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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Manifest des Ephemeren – der verhüllte Arc de Triomphe (3)

Deutsche Firmen sind wesentlich beteiligt – und ernten viel Lob

Von Uwe Kammann

Freies Flanieren für Fußgänger am Wochenende, Foto: Vládmir Combre de Sena

Voilà. Das Fest hat begonnen. Staunen über eine Poesie, die kaum jemand für möglich hielte, wenn er nicht einige vorherige Werke des Künstlerpaars Christo und Jeanne-Claude kennen würde – vor allem jene, die mit ihren Ausmaßen verblüfft haben, so der mit einem goldenem Vorhangschimmer verhüllte Pont Neuf in Paris und der silbern verpackte Reichstag in Berlin. Jetzt also der Triumphbogen, eines der Mega-Monumente in der an symbolischen Großbauten ohnehin nicht armen Stadt Paris.

Wrapped (Project for Paris, France), © 2019 Christo Photo André Grossmann

Ein Monument, das der eroberungswütige Napoleon ruhmessüchtig errichten ließ, als seine Truppen noch siegten; ein Monument, das im vergangenen Jahrhundert gleichsam umgewidmet wurde, zu verstehen auch als gigantische Demutsgeste vor einem unbekannten Soldaten aus der französischen Armee der Grande Guerre, mit einer ewigen Flamme des generellen Gedenkens; ein Monument zudem, das mehr als symbolisch, nämlich in steinerner Macht, als weithin sichtbares Zeichen-Zentrum errichtet wurde, in der Mitte eines kreisrunden Platzes, auf den zwölf Prachtstraßen zulaufen (oder von ihm ausgehen, wie man will). Ein einst als Stern bezeichneter, seit fünfzig Jahren nach General de Gaulle benannter Platz, der mit seiner riesigen Fläche ausländischen Autofahrern den Schweiß in die Hände treibt, wenn sie – ohne jede Markierung – über gefühlt ein Dutzend Spuren ihren Weg hinein und wieder hinaus finden müssen.

Der Platz für die Erinnerungsflamme für den unbekannten Soldaten musste gewährleistet sein; Foto: Petra Kammann

Und jetzt, beginnend mit dem Wochenende des 18. September, ist er verwandelt, so überraschend wie beglückend für ein herbeiströmendes Publikum: mit einem freien Flanieren rund um das Monument, ohne jede Autogefahr. Mit ständig neuen Blicken, die eines nicht mehr finden: das patriotische Pathos. Sondern an den Konturen einer übergroßen Skulptur ihr eigenes Maß nehmen können, mit immer wieder neuen An- und Einsichten. Eine Skulptur aus gefalteten Stoffbahnen, leicht bewegt im Wind, mit elegantem Schattenspiel unter dem septemberseidenen Sonnenlicht. Ein Lichtspiel, das auch mit Hilfe der roten Verpackungsseile inszeniert wird, die den Faltenwurf ganz nach Art einer Paketverschnürung zusammenhalten und steuern – und in Verbindung mit dem auf der Rückseite blau kaschierten Gewebe an das Farbspiel der französischen Trikolore erinnern.

Poetisch leicht, der verhüllte Arc de Triomphe unter dem Himmel von Paris, Foto: Vládmir Combre de Sena

Und so stellt sich mit dem dreidimensionalen Großbild ein, was auch vor einem Vierteljahrhundert Menschen in den Bann zog, ja mehr noch, geradezu verzauberte, als sie den von Christo und Jeanne-Claude verhüllten Reichstag in Berlin umkreisten, wieder und wieder, oder sich auf der großen Wiese vor dessen westlicher Fassade niederließen: durchdrungen vom Gefühl, einer ungewöhnlichen Verwandlung beizuwohnen, über die eigene Wahrnehmung in eine andere Welt mitgenommen zu werden, eine Welt, die heller, heiterer, unwirklicher ist, schöner und freier – befreit von allem Schweren, von Zwecken, von alltäglichen Funktionen. In Deutschland war diese Verwandlungskunst zuletzt vor acht Jahren zu bewundern, mit dem „Big Air Package“, einer Stoffröhre aus einer transparenten Membrane, die mit einer Höhe von 90 Metern und einem Durchmesser von 50 Metern den zum Kunstraum gewordenen Gasometer in Oberhausen ausfüllte.

