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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Von Kühen, edlen Damen und verzauberten Landschaften“ sowie „Exquisit“ – Zwei Sonderausstellungen im Museum Wiesbaden

Faszinierende Entdeckungsreise durch die vielfältige Kunst des 19. Jahrhunderts

Von Hans-Bernd Heier

Kaum ein Jahrhundert hat die Welt so radikal und umfassend verändert wie das 19. Jahrhundert. Diese Zeit war durchdrungen von gesellschaftlichen Spannungen, wirtschaftlichen und sozialen Umbrüchen, übersteigertem Hochmut und der Ernüchterung nach dem Fall. Als Museumsgründung dieser Epoche fühlt sich das Landesmuseum Wiesbaden den künstlerischen Werken dieser Zeit besonders verbunden. Nach über sieben Monaten ohne Besucher trumpft es jetzt gleich mit zwei beeindruckenden Sonderausstellungen auf: „Von Kühen, edlen Damen und verzauberten Landschaften – Oder von der Liebe zur Malerei: Neues aus dem 19.“ und „Exquisit – Schenkung Jan und Friederike Baechle“.

August Wilhelm Leu „Landschaft am Königssee“, Öl auf Leinwand, 1865; Schenkung Walter Leu; Foto: Museum Wiesbaden / Dirk Uebele

„Wir freuen uns, mit dieser Ausstellung besondere Schätze unseres Hauses zeigen zu können“, sagt Dr. Andreas Henning, Direktor des Museums Wiesbaden. „Mit dem eigenen Sammlungsbestand zu arbeiten, ist eine zentrale Aufgabe des Museums. Wir öffnen die Depots, um die Kunst des 19. Jahrhunderts in seiner Vielfalt, aber auch in seiner Widersprüchlichkeit zu zeigen“.

Hans Thoma „Milly und Elsa Haag“, Öl auf Papier auf Leinwand, 1883; Foto: Museum Wiesbaden / Dirk Uebele

Bereits vor fünf Jahren hat das Museum herausragende Artefakte aus seiner üppigen Schatzkammer des 19. Jahrhunderts präsentiert. Unter dem Titel „Von Schadow bis Schuch“ war die opulente Ausstellung deutscher Kunst jener Epoche zu sehen, die sich von der französischen Revolution bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs erstreckt. Jetzt gibt es laut Kurator Dr. Peter Forster ein „fulminantes Update“. Zu sehen sind zahlreiche Neuerwerbungen, frisch restaurierte, noch nie gezeigte oder schon lange nicht mehr präsentierte Gemälde, Druckgrafiken und Bronzen. „Im Kontext von Malerei und Plastik werden gleichberechtigt eine Vielzahl keramischer Werke präsentiert, die belegen, wie abwechslungsreich und qualitätsvoll die Kunst dieser Zeit war“, betont Forster, Kustos der Sammlungen 12. bis 19. Jahrhundert.

Heinrich Vogelers Jugendstil-Hauptwerke „Heimkehr“ und „Abschied“ wieder vereint; Foto: Hans-Bernd Heier

Mit der abwechslungsreichen Entdeckungsreise durch die Kunst des 19. Jahrhunderts feiert das Museum Wiesbaden auch die Wiedervereinigung von Heinrich Vogelers Jugendstil-Hauptwerken „Heimkehr“ und „Abschied“. Durch die generöse Schenkung der exzellenten Jugendstil- und Symbolismus-Kollektion des kenntnisreichen Sammlers Ferdinand Wolfgang Neess gelangte auch Vogelers „Heimkehr“ in das Museum, eines seiner Lieblingsbilder. „Sein Herzenswunsch war es, dieses Bild mit dem „Abschied“ wieder zusammenzubringen“, schreibt Museumsdirektor Dr. Andreas Henning im Vorwort des Ausstellungbuchs. Allerdings erlebte der 2020 gestorbene Stifter die Erfüllung dieses Wunsches nicht mehr, aber seine Ehefrau Danielle Neess konnte in diesem Jahr das Pendant „Abschied“ erwerben, das so Forster „in seiner märchenhaft-romantischen Art exemplarisch wichtige künstlerische Strömungen des 19. Jahrhunderts vereint“. Die Präsentation der beiden wiedervereinten Spitzenwerke Vogelers zählt zweifellos zu den Höhepunkten der Schau.

Hans Makart „Die Frau des Künstlers als Flora“, Öl auf Leinwand, 1883 ; Foto: Museum Wiesbaden /Bernd Fickert

Auch die erstmals in Wiesbaden präsentierten Neuerwerbungen wie Hans Makarts glanzvolle Inszenierung der „Flora“ von 1883 sowie Fritz von Uhdes „Im Klostergarten“ von 1875 gehören zu den Highlights. Als das großformatige Gemälde Uhdes, der als ein wichtiger Vertreter zwischen Realismus und Impressionismus gilt, vom Landesmuseum erworben werden konnte, war es in einem restauratorisch schlechtem Zustand und konnte nicht gezeigt werden. Dank der Unterstützung der Ernst von Siemens Kunststiftung wurde das Werk mit seiner geheimnisvollen Stimmung aufwendig restauriert und neu gerahmt.

