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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Menschenrechtspreise für den Kampf um Frauenrechte

Menschenrechtspreis 2020 für die afghanische Politikerin Zarifa Ghafari, verliehen von der Frankfurter Ingrid zu Solms-Stiftung

von Renate Feyerbacher

Was für ein Mut! Den hat Zarifa Ghafari. Seit drei Jahren ist sie Bürgermeisterin von Maidan Shar, einer afghanischen Stadt mit 35 000 Einwohnern. Sie war die einzige Frau unter 138 Anwärtern, die sich bewarb und diese Aufgabe übertragen bekam.

Bildschirm-Foto:  Zarifa Ghafari

Zur Preisverleihung in der Evangelischen Akademie in Frankfurt am 1. Juli 2021 ist sie aus Kabul zugeschaltet. Dort lebt sie auch und fährt täglich mit bewaffnetem Begleitschutz nach Maidan Shar, wo viele Taliban-Unterstützer  leben. Die Ermordung ihres Vaters und ihres Großvaters vor wenigen Monaten hat sie nicht abgeschreckt, diese Position zu übernehmen. Im Gegenteil, ihr Mut ist seither gewachsen.

Stärke und vor allem Willenskraft zeigte sie bereits als junges Mädchen. Sie nahm den einstündigen Schulweg auf sich, um Wissen zu erlangen. Als Frau widersetzt sie sich trotz Bedrohung den patriarchalischen Vorschriften der fundamentalistischen Taliban. Sie besteht auf ihrem Bürgerecht, das Männern uneingeschränkt zugestanden wird.

Zarifa Ghafari will erreichen, dass sich Frauen in der Öffentlichkeit zeigen und überall hin bewegen können. Die Korruption will sie bekämpfen und die Menschen davon überzeugen, dass sie die Taliban nicht unterstützen, die Frauen missachten, ihnen keine Bildung ermöglichen.

Sollten sie wieder an die Macht kommen, werden die mühsam erreichten Rechte für Frauen wieder wegfallen. Das heißt, dann haben sich die Frauen zu Hause aufzuhalten und die Öffentlichkeit zu meiden.

Zarifa Ghafari glaubt nicht, dass sich die Taliban verändert haben, wie behauptet wird. 

Sie kritisiert, dass bei den Friedensverhandlungen zwischen den USA und den anderen westlichen Ländern weder Vertreter des Volkes geschweige Frauen einbezogen wurden.„Sie sprechen über die Zukunft meiner Generation und ich werde dabei nicht einbezogen.“ (Zitat: aus einem Gespräch in der Frankfurter Rundschau vom 1. Juli 2021).

Die Frauen fühlen sich vom Westen verraten. Sie wollen kämpfen notfalls mit der Waffe, so äußern sich afghanische Frauen in einem aktuellen Beitrag des Deutschlandradio Kultur. 

Der Vormarsch der Taliban ist in vollem Gang.

Fatma Keser und Naila Chikhi; Foto:Renate Feyerbacher

Der Menschenrechtspreis 2021 der Ingrid zu Solms Stiftung geht in diesem Jahr an die Initiative „Migrantinnen für Säkularität und Selbstbestimmung“, die erst seit kurzem besteht.

Die 1980 in Algier geborene Naila Chikhi und die 1991 in der Türkei aus kurdischer Familie stammende Fatma Keser sind Gründungsmitglieder. 

Der Initiative haben sich Frauen aus verschiedenen Herkunftsländern, kulturellem Hintergrund, Weltanschauungen, sexuellen Orientierungen, Bildungsgraden und politischer Orientierung zusammengefunden. Sie sind überzeugt, dass nur eine vollzogene Trennung von Staat und Religion eine säkulare Demokratie mit Freiheit und Gleichberechtigung der Geschlechter möglich macht.

„So wissen wir, dass in Deutschland, unserem Aufnahmeland, noch zu viele Mädchen und Frauen weiterhin an archaische Normen gefesselt sind, wie etwa an der sog. Schamkultur, der Geschlechtertrennung oder Zwangsverheiratungen. Die Beseitigung dieser bedauerlicherweise auch hier in Deutschland existierenden geschlechtsspezifischen Gewaltformen motiviert unser Engagement [..] Es gibt Mädchen in Deutschland, die wie Fatma Keser, ihre beste Freundin, nicht erzählen können, dass sie verliebt sind. Denn wenn die Freundin sie verrät, droht ihnen unermessliche Gefahr“, so Naila Chikhi in ihrer Dankesrede.

