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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

“ Palindrome“ – Mode trifft auf Malerei. Nina Holleins und Philipp Schweigers Kreationen im Kunstverein Familie Montez

Extravagante Slow Fashion zwischen zarter Landschaftsmalerei

Gemischtes Doppel aus Farben, Rhythmen und Texturen

von Petra Kammann

Viereinhalb Jahre war Nina Hollein, die kreative Frau des ehemaligen Städeldirektors und heutigen Direktors des Metropolitan Museums Max Hollein, mit dem sie nun in New York lebt, nicht mehr in Frankfurt. Doch zur ersten Frankfurt Fashion Week ist die gebürtige Wienerin in ihre „zweite Heimat“ zurückgekehrt mit der Ausstellung „Palindrome“ im Kunstverein Familie Montez, in der sie ihre so inspiriert pfiffige wie nachhaltige Mode den besonderen Landschaftsgemälden ihres Zwillingsbruders Philipp Schweiger gegenübergestellt: Einfach große Klasse!

Nina Hollein vor den Bildern ihres Zwillingsbruders Philipp Schweizer, in der Ausstellung „Palindrome“, Foto: HolgerMenzel @Stadt Frankfurt

Ein zarter Windhauch durch das offene Fenster bringt eine wellenförmige Bewegung in die Voile-Volants des einstigen Brautkleides. Ein Hauch von Leichtigkeit umspielt den durchscheinenden Körper. Scheinbar getragen werden die Volants von hauchfeinen Spaghettiträgern eines darunterliegenden nachtblauen Bodysuits, während das Bustier von einem roten Band gehalten wird, das auf der Rückseite locker flattert, nicht einzwängt und je nach Bindung Veränderung der Grundform zulässt, um aus einem Kleid einen Rock zu machen.

Trag- und veränderbar sind die raffinierten Kleidungsstücke, Foto: Petra Kammann

„Palindrome“ – so der Titel der bestens arrangierten Ausstellung der “Suit Up”- Kollektion von Nina Hollein – und der Gemälde ihres Zwillingsbruders Philipp Schweiger. In Kombination ergeben sie ein zweigesichtiges Bild. Lässt das Oben sich mit dem Unten vertauschen? Handelt es sich um ein Cape oder einen Rock? Entspricht die Vorderseite der Rückseite? Beides ist möglich. Wie man die Sache dreht und wendet, immer wieder ergibt sich ein neues Bild und damit auch eine neue Sicht auf die Dinge.

Mirek Macke, der Direktor des Kunstvereins Familie Montez, in den beiden denkmalgeschützten Rundbögen der Honsellbrücke, hier zwischen den Gemälden von Philipp Schweiger, Foto: Petra Kammann 

Nina Holleins innovative Entwürfe sind verwandlungsfähig und stehen zudem für einen ökologischeren und ökonomischeren Umgang mit Stoffen und getragenen Kleidungsstücken mit besonderen Details. Ästhetisch und voller Raffinement sind die handgefertigten Einzelstücke in ihrem bisweilen üppig wirkenden Minimalismus außerdem.

Die schwebend wirkenden Gemälde des österreichischen Malers und Bildhauers Philipp Schweiger, welche zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit oszillieren, bilden gewissermaßen die Grundstimmung zur Inszenierung der skulpturalen und dennoch tragbaren Kleidungsstücke. Die abstrahierten Landschaften lassen die abgebildete Wirklichkeit in ihrer Zartheit und Verletzlichkeit durchscheinen. Sie bilden gewissermaßen das Gegenstück zur “Suit Up” Kollektion der in New York lebenden österreichischen Modedesignerin und Architektin Nina Hollein.

Architektin und Modedesignerin Nina Hollein und ihr Zwillingsbruder, der Maler und Bildhauer Philipp Schweiger , Foto: HolgerMenzel @Stadt Frankfurt

Den 1971 geborenen Zwillingen Hollein-Schweiger ist über die Landesgrenzen hinweg eines gemein. Beide beschäftigen sich auf unterschiedliche, aber in sich harmonisierende und ästhetische Weise mit der Belastbarkeit und Zukunftsfähigkeit ihrer Umwelt. Das kam besonders in der Zeit der Pandemie zum Tragen. Nina Hollein nähte die Kleidungsstücke selbst.

„Die Malerei ist das Medium, das Schweigers Intention am besten entgegenkommt, um jenem mit dem Erinnern verknüpften Schwebezustand Ausdruck zu verleihen, der zwischen Wiedererkennen und Verwerfung, zwischen Erhellung und Verdunkelung fluktuiert“ , heißt es bei Silvia Eiblmayr in: „Philipp Schweiger — Weiße Finsternis“.

