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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Die Ausstellung „Die Intelligenz der Pflanzen“ im Frankfurter Kunstverein

Das tiefliegende Wurzelgeflecht der Pflanzen

Ein Rundgang mit Petra Kammann

Gerade ändert sich das Bild vom Wesen der Pflanzen gewaltig. Dazu hat nicht zuletzt der italienische Biologe Stefano Mancuso beigetragen, der uns mit seinem Buch „Die Intelligenz der Pflanzen“ rät, von den Pflanzen zu lernen, um in Zukunft zu überleben. Der Frankfurter Kunstverein hat nun Künstler und Naturwissenschaftler eingeladen, ihre Arbeit und ihr Wissen über Bioökonomie, die eine veränderte Sensibilität gegenüber den pflanzlichen Mitlebewesen einbegreift, anschaulich in seine Ausstellungsräume zu übertragen.

Außenansicht Kunstverein 2021: Pflanzengestell Forschungszentrum Jülich, Leihgabe vom Forschungszentrum Jülich, Eigenentwicklung; Foto: Norbert Miguletz © Frankfurter Kunstverein

Vegetieren Pflanzen nicht nur einfach vor sich hin? So jedenfalls hieß es im Volksmund. In der so ungewöhnlichen wie zukunftsweisenden Ausstellung „Die Intelligenz der Pflanzen“ werden wir eines anderen belehrt. Mitten in der neuen Frankfurter Altstadt, in den Arkaden des gotischen „Steinernen Hauses“ auf der einen Seite und dem kubischen Anbau aus den 60er Jahren auf der anderen Seite ziehen Naturwissenschaftler und Künstler an einem Strang, um uns dieses Thema nahezubringen. Die Künstler übersetzen die neuesten Forschungsergebnisse auf ihre je eigene Art.

Durch die neuen Fensteröffnungen des hinzugewonnenen Ausstellungsraums zur Linken, in dem zuletzt ein Café war, nimmt man jetzt riesige Installationen wahr und glaubt sich in ein Forschungslabor versetzt. Raumgreifend stehen dort bepflanzte Rhizotrone aus dem Institut für Pflanzenwissenschaften, Bio- und Geowissenschaften 2 und 3 des Forschungszentrums Jülich. Dort nämlich werden lebende Pflanzen mit technologischen Messinstrumenten analysiert. Durch künstliches Licht, eine entsprechende Raumtemperatur und Wasser- und Nährstoffzufuhr werden Nutzpflanzen heute zunehmend in großen Anlagen, Treibhäusern und vertikalen Farmen gezüchtet, die unter optimierten, regulierten Bedingungen, in verkürzten Zeiträumen einen gesteigerten Ertrag erzielen sollen.

Das Wurzelwerk einer konservierten Löwenzahnwurzel: Wurzelkartierungen und präparierte Pflanzen mit ihrem gesamten Wurzelnetzwerk, die vom österreichischen Pflanzensoziologischen Institut durch Feldgrabungen erstellt wurden; Foto: Petra Kammann

Dank der interessanten Kooperation zwischen dem Frankfurter Kunstverein und seiner dynamisch-zukunftsorientierten Direktorin Franziska Nori mit dem Jülicher Forschungsinstitut werden die wesentlichen Prozesse lebendiger Pflanzen durch digitale Datenerfassungen hier für Jedermann und jede Frau sichtbar. Die Exponate geben einen kleinen Einblick in die aktuelle komplexe wissenschaftliche Forschung, die zur Optimierung und zu neuen Anwendungsbereichen von Nutzpflanzen stattfindet.

Da spielen zunächst einmal die mit bloßem Auge nicht erkennbaren Wurzeln der Pflanzen eine Rolle. Wurzeln aber sind tief in der Erde verankert und sie sind für Pflanzen insofern essenziell, als sie Nährstoffe und Wasser aufnehmen. Wenn Pflanzen verkümmern, so fehlt es ihnen oft an Wasser und Nährstoffen, welche die Wurzeln nicht erreichen. Ob eine Pflanze also gedeiht, hängt vor allem davon ab, ob ihre Wurzeln in der Lage sind, die überlebenswichtigen Stoffe überhaupt aufzunehmen.

Die Geophysiker machen diese ansonsten versteckten Vorgänge hier ebenso sichtbar wie die feinen Zeichnungen und Wurzelkartierungen vom österreichischen Pflanzensoziologischen Institut. An das Wurzelsystem, das sogenannte Rhizotron, legten die Jülicher Forscher ein elektrisches Wechselfeld an.

