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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Amy Waldman: „Das ferne Feuer“

Helfen wollen und doch das Falsche tun. Mit „Das ferne Feuer“ hat Amy Waldman einen ungemein wichtigen Roman über Menschen in Afghanistan geschrieben. Über Bergbewohner in einem abgelegenen Dorf, amerikanische Soldaten und eine gutgläubige Helferin. Eine Buchbesprechung

von Simone Hamm

Amy Waldman 
Das ferne Feuer.
Aus dem Englischen von Brigitte Walitzek
Schöffling & co 
496 Seiten. 26.00  €

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Parvin Shama ist geboren in Afganistan, aufgewachsen in den USA, hat gerade ihr Anthropologiestudium beendet. Sie liest das Buch „Mutter Afghanistan“, in dem der Augenarzt Gideon Crane seine Erfahrungen aus Afghanistan verarbeitet hat. Gewidmet hat er den Roman Fereshta, einer Frau, die bei der Geburt gestorben ist. Begeisterte Leser aus Amerika hatten ihm und seiner Hilfsorganisation so viel Geld gespendet, dass er eine Klinik in einem kleinen Dorf bauen lassen konnte, in Fereshtas Dorf.

2009 packt die 22-jährige Parvin Kleidung, Energyriegel und eine Yogamatte ein und macht sich auf in Fereshtas Dorf. Sie will helfen.

Parvins Anthropologie Professorin steht Crane und seinen Projekten skeptisch gegenüber und rät Parvin von der Reise nach Afghanistan ab. Crane sei ein weißer männlicher Amerikaner, der sich für die machtloseste aller Frauen, eine afghanische Dorffrau, herzzerreißend ausspreche, und damit genau die Machtverhältnisse stärke, die er angeblich in Frage stelle.

Parvin ist nicht willkommen im einsamen Bergdorf. Unten im Tal liegt das riesige, in der Sonne funkelnde Gebäude, die Klinik.

Doch nichts ist so, wie Crane es geschildert hat. Die High Tech-Klinik steht leer. Eine Geisterklinik. Denn es gibt keine Ärzte. Einmal in der Woche begibt sich eine Ärztin zusammen mit ihrem Sohn von der nächstgroßen Stadt aus auf eine vierstündige Fahrt auf einer engen Straße den Berg hinauf, um wenigstens die allernötigste Hilfe zu geben.

Parvin spricht – im Gegensatz zu Gideon Crane – die Landessprache Dari und kann mit den Dorfbewohnern kommunizieren. Sie übersetzt den Frauen Stellen aus Cranes Buch.

Doch was sie hört, ist eine ganz andere Geschichte. Crane hat beschönigt, übertrieben und sogar Menschen in Gefahr gebracht.

Als er in diesem Dorf war, haben die Frauen, anders als er schreibt, keine Burkas getragen. Fereshta ist nicht gestorben, weil der Mullah verboten hat, dass ein Mann sie behandelt, sondern weil der Augenarzt Crane Fereshta nicht helfen konnte. Um seine Mission gefährlicher erscheinen zu lassen, hat er zudem eine Entführung durch einen Dorfbewohner erfunden. Damit es noch dramatischer wirkte, machte er den kurzerhand zum Taliban. Deshalb gerät der Mann in Todesgefahr, als amerikanische Militärs in das Dorf kommen.

Die Soldaten wollen eine Straße bauen in Fereshtas Dorf, eine Strasse, die niemand will und niemand braucht, die aber gebaut werden muß, weil man vom Dorf schneller in die Klinik gelangen soll. Parvin ist bei den Gesprächen zwischen Dorfbewohnern und Militärs dabei und versteht zunächst nicht, warum der Übersetzer so frei interpretiert.

Er versucht, eine Brücke über die linguistischen und kulturellen Gräben von Amerikanern und Afghanen hinweg zu schlagen. Diese  Figur, die Waldman außerordentlich gut gelungen ist, verdeutlicht eindringlich die Probleme, die eine wie die andere Seite zu verstehen und dem Wunsch,  zwischen der einen und der anderen Seite vermitteln zu wollen. Ein Tanz auf dem Drahtseil!

Mit dem Bau der Straße soll zudem die Unterstützung für den Afghanistaneinsatz in den USA gestärkt werden. Die Amerikaner wollen eine „gütige Macht“ sein. Doch nicht nur, dass diese Straße reinen Propagandazwecken dient, über sie wird der Krieg – der bislang weit weg war – in das kleine Bergdorf getragen. Die Mär vom guten Besatzer wird zerstört.

Waldman, die Autorin, hat mehrere Jahre lang das Südasienbüro der New York Times geleitet. Sie ist eine profunde Kennerin Afghanistans. Reportagehaft und sehr spannend erzählt sie vom Leben im Dorf, von unterschiedlichen kulturellen Prägungen, von ungeschriebenen Grenzen. Sie gibt keine Antwort auf die Frage, ob und wie muslimischen Frauen in einer patriarchalischen Welt geholfen werden muß.

Stattdessen zeigt sie die Risiken einer militärischen Intervention auf. Es gibt kein Verständnis für die fremde Kultur. Und keines für die Menschen. Die Soldaten erklären einfache Bauern, eine selbstlose Ärztin kurzerhand zu Terroristen, weil es in ihr Narrativ passt.

In „Das ferne Feuer“ beschreibt Amy Waldman das ethische Dilemma der jungen Parvin mit großem Feingefühl: Helfen wollen und doch das Falsche tun. Sie geht auch auf die Rolle der Medien ein. Im Fernsehen, in Zeitungen und im Internet  wird der Roman von Gideon Crane gehypt, ein Roman der nichts, aber auch gar nichts mit der Realität zu tun hat.

Mancher Leser wird sich an Jon Krakauers Enthüllungen über Greg Mortensons Roman „Three Cups of Tea“ und die von ihm gegründete humanitäre Organisation erinnern. Diese hatte Schulen in Afghanistan und Pakistan gebaut, vor allem die Bildung der Mädchen in den Fokus gerückt. Doch die Hälfte aller Schulen stand leer und viele Spenden landeten in Mortensons Tasche. Auch er erfand eine Entführung durch die Taliban in einem Teil Afghanistans, in dem es zu diesem Zeitpunkt gar keine Taliban gab.

Im Original heißt Amy Waldmans Roman „A Hole in The Earth“. Das ist ein Zitat aus der Ilias-Nachdichtung „Memorial“ der Poetin Alice Oswald. Von Paris, der Helena entführte, heißt es: „Antimachos war mit Paris befreundet, der sich für den Krieg einsetzte. Er öffnete eine Tür in der Erde und eine ganze Generation ging hinein“.

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