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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Lockdown. Kunst und Krise“ im Heussenstamm (Teil 2)

Kreative Auswege aus Einsamkeit und Distanz

Impressionen von Petra Kammann

Nach langem Hin und Her zeigt sich nun doch noch bis zum 19. Juni ein medial wie thematisch vielfältiges Spektrum künstlerischer Auseinandersetzungen mit den Bedingungen und Folgen des Lockdowns im Frühjahr 2020 im Kunstraum Heussenstamm. Es ist die Folge 2 der Gruppenausstellung „Lockdown. Kunst und Krise“. 46 Künstler und Künstlerinnen aus der lokalen Kunstszene haben sich daran beteiligt. Wie schon im ersten Teil der Ausstellung ziehen sich auch hier einige thematische rote Fäden durch die Ausstellung.

Als die Museen geschlossen waren, ist der Künstler Ivan Murzin mit seinem rollenden Kasten durch die Stadt gefahren und hat urbane und alltägliche Szenen aufgenommen, Foto: Heussenstamm

Die Pandemie hat uns seit über einem Jahr im Griff. Freischaffende Künstler hat das in jeglicher Hinsicht besonders hart getroffen. Umso erfreulicher, dass Heussenstamm. Der Raum für Kunst und Stadt das Thema aufgegriffen und trotz aller Verschiebungen nicht die Hoffnung aufgegeben hat, dass doch noch Vorzeigbares würde gezeigt werden könnte, wenn auch nur für wenige Tage.

Martina Elbert, No Memory No Desire, Leinwand auf Keilrahmen, Foto: Petra Kammann

Künstlerische Bearbeitung der damit verbundenen, teils existenziellen Fragen rücken dieses Krisenthema nochmals ins Bewusstsein. Bei Martina Elbert ist das Bild selbst gewissermaßen „Programm“. Anders als bei Joseph Beuys, der das „Ende des Kapitalismus“ auf den berühmten schwarzen Tafeln handschriftlich mit Kreide beschwor, die nachher in sein Environment „Das Kapital Raum 1970-1977″ eingingen, hat die Künstlerin ihr Vermächtnis der Pandemie und ihr schwindendes Kapital mangels Systemrelevanz ganz real auf Leinwand gepinselt.

Marcel Walldorf, Distance, Öl auf Leinwand, Foto: Petra Kammann

Vertreten sind in diesem 2. Teil der Ausstellung ausgesprochen malerische Arbeiten, die eine Gegenthese zu der fortschreitenden Digitalisierung unserer Lebenswelt formulieren. Die locker miteinander verbundenen Monaden der ausgestanzt wirkenden Formen von Marcel Walldorf etwa scheinen nur auf den ersten Blick dekorativ, bei genauerem Hinsehen ähneln die verbundenen Boote in ihrem „Gleichklang“ aber Rettungspaddlern, die aneinander Halt suchen.

Catharina Szonn, step by step enger schnallen, 9 Luftmatratzen mit Siebdruck; Foto: Petra Kammann

Luftmatratzen rufen Erinnerungen an Urlaub und Meer wach. Hier aber wird bei den lockeren Badelatschen eher daran erinnert, dass künftig Schritt für Schritt die Gürtel enger geschnallt werden (müssen).

Für die bildenden Künstler war auch das Experimentieren mit neuen Materialien von Bedeutung. Der Blick richtet sich auf Naheliegendes, auf das, was noch vor- oder zuhanden ist und stellt dies gleichsam in Frage. All das prägt viele der hier ausgestellten Arbeiten.

Nikolaj Dudek, Fotoserie Underlying an der Wand, auf dem Tisch: Leporello von Claudia Grande, Ende der Nachtgesellschaft; Foto: Petra Kammann

Wie Schmetterlinge fliegen die unvermeidlichen Schutzmasken im Maskentanz umher in Nikolaj Dudeks Fotoserie „Underlying“, wobei die natürliche, in sich strukturierte Umgebung den Hintergrund bildet.

Blind und vergittert erscheinen die Fensterrahmen forever and a day von Christian Leicher , die uns den realen Blick auf die Realität eher versperren, als dass sie Ausblicke in die Weite der Realität gewähren würden. Und sie machen die „bleierne“ Zeit sichtbar.

Christian Leicher, forever and a day, Studien zu Fensterbild 1 und 2; Foto: Petra Kammann

Zudem sind installative und performative Positionen zu sehen und zu hören. Dabei wird auch die eigene Rolle als Kunstschaffende in der Gesellschaft reflektiert wie in Ivan Murzins Arbeit „Sisyphus Museum“ – Camus lässt grüßen. Insbesondere nach der Pandemie stellt sich die Frage neu, welche Funktion Museen heute übernehmen, welche sie künftig haben sollten.

