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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Spielzeit 2021 / 22 an der Oper Frankfurt – Mutige Vorschau

Schwierige Choreografie der Krise – gemeistert durch digitales Experimentieren und kluges Agieren 

von Renate Feyerbacher/ Fotos: Barbara Aumüller

Frust und Unverständnis habe  im November 2020 ihren Höhepunkt erreicht,  aber auch viel Solidarität hervorgerufen, so die weiterhin politisch agierende Frankfurter Kulturdezernentin Dr. Ina Hartwig bei der digitalen Jahrespressekonferenz der Oper Frankfurt. Ihre Freude über den Wiederbeginn ist ihr anzumerken. Sie appelliert: „Machen wir massive Hoffnung“. Intendant Bernd Loebe ist begeistert über Hartwigs enge Beziehung zum Haus und ihrer Liebe zur Oper. Eine sogenannte Vorschau  nennt er die Pressekonferenz. Er habe gemischte Gefühle, wie die Spielzeit gelingen kann. Aber er hofft, dass ein Weg gefunden werde, Oper so zu machen, wie geplant. Konkrete Daten gebe es erst in vier bis fünf Wochen.

Pressekonferenz am 18. Mai 2021 – v.l.n.r.: Anita Wilde, Verwaltungsdirektorin der Städtischen Bühnen, Intendant Bernd Loebe, Kulturdezernentin Ina Hartwig, Holger Engelhardt, Leiter des Pressereferats

Anfang März 2020 hatte es noch die fantastische Premiere von „Salomegegeben und dann war Corona bedingt von heute auf morgen Schluss. Im September wurde das Haus mit vorbildlichem Hygienekonzept  dann wieder geöffnet –  mit Wiederaufnahmen. Die vorgesehenen Premieren fielen aus. Sechs Produktionen liegen derzeit auf Halde, sie werden aber kommen. Im Oktober dann sogar eine Premiere. Ich fühlte mich gut, hatte Hoffnung, denn das Hygienekonzept stimmte.

Dann kam am 5. November die Pressemitteilung der Oper, dass die digitalen Angebote Konzerte, Opernklassiker, Liederabende und mehr wieder aufgelegt werden. Es folgte die Pressemitteilung vom 18. November, die Böses ahnen ließ und die viele Spielplanänderungen ankündigte. Unverständnis und Frust waren groß.

Für die Sängerinnen und Sänger, für die Musikerinnen und Musiker, für alle in der Oper Beschäftigten begann eine schwere Zeit. Gerade die Kulturschaffenden mussten und müssen immer noch Opfer bringen. Aber das Miteinander, so Intendant Bernd Loebe, habe funktioniert. „Die Städtischen Bühnen, die über 1200 Menschen, die hier beschäftigt sind, bleiben trotz dieser Krise eine Mannschaft, eine Familie. Man freut sich über jeden Brief und über jede Bekundung, als Oper Frankfurt vermisst zu werden.“ (Zitat aus dem Gespräch auf der Webseite der Oper Frankfurt)

Bernd Loebe am 18. Mai 2021 bei der Presskonferenz

Von den bisher 12.000 Abonnenten habe die Oper aber 4000 verloren, bedauert der Intendant. Es bedarf also großer Anstrengungen, sie wieder zu gewinnen. Die kluge Mischung aus Bewährtem und Raritäten könnte doch einige der Opern-Abonnenten wieder anlocken. Es wäre vonnöten. 1200 Beschäftigte müssen wieder eine Perspektive haben und um die 40 Ensemblemitglieder müssen wieder singen dürfen. Loebe hofft, das unsichtbare Band zum Publikum erneut spannen zu können.

Elf Premieren soll es geben, davon acht neue Produktionen im Opernhaus selbst und drei im Bockenheimer Depot. Fünfzehn Wiederaufnahmen und acht Liederabende sind geplant.

Am 25. September soll es losgehen. Barock- und Händelfreunde können sich auf die Frankfurter Erstaufführung von Georg Friedrich Händels Zauberoper „Amadigi“ freuen.