Ausstellungsansicht Raum Diana Scherer, Foto: Petra Kammann

Die oberen Ausstellungsräume des Kunstvereins hingegen sind den Werken von fünf Künstlern und eines Künstlerkollektivs vorbehalten. Sie fächern mit den Mitteln der Skulptur, der Zeichnung und auch mit Hilfe einer immersiven Virtual Reality-Installation Wissen über die sichtbare und die verborgene Welt der Pflanzen und deren metaphorische Kraft für den Menschen auf. Im mittleren Raum stellt die in Amsterdam lebende Künstlerin Diana Scherer eine subtile lebende Bodenskulptur sowie weitere gerahmte Wurzelarbeiten aus, die verborgene grafische Strukturen und Texturen sichtbar machen.

Ausschnitt aus einer lebenden Bodenskulptur von Diana Scherer, Foto: Petra Kammann

Scherer experimentiert seit 2012 mit den Wurzelsystemen von lebenden Pflanzen, vor allem mit Hafersamen, aber auch mit Weizen und Mais. Sie lässt diese in Nährlösungen heranwachsen. Im Prozess des Wachstums der Wurzeln entwickeln sich dabei Arabesken und Verwebungen, wie wir sie aus der Kulturgeschichte der Menschheit kennen. Ähnliche Grundmuster findet man in allen Kulturen wieder. Gemeinsam mit Pflanzenbiologen der Technischen Universität Delft und der Radboud-Universität in Nijmegen und Ingenieuren hat die Künstlerin dazu eigens eine spezielle Technik entwickelt.

Sie verwendet Schablonen aus dem Biokunststoff PLA, Formen, die sie unter die Erde legt, um traditionelle Formen, die auf der Geometrie der Natur basieren, wieder sichtbar zu machen, wie etwa die sechseckigen Wabenstrukturen oder das Blattmuster. Auf die Schablonen sät sie Samen, die nach und nach als Pflanzen ihr Wachstum vollziehen.

Natürlich manipuliert sie dabei die lebendigen Pflanzen. Im Kunstverein liegt das fragil lebendige Gewebe schutzlos dem Licht und der Luft ausgesetzt vor uns und wird nur wenige Tage dem Bewässern ausgesetzt. So hat die Sichtbarkeit der Strukturen schon absehbar einen Preis: die Vergänglichkeit. Scherers palipmsestisch angelegte Arbeit „Interwoven“ wurde übrigens mit dem New Material Fellow Award vom Het Neuwe Instituut in Rotterdam für die Entwicklung und Anwendung nachhaltiger Materialien und innovativer Technologien ausgezeichnet.

Kunstvereinsdirektorin Franziska Nori hatte Thomas Feuerstein schon einmal 2015 zu einer Ausstellung eingeladen; Foto: Petra Kammann

Im Nebenraum fühlt man sich eher in eine Science-fiction-Szene versetzt. Ein geschlossenes, von einem Fotobioreaktor betriebenes System beherrscht den vom Wiener Universalkünstler Thomas Feuerstein gestalteten Raum. Seine Installation erinnert an ein U-Boot oder an ein Luftschiff à la Jules Verne, vielleicht auch an die berühmte „Honigpumpe“ von Joseph Beuys“ der documenta 6, wo Honig durch ein 173 Meter langes System aus Plastikschläuchen durch das Treppenhaus in das Obergeschoss des Fredericianums transportiert wurde.

In Feuersteins Skulptur „Hydra“ pulsieren angereicherte Grünalgen oder Schwebealgen wie „grünes Blut“ durch verschlungene einkilometerlange Plastikschläuche. Die Flüssigkeit, eine Suspension aus Wasser und lebendigen Grünalgen, sorgt dafür, dass Licht an die Algen kommt und sie schneller wachsen können. Dabei simulieren die Schläuche mit den Algen die Blätter eines Baumes. Mit dem getrockneten Pulver der Algen malt der Bildhauer übrigens auch grüne Bilder. Wenn er das Pulver dann karbonisiert, wird es schwarz.

Installation von Thomas Feuersteins Hydra, 2021 mit Grünalgen (Chlorella vulgaris), einem Bioreaktor aus Glas und PVC-Schläuchen vor seinen Wandgrafiken; Foto: Petra Kammann

Auch Feuerstein arbeitet seit Jahren mit Biochemikern, Physikern und Mikrobiologen unterschiedlicher Universitäten zusammen und baut deren wissenschaftliche und ingenieurstechnische Kompetenz biochemischer Prozesse in seine lebendigen Rauminstallationen ein, die er mit antiken Erzählungen auflädt. Hydra, der Titel dieser Arbeit, erinnert unweigerlich an das vielköpfige Ungeheuer der griechischen Mythologie. Dass er gleichzeitig auch Science-Fiction-Autor ist, wen wundert’s?

