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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Ich rede von der Cholera“ von Heinrich Heine in der Naxoshalle

Was für ein Glück wieder im Willy Praml Theater zu sein!

von Renate Feyerbacher

Der Schmerzschrei aus dem Innenraum der Frankfurter Naxoshalle ist heftig, geht durch Mark und Bein. „Ich wurde in dieser Arbeit viel gestört, zumeist durch das grauenhafte Schreien meines Nachbars, welcher an der Cholera starb.“ In  den Artikeln VI, Paris 19. April 1832  bis Artikel VIII, Paris 27. Mai 1832, gesammelt in  „Französische Zustände“, berichtet  Heinrich Heine (Düsseldorf 1797 – Paris 1856) über die Cholera. Untermalt wird der Text mit der Musik aus dem 3. Akt der Oper „La Traviata“ von Giuseppe Verdi. Später, interpretiert von drei Tenören aus dem Heinrich Heine Chor Frankfurt.

Die ramponierte Fassade der Naxoshalle, für Heines „Cholera“ die ideale Kulisse; Foto: Rebekka Waitz

Heine- Worte zu Beginn des Theaterabends, der gekennzeichnet ist durch die Regeln in der Corona Krise: strenges Hygienekonzept, Kontrolle von Impfungen oder Gesundung oder negativem Test. Da die Zuschauer draußen mit dem nötigem Abstand vor der Halle sitzen, darf man den Mundschutz während der Vorstellung ablegen.

In der Zeit der Cholera, die während der Karnevalszeit in Paris ausbrach, wurden die Toten schnell beerdigt, „daß man ihnen nicht einmal die buntscheckigen Narrenkleider auszog, und lustig, wie sie gelebt haben, liegen sie auch lustig im Grabe.“ (S.137)

Heine war damals Frankreich-Korrespondent und schrieb die Beiträge für die Augsburger Allgemeine Zeitung. Es sind Bruchstücke aus der Realität und wahrscheinlich auch manipulierte Fakten und politische Anspielungen. An die frühen Revolutionskämpfe erinnert er sich gerne immer wieder. Die Zustände in Paris 1832 werden oft drastisch, manchmal zynisch-spöttisch beschrieben. Aber auch sein persönliches Grauen vor dem, was er sieht, teilt er manchmal direkt mit. Und zeigt auch Mitgefühl.

Die Epidemie hatte Berlin bereits 1831 erreicht, Paris ein Jahr später – und dann fast ganz Frankreich. Heines Text hätte in der Corona-Krise geschrieben worden sein. Der in der Naxoshalle Regie führende Michael Weber und Willy Praml haben gemeinsam ein Theaterstück zusammengestellt, das die Worte Heines vielfach exakt wiedergibt.

„Ich erinnere mich, daß zwei kleine Knäbchen mit betrübter Miene neben mir standen, und der eine mich frug: ob ich ihm nicht sagen könne, in welchem Sack sein Vater sei?“ (S.136). Da schon bald Särge fehlten, wurden die Toten in Säcke gesteckt und beerdigt.

Heine kritisiert vor allem die Verhöhnung der Cholera, den dadurch verursachten Mangel an Vorkehrungen und Vorsichtsmaßnahmen und die Falschnachricht aus England, dass die Epidemie nur wenige dahinraffen würde. Auf die Engländer ist er sowieso nicht gut zu sprechen „Es sind wunderliche Käuze, diese Engländer. Ich kann sie nicht leiden“. (S.166 –Artikel VIII)

Man merkte bald, dass die Cholera „kein Spaß sei, und das Gelächter verstummte“. Dann aber kamen Verschwörungstheorien auf. Man denkt unweigerlich an die heutigen Querdenker-Demonstrationen. Dann ist die Rede von Gift, von weißem Pulver, welches die Krankheit auslöst, und es kam zu entsetzlichen Morden.“Er war ganz nackt, und blutrünstig zerschlagen. [..] Ein wunderschönes, wutblasses Weibsbild mit entblößten Brüsten und blutbedeckten Händen stand dabei, und gab dem Leichnam, als er ihr nahe kam noch einen Tritt mit dem Fuße.“ (S.140)

Mit sparsamen Requisiten eindrucksvoll in Szene gesetzt, z.B. das Bett mit dem datüber hängenden „Galgen“ Foto: Rebekka Waitz

In dieser Szene spielt ein Bett, das am Anfang des Stücks  von einer jungen Frau in weißem Kleid und großer, schwarzer Trauerschleppe die lange Mauer der Halle entlang gefahren wird, eine Rolle. Es ist außer dem Klavier das einzige Requisit. Ein Bild voller Sprengkraft. „Widerwärtig war es anzuschauen, wenn die großen Möbelwagen, .[..] jetzt gleichsam als Totenomnibusse, als omnibus mortuis, herumfuhren [.]:“ (S.145) Erinnerung an die Militärlastwagen, die Italien und anderswo eingesetzt wurden, um die vielen Toten der Corona-Pandemie beizusetzen. Leibbinden aus Flanell tragen die Daheimgebliebenen. „Flanell ist jetzt der beste Panzer gegen die Angriffe des schlimmsten Feindes, gegen die Cholera.[…] Ich selbst stecke bis am Halse in Flanell, und dünke mich dadurch cholerafest.“ (S.143).