Roland Böer, ehemals Kapellmeister an der Oper Frankfurt, wird dirigieren. Der aus Bozen stammende Regisseur Andrea Bernard wird das Publikum mitten ins Geschehen setzen. Das Bockenheimer Depot ist dafür bestens geeignet. Der junge Bernard gewann 2016 den 9. Europäischen Opern-Regie-Preis für seine „Traviata“ Interpretation in Berlin.

In „Amadigi“ gibt es Liebes-Interessen von gleich vier Personen. Sie offenbaren eine komplizierte Beziehungsgeschichte, in der auch eine Zauberin mitmischt. „In ihrem Gefühlschaos wollen sie die ,Quelle der wahren Liebe‘ genießen. Eine trickst – und stirbt.“ (Zitat Opern Webseite)

Einen Tag später, am 26. September, findet wieder eine Frankfurter Erstaufführung statt: Domenico Cimarosas „L’italiana in Londra“. Der Engländer Leo Hussain, einst Assistent von Simon Rattle, von Daniel Barenboim und weiteren großen Dirigenten, ist mittlerweile europaweit  anerkannt. Er wird am Pult der Cimarosa Oper stehen. 2010/11 gab er sein Debüt am Frankfurter Haus.

Auf R. B. Schlathers Regie darf man gespannt sein…  Sein ausgefallener „Tamerlano“ 2019 begeisterte. „Humor, Dramatik, Wahnsinn, Erotik, Absurditäten und der Glaube an die magischen Kräfte eines Steins, der Menschen unsichtbar machen kann – das alles steckt in Domenico Cimarosas spritzigem Intermezzo“ (Zitat Opern Webseite) Natürlich ohne Liebespaar geht es auch nicht.

Ende Oktober kommt mit „Maskerade“ des dänischen Komponisten Carl Nielsen eine echte Rarität auf die Bühne. Sie gilt als die dänische Nationaloper, ist jedoch außerhalb Dänemarks unbekannt. Die Handlung dieser komischen Oper basiert auf einer der zwanzig Komödien, die der dänische Dichter und Historiker Ludvig Holberg (geboren 1684 in Bergen/Norwegen- gestorben 1754 in Kopenhagen) im Stile Molières verfasste. Er galt als der große dänische Volkserzieher und ‚Vater des dänischen Schauspiels‘. Seine Figuren kreisen um die menschlichen Untugenden. Mal sehen, was Tobias Kratzer daraus macht. Seine spektakulären Inszenierungen in Frankfurt sowie sein „Tannhäuser“ 2019 in Bayreuth fanden große Beachtung.

Dirigieren wird der Schweizer  Titus Engel, der in Frankfurt mit Philipp Telemanns „Beständigkeit der Liebe“ und drei Jahre später mit Mozarts Kirchenbegehung debütierte.

Am 5. Dezember wird Generalmusikdirektor Sebastian Weigle, der seit 2008, das Frankfurter Opern- und Museumsorchester dirigiert, erlebt werden können. Im Herbst wird er zuvor noch „Boris Godunow“ an der New Yorker Metropolitan Opera (MET) interpretieren. „Zwei Jahre wird er noch bei uns sein“, so Loebe. Weigle seit 2019 Chefdirigent des Yomiuri Nippon Symphony Orchestra in Tokyo/Japan, wird Frankfurt verlassen, aber sicher gelegentlich wiederkommen.

Generalmusikdirektor Sebastian Weigle, Foto: Renate Feyerbacher

Christof Loy, der im März ein Tschaikowski Liedprojekt realisieren konnte, übernimmt die Regie in „Die Nacht vor Weihnachten“ von Nikolai Rimski-Korsakow. Und Johannes Leiacker wird das Bühnenbild gestalten. Ein Super-Team. Insgesamt werden viele russische Sänger dabei sein. Inhaltlich geht es um ein satirisch-realistisches Geschehen in einem ukrainischen Dorf mit fantastischen und mythologischen Elementen. Heuchlerische Amts- und Würdenträger sowie Hexen, Teufel, Luftgeister und Sonnengottheiten mischen mit. Kein Geringerer als Nikolai W. Gogol lieferte mit seiner gleichnamigen Erzählung die Vorlage fürs Libretto.

