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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Schwarz und Weiß“ – Teile der Collection Pinault in Rennes im Jakobiner-Kloster

Jenseits der Farbe – Weniger ist mehr

„Le Noir et le blanc dans la collection Pinault“ „Über die Farbe hinaus – Schwarz und Weiß in der Sammlung Pinault“ lautet der Titel der Ausstellung, die im renovierten Jakobinerkloster, dem Kongresszentrum und Veranstaltungsort der bretonischen Hauptstadt Rennes, noch bis zum 29. August 2021 stattfindet. Mehr als 100 zeitgenössische Kunstwerke verschiedenster Gattung in Schwarz und Weiß von insgesamt 57 Künstlern der Pinault-Sammlung werden dort erstmalig in Frankreich gezeigt: Minimalistisch – puristisch und asketisch streng sind dort die Skulpturen, Gemälde, Zeichnungen, Photographien, Modekreationen und Videos präsentiert. So beeindruckend wie ergreifend! Petra Kammann hat die Schau für FeuilletonFrankfurt besucht.

Erster Blick in die Ausstellung im Couvent des Jacobins in Rennes; Foto: Petra Kammann 

Lässt man die Innenstadt mit dem buntem kleinteiligen Fachwerk, den hippen Bars der „Rue de la soif“, der Shoppingmall  und dem zweitgrößten Lebensmittelmarkt Frankreichs an der Place des Lices ebenso hinter sich wie auch die Überprüfung der einschlägigen Hygienevorschriften und betritt dann das Couvent des Jacobins, das Jakobinerkloster, ist man sogleich in einer ganz anderen Welt. Eine fast meditative Oase der Ruhe empfängt dort die Besucher.

Entree der Ausstellung; Foto: Petra Kammann

Blick in den Klosterhof mit den beiden schwarz verkohlten Menhiren aus Eichenholz des britischen Künstlers David Nash; Foto: Petra Kammann 

Über allem thront und wacht am Eingang des Jakobinerklosters aus dem 14. Jahrhundert, einem damals bedeutenden Bestattungsort, der Geier „Waiting“ von Suan & Peng Yu. Dabei ist der bedrohlich und täuschend echt wirkende Greifvogel mit seinem aggressiven Schnabel und seinen Krallen „nur“ aus Glasfiber, Silikon und Federn gemacht.

Couvent des Jacobins: eine gelungene architektonische Verbindung von Alt und Neu; Foto: Petra Kammann

Die Überreste des einstigen Klosters, das die Dominikaner an dieser Stelle  errichtet hatten und das während der Pest als Bestattungsort gedient hatte, bevor es in der Französischen Revolution zur Kaserne umfunktioniert worden war, wurde vor wenigen Jahren zeitgenössisch renoviert und erweitert. Das Gebäude überzeugt heute durch seine noble und diskrete Schlichtheit der architektonischen Erweiterung.

Gleich gegenüber fällt der Blick auf zwei ganz unterschiedliche Skulpturen, welche den Besucher unmittelbar gefangen nehmen: zur Linken auf die „Bourgeois Bust – Jeff und Ilona“, den sinnlichen, in weißem Marmor gemeißelten Kuss von Jeff Koons von 1991 aus der Serie „Made in Heaven“, welcher die Freuden der Liebe mit der legendären Cicciolina andeutet, und zur Rechten auf den übergroßen Totenkopf aus schwarzem Granit von Damien Hirst aus dem Jahr 2001.

Bekannt wurde das Kunstwerk 2017 vor allem auf der Biennale in Venedig, wo es im Palazzo Grassi und in der Punta della Dogana, dem ehemaligen Zollgebäude, dem feinsten Grundstück Venedigs mit Blick auf San Marco, gezeigt wurde. Und schon sind wir mitten drin im Thema.

Die Spannung der gegensätzlichen Unfarben schwarz und weiß könnte kaum deutlicher hervorgehoben werden. “…Every day your relationship with death changes.”, kommentiert Hirst das Thema Tod. Alles nur eine Frage des Blickwinkels. Eine Erfahrung, der wir durch Covid und die Klimakatastrophe näher gerückt sind. Vanitas durchzieht also passend zu aktuellen Erfahrungen die Ausstellung und kommt dazu in der puristischen Schlichtheit des Gebäudes bestens zur Geltung.