„Käfige“ um die Skulpturengruppen waren notwendig. Diese Holzelemente dienen als Abstandshalter für die Stahlkabel, sodass diese nicht in Berührung mit dem Stein kommen; Foto: Petra Kammann

Den Arc de Triomphe zu verhüllen, diesen Gedanken hatten Christo und Jeanne-Claude schon als junges Paar Anfang der 60er Jahre, fertigten auch eine Fotomontage an. Doch konkrete Schritte, bei solch einem Großobjekt mit staatlicher Verankerung fast ein Sisyphusunternehmen, blieben aus. Erst 2017 (Jeanne Claude war schon 2009 gestorben) begannen dann die Vorbereitungen, die natürlich zahlreiche Interventionen bei staatlichen Stellen und zuständigen Behörden erforderten, speziell natürlich hinsichtlich des Denkmalschutzes. Christo – unterstützt von seinem Neffen und langjährigem Assistenten Vladimir Yavachev – trieb alles mit unerschöpflicher Energie voran, ohne den jetzigen terminalen und zugleich ephemeren Kunst-Triumph noch erleben zu können. Er starb im Mai letzten Jahres.

Im Arc de Triomphe wird ein Film gezeigt, der verschiedene Christo und Jeanne Claude-Projekte zeigt, Foto: Petra Kammann

Im oberen Schauraum des Triumphbogen ist in beeindruckenden Filmausschnitten auf einer großen Videowand der Künstler zu sehen, wie er in immer neuen Skizzen das Projekt vorbereitete, wie er die äußere Drapierung immer wieder variierte, um eine optimale Wirkung zu erzielen. Was man hingegen nicht mehr sehen kann, was auch wesentlich unspektakulärer wirkte angesichts des nahezu tänzerischen Luftballets der tollkühnen Monteure, welche nach einer präzisen Choreographie die in tonnenschweren Rollen angelieferten  Membranen nach und nach herabließen, das sind die raffinierten Metall- und Holzkonstruktionen, welche als Halterungen dienen und als Käfige die Reliefs und Fresken des Bauwerks schützen.

Atemberaubend von oben der Blick auf den Eiffelturm, Foto: Petra Kammann

Wer in der Montagephase oben an der Brüstung des Triumphbogens stand, sah unmittelbar, wie hoch der konstruktive Aufwand war, wie massiv der Rahmen sein musste, um die Lasten der 25.000 Quadratmeter des in Deutschland gewebten, dann auch zugeschnitten und genähten Spezialstoffes tragen zu können, bei strengen Auflagen, das Bauwerk in all’ seiner Substanz zu schützen. In Frankreich – wo der Begriff „deutsche Ingenieurskunst“ anerkennend im Umlauf ist – wurde übrigens vielfach von der wesentlichen Beteiligung deutscher Firmen berichtet: also von Saxa Syntype, das die Polypropylenfasern herstellte, so von Setex Textil, das sie verwebte, so von Geo – Die Luftwerker, welche die gewaltigen Stoffmassen nähend in Form brachte.

↑  25.000 Quadratmeter Stoff  aus Polypropylenfasern
↓ silbern und blau auf der Rückseite, Foto: Petra Kammann

  

Ein weiteres deutsches Unternehmen wurde vielfach genannt, weil es schon früh involviert war: das Ingenieurbüro Schlaich Bergermann Partner (sbp). Genau dieses Büro – weltweit renommiert wegen seiner vielfach bewiesenen Kompetenz bei kühnen, eleganten und leicht wirkenden Bau- und Tragwerken, von Brücken bis zu Stadiondächern  – wurde wieder beauftragt, die konstruktive Grundarbeit zu leisten.