Die Uraufführung, eine Auftragsarbeit der Oper Frankfurt, von „The people out there“, wird kurz vor Weihnachten im Bockenheimer Depot sicher Diskussionen auslösen. Komponiert wurde die Oper in fünf Akten von dem 41-Jährigen, in Duisburg geborenen Hauke Berheide. Libretto und Regie kommen von Amy Stebbins. Mit der in Amerika und Deutschland lebenden und arbeitenden Amy Stebbins hat der Komponist bereits dreimal zusammengearbeitet. In Frankfurt ist es das erste Mal. Mit dabei ist auch das Ensemble Modern unter Roland Böer.

Es geht um die Auswirkungen der digitalen Wende auf zwischenmenschliche und gesellschaftliche Beziehungen. Entstanden ist ein vielschichtiges Mosaik aus Textschnipseln und Referenzen, in das literarische Motive verwoben sind.

Nach dem Jahreswechsel sind in der ersten Neuproduktion von Arnold Schönbergs einaktiger Oper „Von heute auf morgen“ mit dem Monodram „Erwartung“ kombiniert, mit Begleitmusik und sechs Monologen aus dem „Jedermann“ von Hugo von Hofmannstahl. Frank Martin komponierte sie für Bariton und Orchester.

Anerkennung zollt der Intendant dem Sänger Johannes Martin Kränzle, der die Partie singen wird. Auf ein Wiedersehen mit ihm werden sich so manche freuen.

Generalmusikdirektor am Nationaltheater Mannheim, David Hermann; Foto: Renate Feyerbacher

Dirigieren wird der Brite Alexander Soddy, derzeit Generalmusikdirektor am Nationaltheater Mannheim, sowie David Hermann, der das szenisch umsetzen wird. Seine Regie-Handschrift ist in Frankfurt bekannt.  Seine Interpretation von  „Aus einem Totenhaus“ faszinierte 2017/18 . Johannes Martin Kränzle erhielt für seine Interpretation den FAUST Theaterpreis 2019.

Bereits im März 2020 hatten die Proben für „Bianca e Falliero“ von Gioachino Rossini begonnen. Nun können  Regisseur Tilmann Köhler, der in Frankfurt durch seine Barockoper-Arbeit von sich reden machte, und Dirigent Giuliano Carella, der mit konzertanten Aufführungen gastierte, bald wieder ihre Arbeit aufnehmen. Es ist Rossinis letzte Oper, die er für die Mailänder Scala schrieb. Termin soll der 20. Februar 2022 im Opernhaus sein.

Eine ungewöhnliche Handlung: eine düstere Liebesgeschichte, eine in sich verstrickte venezianische Gesellschaft, die der Librettist Felice Romani, der sich bei Antoine Vincent Arnault umsah, mit einer Spionage-Story, mit einer Variante der Geschichte von Romeo und Julia verbindet, wobei sich die verfeindeten Familien diesmal in einem langjährigen Erbstreit befinden. Der Schluss, die Hinrichtung Fallieros, findet nicht statt. Die Publikums-freundliche Eheschließung wird kein wahres Eheglück bescheren.

Etwa 14 Tage später  hat „Fedora“ von Umberto Giordano in der Regie von Christof Loy Premiere. Die Übernahme von der Königlichen Oper Stockholm sollte schon vor einem Jahr gespielt werden. Dafür realisierte Loy den opernähnlichen Tschaikowski-Abend. „Die russische Fürstin Fedora ist Spionin, Rächerin, Geliebte, Märtyrerin und Betrogene zugleich. Nachdem ihr Verlobter bei einem Attentat getötet wird, stellt sie sich in den Dienst der Polizei und spürt dessen Mörder Loris Ipanow in Paris auf. Die beiden verlieben sich ineinander und wagen einen gemeinsamen Neubeginn in den Schweizer Bergen. Doch sie werden von ihrer Vergangenheit eingeholt.“  (Zitat: Webseite Oper Frankfurt)

Brigitte Fassbaender, Sängerin, Regisseurin, Gesangspädagogin, Rezitatorin, Autorin und Intendantin; Foto: Renate Feyerbacher

Benjamin Brittens „A Midsummer Night’s Dream“ inszeniert Brigitte Fassbaender, die als Mezzosopranistin Weltkarriere machte, Intendantin in Innsbruck war und nun als Regisseurin aktiv ist. Die Strauss-Kennerin  überzeugte in Frankfurt vor allem mit „Ariadne auf Naxos“ und mit „Capricco“.