Ausstellungsansicht Marshmallow Laser Feast, „Treehugger – Wawona“,  2017, Foto: Norbert Miguletz © Frankfurter Kunstverein, Courtesy Marshmallow Laser Feast

Im anderen Raum steht, gewissermaßen als Projektion, einer der ältesten Bäume des Planeten im Mittelpunkt: der Riesenmammutbaum (Sequoiadendron giganteum), und wird durch eine Virtual-Reality-Installation erfahrbar gemacht. Voraussetzung, man flaniert mit einem mit PC im Rucksack auf den Baum zu und setzt eine 3 D-Brille auf. Dann nämlich kann man in das Innere des Baumes eintreten und bis in die Baumkrone gelangen und wenn man sich auf die Erde beugt, kann man den Wassertropfen im Boden nachspüren und so dem Stoffwechselkreislauf folgen.

Der Riesenmammutbaum aus Treehugger – Wawona steht übrigens ganz real im Sequoia National Park in Kalifornien. In der VR-Erfahrung erleben Nutzer die im Baum stattfindenden Stoffwechselprozesse im Zeitraffer. Eines der Anliegen des Teams Marshmallow Laser Feast angesichts der aktuellen ökologischen Lage, ist es dazu beizutragen, dass der Mensch seine anthropozentrische Sicht neu überdenkt und sich in ein anderes, nicht menschliches Wesen hineinversetzt.

 Nicola Toffolini, Auszug aus dem Notizbuch „Sezioni” 2012/2013 © der Künstler

Zu den künstlerischen  Highlights der Schau zählen die feingestrichelten Zeichnungen mit hauchfeinen schwarzen Copy Multiliner-Stiften des in Florenz lebenden Künstlers Nicola Toffolini, der ausgehend von einem weißen Blatt seine Recherchen und sein Wissen zu Botanik, Wissenschaftsphilosophie, Zukunftsliteratur und Renaissancegrafik akribisch in das Medium der Zeichnung überträgt.

Zwanzig Jahre lang hat er an den zum Teil überlebensgroßen Zeichnungen gearbeitet, für ihn ein meditativer Schaffensprozess in der Ausdehnung der Zeit, die eine hohe Konzentration verlangt. Bei ihm wird sein kleines Atelier im Borgo San Frediano in Florenz zum Labor von virtuellen Simulationen oder realen Manipulationen. Er möchte uns in Erinnerung rufen, wie weit wir uns schon durch die heutige Technisierung von der Natur entfernt haben.

Nicola Toffolini erläutert Franziska Nori seinen Bildkosmos; Foto: Petra Kammann

Toffolinis Interesse gilt den vielfältigen Dimensionen von Natur. Und er reflektiert die weitreichenden Konsequenzen menschlicher Eingriffe. Er  hinterfragt u.a. unsere Vorstellung von Natur sowohl analytisch wie auch empirisch und begleitet seine Versuche mit ausführlichen schriftlichen wie auch grafischen Aufzeichnungen. Eine Art Skizzenbuch sind seine Leporellos, die im Kunstverein ebenfalls ausgestellt sind.

Zeichnen ist für Nicola Toffolini eine körperliche Übertragung seiner Gedanken, ein physischer Akt des Denkens und der Selbstvergewisserung, der die Gedanken in eine konzentrierte Richtung bündelt.

In über fünfzig Notizbüchern hat er seine Überlegungen zu äußeren Einflüssen, die vom Wind, der Gravitation oder unterschiedlichen Lichtquellen ausgehen können, als Gedankenskizzen festgehalten, die er mit minutiösen, hyperrealistischen Zeichnungen illustriert. Die exakte Zeichnung ist für ihn nicht nur eine projektbegleitende Studie, sondern ein eigenständiges Ausdrucksmedium, dem er sich mit aller Geduld und Konzentration widmet.

Nicola Toffolini, Ausstellungsansicht mit den architekturutopischen Werken (2019 –fortlaufend), Sezione B#03, B#04, B#02(2020), Foto : Norbert Miguletz © Frankfurter Kunstverein/Courtesy der Künstler 

Das kommt vor allem in seinen aktuellen, sehr großformatigen Arbeiten zum Ausdruck, während an der seitlichen Wand seine „Studi erosoni“ („gessi“ /Kreidezeichungen) zu sehen sind. In ihnen entwickelt er Themen, um sie zu befragen, ob sie tragen. Eine beeindruckend introvertierte Arbeit aus reflektierten Wissensfragmenten über ökologische Systeme und klimatische Veränderung, die den manuellen und zeitlichen Prozess der bildhaften Verarbeitung in den Fokus stellt.