In der erzählt sie auch, dass die Stifterin des Preises, Dr. Ingrid Gräfin zu Solms-Wildenfels, vor der Entscheidung für den Preis intensiv mit ihnen diskutiert hat. Dabei hat sie nicht nur zugehört, zugestimmt, sondern auch widersprochen. 

Eine große Stärke der Gräfin ist ihre analytisch-kritische-differenzierte Auseinandersetzung mit verschiedenen Themen. Im letzten Jahr erhielt die Gräfin den Norgall-Preis vom International Women’s Club (IWC)

Gräfin Solms-Wildenfels, Naila Chikhi, Fatma Keser, Susanne Schröter; Foto: Renate Feyerbacher

Naila Chikhi und Fatma Keser, beide Frauen, die eine als Jugendliche, die andere als Kind, haben den islamistischen Druck auf andersdenkende Mädchen und Frauen schon früh erfahren. 

Im  Alter von 15 Jahren wurde Naila Chikhi gezwungen, ihr Heimatland ohne Begleitung zu verlassen. Sie lebte in Tunesien, dann in Frankreich und wanderte 1999 nach Deutschland aus, studierte an der Universität Mainz und beendete das Studium als Diplom-Übersetzerin. Danach unterrichtete sie und war bis 2018 Referentin von Flucht und Frauenrechten bei der Frauenrechtsorganisation „Terres Des Femmes e.V.“.  Als unabhängige Referentin entwickelte sie Weiterbildungsseminare speziell für Pädagoginnen und Sozialarbeiterinnen.

Fatma Keser, die mit ihrer Familie 1996 nach Deutschland kam, studierte nach dem Abitur an der Goethe-Universität in Frankfurt Komparatistik (Vergleichende Literaturwissenschaft) und Philosophie. Während des Studiums unterrichtete sie ausbildungsbegleitend Deutsch für Jugendliche und war Bildungsreferentin für junge alleinerziehende Mütter. Außerdem  war sie im ASTA aktiv und ist seit zwei Jahren am Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam, dessen Gründerin (2014) und Direktorin die Ethnologin Professorin Susanne Schröter ist. Beide Kandidatinnen sind nicht Opfer geblieben.

Der Preis, mit 5.000 Euro dotiert, ermöglicht den Frauen, die Grundsteine für ihre Aufklärungsarbeit zu legen.

Susanne Schröter; Foto: Renate Feyerbacher

2019 wurde Professorin Susanne Schröter anonym von Studenten beschuldigt, Rechtspopulisten ein Forum zu geben, weil sie eine Konferenz zum Thema „Das islamische Kopftuch –Symbol der Würde oder der Unterdrückung?“ plante. Die Universitätsleitung wurde aufgefordert, die Veranstaltung abzusagen und Susanne Schröter ihres Amtes zu entheben. Die Konferenz fand statt. Monate später im Januar 2020 kam es sogar noch zu tätlichen Auseinandersetzungen an der Universität Frankfurt. 

Professorin Schröter, die die Preisträgerinnen würdigte, lässt sich nicht einschüchtern und mahnt: „In Deutschland müsste die Politik endlich zur Kenntnis nehmen, dass die der islamistischen Ideologie nahen religiösen Gemeinschaften eine große Gefahr sind.“ (Zitat aus Interview der Neuen  Zürcher Zeitung am 18. 5. 2021)

Susanne Schröter, die soeben in den Expertenkreis „Politischer Islamismus“ des Bundesinnenministeriums berufen wurde, Vorstandsmitglied des „Deutschen Orient-Instituts“ und Mitglied vieler anderer Institutionen ist, hat mehrere Bücher zum Thema geschrieben.

Ihr neues Buch trägt den Titel „Allahs Karawane  Eine Reise durch das islamische Multiversum“ . „Das anschauliche Buch ist ein längst überfälliger Einspruch gegen die fatale Verkürzung der zweitgrößten Weltreligion auf wenige Prinzipien und eine Einladung, den Islam in all seiner Vielfalt und Farbigkeit neu zu entdecken.“ (C.H. Beck Verlag)

Naila Chikhi und Fatma Keser bedankten sich bei Susanne Schröter für ihre wissenschaftliche und menschliche Unterstützung.

Am Ende der Veranstaltung wurden die Preisträgerinnen Mitglied des Fellowships, einem Netzwerk aller Preisträgerinnen der Ingrid zu Solms Stiftung.

www.ingrid-zu-solms-stiftung.de

Weitere Informationen zur Initiative „Migrantinnen für Säkularität und Selbstbestimmung“ gibt es in www.saekulare-migrantinnen.com

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