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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Inferno“ – Oper von Lucia Ronchetti im Bockenheimer Depot

Reise auf Dantes Spuren – ein Höllentrip

Von Renate Feyerbacher

Fotos: Barbara Aumüller / Oper Frankfurt

Was für ein Werk ! Was für eine Musik ! Was für ein Text von Lucia Ronchetti nach Dante Alighieris „Divina Commedia“ („Göttliche Komödie“). Dante (1265-1321) schrieb 15 Jahre an der Commedia. „Divina“ fügten später seine Bewunderer hinzu. „Als ‚göttlich‘ erweist sich das Werk für die italienische Literatur- und Kulturgeschichte.“ (Zitat -Programmheft: „Dantes Kosmos“ von Elisa von Issendorff)

Das Ensemble im Bockenheimer Depot, Foto: Barbara Aumüller / Oper Frankfurt

Premiere der Uraufführung, ein Komponisten-Gemeinschaftsauftrag von Oper und Schauspiel Frankfurt, war für den 18. April 2020 geplant. Die Pandemie verhinderte das. Nun haben sich die Intendanten Bernd Loebe, Anselm Weber und das Team entschieden, die Oper konzertant ins Bockenheimer Depot zu bringen. Deren Uraufführung war am 27. Juni 2021. Bedauerlich, dass nur wenigen Menschen, es sind noch nicht einmal geschätzte hundert, die Möglichkeit gegeben war, dabei zu sein. Ein fesselnder Abend, der im Gegensatz zum Satz in Dantes Drittem Gesang: „Lasst alle Hoffnung fahren, die ihr hier eintretet“, uns die Hoffnung nicht nimmt und nicht nehmen soll, auch wenn es Momente gibt, die tief durchatmen lassen.

Das „Inferno“ ist der erste Teil der Commedia, deren neun Höllenkreise, in denen Dante Alighieri Francesca da Rimini (Karolina Makula vom Opernstudio), Odysseus (Alexander Kravets), dem Ungeheuer Minos (Ralf Drexler), Suizidalen und Widersachern aus der florentinischen Gesellschaft, die kürzlich erst verstorben waren, begegnet. Dante wurde unbegründet wegen betrügerischer Amtsführung für zwei Jahre verbannt, verlor das florentinische Bürgerrecht und wurde sogar zum Tode verurteilt, weil er nicht vor Gericht erschien. Er kämpfte um seine Rückkehr nach Florenz, lehnte später aber die Amnestie ab, die ihm die Rückkehr in seine Heimatstadt ermöglicht hätte. Der Beweis seiner Unschuld kam nicht zur Sprache.

Karolina Makuła (Francesca) und Ensemble, Foto: Barbara Aumüller / Oper Frankfurt

Dem geldgierigen, protzsüchigen Raufbold Filippo Argenti (Florian Mania), der versucht, ins Boot für die Überfahrt über den Styx-Sumpf zu klettern, wehrt er ab. Er begegnet dem verzweifelten Philosophen Cavalcante de Calvalcanti (Andreas Giesser) und hört dem Kanzler Pietro delle Vigne alias Petrus de Vinea (Anna Kubin), der im 13. Jahrhundert lebte, zu.

Im achten Höllenkreis sind die Sünder im Eis-See Cocytus festgefroren. Unter ihnen ist Ugolino della Cherardesca (Frank Albrecht), Täter und Opfer, er lebte im 13. Jahrhundert in Pisa, den der politische Konkurrent Erzbischof Ruggieri degli Ubaldini samt Söhnen und Enkeln in einem Turm verhungern ließ. Er schlägt gierig die Zähne in das Haupt des Priesters und zermalmt den Schädel. Goethe hat diese Episode zum Höchsten der Dichtkunst erklärt.

Dante sammelte mittelalterliche Vorstellungen zur Hölle und reflektierte sie in der „Divina Commedia“. Es wird geschrien, geflucht, gelästert, geschlagen, gebissen und viel gejammert.

In der neunten Episode begegnet Dante schließlich Lucifer (Alfred Reiter), dem aus dem Himmel gestürzten Engel, der Gott gleich sein wollte. Er steckt im Eis-See und kann nicht sprechen, da er in den Mäulern seiner drei Häupter die „schlimmsten“ Mörder für die damalige Zeit zermalmt. Bei Dante bleibt Lucifer stumm.

Anders in der Oper: Die Komponistin Lucia Ronchetti (geboren 1963) hat den Romanautor und Sprachkünstler Tiziano Scarpa den Epilog schreiben lassen. Lucifer behauptet, „was Dante vernehme, seien gar nicht seine Worte, vielmehr höre Dante nur die eigenen Gedanken, die ihm beim Anblick Lucifers durch den Kopf gingen. Seine Rede endet mit den Worten: „Ich sage nichts; hast du den Mut mir zuzuhören.“ (Programmheft) Dante flüchtet vor sich selbst. Aber es gelingt ihm, sich aus dem ‚künstlichen Koma‘, in das er sich selbst hinein manövriert hat, zu befreien und er gelangt wieder ans Tageslicht.

