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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Erste Einblicke in das Deutsche Romantik-Museum (2)

Zauber-Worte und Zauber-Dinge im Schatzkästlein

Impressionen von Petra Kammann

Prof. Dr. Anne Bohnenkamp-Renken, Direktorin des Freien Deutschen Hochstifts, des Frankfurter Goethe-Museums und nun des Deutschen Romantik-Museums, empfängt das Publikum; Foto: Petra Kammann

Sie steht für Zuverlässigkeit, Sorgfalt, Kompetenz, Mut und Durchhaltevermögen, aber auch für Improvisationsbereitschaft und Entdeckerfreude, Weitsicht sowie kritischen und spielerischen Umgang mit der Geschichte, die das Emotionale nicht unterschätzt. Und damit ist sie eigentlich auch selbst eine Romantikerin, die Naturliebhaberin und fabelhafte Goethe-Kennerin, die Herausgeberin und Direktorin des neuen Deutschen Romantik-Museums, Prof. Anne Bohnenkamp-Renken.

Beim Betreten des Foyers des Deutschen Romantik-Museums wird der Blick nach allen Seiten geweitet, hin zum Garten und zur Verbindungstür ins Goethe-Haus; Foto: Petra Kammann

Ihr Romantikbegriff ist so weit gespannt und so vielfältig auslegbar wie das, was man an Schätzen im Haus vorfindet: in Ein- und Ausblicken, in Nischen und aufklappbaren Kästen, in kostbaren Handschriften und deren Transkriptionen, in Hörstationen, Original-Partituren, Grafiken, Comics und Gemälden sowie Alltagsgegenständen, in Lebens- und Liebesgeschichten und ihren politischen Hintergründen, in Bespiegelungen, Utopien von Gesamtkunstwerken und das alles in einem Gehäuse, das sich sehen lassen kann, mit einer steilen Treppe, die fast geradewegs in den Himmel zu stürmen scheint.

Die „Himmelstreppe“ führt zu den verschiedenen Ausstellungsebenen; Foto: Petra Kammann

Nun ja, und natürlich führt einen unmittelbar dann die schon viel beschworene in blaues Licht getauchte steile „Himmelstreppe“ zu den verschiedenen Ausstellungsebenen. Auf Anhieb wird der Sehnsucht Nahrung gegeben, den Sternen ein wenig näher zu kommen, sind doch die Aspekte dessen, was zum weiten Feld der Romantik gehört, äußerst vielfältig und nicht zuletzt Vorläufer der Moderne, die noch nicht abgeschlossen ist.

Himmelstreppe, Blauer Erker, Wendeltreppe © Freies Deutsches Hochstift, Foto: Roman Gericke (MÄCKlER Architekten) 

Man spürt es an sämtlichen Details, dass hier die Auftraggeberin Hand in Hand mit dem Frankfurter Architekten Christoph Mäckler gearbeitet hat. Die Grundentscheidung war klar, dass die kostbaren Manuskripte nur wenig Licht vertragen können. So mussten sie zum Großen Hirschgraben hin wie zum dahinter liegenden Hof nach außen hin abgeschirmt werden und brauchten daher ein schützendes Gehäuse mit wenigen Fenstern und Ausblicken nur. Allein eine große Fensterfront geht in den „Romantikgarten“, der ein Stückchen Idylle verspricht und damit den Umgang der Romantiker mit der Natur andeutet.

Sitzecke zum Grübeln und Schauen auf die Brandmauer zum Goethe-Haus, das nach dem Krieg wieder aufgebaut wurde Foto: Petra Kammann

Überzeugend daher in Analogie zur „blauen Blume“ der Romantik die blau unterlegten Einschnitte an der äußeren Fassade oder so raffiniert eingebaute Elemente wie das blaue Erkerfenster zum Großen Hirschgraben hin, das Ausblicke auf die Brandmauer des nach dem Krieg wiederaufgebauten Goethe-Hauses, das nun innerlich und äußerlich miteinander verbunden wurde, freigibt. Schließlich ist doch auch unser „Klassiker“ Goethe durchaus selbst ein Romantiker, denke man nur an den „Werther“ oder an den „Faust“, meint die Direktorin.

Auch die historischen Gemälde der Romantikerinnen fanden entsprechenden Anklang; Foto: Petra Kammann

Was denn nun Romantik ist oder sei, darauf gibt es nun einmal keine eindeutige Antwort, weswegen das Deutsche Romantik-Museum, übrigens weltweit das erste Museum seiner Art, sich der Epoche der Romantik mit all ihren Facetten als Ganzes verschrieben hat. Da es über einen 100-jährigen Bestand an interessanten Dokumenten verfügt – dem früheren Leiter des Deutschen Hochstifts, Ernst Beutler, sei Dank für seine frühe und visionäre Sammelleidenschaft.

