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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Erich Wolfgang Korngolds „Die tote Stadt“

Liebe und Tod im untergehenden Brügge

Von Simone Hamm

Ein riesiger Zylinder auf einem Podest, davor Barhocker, auf denen müde Gäste Cocktails schlürfen – Stefan Heynes Bühnenbild wirkt, als habe er ein Bild Edward Hoppers auf die Bühne gebracht. Der Zylinder ist ein Vorhang, in seinem Inneren weitere Vorhänge aus langen Fäden. Bisweilen werden Videos auf den Vorhang projiziert. Das wirkt kühl und karg und soll wohl einen Gegensatz darstellen zur opulenten spätromantischen Musik, zum dramatische Geschehen in Erich Wolfgang Korngolds „Die tote Stadt“, der Opernadaption des symbolistischen Romans „Bruges-la-morte“ von Georges Rodenbach.

Burkhard Fritz, Aušrine Stundyte in „Die tote Stadt“ von Erich Wolfgang Korngold, Foto: © Paul Leclaire / Oper Köln

Uraufgeführt wurde die Oper 1920 gleichzeitig in Hamburg und Köln, wo Otto Klemperer dirigierte. Einhundert Jahre später sollte die Oper in Köln gezeigt werden, wegen Coranabeschränkungen war im Dezember 2020 zunächst ein Livestream zu sehen. Jetzt kam sie live auf die Bühne, eine überaus spannende Geschichte über die Abgründe der menschlichen Seele.

In der toten Stadt Brügge lebt Paul in einem Zimmer, das er „die Kirche des Gewesenen“ nennt. Gewidmet ist es seiner verstorbenen Frau Marie, die er wie eine Heilige verehrt. Er lernt die Tänzerin Marietta kennen, die Marie aufs Haar gleicht. Marietta tanzt in einer Theatergruppe, hat viele Verehrer, genießt das. Sie flirtet und lockt. Aber Marie wird sie – trotz aller Verführungskünste – nicht ersetzen können.

Von Paul erwartet sie, dass er sie lieben solle, so wie sie sei und nicht als Ebenbild Maries. In rasender Wut tötet er sie. Oder hat er das nur geträumt? Hat er auch Marie getötet? Hat sie den Freitod gewählt? War alles nur ein Traum? Marietta eine Männerphantasie? Ein Fieberwahn? Schneidet er sich am Ende selbst die Kehle durch? Oder wird er Brügge, die tote Stadt, verlassen?

Korngold, der das Zeug gehabt hätte, ein Giacomo Puccini, ein Richard Strauss zu werden, floh später vor den Nazis in die USA und komponierte in Hollywood Filmmusiken. Immerhin: zweimal wurde er mit einem Oscar ausgezeichnet.

Regisseurin Tatjana Gürbaca zeigt in den Projektionen all diese Möglichkeiten, dringt tief ins Unbewusste, in die Träume und Albträume der Protagonisten ein,  und überlässt deren Deutung klug den Zuschauern. „Ein Traum hat mir den Traum zerstört, ein Traum der bittren Wirklichkeit den Traum der Phantasie“ singt der verzweifelte Paul.

Musikalisch ist dieser Abend ein Hochgenuss. Ganz nah sitzen die Zuschauer im Kölner Staatenhaus an der Bühne. Das von Gabriel Feltz souverän geleitete Gürzenich Orchester spielt neben dem Zylinder. Der von Rustam Samedov einstudierte Chor ist meist unsichtbar, dann ganz in schwarz wie Schemen zu sehen. Das wirkt zart und fast ein wenig unheimlich und beschwört die düstere, dunkle Atmosphäre.

Die Stimmen der Jungen und Mädchen des Kölner Dom Chors sind zu hören. Und immer wieder erklingen Glocken. Aušrine Stundyte, die hochgelobte Elektra der Salzburger Festspiele, ist auch als kluge und verführerische Marietta eine Ausnahmesängerin. Die ideale Besetzung.

Der massige Burkhard Fritz meistert seine Mammutpartie, ist der verletzte, verzweifelte, abgründige und dann wieder aufbrausende, cholerische Paul. Die Mezzosopranistin Dalia Schaechter überzeugte als treue Haushälterin Brigitte und erinnert wohl nicht zufällig an die Haushälterin aus Hitchcocks Rebecca. Wolfgang Schwaiger in seiner Doppelrolle als Pauls Freund Frank und Pierrot ist ein starker Bariton, der, der noch denkt, als Paul nicht mehr denken kann.

Aber lange nicht alles war so beeindruckend wie Sänger, Chor und Orchester. Es ist völlig unverständlich, sogar ärgerlich, dass in einer Oper, die so sehr nach Tanz schreit, in der Tänzerinnen auftreten, so gut wie gar nicht getanzt wird – sieht man einmal von ein paar angedeuteten Tanzschritten Mariettas an.

In Köln gibt es viel professionelle Tänzer, die der Oper gut getan hätten. Einen Totentanz in der toten Stadt Brügge aufzuführen. Tatjana Gürbachat hat eine statische Inszenierung vorgezogen. Gelangweilt sitzen die Nachtschwärmer auf den grünen Barhockern um den Zylinder herum, rauchen, trinken, sind einsam. Von Morbidität keine Spur.

Die scheidende Opernintendantin Birgit Meyer, deren Vertrag die Stadt Köln aus unerfindlichen Gründen nicht verlängert hat, hat großartige Sänger für „Die tote Stadt“ nach Köln geholt. Noch einmal große Oper in Köln. Mit Spannung ist die nächste Premiere im Oktober zu erwarten: „L’ amour de loin“ von Kaija Saariaho. Auch das eine Geschichte von großer, diesmal ferner Liebe zu einer idealisierten, unerreichbaren Frau.

https://www.oper.koeln/de/

 

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