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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Viel Stoff: „Création du monde 2 “ im Dommuseum

Weltumspannend

Von Petra Kammann

2006 schon hatte die Frankfurter Künstlerin Julia Krause-Harder das Projekt begonnen, eine über 300 Quadratmeter große Weltkarte zusammenzunähen. In einem mehrere Jahre andauernden Arbeitsprozess schuf sie ihre spezifische Création du monde no. 2 (Erschaffung der Welt)  – eine rund 200 Quadratmeter große, aus unterschiedlichsten, überwiegend textilen Stoffen angefertigte Weltkarte, die sieben Teile umfasst. Sie ist derzeit im Dommuseum im Geviert des Kreuzgangs vom Frankfurter Dom zu erleben.

Julia Krause-Harder zwischen den zusammengenähten Kontinenten Eurasien (re) und Afrika; Foto: Petra Kammann

Die Erfahrung des Lockdown hat unser aller Wahrnehmung verändert. Gefangen, wie wir in unseren Innen-Räumen waren, mussten wir uns gewissermaßen rückerinnern, was eigentlich Welt bedeutet, wie sie ist, wie sie sein könnte.

Das wirkte sich auch auf den Ökumenischen Kirchentag mit dem Leitwort „schaut hin“ (Mk 6,38) aus, der in Frankfurt mit sehr viel mehr Publikum schon früher hätte stattfinden sollen und bei dem das Thema „Eine Welt – Globale Verantwortung?“ einen Teilaspekt bildete.

Dr. Bettina Schmitt, die Leiterin des Dommuseums, hatte anlässlich einer Tagung der Rabanus Maurus Akademie das Atelier Goldstein (s.u.), in dem ausschließlich Menschen mit Beeinträchtigungen künstlerisch arbeiten, kennengelernt und war dabei auf die Arbeit von Julia Krause-Harder gestoßen – eine Künstlerin, die seit 2005 so konsequent wie obsessiv an einem Konvolut von Objekten arbeitet, nämlich, alle Saurier, die jemals existiert haben könnten, in unterschiedlichen Formen nachzubilden, wobei das Textile vom metallenen Gerüst einmal abgesehen, eine Hauptrolle spielt.

Julia Krause-Harders Dinosaurier-Schöpfung auf einem Grundgerüst aus Metall, wie eingeschweißt und mit einer Kunststoffhaut versehen, neben den Paramenten im Kreuzgang des Dommuseums ausgestellt; Foto: Petra Kammann

Bettina Schmitt konnte sich bestens vorstellen, dass im Quadrum des Kreuzganges eine textile Weltkarte hervorragend zu präsentieren sei, vor den kostbaren Paramenten, Triptychen, Skulpturen und illuminierten Handschriften des Frankfurter Doms, und man dort die Welt, von der wir umgeben sind, hineinholen könnte, eine Art umgestülpten Globus also, in den man gewissermaßen hineingehen könnte und von dem man sich dann umgeben fühlte.

Dr. Bettina Schmitt, Leiterin des Dommuseums unterhalb vom russischen Gebiet und der Mongolei; Foto: Petra Kammann

Bereits seit vielen Jahren – schon im Alter von acht hatte Julia Krause-Harder sich Atlanten und Kartenmaterial intensiv angeschaut – gilt das Interesse der Künstlerin sowohl der Geographie wie auch der politischen, geografischen und geschichtlichen Kartographie der Erde. Sie selbst hat schon etliche Länder auf der ganzen Welt bereist und teilweise auch in verschiedenen Ländern gelebt, u.a. mit ihren häufig im Ausland lebenden Eltern. Mit Création du monde 2  – als Teil 1 war ihre Arbeit bereits im Atelier Goldstein zu sehen – zeigt sie in der neuen, etwas raumgreifenderen Variante  ganz stofflich ihre Perspektive auf die Welt, in der nicht zuletzt tatsächliche und wünschenswerte Grenzverläufe sichtbar werden.

Womit sie denn begonnen habe, wollte ich wissen. „Mit Europa und Südamerika“, war ihre Antwort „, wo ich zum Teil auch gelebt habe“. Für jedes Land habe sie einen passenden Stoff gewählt, bei dem sich Farben und Muster auf das jeweilige Gebiet beziehen. So ist das oft eisige Kanada mit Meeren und Seen in Blautönen gehalten, während etwa das weite „russische Reich“ und die Mongolei in roten Stoffteilen vernäht sind.

links: Südamerika und rechts: Nordamerika bzw. Kanada, Foto: Petra Kammann

Die Weltkarte bildet aber nicht nur den Umriss der verschiedenen Kontinente und Länder ab, sondern z.B. auch die Erhebungen der Gebirgszüge. „Den Kilimanscharo kann man so schön stricken“, sagt sie. Applikationen und gestickte Schrift kommen hinzu und aus den unterschiedlichen Stoffen entsteht ein reliefhaftes, vielfarbiges Bild. Die Grenzen sind fließend.

Immer wieder entdecken wir je nach Gegend aufapplizierte Dinosaurier, Adler und andere Wildtiere. Streifen und Sterne sind dagegen eher gestickt. Die Stoffmassen sind im Dommuseum an einem schmiedeeisernen Ring so befestigt, so dass sie sich förmlich bis auf den Boden ergießen und dass man die Länder und Kontinente in dem auch hier beengten quadratischen Raum zusammenschieben und verändern oder sich einzeln gezielt anschauen kann.