Shakespeares Spuk unter der Leitung des jungen Engländers Geoffrey Paterson, der erstmals an der Oper Frankfurt dirigiert, soll am 11.Mai 2022 das Publikum im Bockenheimer Depot in seinen Bann ziehen.

Zwei Jahrzehnte lang musste das Publikum auf „Madame Butterfly“ von Giacomo Puccini verzichten. Nun wird es in einem Jahr eine Neuproduktion der zu Herzen gehenden Oper über das Schicksal der Geisha Cio-Cio-san – genannt Butterfly – geben.

Antonella Manacorda, der 2017 / 18 Meyerbeers „L’Africaine –Vasco da Gama“ leitete, kehrt ans Frankfurter Dirigentenpult  zurück. Derzeit ist er an der MET aktiv.

Auf die Produktion der preisgekrönten slowenischen Regisseurin  Mateja Koleznik, die bisher hauptsächlich fürs Sprechtheater arbeitete, darf man gespannt sein. Im Oktober wird sie am Schauspiel Frankfurt „Yvonne, die Burgunder­prinzessin“ von Witold Gombrowicz realisieren.

Als letzte Premiere im Juni 2022 kommt „Ulisse“ von Luigi Dallapiccola, der sich ein Leben lang für die Geschichte von Odysseus interessierte. Keith Warner setzte 2004 Dallapiccolas Oper „Il prigioniero (Der Gefangene)“ in Szene. Bedrückend. ….

Tatjana Gürbaca beschäftigte sich mit  diesem Werk bereits 2003 in Wien und übernimmt nun die Regie von „Ulisse“. Franceso Lanzillotta, bereits an der Oper Frankfurt bekannt, übernimmt das Dirigat.

Die gebürtige Berlinerin wurde 2013 – da war sie Operndirektorin des Mainzer Staatstheaters – zur Regisseurin des Jahres (Opernwelt) gewählt und erhielt 2014 den International Opera Award. Sie gilt als eine der renommiertesten Regisseurinnen im deutschsprachigen Raum und kommt dann erstmals nach Frankfurt.

Schier unglaublich sind die zahlreichen Produktionen, die wiederkommen werden. Vincenzo Bellinis „Norma“ aus Sicht von Christof Loy macht am 12. September 2021 den Anfang. Etwa vier Wochen später, im Oktober, darf Barrie Koskys „Salome, die Anfang März 2020 ein volles Haus bescherte, wegen Corona jedoch nicht mehr gespielt werden durfte, wieder brillieren.

Programmcollage von Werken, die wieder aufgenommen werden 2021/22; Foto: Renate Feyerbacher

Wiederaufhanhmen: Darunter Werke, die vor Jahren Premiere hatten wie „Die Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss (Regie Christof Nel 2003) – ein Wunsch von Sebastian Weigle oder Mozarts „Cosi fan tutte“, Christof Loys legenadäre Arbeit von 2008.

Dann sind noch acht Liederabende im Programm sowie Konzerte, Angebote für Kinder und Jugendliche und und und…

Zurückhaltend zeigte sich Intendant Loebe bei der Fortsetzung des digitalen Angebots: „Das analoge Geschichtenerzählen lässt sich nicht vollends durch die Verlagerung ins Digitale ersetzen. Das kluge Verzahnen von beidem ist wichtig. Aber mein Herz schlägt für das von Händen gemachte und vor Ort erlebte Theater – einmalig und unwiederholbar.“ Sobald sicher ist,  („Wir brauchen Sicherheit“), dass gespielt werden kann, wird es eine Broschüre geben.

Auch ich freue mich, wenn die Oper-Entzugserscheinungen aufhören. Das vorgestellte Programm in seiner guten Mischung, realisiert von exzellenten Künstlerinnen und Künstlern, lässt mein  Herz höher schlagen. „Die Hoffnung hilft uns leben“. Wie Recht Goethe doch hatte!

 

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