Der ehemalige Kulturminister Frankreichs Jean-Jacques Aillagon, Kurator und Generaldirektor der Pinault Collection, setzt in der Schau durchgängig auf emotionale Urerfahrungen bei der Gegenüberstellung von Objekten in diesen beiden Unfarben. So kommt der drohende oder reale Tod mal im schwarzem, mal im weißen Gewand daher wie im Falle der aneinander gereihten bedeckten Leichen des italienischen, heute in New York lebenden  Künstlers Maurizio Catellan. In seiner Installation „All“ aus dem Jahr 2007  aus weißem Carrara-Marmor wirken sie fast wie aus einem früheren Jahrhundert.

Streng aufgereiht die „Grablegungen“ aus weißem Carrara-Marmor von Maurizio Catellan; Foto: Petra Kammann

Obwohl etliche der Werke Cattelans sich ironisch zum Darstellungsgegenstand verhalten wie etwa der kleine knieende Hitler, der vor drei Jahren in der Pinault-Collection im Jakobiner-Kloster in der Ausstellung „Debout!“ zu sehen war, widmete Cattelan sich hier architektonisch-auratisch streng dem zentralen Motiv Tod im Sinne einer Inszenierung, die Parallelen zu kunsthistorischen Beispielen aus der italienischen Kunstgeschichte herstellt.

Der Betrachter gewinnt den Eindruck, er ginge durch ein Leichenschauhaus. Ähnlich hatte Catellan diese 9 Skulpturen unter dem Leichentuch  „All“ vor 14 Jahren im Kunsthaus Bregenz inszeniert.

Die gegenüberliegende Unendlichkeitsschleife „Infini“ von Michel François aus einem Seilstrang auf Gips aus dem Jahr 2014 ist hier erstmalig in der Pinault Collection zu sehen. Auch sie ruft ein Memento mori wach und führt den unausweichlichen Gedanken des Kreislaufs von Leben und Tod im Kreuzgang des einstigen Klosters ad infinitum fort.

Yan Pei-Mings Diptychon im Kreuzgang; Foto: Petra Kammann

Ebenso erinnert Sturtevants „Jobber Wedding Gown“ von 1996, mit der leeren Hülle eines Hochzeitskleids aus weißer Duchesse-Seide, welches an die Vergeblichkeit aller Bemühungen mahnt, während das als Selbstporträt angelegte Diptychongemälde des in Frankreich lebenden chinesischen Malers Yan Pei-Ming, eine aufbewahrte weißgeschmückte Braut im Leichenschauhaus zeigt („La mariée et l’autoportrait à la morgue“, Huile sur toile von 2007). Teile seiner Person, seine eigenen Gesichtszüge  scheinen verloschen, gar ausgelöscht zu sein.

Der große chinesische Maler Yan Pei-Ming hat übrigens derzeit unter dem Titel „Au nom du père“ noch bis zum 11. Oktober eine Retrospektive seiner großformatigen Gemälde im Unterlinden Museum in Colmar. Auch da spielen die Themen Erinnerung und Vergänglichkeit eine bedeutende Rolle.

Die Gipsmodelle von Franz West im Kreuzgang; Foto: Petra Kammann

Sowohl die überlebensgroßen weißen Modelle aus Pappmaché und Gips des 2012 verstorbenen Franz West, die West für Brückenköpfe im Wiener Stadtpark geschaffen hat wie auch dessen weiße Lemurenköpfe werden in Rennes erstmals in der Pinault Collection im Kreuzgang des Klosters ausgestellt.

Die „Matières noires“ oder „Schwarze Materie“ bestreiten den dunklen Aspekt der Exponate. Andere schwarze Objekte wie die beiden in ihrer Würde ausgehöhlten Menhire eines Eichenholzstammes, die „Treshold Menhirs“ von David Nash, die sich im Innern des Klosterhofs einen Dialog zu liefern scheinen, präsentieren das Ausgelöschte oder Erloschene der Natur. Zu den mahnend schwarzen Objekten zählt auch die Installation von 51 gedrechselten Stelen aus schwarzem Marmor von Adel Abdessemed mit dem Titel „schwarzer Regen“ – „pluie noire“.