Geheimnisvoll wirkt die Rückseite der Installation vom Kreuzgang aus gesehen, Foto: Petra Kammann

Die von der Künstlerin eigentlich für eine räumliche Installation geplante Darstellung der Erde, bei der sich die Besucher*innen gleichsam im Inneren der Welt befinden, sprengt die Dimensionen der meisten Ausstellungsräume – so auch die des historischen Kreuzgangs im Frankfurter Dom. Deshalb wird im Dommuseum – wie schon bei der ersten Präsentation 2019 in der Goldstein Galerie – nur ein Teil der Arbeit gezeigt. Und daher auch die no. 2 im Titel.

Für die ganze Welt mit den 300 Quadratmetern Stoff, welche die Künstlerin, die übrigens auch eine Schneiderlehre gemacht hat, weitergestalten möchte, wünscht man sich einen größeren musealen Raum wie zum Beispiel solche, wie es sie MMK gibt, wo gerade die interessante Ausstellung  „Crip time“ läuft oder – international gedacht – Ausstellungsräume wie sie der französische Kunstsammler François Pinault für seine Sammlung in der von Tandao Ando, der ihm  schon den Palazzo Grassi und die Punta della Dogana in Venedig umbaute, eine neu strukturierte Pariser Börse geschaffen hat. Sie wurde vor kurzem erst eröffnet. Das Gefühl, dass wir in einer globalen Welt einander durch die Krise wieder einander nähergerückt sind, hätte auch in der Pinaultschen Sammlung seinen adäquaten Ort gefunden, zumal dort in einem Raum eine fast monochrome löchrige ausgehöhlte Weltkarte hängt, die ein Pendant ertragen könnte…

↑↓ Blick in die neueröffnete Pariser Börse, in der die Pinault Collection ausgestellt ist; Foto: Petra Kammann

AUSSTELLUNG JULIA KRAUSE-HARDER

Création du monde no. 2 .  Die Genähte Weltkarte 

Dommuseum Frankfurt
Domplatz
60311 Frankfurt

7. Oktober 2021 – 9. Januar 2022 

 

JULIA KRAUSE-HARDER

Julia Krause-Harder, 1973 in Kronberg im Taunus geboren, arbeitet seit 2009 als bildende Künstlerin im Atelier Goldstein. Ihr Werk ist durch eine tiefe Faszination für Paläontologie und Geografie geprägt. Seit 2005 erforscht sie Fundorte und Anatomie von Dinosauriern mit dem Ziel, alle Saurier, die je existiert haben könnten, nachzubilden. Dabei verwendet sie alle möglichen Materialien und Fundstücke wie Schnellhefter, Kassetten, Spielzeug, Kleidungsstücke oder Kabelbinder, um anatomisch präzise und realistische Skulpturen von Nanotyrranus & Co. zu schaffen.

Einen weiteren Werkkomplex bilden textile Bilder, die sie zumeist mit der Nähmaschine erstellt. Ihr zeichnerischer und malerischer Umgang mit Stoffen und Fäden lässt gleichermaßen formalistische wie erzählerische Kompositionen entstehen. Als ausgebildete Schneiderin legte sie 1999 ihre Gesellenprüfung ab und ist außerdem eine virtuose Strickerin eigener Entwürfe. Gegenwärtig arbeitet Julia Krause-Harder an einer Nachbildung des Matterhorns.

AUSSTELLUNGEN (Auswahl)

Kunstforum Wien, Museum of Old and New Art, Hobart Tasmania (Australien), Musée Visionnaire, Zürich. Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt, Dommuseum Frankfurt.

Im Selbstverlag des Atelier Goldstein erscheint im Herbst die Publikation Atelier Goldstein Heft #6 – Julia Krause-Harder.

www.atelier-goldstein.de/kuenstler/julia-krause-harder/

Die Ausstellung des Dommuseum Frankfurt findet statt in Kooperation mit dem Atelier Goldstein statt

 ATELIER GOLDSTEIN 

Das Atelier Goldstein der Lebenshilfe Frankfurt am Main e.V. – 2001 gegründet – gehört international zu einer der erfolgreichsten Produktionsstätte der Kunst außerordentlich begabter Künstler*innen mit Beeinträchtigung. Eine eigens im Atelier Goldstein entwickelte Form der künstlerischen Assistenz ermöglicht es ihnen, sich ihrer eigenen Bildsprache zu versichern, sie auszubauen und zu professionalisieren. 

Künstler*innen des Ateliers sind regelmäßig an nationalen und internationalen Ausstellungen beteiligt und ihre Werke befinden sich mittlerweile in zahlreichen Sammlungen. 2009 erhielt das Atelier den Auftrag zur künstlerischen Neugestaltung der Marienkirche in Aulhausen und 2011 den Binding-Kulturpreis. 

Seit 2013 gehört zum Atelier Goldstein auch die Goldstein Galerie, ein nicht kommerzieller Ausstellungs- und Veranstaltungsraum in der Schweizer Straße 84. 

www.atelier-goldstein.de 

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