Die politischen Aspekte wie das Elend in Schlesien, das Hunger und Verzweiflung heraufbeschwor, werden dabei nicht ausgespart; Foto: Petra Kammann

Die einzigartigen Originale – vielfach aus den Beständen des benachbarten Goethe-Museums also – werden hier sehr geschickt mit innovativen digitalen Ausstellungsformen präsentiert, welche die Zeit der Romantik als Schlüsselepoche erfahrbar machen. Davon legten beredt auch die ersten Besucher, darunter Schüler und Schülerinnen, Zeugnis ab. Selten erlebt man sie so aufgeweckt bei Museumsbesuchen wie hier. Da switchen sie zwischen ihren eigenen Smartphones und den dort angebotenen Medienangeboten verschiedenster Art hin und her.

Mit der Kopie von Tischbeins Goethe in der Campagna im Rücken zeigen sie sich von der Italiensehnsucht der Romantiker begeistert; Foto: Petra Kammann

Die ausgestellten Exponate scheinen gerade naturwüchsig aus den Schätzen des benachbarten Goethe-Museums  herüberzuwachsen, sind diese beiden architektonisch so unterschiedlichen Gebäudekomplexe Goethehaus und Deutsches Romantik-Museum nun doch aufs Innigste und durch einen offenen Garten, eine offene Tür und eine Brandmauer miteinander verbunden und verschränkt, nicht zuletzt auch durch die Traufhöhe der drei sich anlehnenden Gebäude, in denen einst der Börsenverein des Deutschen Buchhandels seinen Sitz hatte, und nicht zuletzt durch deren Farbigkeit, die dem Goethehaus angepasst ist. Im romantischen Sinn werden hier die Ideen, Werken und Personenkonstellationen synästhetisch umgesetzt, und auch Goethe selbst wird dabei in ein neues Licht gerückt wird.

Für die „Salonniere“ Rahel Varnhagen wurden Zitate auf Porzellan geschrieben; Foto: Petra Kammann

Der Mensch als Mensch ist selbst im Werk der Kunst, und sein ganzes Wesen besteht darin, daß Bewusstsein und Nicht-Bewußtsein gehörig in ihm wechseln“, schreibt die quirlige und kluge Romantikerin Rahel Varnhagen von Ense, die sich im Sinne eines Bekenntnisses zur Gleichheit der Menschen sowohl für die Emanzipation der Juden einsetzte wie für die der Frau. Da sie in Berlin einen bedeutenden Salon führte, sind ihre Sprüche hier wohl auf weißem Porzellan an einem gedeckten Tisch zu finden.

Der Blick in eine Art Spiegelwald macht die Besucher mit den Vertretern der historischen Epoche zwischen 1749 und 1883 vertraut; Foto: Petra Kammann 

„Wir suchen überall das Unbedingte und finden immer nur Dinge“, sagt der Dichter Novalis (alias Friedrich von Hardenberg). Wie aber diese gefundenen Dinge ordnen, sprechen lassen, sie zu Gehör bringen oder sie sinnlich erfahrbar machen? Das ist den Ausstellungsmachern glänzend gelungen.

Ausgangspunkt ist eine Art Spiegellabyrinth, das die Geschichten, welche die unterschiedlichen Stationen der Dauerausstellung erzählen, sich berühren, bisweilen überschneiden oder einander ergänzen oder uns kritisch betrachten lassen, was Romantik alles sein kann: ein Gefühl, eine Geisteshaltung, ein ästhetisches Programm oder eine Epoche der Kulturgeschichte, die sich zu Beginn des Industriezeitalters an so unterschiedlichen Orten wie Jena, Heidelberg, Weimar, in Winkel am Rhein oder in Berlin oder Paris abspielt.

So leben sie noch heute. In diesem Raum sind die Märchen der Brüder Grimm aus Hanau präsent; Foto: Petra Kammann

Bei der intensiven Beschäftigung mit der Romantik bleiben auch die Nachtmahre nicht aus, die mit dem neuen Zeitalter der beginnenden Industrialisierung an die Oberfläche dringen wie in Füsslis „Nachtmahr“ im Blick auf Mary Shelleys „Frankenstein“ und die Vampire um 1830. Auch auf anderen seiner Gemälde scheint einem die Unwirtlichkeit entgegen zu wehen. Und da es bei den Exponaten um ein Zusammenspiel der Kunst im Sinne der Idee vom Gesamtkunstwerk geht, wird auch auf weiteren Gemälden die Erinnerung wachgerufen.

Auch die dunkle Seite der Romantik hat ihren Platz wie auf Füsslis Gemälde „Die wahnsinnige Kate“; Foto: Petra Kammann

Zu den wertvollen Schätzen des Freien Deutschen Hochstifts zählen neben so bekannten Gemälden wie Johann Heinrich Füsslis ‚Der Nachtmahr‘, Caspar David Friedrichs ‚Der Abendstern’, Bilder von Carl Gustav Carus, und Graphiken von Philipp Otto Runge, die atmosphärischen Naturdarstellungen eines Philipp Hackert, natürlich vor allem aber auch die empfindlichen und empfindsamen Manuskripte.

