespräch mit dem Vater erhellt sich für Maryam, was Folter bedeuten kann. Sie erzählt ihm von einer Reise nach Marokko, wo sie in Panik gerät, weil in einem Bus Suren aus dem Koran gespielt wurden. Sie hörte diese wiederkehrende religiöse Musik, die sie an die Grenzen des Erträglichen führt und das wird für sie zur akustischen Folter. Vom Vater erfuhr sie später, dass das Spielen der Korangesänge tatsächlich eine der akustischen Foltermethoden im Evin-Gefängnis war. So etwas lässt sich mit dem psychologischen Phänomen der „szenischen Erinnerung“ erklären. Vermutlich hat Maryam das als Baby mitbekommen und innerlich als Erinnerung abgespeichert.
Der Iran-Experte und Journalist Ali Sadrzadeh erläuterte an dem Filmabend wiederum die politische Situation im Iran. Er brachte seine eigene Erfahrung mit in die Diskussion ein. Als das Schah-Regime beendet worden war, kehrte er als Student wieder ins Land zurück. Damals sei die Hoffnung der häufig im Ausland ausgebildeten Intellektuellen auf eine sich entwickelnde Demokratisierung sehr groß gewesen. Man habe sich an Amerika orientiert und auf Jimmy Carter gesetzt, bis am 3. November völlig unerwartet die amerikanische Botschaft besetzt worden sei.
Auch Maryams Eltern waren Linke und wollten den Sturz des Schah und der Monarchie. Ihre Mutter war damals noch Schülerin und der Vater schon Student. Nach dem Sturz des Schahs 1979 aber kam Ayatollah Khomeini, der seine Ausbildung in Paris gemacht hatte, an die Macht, weil sich in dem bunten „Durcheinander“ die Ayatollahs nun als die wahren Herrscher des Landes empfanden. Nach der Machtergreifung Khomeinis haben Maryams Eltern wie viele andere Intellektuelle damals sich vehement gegen die Unterdrückung durch das Regime engagiert und demonstriert.
Der neue Staatschef und religiöse Führer aber ließ Zehntausende politischer Gegner verhaften, foltern und ermorden. In dieser Situation wurden auch die oppositionellen Eltern von Maryam getrennt eingesperrt, die damals schwangere Mutter musste im Gefängnis entbinden. Beide überlebten und flohen später und mit großem zeitlichen Abstand nach Deutschland. Während der Vater sieben Jahre lang im Gefängnis saß, waren es für die Mutter etwa anderthalb Jahre. So habe Maryam ihren Vater bewusst erst mit neun Jahren kennengelernt.
Der Film zeigt, dass Gewalt durch die Zeit hindurch Spuren hinterlässt, auch innerhalb der intimsten Familienstrukturen. Gewalt und Entmenschlichung hören mit der Tat selbst nicht auf, sondern wirken lange nach. Im Iran wurden zehntausende Menschen umgebracht und die Täter sind bis heute an der Macht.
Filmstill der Schlussszene. Das Ein- und Untertauchen der Protagonistin und Regisseurin
In einem Interview sagte Maryam Zaree einmal: „Es geht hier nicht darum, mich selbst zu finden, ich habe die Psychoanalyse schon lange hinter mir, etwas an meiner Geburt war einfach nicht persönlich und ich muss herausfinden, was es ist.“ Und in Bezug auf die Unkenntnis der Zustände während ihrer eigenen Geburt ergänzte sie: „Meine Geburt, unsere Geschichte, ist ein Instrument, um die Folgen von Gewalt und Verfolgung sichtbar zu machen, nicht um etwas zu klären, was ins Private gehört.“
Im Film sind diese beiden Seiten des Privaten und Politischen untrennbar miteinander verbunden. Der Filmabend im Naxos-Kino ermöglichte darüber hinaus einen kenntnisreichen Blick hinter die Kulissen eines Films, der jede Form von Larmoyanz oder Schwere vermieden hat. Man taucht mit der Protagonistin tief ein, wie es symbolisch die Schlussszene nahelegt.
MARAYAM ZAREE
kam am 22. Juli 1983 in Teheran im Gefängnis Evin zur Welt, wo ihre Eltern nach der Islamischen Revolution aus politischen Gründen inhaftiert waren. Nach der Freilassung flüchtete ihre Mutter mit ihr aus dem Iran nach Deutschland.
Zaree war zu diesem Zeitpunkt zweieinhalb Jahre alt. Heute ist Zaree Schauspielerin, unter anderem spielt sie im Berliner „Tatort“ und in der Serie „4 Blocks“ mit.