Der französische Ministerpräsident und Innenminister Casimir Périer, an dem sich Heine öfters abarbeitet, trug sicher auch eine solche Flanell-Leibbinde und starb dennoch. Wie auch hätte sie helfen können gegen die Cholerainfektionen, die durch unsauberes Trinkwasser und schmutzige Sanitäranlagen ausgelöst werden. So manche Beschreibung Heines lässt sich auf die aktuelle Situation übertragen..

Zwar ist der deutsche Bakteriologe und Hygieniker Robert Koch nicht der Entdecker des Erregers, aber er trug entscheidend dazu bei, ihn zu erforschen und zu bekämpfen. Der letzte große Ausbruch der Cholera auf deutschem Gebiet war 1892 in Hamburg. Robert Koch war vor Ort: „Ich vergesse, dass ich in Europa bin“, soll er beim Anblick des Elends, des Schmutzes, in dem die Leute dahin vegetierten, gesagt haben.

Die ramponierte Fabrik-Fassade der Naxoshalle ist eine ideale Kulisse für solche Szenen. Manchmal stehen die Schauspielerinnen und Schauspieler an den Fabrikfenstern im Innern der Naxoshalle und sprechen, manchmal klettern sie heraus, sitzen oder liegen auf dem Sims davor. Immer sind  Hannah Bröder, Jakob Gail, Muawia Harb, Birgit Heuser, Sam Michelson, Willy Praml, Anna Staab in Bewegung.

Der Regisseur Michael Weber; Foto: Renate Feyerbacher

Michael Weber, dessen Regie-Debut ursprünglich im vergangenen Jahr mit „Wer hat Angst vor Virginia Wolfe“ von Edward Albee hätte stattfinden sollen, hat klug und geschickt Heines nicht immer einfachen Text umgesetzt. Ein gelungenes Debüt.

Ein zufriedener Willy Praml; Foto: Renate Feyerbacher

Paula Kern kleidete die Protagonisten in weiße Bademäntel und setzte mal mit roter Mütze und roten Schuhen markante Zeichen. Ideenreich und witzig wie sie die drei Tenöre Manuel Campos, Wener Heinz und Herbert Obenland, die übrigens für ihren Gesang Zwischenbeifall erhielten, ausstaffierte. Johannes Schmidt sorgte für Licht und guten Ton. Rebekka Waitz und Wolfgang Barina kümmerten sich um Verdis Traviata Musik mit dem anrührenden Addio der Sterbenden.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Ein eindringlicher Theaterabend.

 Schauspielerin und Koordinatorin Birgit Heuser, die seit 1993 zum engen Willy Praml Kreis gehört; Foto: Renate Feyerbacher

Noch ein Wort zu Heinrich Heines persönlicher Lage. Bereits 1832 hatten sich erste Symptome der Krankheit bei ihm gezeigt. Die Lähmungserscheinungen, verursacht durch das Nervenleiden, nahmen zu. Der endgültige Zusammenbruch erfolgte 1848. Da verließ er zum letzten Mal alleine das Haus. Er konnte nicht mehr gehen. Bis zu seinem Tod 1856 verbrachte er in der „Matratzengruft“, wie er es nannte.„Mein Leib liegt todt im Grab, jedoch Mein Geist ist lebendig noch.“

Heine Biograf Fritz J.Raddatz spricht in „Taubenherz und Geierschnabel“ von seinen „Gedichten der Agonie“ (Beltz Quadriga 1997). Das habe es in der deutschen Lyrik bisher noch nicht gegeben.

„Der Hand entsinkt das Saitenspiel. In Scherben/Zerbricht das Glas, das ich so fröhlich eben,/An meine übermüth’gen Lippen preßte.“

Plakat Foto: Renate Feyerbacher

Die Zitate  aus den „Französischen Zuständen“ stammen aus dem Dritten Band der Heinrich Heine Werkausgabe – Schriften über Frankreich  (Insel Verlag Frankfurt 1968)

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