Wünschelrute“ – Ein echtes Arbeitsexemplar von Joseph von Eichendorffs handschriftlichem Entwurf zu seinem berühmten Gedicht © Freies Deutsches Hochstift, Foto: Alexander Paul Englert

Daneben dann Handschriften von Clemens und Bettine Brentano, Novalis und den Brüdern Schlegel – das Manuskript von Ludwig Tiecks Novelle ‚Des Lebens Überfluss’, besonders jedoch Joseph von Eichendorffs handschriftlicher Entwurf zu einem der berühmtesten Gedichte der deutschen Romantik, an dem man sieht, wie intensiv der Dichter daran gearbeitet hat, um zu seinem in sich vollkommenen Vierzeiler ‚Wünschelrute’ zu kommen: „Schläft ein Lied in allen Dingen, /Die da träumen fort und fort,/ Und die Welt hebt an zu singen,/ Triffst du nur das Zauberwort.“ Eichendorff kommentiert am Rand: „Der Dichter soll den Zauber lösen – Sieh zu, dass Du triffst den rechten Klang!

 

Der Klappkasten mit Robert Schumanns kostbarem Manuskript der Ouvertüre zu ‚Szenen aus Goethes Faust‘ in der Handschrift des Komponisten (2. Fassung), Klavierauszug (1853) © Freies Deutsches Hochstift, (Foto: Axel Schneider); Foto links: Petra Kammann

Mit dem Klang kommt auch die musikalische Perspektive ins Spiel. Da nehmen Robert Schumanns eigenhändige Kompositionsentwürfe zu seinen ‚Szenen aus Goethes Faust’ in der Ausstellung eine Sonderstellung im Wortsinn ein, nämlich in einem aus Fäden gesponnenen schrägen Tempel, der haufengleich die „Ver-rückung“ der Welt andeuten mag. In den Szenen aus Goethes Faust vertont der musikalische Poet und Goethe-Verehrer erstmals in der Musikgeschichte den Schluss von Faust II. vollständig. Eine Karte gibt Auskunft zu seinem Leben. Die große Kostbarkeit aus den Händen des Komponisten liegt dann unter dem Deckel eines Stehpults geschützt und verborgen, das nur schwach beleuchtet ist, wenn man ihn hochklappt.

Romantik-Ausstellung im 2. OG: ‚Öffne alle Adern deines weisen Leibes. Karoline von Günderrode erhält einen Brief‘ © Freies Deutsches Hochstift, Foto: Alexander Paul Englert

Unmöglich, bei einem ersten Besuch die Fülle des Gebotenen adäquat wiederzugeben, bedenkend, dass das einzige berührende Manuskript der Karoline von Günderrode, auf deren Werk und beschränkten Entfaltungsmöglichkeiten als Dichterin Christa Wolf in ihrer Erzählung „Kein Ort Nirgends“sich bezogen und ihr Leben nachgezeichnet hat, auch hier einzusehen ist, was einer eigenen Wahrnehmung bedürfte.

Besonders stolz ist die Direktorin Prof. Bohnenkamp-Renken auf das einzig erhaltene Manuskript der Caroline von Günderrode; Foto: Petra Kammann

Dass die Romantik nicht nur eine deutsche Bewegung war, und wie sich Wissenschaft und Kunst gegenseitig beeinflusst haben, davon zeugen andere Einheiten der Dauerausstellung. Und die spöttischen Kommentare des in Paris lebenden Heinrich Heine bleiben auch nicht aus. Deswegen kann ein erster Besuch nur die Inspiration für weitere Beschäftigung und ein Wiederkommen ins Deutschen Romantik-Museums sein, indem die Wege zur Innen- wie zur Außenwelt so trefflich aufgezeigt werden. Wissensdurstig und beseelt kommt man nur allzugern gerne wieder in das neue Schatzhaus am Großen Hirschgraben.

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Romantik und kein Ende? Auch die Schüler und Schülerinnen sind fasziniert; Foto: Petra Kammann

GOETHE-HAUS & ROMANTIK-MUSEUM

Großer Hirschgraben 23-25
60311 Frankfurt am Main
Tel.: +49 (0)69 138 80-0
info@freies-deutsches-hochstift.de

Öffnungszeiten ab 14. September 2021 

Dienstag, Mittwoch, Freitag, Samstag, Sonntag
10 – 18 Uhr
Donnerstag 10 – 21 Uhr
Montag geschlossen

https://deutsches-romantik-museum.de

Für den Besuch ist ein Negativnachweis (Impfung, Genesung mit PCR-Test, tagesaktueller Antigen-Schnelltest) in Verbindung mit einem amtlichen Ausweispapier notwendig. Das Tragen einer medizinischen Mund-Nasen-Maske (FFP2, KN 95 (ohne Ventil), OP–Maske, Typ I, II und IIR) ist für den gesamten Aufenthalt verpflichtend. 

 

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