Der österreichische Künstler kehrte nach seinem Studium der Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf bei Tony Cragg nach Österreich zurück und arbeitet dort seither in seinen Ateliers in Wien und auf dem Land in Oberösterreich, wo er sich zunehmend von der unmittelbaren Umgebung der Natur oder den Wäldern des oberösterreichischen Mühlviertels zu großformatigen Landschaftsbildern inspirieren lässt, wie auch von der alltäglichen Architektur oder den Gegenständen des täglichen Gebrauchs:

Nina Hollein war ursprünglich eigentlich nicht Modedesignerin. Nach ihrer Ausbildung zur Architektin an der Technischen Universität Wien hatte sie einige Jahre in New Yorker und Frankfurter Architekturbüros gearbeitet, bevor sie 2008 in Frankfurt als Autodidaktin ihr eigenes Modelabel NINAHOLLEIN gründete und entwickelte. 2009 eröffnete sie zwei Shops sowie einen Onlinevertrieb in Frankfurt-Sachsenhausen.

Dabei griff sie zunächst auf die traditionellen Leinen- und Nutzstoffe aus Webereien ihrer oberösterreichischen Heimat zurück, wo sie mit regionalen Kleinstwebereien kooperierte, deren Stoffe sie zu extravaganten Kleidungsstücken verarbeitete. Schon da integrierte sie bewusst das Recycling und Upcycling von Vintagestoffen und entwickelte so etwas wie „Slow Fashion“ gegen die Wegwerfgesellschaft.

Inszenierung der Kreationen auf einem weißen Boden, der mit Arbeitskleidung abgedeckt ist; Foto: Petra Kammann

Heute verarbeitet die Designerin Reststoffe und Verschnitte aus ihrem eigenen Fundus und integriert diese als Elemente in ihre  Kleidungstücke. So liebt sie etwa Details in geschneiderten, aber ansonsten oft langweiligen Herrenanzügen wie Revers, Taschenklappen und Innentaschen oder knopfbesetzte Ärmelstücke, die in ihre markanten Kompositionen einbaut. Daraus entstanden ihre vielseitigen, oft veränderbaren Kreationen zwischen alltagstauglicher Kleidung und experimenteller Haute Couture, die bisweilen etwas Skulpturales ausstrahlen.

Daneben gibt es auch auch farbige bodenlange One-Size-Seidenkleider, die sie aus rechteckigen seidigen Reststücken zusammengesetzt hat, die an die rechteckige Bauhaus-Ästhetik oder an Mondrian-Gemälde erinnern  –  ein  geometrisches Patchwork. Ein Cape mit Fransen, das sich auch als Rock tragen lässt, in dem man eine Charleston-tanzende Lady vorstellen kann, ruft wiederum eher Erinnerungen an die Roaring Twentieth wach.

Eine Hommage an Joseph Beuys: Das Anglerwestenkleid, Foto: Petra Kammann

Ein dunkelblaues kurzes Kleid besteht hauptsächlich aus Taschen. Eine Hommage an Joseph Beuys? „Beuys‘ Anglerweste ist eine klare Referenz, aber es ist auch ein Kleid, das getragen tolle Schultern macht, ein bisschen wie eine Rüstung“, sagt Nina Hollein. Seit ihrem Umzug in die USA 2016 kreiert sie in ihrem Atelier neben ihren eigenen Kollektionen zuletzt auch vermehrt Kostüme für Filmprojekte und Bühnenauftritte.

Recycling und suit up in allen Variationen, Foto: Petra Kammann

Palindrome, Wörter oder Sätze, die vorwärts und rückwärts gelesen, sinnvoll sind, legt der Titel der Ausstellung nahe. Inbegriff des sich individuell entwickelnden Zwillings? Beide Werkserien – aus unterschiedlichen künstlerischen Disziplinen, die Bilder von Philipp Schweiger und die “Suit Up” Kollektion von Nina Hollein, ergeben ein symbiotisches Bild, das man aus verschiedenen Perspektiven betrachten und erleben kann, dass sie „eins und doppelt sind“, wie es in Goethes berühmten Gingko-Gedicht aus dem West-Östlichen Diwan heißt.

Was man den neu zusammengesetzten Kleidungsstücken bei aller Nachhaltigkeit anmerkt, ist neben der Verspieltheit die ungeheure Lebensfreude, die Nina Holleins Kreationen versprühen, die Lust auf augenzwinkernde Kommunikation und auf ein bisschen Glamour machen, die wir im vergangenen Jahr verloren zu haben scheinen. Sie versteht es, diese wieder zu wecken.

Schirmherrin: Silvia Metzler und mit  Unterstützung der Dr. Marschner Stiftung

 

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