So entstand eine Art privates Archiv, in dem Toffolini große Mengen an Bildreferenzen, Zeitungsartikeln, Literatur, wissenschaftlichen Texten und historischen Stichen italienischer Gelehrter gesammelt und in einem persönlichen Atlas zusammengetragen hat.

Filmstill aus Simon Hernandez, El árbol de la vida (dt.: Der Baum des Lebens, 2021 © der Künstler und Instituto de Visión

Ganz anders der im kolumbianischen Bogotá lebende Aktivist Abel Rodríguez der indigenen Gemeinschaft Nunonuya, der durch die Überlieferung seiner Ahnen, die im Amazonasgebiet ein Leben im Verbund mit den anderen Lebewesen führten, sein Wissen weitergeben möchte. Er selbst, ursprünglich als Modale Guihu aufgewachsen, wurde von den Guerilla Operationen der FARC (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) aus dem Amazonasgebiet in die Hauptstadt vertrieben. Früher  hatte der Baum eine übergeordnete Stellung, weil er für die Gesamtheit des Lebens steht.

In der Frankfurter Ausstellung sehen wir zwei seiner Zeichnungen „Basque Vega“ sowie „El árbol de la vida y la abundancia“ (Der Baum des Lebens und der Fülle), welche an diese Phase erinnern. Da besaßen Wurzeln, Zweige, Blüten, Früchte und Samen alle noch eine spirituelle Bedeutung. Demgegenüber steht ein Video-Interview  von Simon Hernandez und der Film ABEL von Fernando Alias, der die Besucher mit der geistigen Welt der indigenen Gemeinschaft vertraut macht.

Die entwurzelten Bäume „Embalmed Twins I und II“ Ein Memento mori von Berlinde de Buyckere; Petra Kammann 

Ein Treppe weiter nach oben taucht aus dem abgedunkelten Raum monumental die zweiteilige Skulptur „Embalmed Twins I und II“ der belgischen Künstlerin Gerlinde de Bruyckere auf – eine Installation zweier entwurzelter jahrhundertealter Eichenbäume, die 2016 beim Sturm Cyrill entwurzelt worden waren. Allerdings stellt de Bruyckere nicht die toten Bäume selbst aus.

Vielmehr wollte sie die Emotion, die sie beim Anblick der Macht natürlicher Gewalten empfand, in einen neuen Zustand, in ein Werk übertragen und das mit Hilfe eines Guss- und Modellierungsprozesses, bei dem sie sowohl gehärtetes Wachs als auch Tierfelle verwendet, um weitere Bedeutungsschichten sichtbar zu machen. Wunden, Narben und unter der Rinde durchscheinende Adern lassen den Baum zu einem Wesen zwischen Mensch, Tier und Pflanze werden.

Es ist erstaunlich, wie die Skulpturen fleischlich und versteinert zugleich wirken und an die Vergänglichkeit alles Lebenden erinnern. Mit dem Einbalsamieren und Bandagieren gewisser Teile greift sie eine alte Form der Bestattung von Menschen aus, so dass der Eindruck eines Memento mori nach dem Vorbild der flämischen Maler des 16. Jahrhunderts entsteht. Vergänglichkeit, Körperlichkeit, Schutzlosigkeit und Verbundenheit zu anderen Wesen sind im Oeuvre der Genter Künstlerin grundsätzlich ein Thema, die auch durch die Darstellung der „verwundeten Pferde.Objekte“ auf der Biennale in Venedig bekannt wurde und zweifellos von der Ikonographie des Genter Altars geprägt ist.

Diana Scherer freut sich, dass man auf den Bildschirmen Einblicke in die verschiedenen Ateliers bekommen, natürlich auch in ihres; Foto: Petra Kammann

Alle sechs im Kunstverein präsentierten Positionen widmen sich auf unterschiedliche Weise dem Verständnis von Zusammenhängen, die es ihnen über die wissenschaftliche Erkenntnis hinaus erlauben, übergreifende, teils metaphysische Fragen zu stellen, welche die Verschiebung des heutigen Wissens über Pflanzen im Bewusstsein des Menschen aktuell nach sich ziehen.

DIE INTELLIGENZ DER PFLANZEN

bis 30.1.2020
im
Frankfurter Kunstverein
Steinernes Haus am Römerberg
Markt 44
60311 Frankfurt am Main
Tel.: +49.69.219314-30

 

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