Wilhelm von Kobell „Rast beim Pflügen“, Öl auf Leinwand, 1790; Foto: Museum Wiesbaden /Bernd Fickert

Die ausgewählten 140 Schätze aus der museumseigenen Sammlung dokumentieren höchst beeindruckend die einzigartigen malerischen Fähigkeiten dieser Epoche. Wie an einer Perlenschnur reiht die Ausstellung die mannigfaltigen künstlerischen Entwicklungen des „langen“ 19. Jahrhunderts mit all seinen vielschichtigen Facetten auf, die von der Romantik über den Realismus bis hin zum Spätimpressionismus und Jugendstil reichen.

„Die Schau „Neues aus dem 19. Jahrhundert“ wirft die Frage auf, wie sich die Kunst in einem sich politisch und gesellschaftlich selbst suchenden Deutschland verhielt und welche Rolle sie in dieser komplexen nervösen Zeit einnahm. Die Ausstellung ist in Gattungen gegliedert, um dieser Fragestellung auf den Grund zu gehen“, erläutert Forster. „Ein besonderer Fokus liegt auf dem Ringen innerhalb des damaligen akademischen Betriebs, mit seinem Bestreben am Bestehendem festzuhalten, während einige Künstlerinnen und Künstler versuchten, daraus auszubrechen oder den Gang durch die Institutionen wählten, um Veränderungen zu erreichen“.

Hans Christiansen „Porträt Paula Goetz, Öl auf Leinwand, nach 1925; Schenkung Hildegund Goetz; Foto: Museum Wiesbaden / Dirk Uebele

In der übersichtlich strukturierten Präsentation sind malerische Landschaftsansichten, stimmungsvolle Genrebilder, Historiengemälde, Landidyllen mit Nutztieren, beeindruckende Porträts sowie herrliche Darstellungen feiner Damen versammelt. Zu bewundern sind u. a. qualitativ hochwertige Werke von Hans Christiansen, Max Klinger, Ludwig Knaus, Wilhelm von Kobell, Carl Spitzweg, Hans Thoma und Johann Friedrich Voltz. Aber auch Arbeiten von heute weniger bekannten Künstlerinnen und Künstlern, die es wieder zu erforschen gilt, zeugen von der künstlerischen Vielfalt des 19. Jahrhunderts.

Carl Spitzweg „Der Schmetterlingsfänger“, Öl auf Holz, um 1840, Leihgabe der Bundesrepublik Deutschland; Foto: Museum Wiesbaden / Bernd Fickert

Das Zukunftsprojekt „Galerie des 19. Jahrhunderts“ rückt näher

Mit der großzügigen Schenkung des Ehepaars Baechle, die unter dem Titel „Exquisit – Kunst des 19. Jahrhunderts“ parallel in einer eigenen Sonderausstellung im zweiten Stock gezeigt wird, erhält der museale Kunstschatz dieses Jahrhunderts eine substantielle Bereicherung. (s. Bericht in FeuilletonFrankfurt vom 13. Mai 2021 „Weiterer Glücksfall für Wiesbaden: Baechle-Schenkung schließt Lücken im Landesmuseum“).

Max Liebermann „Frau im Kohlfeld“, Öl auf Papier, auf Pappe aufgezogen, 1873; Schenkung Jan und Friederike Baechle; Foto: Museum Wiesbaden /Bernd Fickert

Die behutsam aufgebaute Qualitätssammlung weist signifikante Positionen der Kunst des 19. Jahrhunderts aus der Region Frankfurt Rhein-Main auf, wie Gemälde von Peter Becker, Eugen Bracht, Anton Burger, Carl Morgenstern, Otto Scholderer, Eugen Spiro, Hans Thoma und Wilhelm Trübner. Auch Jan Baechles kleinformatiges Lieblingsbild „Französische Landschaft mit Häusern“ von Peter Burnitz ist in der gelungenen Schau zu bewundern. Diese Werke werden gemeinsam mit ausgewählten Arbeiten des 19. Jahrhunderts aus dem Museumsbestand im Bereich der „Alten Meister“ präsentiert.

Kunstmäzen Jan Baechle zwischen zwei Gemälden von Otto Scholderer; Foto Hans-Bernd Heier

Mit der kleinen, aber hochkarätigen Sammlung Baechle „werden Stärken betont und Lücken geschlossen“, so Henning. Kurator Forster ergänzt: „Besucherinnen und Besucher können sich auf eine Entdeckungsreise durch die facettenreiche Malerei das 19. Jahrhundert begeben und dort nachvollziehen, warum es zukünftig ein bedeutendes Ziel des Museums ist, eine permanente Galerie des 19. Jahrhunderts einzurichten“.

 

Die Ausstellungen „Von Kühen, edlen Damen und verzauberten Landschaften – Oder von der Liebe zur Malerei: Neues aus dem 19.“ und „Exquisit — Kunst des 19. Jahrhunderts – Schenkung Jan und Friederike Baechle“ sind bis zum 26. September 2021 im Landesmuseum Wiesbaden zu sehen.

Die Präsentationen „Neues aus dem 19.“ und „Exquisit“ werden durch die Ernst von Siemens Kunststiftung und die Freunde des Museums Wiesbaden e.V. gefördert.

Besucher*innen können das Museum gemäß der aktuellen Pandemiebestimmungen derzeit ausschließlich mit vorheriger Reservierung und Buchung eines Online Tickets unter: https:// tickets.museum-wiesbaden.de/ besuchen; telefonische Anfragen unter: 0611/335 2251; dienstags bis freitags von 10:00–14:00 Uhr

Weitere Informationen unter:

www.museum-wiesbaden.de

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