Blick von innen nach außen auf die schwarzen Marmorstelen von Adel Abdessemed, welche den „schwarzen Regen“ symbolisieren; Foto: Petra Kammann

Sie repräsentieren die verschiedenen Wälder (Regenwälder?), während das Modell eines ausgebrannten schwarzen BMW „Practice Zero Tolerance“ von Adel Abdessemed aus Terrakotta modelliert ist. Sie zogen schon auf der Biennale in Venedig die Aufmerksamkeit auf sich. Dem steht ein schwarzes Objekt der Schweizer Künstler Peter Fischli & David Weiss gegenüber, das an einen verkohlten Baumstumpf erinnert. Die bedrohte Natur ist unübersehbar für die zeitgenössischen Künstler.

Schwarz: was aber bleibet, scheint ausgebrannt oder verkohlt; Foto: Petra Kammann

Geleitet wird die thematische Führung auch durch die Geschichte der französischen Lyrik des 19. und 20. Jahrhunderts. Referenzen sind etwa die Lyrik Arthur Rimbauds wie das Gedicht „Voyelles“ („Vokale“)  (A schwarz E weiß I rot U grün O blau – vokale…) oder die von Paul Verlaine wie „Cauchemar“ („Alptraum“), natürlich auch die von heutigen Zeitgenossen, die mit der Sprache und ihren Paradoxien spielen wie Raymond Queneau in „Les Impératifs“ oder der bretonische Dichter Eugène Guillevic in „Je connais l’étrange /Variété du noir/Qui a nom lumière“ („Ich kenne die seltsame /Vielfalt des Schwarzen, /die den Namen Licht trägt“).

In diesem Gang „Less is more“: u.a. mit Werken von Künstlern der Arte Povera; Foto: Petra Kammann

„Etwas ist Schwarz auf Weiß geschrieben,“ heißt es. So widmet sich ein Strang der Ausstellung auch typografischen Sprachbild-Experimenten wie es Guillaume Apollinaire in seinen „Calligrammes“ vorgemacht hat, wo er am Ende des Ersten Weltkriegs den handgeschrieben-gezeichneten Eiffelturm aus Sprache gegen die Deutschen richtet.

Wörter werden zu Bildern wie bei Paulo Nazareth oder dem Polen Roman Opalka, bis auch die Typografie zu streng minimalistischen Bildern und Objekten gerinnt. In aller Konsequenz tun es die gleichmäßig schwarz-weißen Streifen von Michel Parmentier, den Arte Povera-Werken, die frühen systematischen Nagelreihen auf schwarzem und weißem Quadrat des ZERO-Künstlers Günter Uecker, Dan Flavins Monument für V. Tatlin oder „das schwarze Kreuz“ des spanischen Künstlers Antoni Tàpies, dessen Formensprache förmlich der japanischen ZEN-Ästhetik entsprungen sein könnte. Sie lassen sich auch mit ihrer äußersten Reduktion des „Weniger ist mehr“ als Reaktion auf das endzeitlich schwarze Quadrat eines Malewitsch beziehen.

Blick auf die Reihe der schwarz-weißen Foto-Porträts von Richard Avedon von den Napalm-Opfern im Vietnamkrieg; Foto: Petra Kammann

Ebenso eindrucksvoll und menschlich schockierend ist die Reihe der ausgewählten Schwarz-Weiß-Fotos von herausragenden Foto-Künstlern des 20. Jahrhunderts wie Henri Cartier-Bresson oder Richard Avedon, der die Gesichter der Napalm-Opfer aus dem Vietnamkrieg ebenso eindrücklich porträtiert wie er verzweifelte Menschen aus einer Psychiatrie in Louisiana darstellt. Von Man Ray sehen wir die Gegenüberstellung einer weißen Frau mit einer schwarzen Maske aus dem Jahr 1926.

