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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Deutscher Buchpreis: Wer wird gewinnen?

Fünf Autorinnen und Autoren aus der Shortlist präsentierten sich im Literaturhaus

Literaturhaus: Begrüßung des Publikums durch den engagierten Alexander Skipis (Börsenverein des Deutschen Buchhandels) 

Am 18. Oktober 2021 wird der Deutsche Buchpreis 2021 verliehen. Sechs von 230 vorgeschlagenen Titeln insgesamt blieben übrig. Mit Monika HelferNorbert GstreinChristian KrachtThomas KunstMithu Sanyal und Antje Rávik Strubel hat die Jury sechs Autorinnen und Autoren ausgewählt, die für ihre „immense Lust und hohe Könnerschaft, Geschichten zu erzählen“ gelobt wurden. Im Frankfurter Literaturhaus stellten sich fünf der Autoren dem Publikum und den Kritikern Christoph Schröder, Eva-Maria Nagel (FAZ) und Bianca Schwarz (hr2-Kultur). Christian Kracht, nominiert mit „Eurotrash“ (KiWi) war verhindert. Die Texte sind so unterschiedlich wie die Persönlichkeiten der Schreiber, auch wenn es in ihren Romanen jeweils um persönliche biografische Erfahrungen geht. Zählt am Ende der Geschmack? Es bleibt spannend.

Monika Helfer setzt in ihrer Vorarlberger Familiengeschichte dem Vater ein „Denkmal“; Foto: Petra Kammann

MONIKA HELFER
Vati. Roman
HANSER, 176 SEITEN, ISBN 978344626917

Ein Mann mit Beinprothese, ein Abwesender, ein Witwer, ein Pensionär, ein Literaturliebhaber. Monika Helfer umkreist das Leben ihres Vaters und erzählt von ihrer eigenen Kindheit und Jugend. Von dem vielen Platz und der Bibliothek im Kriegsopfer Erholungsheim in den Bergen, von der Armut und den beengten Lebensverhältnissen. Von dem, was sie weiß über ihren Vater, was sie über ihn in Erfahrung bringen kann. Entstanden ist ein Roman über das Aufwachsen in schwierigen Verhältnissen, eine Suche nach der eigenen Herkunft. Ein Erinnerungsbuch, das sanft von Existenziellem berichtet und schmerzhaft im Erinnern bleibt. „Ja, alles ist gut geworden. Auf eine bösartige Weise ist alles gut geworden.“

Im Gespräch mit Christoph Schröder ist die österreichische Autorin gewinnend und auf eine humorig liebevolle Art authentisch. Überzeugend bringt sie rüber, dass sie in dieser biografischen Geschichte die Lücken ihrer Erinnerung mit „ihrer Wahrheit“ füllt. Bisweilen klingt es fast naiv, wenn sie freimütig von ihrem Lehrmeister, dem bei uns bekannteren Schriftsteller Michael Köhlmeier erzählt, der ihr Mann ist und ihr stets wertvolle Tipps gibt.

Thomas Kunst; Foto: Petra Kammann

THOMAS KUNST

Zandschower Klinken. Roman. SUHRKAMP VERLAG AG,
253 SEITEN ISBN 9783518429921

Bengt Claasen sitzt im Auto, sein ganzes Hab und Gut im Kofferraum. Vor sich, auf dem Armaturenbrett, liegt das Halsband seiner verstorbenen Hündin. Dort, wo es herunterfällt, will er anhalten und ein neues Leben beginnen. Er fährt so langsam und vorsichtig, wie es nur geht, und landet schließlich in Zandschow – einem Nest im äußersten Norden mit einem Feuerlöschteich im Zentrum. Schnell stellt er fest: Die Bewohner des Orts rund um „Getränke-Wolf“ folgen einem strengen Wochenplan, donnerstags werden zum Beispiel zwanzig Plastikschwäne auf dem Teich ausgesetzt, und sie feiern an ihrer „Lagune“ Festspiele unter künstlichen Palmen. Überhaupt: Mit den prekären Verhältnissen mitten in der Pampa finden sich die Menschen hier nicht mehr ab. Ihr Zandschow ist Sansibar, hier kann man arm sein, aber trotzdem paradiesisch leben, in viel Verrücktheit.

FAZ-Kulturredakteurin Eva-Maria Magel kitzelt die surrealen Seiten der Geschichte des 1965 geborenen Schriftstellers aus Stralsund heraus, der im Alltag einen anderen Beruf ausübt und heute mit Wonnen auf dem Land lebt und dort auch seine Kritik an dem versteckt, was aus der einstigen DDR geworden ist. Er lässt sich in seiner „suggestiven Chronologie“ von seinen kuriosen Einfällen und dem Erschaffen einer Gegenwelt und vor allem von der Musik inspirieren, die seine Texte rhythmisiert.

Antje Rávik Strubel lebt heute in Potsdam; Foto: Petra Kammann

ANTJE RÁVIK STRUBEL

Blaue Frau. Roman.
S. FISCHER, 428 SEITEN, ISBN 9783103971019

Adina wuchs als letzter Teenager ihres Dorfs im tschechischen Riesengebirge auf und sehnte sich schon als Kind in die Ferne. Bei einem Sprachkurs in Berlin lernt sie die Fotografin Rickie kennen, die ihr ein Praktikum in einem neu entstehenden Kulturhaus in der Uckermark vermittelt. Unsichtbar gemacht von einem sexuellen Übergriff, den keiner ernst nimmt, strandet Adina nach einer Irrfahrt in Helsinki. Im Hotel, in dem sie schwarzarbeitet, begegnet sie dem estnischen Professor Leonides, Abgeordneter der EU, der sich in sie verliebt. Während er sich für die Menschenrechte stark macht, sucht Adina einen Ausweg aus dem inneren Exil. Der Roman von Antje Rávik Strubel, „Blaue Frau“, erzählt von den ungleichen Voraussetzungen der Liebe, den Abgründen Europas und davon, wie wir das Ungeheuerliche zur Normalität machen.

Acht Jahre lang hat Strubel an dieser Geschichte von Ohnmacht und Befreiung gearbeitet. Sie habe versucht, die verschiedenen Erinnerungskulturen unsentimental zu analysieren, um herauszufinden, was eigentlich „normal“ ist, meint hr-Kritikerin Bianca Schwarz.

Wie auch immer: in der postkolonialen Situation entsteht plötzlich eine neue Farbigkeit, auch der Wahrnehmung, welche für die deutschsprachige Literatur eher neu ist. Mal sehn, wie die Jury am Ende entscheidet und was dabei den Ausschlag gibt. pk

 

→ Der Bücherherbst kündigt sich an: Deutscher Buchpreis 2021

https://www.deutscher-buchpreis.de/2021

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