Tanzauftakt in Köln, Bonn und Bochum
Highlights des Internationale Tanzes
von Simone Hamm
Marco Goecke ist von Tanzkritikern zum Choreografen des Jahres 2021 gewählt worden, das Nederlands Dance Theater zur Kompanie des Jahres 2021. Am Schauspiel Bochum, wo es in dieser Spielzeit auch Tanz zu sehen gibt und an der Kölner Oper, wohin Tanz/Köln das Nederlands Dance Theater mit einer Goecke Choreografie eingeladen hat, zeigten sie eindrucksvoll, warum sie ausgezeichnet worden sind.
Bei den Highlights des internationalen Tanzes“ in Bonn kommen die Tänzer aus Genf und Kroatien. Sie tanzen zu Mozarts c-Moll Messe und zu Maschinensounds.
Nederlands Dans Theater 2 mit Marco Goeckes „The Big Crying“ und Johan Ingers „Impasse“, © Joris Jan Bos/ Oper Köln
Arme und Schultern zucken, stecken Bruchteile von Sekunden in der Luft, flattern wie nervöse Schmetterlinge. Tänzer öffnen die Münder wie zu einem grotesken Munch-Schrei und formen das Wort Papa. „The Big Cry“, so hat der Choreograf Marco Goecke seine jüngste Choreografie genannt. Er thematisiert den Tod seines Vaters.
Leben und Liebe. Trauer und Abschied. Wut und Hilflosigkeit. Das alles verkörpern die Tänzer des Nederlands Dance Theater 2 der jungen Kompanie, an den Abenden im Bochumer Schauspielhaus und dem Kölner Staatenhaus einfach perfekt. In traurig-schönen ergreifende Soli kommt der Schmerz roh und fast ungestüm herüber. In großen Formationen wenden sich die Tänzer direkt den Zuschauern zu, schreien, gestikulieren, rauschen hin und her. Dabei mussten sie bisweilen gegen die übermächtige Musik , Songs von Tori Amos antanzen. Eine süßliche Musik, die man schon mögen muss.
Weniger musikalisches Pathos hätte dem Abend gut getan getan. Aber die großartigen Tänzer und Tänzerinnen dieser Ausnahmechoreografie lassen darüber hinweghören.
Nach der Pause munterer Bläsersound, bunt gekleidete, fröhliche Menschen. Johan Ingers Choreografie „Impasse“. Eine dunkle Bühne, die Umrisse eines Hauses, eine verträumte Frau davor. Zwei junge Männer treten hinzu, dann immer mehr Menschen. Immer ausgelassener, immer jazziger wird die Musik, Clowns, ein Totenkopf, eine Tänzerin im engen stressbesetzten Catsuit mit blauen Federn auf dem Kopf, bunte Figuren rollen über den Boden, springen über- und ineinander. Es gibt kein Halten mehr. Hat die junge, einsame Frau vor dem Haus noch Assoziationen an Andrew Wyeth berühmtestes Gemälde „Christinas Welt“ hervorgerufen, springen später Figuren aus James Ensors Gemälden über die Bühnen – schön, manchmal auch schaurig. Zu Beginn eine einsame Frau, allein, am Ende, ein großes, wildes, buntes Ensemble, das die Zuschauer gut gelaunt in die Nacht entliässt. Ein wunderbarer Abend.
An der Bonner Oper treten im Rahmen der „Highlights des Internationalen Tanzes“ Ensembles aus aller Welt auf. Den Auftakt der Tanzreihe machte das Ballet du Grand Théâtre de Geneve“. 19 Tänzer und Tänzerinnen erzählten in weiten, fließenden Bewegungen von der Hoffnung, der Liebe, der Gesundung.
„Wahada“ bedeutet auf Arabisch „Versprechen“. Ein Versprechen, das Wolfgang Amadeus Mozart einst gegeben hatte. Mozart hatte sein Leben lang Auftragsarbeiten komponiert. Als seine Frau Constanze schwer erkrankte, schwor Mozart, eine Messe zu schreiben, wenn sie genesen würde. Sie wurde gesund, er komponierte die große Messe in c-Moll.
Choreograf Abou Lagraa hat eine Choreografie dazu geschrieben. „Wahada“. Lagraa, geboren 1970 in Frankreich, ist Sohn ägyptisch-algerischer Eltern. Er ist Muslim, bezeichnet sich als Weltbürger. Und so hat seine Interpretation der Mozart’schen Messe so ganz und gar nichts Emphatisch-Sakrales. Lagree mischt neoklassischen Tanz ganz beiläufig mit hippen, modernen Elementen.
Abou Lagraa lässt die Tänzer in einen unsichtbaren Wassergraben steigen, will sie aus ihrer Komfortzone holen. Ein Tänzer auf dem Wasser, so Lagraa müsse loslassen können, verlöre den Boden unter den Füßen. Dennoch wird seine Choreografie nie artistisch. Es gibt wunderbare elegische Gruppenmomente und schnelle Duette.
Er wollte, so sagte Lagraa, nicht mit der Partitur neben den Tänzern stehen, sondern die Musik in die Körper der Tänzer injizieren. Das ist ihm gelungen. Die virtuosen Tänzer und Tänzerinnen verkörpern die c-Moll Messe, sie tanzen nicht zur Musik, sie werden eins mit der Musik, verkörpern Harmonie, Hingabe, Dankbarkeit.
Das Gastspiel der Kibbutz Contemporary Dance Company aus Israel musste coronabedingt abgesagt werden. Das kroatische Nationalballett sprang dankenswerterweise ganz kurzfristig ein und zeigte eine Choreografie von Andonis Foniadakis: „Burning Water.“ Wasser, so Foniadakis, könne lebensspendend und zerstörerisch sein. Diesen Kontrast will Foniadakis sichtbar machen.
„Burning water“ – Choreografie von Adonis Foniadakis vom kroatischen Nationalballett
Die hintere Bühne ist ein wenig hochgeklappt. Ein Arm, ein Bein lugen heraus, umklammern den Bühnenrand. Tänzer kriechen heraus, die Körper grotesk verbogen.
Zu Geräuschen wie aus einer Fabrikhalle, zu Hämmern und Schlagen lösen sie sich aus ihren Verrenkungen, springen aufeinander zu. Das ist dynamisch, kraftvoll, artistisch und die Zuschauer halten den Atem an. Die Tänzer und Tänzerinnen gleichen eher einer Ansammlung von Schlangenmenschen aus dem Zirkus als einer Ballettkompanie.
Anfangs entfaltet das eine große Wucht, ist aber auf die Dauer ermüdend. Für die Augen, die sich im Halbdunkel zurecht inden sollen und für die Ohren, die betäubendem Lärm ausgesetzt sind.
Wie Schiffbrüchige auf einem Floß wirken die Tänzer im ersten Teil des Abends. Sie tragen helle Kostüme, sie kämpfen ums Überleben. Im zweiten Teil sind sie rot gekleidet, ihre Bewegungen sind noch halsbrecherischer, wilder, dynamischer. Sie scheinen die Gesetze der Schwerkraft außer Kraft zu setzen. Das schreit nach Auflösung. Im dritten Teil nun tanzen sie zu Musik, wirken erleichtert, haben die dunklen Zeiten überwunden. Es hätte ein schöner Kontrast sein können, wirkt aber doch eher kitschig. Ein Abend, der so fulminat begonnen hatte, endet leider eher hilflos.