Die mit 34 Jahren geradezu blutjunge Leiterin des Projektteams, Anne Burghartz, wurde darüber gerade in den letzten Wochen zu einem Medienstar. Immer wieder erläuterte sie vor Kameras und Mikrofonen, was zu den Hauptmerkmalen der Arbeit gehörte, speziell natürlich, wie die Auflagen der Denkmalschützer zu erfüllen waren. Immerhin, 200 Bohrungen durften in den kostbaren Stein getrieben werden, denn bloße Spannseile hätten nicht ausgereicht, um Stabilität und Sicherheit zu gewährleisten. Spezialisten werden die Löcher mit akribischer Sorgfalt wieder füllen, wenn nach den zwei Wochen des „Live“-Erlebnisses die Hülle wieder demontiert wird.

Filmausschnitte vom Reichstag-Projekt im Innern des Arc de Triomphe; Foto Petra Kammann

Beim Reichstag, so sagt es die Erinnerung, wurde auch strengstens über jede Befestigung gewacht, Bohrungen sollten nahezu vollständig ausgeschlossen werden. Dabei war dort die Herausforderung noch größer, um alle Widrigkeiten der Wind- und Wettereinflüsse auf die Stoffmengen auszuschließen. Dort nämlich war die Gesamtfläche der Membranen viermal so groß wie jetzt beim Triumphbogen in Paris.

Das Pariser Büro von sbp war übrigens nicht direkt mit dem Projekt befasst. Vielmehr wurde es vom 20 Mitarbeiter zählenden Berliner Büro betreut, mit Anne Burghartz als Vor-Ort-Delegierter in Paris. 2019, so sbp-Kommunikationschefin Viktoria Weht, sei der Auftrag fixiert worden. Bei den Vorgesprächen habe auch Wolfgang Volz, der seit Jahrzehnten die Christo- und Jeanne-Claude-Arbeiten als Fotograf eng begleitet, mitgewirkt. Das Ganze sei natürlich in der Realisierung nicht ganz einfach gewesen, speziell dort, wo es um den Kontakt mit den Behörden, deren Auflagen und die Genehmigungen gegangen sei.

Ropes are being installed to secure and contour the fabric on the Arc de Triomphe
Paris, September 14, 2021, Foto: Benjamin Loyseau, © 2021 Christo and Jeanne-Claude Foundation

Und ganz praktisch, wie stand es um die Zusammenarbeit mit den vielen Beteiligten vor Ort, vor allem dem Generalunternehmen Charpentiers de Paris (wörtlich: Zimmerleute von Paris), mit den Industriekletterern von Jade, um die wichtigsten französischen Partner auf der Ausführungsseite zu nennen? Mike Schlaich hat dort keine Probleme gesehen, auch keine Eifersüchteleien, obwohl in den Medien oft das eigene Unternehmen und die für den Stoff zuständigen deutschen Firmen hervorgehoben wurden. „Die Stimmung und die Zusammenarbeit“, so erklärt er FeuilletonFrankfurt, „waren durchweg gut“. Und er bringt es auf eine Formel mit Ausrufezeichen: „Europäisch!“  Hinzu komme, dass sbp ein Büro in Paris habe. Weiter, dass Anne Burghartz als Projektleiterin französisch spreche, viele der französischen Kollegen wiederum englisch, so wie auch das Christo-Team: „Die Kommunikation war nie ein Problem“.

Aufbau des Gerüsts, Foto: Petra Kammann

Auf die Frage, ob das jetzige Pariser Projekt für das weltweit tätige Unternehmen – dessen rund 190 Mitarbeiter in einem Büro-Netzwerk tätig sind: in Stuttgart, Berlin, Paris, Sao Paulo, Shanghai und Madrid – jetzt zu einem besonderen Werbeträger geworden sei, in seiner spektakulären Präsenz, und ob es damit vermehrt ungewöhnliche Aufträge nach sich ziehen könne, antwortet Mike Schlaich: „Mit einem solchen Projekt ist man tatsächlich viel präsenter in den Medien als sonst. Ob so etwas zu neuen Aufträgen führt, lässt sich nicht belegen.“ Er fügt einen anderen wesentlichen Aspekt hinzu: „Aber die Arbeit mit Künstlern ist für uns nicht nur Motivation und Bereicherung. Die Tragwerke, die so entstehen, setzen sicher Synergieeffekte für andere ‚normale’ Projekte frei.“