Wie tot lag eine Weile das berühmte Frankfurter Museumsufer da! Dazu passt das Gemälde aus der „Blauen Periode“ „Eine Blaue Nacht am Museumsufer“ von Deniz Alt, aber auch das an Gerhard Richter erinnernde Wischbild vom ehemaligen Kulturdezernenten Hilmar Hoffmann als jungem Mann, gemalt ebenfalls von Deniz Alt.

Hilmar Hoffmann II von Deniz Alt; Heussenstamm, Foto: Petra Kammann

„Museum should move“. So heißt es im unteren Geschoss der Galerie an der Rückwand der Installation „Sisyphus Museum“ von Ivan Murzin. In seiner Black Box-Kamera aus Sperrholz kann man Filme zu bestimmten Themen auswählen. Wird sich unter den unterschiedlichsten Aspekten die klassische Museumsarbeit verändern? Ist es eine Sisyhos-Arbeit, immer wieder bei Null anzufangen, wie es ein Versuch der ZERO-Künstler in der Nachkriegszeit war? Voller Humor und Einfallsreichtum ist das mobile vielfältige Werk des 1985 in der sibirischen Stadt Irkutsk geborenen Künstlers Murzin, der an der Städelschule bei Judith Hopf studierte. Ein erfindungsreicher medialer Geschichtenerzähler, dessen Namen man sich merken sollte, ist er außerdem.

Installation mit Blackbox aus Sperrholz „Sisyphus Museum“ von Ivan Murzin; Foto: Petra Kammann

Ebenso erinnerungswürdig ist der Name des Städelschulabsolventen Janusch Ertler, seit 2018 künstlerischer Leiter des TOR Art Space am Allerheiligentor, der sich mit dem Walfischfang und dem, was sich im Bauch des Wals abspielt, beschäftigte. Zu seiner entsprechenden Video-Arbeit baute er sehr sorgfältig ein Walfischfängerboot aus Holz, das von der Decke hängend an ein Kirchenschiff früher Kirchen erinnert, die den Menschen in Nähe des unberechenbaren Meeres Schutz boten.

Belly of the beast“ von Städelabsolvent Janusch Ertler; Foto: Petra Kammann

Dann eine Bemerkung zu einer kleinen und handlichen Arbeit, die wie ein Leporello aufklapp – und zusammenfaltbar auf dem Tisch im Zickzack ausgebreitet ist. Die Arbeit von Claudia Grandes „Ende der Nahgesellschaft“ erinnert allein schon von den Materialien her fast wehmütig an alte DDR-Zeiten. 12 analoge Silbergelatine-Fotografien hat Grandes auf Original ORWO-Fotopapier ausgelichtet und ihnen mit einer alten Schreibmaschine 10 Tagebucheinträge auf säurefreiem Papier an die Seite gestellt. Der Einband dieses „Tagebuchs“ besteht aus Plaste und Elaste, ebenfalls von ORWO. Die Tagebucheintragungen der Künstlerin von „Ende der Nahgesellschaft“ halten die Beobachtung von Absurdität und Vergeblichkeit dieser Zeit fest.

Da heißt es zum Beispiel an einer Stelle: „Am WE war ich mit S. in L.E. und hab noch ein paar Sachen geholt. Es hat sich angefühlt, als würde ich meine Wohnung für immer verlassen. Als sei ich auf der Flucht und müsste mir mein Lieblingsspielzeug aussuchen“.

Gut, dass wir in Heussenstamm kurz vor Tores Schluss – am 19. Juni ist der letzte Tag der Ausstellung – doch noch einen ersten Einblick darin bekommen haben, wie sich die Kreativen mit der Lockdown-Krise beschäftigt, welche Transformationsversuche die so wichtigen Seismografen unserer Gesellschaft unternommen haben. Es werden nicht nur bedeutsame künstlerische Zeitdokumente sein, unser aller Wahrnehmung der Welt wird sich vielleicht auch in den kommenden Jahren verändern.

Beteiligte Künstler und Künstlerinnen Teil 2:

Deniz Alt, Kevin Clarke, Lena Ditlmann, Nicolaj Dudek, Martina Elbert, Janusch Ertler, Claudia Grande, Caroline Krause, Christian Leicher, Ivan Murzin, Jutta Obenhuber, Catharina Szonn, TRaG (Snezana Golubovic, Barak Reiser, Stefanie Trojan)*, Christos Voutichtis**, Jennifer Wagner, Marcel Walldorf, Nicholas Warburg und Susanne Windelen

 

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