Der Dirigent Tito Ceccherini, Foto: Barbara Aumüller / Oper Frankfurt

Eine eigenwillige Instrumentierung hat Lucia Ronchetti, eine der bedeutendsten Komponist*innen der Gegenwart gewählt. Sie ist Professorin am Konservatorium von Salerno und immer wieder in Darmstadt bei den Ferienkursen für Neue Musik dabei. Ausschließlich Blechblasinstrumente – insgesamt 14  -, zwölf Pauken und ein Streichquartett – das international renommierte Schumann Quartett – kommen zum Einsatz. Die Blechbläser und Paukisten gehören zum Opern- und Museumsorchester Frankfurt. Alle musizieren mit unglaublicher Präzision und theatralischer Verve. Musikalisch ein echtes Inferno!

Geführt werden sie vom Dirigenten Tito Ceccherini durch diese doch komplizierte Melange von ‚neuen‘ Klängen und Spielweisen und unterschiedlichen Musiktraditionen, die von der Italienerin verändert und umgeformt wurden. Ceccherini ist international an etlichen Opernhäusern aktiv, u.a. auch an der Oper Frankfurt, konzertiert mit bedeutenden Orchestern. Der Italiener hat bereits einige Werke von Lucia Ronchetti dirigiert – eine großartige Führung von Musikern und Sängern.

Nur eine Sängerin ist unter den Solisten: Karolina Makula, Mitglied des Opernstudios, erzählt von einem Cello begleitet, von ihrem Ehebruch-Kuss und die Tötung durch den Ehemann. Eine zarte Szene, die den musikalischen ‚Höllenlärm‘, der oft einsetzt, erholsam unterbricht.

Sebastian Kuschmann (Dante) mit dem Ensemble und Frankfurter Opern- und Museumsorchester, Foto: Barbara Aumüller / Oper Frankfurt

Die Hauptfigur Dante hat die Künstlerin als Sprechrolle angelegt. Sebastian Kuschmann, seit 2017 festes Ensemblemitglied beim Schauspiel Frankfurt, gestaltet die Rolle ruhig, gelegentlich aus der Haut fahrend, oft hart und angriffslustig – überzeugend. Er spricht deutsch.

Vier Sänger des Vokalquartetts (Counter: Jan Jakub Monowid, Tenor: Matthew Swensen, Bariton: Sebastian Geyer, Bass: Eric Ander) sind Dantes ‚Innere Stimme‘. Sie sind in der Mitte der Bühne postiert. Dahinter stehen coronabedingt wie in einem Setzkasten die sechs Sängerinnen und sechs Sänger des Chors. Alle sind schwarz gekleidet.

Die Blechbläser sitzen im Halbrund. Die Pauken-Teams agieren oft mächtig in den vier Ecken des Bockenheimer Depots.

Wie gesagt, der Abend war konzertant. Geplant war im Frühjahr 2020 die Inszenierung der Regisseure Kay Voges und Marcus Lobbes, die durch ihre Einbeziehung virtueller Mittel in die Ästhetik einer Theateraufführung bekannt sind. Voges, bisher Intendant in Dortmund, hat nun die Intendanz des Wiener Volkstheaters inne. Seine letzte Arbeit am Frankfurter Schauspiel „Königin Lear“ von Tom Lanoyes war ein großer Erfolg. Marcus Lobbes ist seit 1995 als Regisseur, Ausstatter und Autor im Musik- und Sprechtheater aktiv. Seit zwei Jahren leitet er die Akademie für Theater und Digitalität am Theater Dortmund, die Kay Voges gründete.

Die Komponistin Lucia Ronchetti, Foto: Stefano Corso / Oper Frankfurt

Für „Inferno“ hatten die beiden auf der Bühne wie im Video digitale Momente vorgesehen. Sie nahmen sie aus der ersten großen, abendfüllenden Kinoproduktion Italiens von 1911 aus dem Stumm-Film Inferno, welcher auf Dantes „Göttlicher Komödie“ basierte. Die Pandemie hat dieses Opernvorhaben verhindert, aber der Opernfilm mit der Musik von Lucia Ronchetti, der am Sonntag, den 11.Juli, einmalig gezeigt wird, konnte fertig gestellt werden.

Die szenische Qualität der konzertanten Aufführung ist auch ohne Bühnenbild und Kostüme intensiv, spannend, beeindruckend. Nur noch zwei Aufführungen sind in dieser Spielzeit vorgesehen: am 8. Juli und am Freitag, den 9. Juli.

 

 

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