Die Fassadenkletterer; Foto: Uwe Kammann

Nun, ‚normale’ Projekte sind unter dem Siegel der Firma kaum zu finden. Wer die Homepage von sbp durchstreift, bekommt schon über die Abbildungen der Realisationen rund um den Globus eine Ahnung, über welch’ ungewöhnliche Qualitäten das Unternehmen verfügt, das in der Selbstbeschreibung schlicht von „unabhängigen beratenden Ingenieuren“ spricht, deren Ziel es sei, „anspruchsvolle Bauten“ zu entwerfen und zu konstruieren. Sie reichten „von weitgespannten, leichten Dachtragwerken, vielfältigen Brücken, schlanken Türmen, innovativen Hochbauten bis hin zu zukunftsweisenden Solarkraftwerken“.

Vorbereitende Modellkonstruktion von schlaich bergermann partner (bsp)

Jörg Schlaich – gerade ganz kurz vor der Vollendung des Pariser Projekts gestorbener Doyen der Firma – war in der Anfangsphase seiner mit vielen Auszeichnungen bedachten Laufbahn an einem Projekt maßgeblich beteiligt, das damals weltweit als Nonplusultra einer ganz ungewöhnlichen (und bis heute in der Gesamtkonzeption einzigartig gebliebenen) Sportarchitektur galt: dem seilgespannten Flächentragwerk der Dachlandschaft des Olympiaparks in München. Inspiriert hat diese beschwingte Architektur allerdings viele andere Stadionentwürfe.

sbp feiert davon in der kleinen Firmengeschichte eine Konstruktion, die ebenfalls außergewöhnlichen Beifall gefunden hat, als eigenes „Sommermärchen“: das in Zusammenarbeit mit dem Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner (gmp) entstandene Dach des Berliner Olympiastadions. Auch dort war es eine diffizile Aufgabe, ein denkmalgeschütztes Bauwerk mit hochmodernen Anforderungen zu ergänzen. Dass dann weitere Sommermärchen hinzukamen – mit anspruchsvollen Stadien bei den Fußballweltmeisterschaften in  Südafrika und Brasilien – war nur folgerichtig.

Hoch oben festverankert das Gerüst , Foto: Petra Kammann

Vieles ist also zu sehen, weltweit, was sbp realisiert hat. Doch in besonderer Weise im Gedächtnis haften bleiben werden sicher jene Konstruktionen, die sich auflösen, besser: die aufgelöst werden, eben, weil sie nur für einen kurzen Zeitraum etwas tragen, etwas bewegen sollten: als Applikationen des Reichstags, des Arc de Triomphe, als temporärer fester Kern, als Manifest des Ephemeren.

Das Buch zum Projekt:

Christo and Jeanne-Claude, Wolfgang Volz, Lorenza Giovanelli, Jonathan William Henery,
„Christo and Jeanne-Claude. L’Arc de Triomphe, Wrapped (Advance Edition)“
Softcover mit Klappen, 23,5 x 29 cm, 96 Seiten, 20 Euro, Taschen Verlag

Hervorragend dokumentierte Geschichte

→ Eine Hommage an das Flüchtige und Vergängliche – Christos Verpackung des Triumphbogens in Paris (1)

→ Ein Hintergrundgespräch mit Laure Martin-Poulet über die Aktion „L’Arc de Triomphe, Wrapped“ von Christo und Jeanne-Claude (2)

Weitere Infos:

Arc de Triomphe, Wrapped 18. September bis 3. Oktober 2021

Place Charles-de-Gaulle, 75008 Paris

Metro Linie 6 oder

RER A Charles de Gaulle Etoile

Im Shop des Arc de Triomphe

sind Produkte erhältlich, die vom L’Arc de Triomphe, Wrapped inspiriert sind, und vom Centre des monuments nationaux hergestellt wurden, inklusive eines Katalogs, der das Projekt darstellt. Der Gewinn kommt ausschließlich dem Centre des monuments nationaux  zugute. Das Christo V. Javacheff Estate erhält keinerlei Benefit von diesem Verkauf.

christojeanneclaude.net

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