Ein Raum ist dem Thema schwarz und weiß in der Haute Couture gewidmet; Foto: Petra Kammann

Daneben wird in einem anderen Raum Irving Penns großartige Mode-Fotografie sichtbar, so sein Chanel-Porträt, denn auch Mode spielt als Ausdruck moderner Lebenserfahrung in der Schau eine Rolle: etwa „das kleine Schwarze “ von Coco Chanel etwa oder der Smoking für die Dame von Yves Saint-Laurent, das weiße schlichte lange Kleid von Balenciaga. Geradezu ikonisch auch das „Harlequin Dress“ von Lisa Fonssagrives-Penn aus dem New York von 1950, Eine von ihnen wurden von Richard Avedon seinerzeit fotografisch in Szene gesetzt.

Neben den ausdrucksstarken Schwarz-Weiß-Fotos verschlägt es einem bei dem Film „Rapture“ der iranischen Künstlerin Shirin Neshat förmlich die Sprache. Sie führt uns auf bedrückend-eindrucksvolle Weise die Spaltung der Gesellschaft im Iran filmisch vor Augen, der zwischen unterdrückten schwarzverhüllten Frauen, die in das Meer flüchten, und herrschenden, Macht ausübenden Männern in weißen Hemden.

Shirin Neshat, Foto vom Video „Rapture“ → IMG_2724, Foto: Petra Kammann

Ausschnitte aus dem Film „Rapture“ von Shirin Neshat; Foto: Petra Kammann

Ganz kurz wird die strenge Teilung der Exponate zwischen Schwarz und Weiß aufgehoben, etwa bei den kritischen Fotos des ukrainischen Fotografen Boris Mikhailov, der das Herrschaftsgebahren der Regierung durch betontes Kolorien seiner Fotos entlarvt, oder auch in der Gegenüberstellung der Schwarz-Weiß-Porträts der amerikanischen Fotografin Annie Leibovitz. Sie fotografiert das Private und Intime der Frauen in Schwarz-Weiß und die glamourösen Tänzerinnen in all ihrem oberflächlichen Glamour in Farbe.

Die Gegenüberstellung von Schwarz-Weiß und Farbe in den Fotografien von A. Leibovitz; Foto: Petra Kammann

Beim Rausgehen über den Hinterausgang zwischen Betonmauer und historischer Steinwand stößt man dann noch einmal auf ein weiteres monumentales Werk aus schwarzem Marquina-Marmor, auf  „Coup de tête“ von Adel Abdessemed, aus dem Jahre 2012. Diese übergroße Skulptur erinnert an den berühmt-berüchtigten Kopfstoß des französischen Fußballers Zidane im WM-Endspiel 2006 und wird als Objekt der Pinault-Collection hier erstmalig ausgestellt.

Dass Pinault sich zudem für den Fußball engagiert, zeigt sich u.a. auch darin, dass der bretonische Milliardär das Fußballstadion von Rennes „le stade Rennais“ nicht nur sponsert, er ist auch der Präsident und Inhaber des Fußballclubs.

Über François Pinault

François Pinault wurde 1936 bei Saint-Malo in der Bretagne geboren. Als Gründer der Firmengruppe Kering, zu der auch Gucci und Puma gehören, zählt der Unternehmer zu den reichsten Menschen der Welt: „Es ist kein Geheimnis, dass ich Bretone bin, mit jeder Faser meiner Persönlichkeit und meines Charakters. Ich liebe Rennes, die Stadt, in der ich gelebt und gearbeitet habe, die Stadt, in der ich mit viel Aufmerksamkeit der Entwicklung des Fußballclubs Stade Rennais folge.“

2021 wurde am 22. Mai in der Handelsbörse (Bourse de Commerce) in Paris, das Gebäude, das  der japanische Architekt Tadao Ando ab 2016 zu einem privaten Kunstmuseum für den Kunstsammler François Pinault umgebaut hat,  mit einer neuen Dauerausstellung mit einigen Werken der Kunstsammlung Pinaults eröffnet.

 

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