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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Realität & Emotion“ von Käthe Kollwitz im Kunstforum Ingelheim

Mit eindringlicher Kunst politisch wirken – der Mensch im Zentrum ihrer anrührenden Arbeiten

Von Hans-Bernd Heier

Erstmals wird in einer monografischen Ausstellung der !Internationalen Tage Ingelheim“ der Blick auf das Werk einer bildenden Künstlerin gerichtet – auf Käthe Kollwitz (1867–1945). Sie ist eine der bedeutendsten und bekanntesten Künstlerpersönlichkeiten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Als grandiose Zeichnerin und technisch experimentierende Druckgrafikerin hat Käthe Kollwitz zu einem unverkennbaren Stil gefunden.

Käthe Kollwitz „Selbstbildnis mit aufgelegter Hand“, 1905, schwarze Kreide und Graphitstift auf gelblich braunem Ingres-Bütten; Hamburger Kunsthalle; Foto: Hamburger Kunsthalle/ bpk; Foto: Elke Walford

Unbekannter ist dagegen ihr Oeuvre als Bildhauerin, das gleichbedeutend neben ihrem grafischen Werk steht, allerdings zahlenmäßig kleiner ist. Herausragende Zeichnungen, Druckgrafiken und Bronzen sind ab dem 22. Mai unter dem Titel „Realität & Emotion“ im Kunstforum im restaurierten alten Rathaus zu bewundern.

Das künstlerische Werk von Käthe Kollwitz umfasst eine Fülle von Themen, mit denen sie sich zeitlebens auseinandergesetzt hat. Ein Schwerpunkt ihres Schaffens bilden die Themen Tod und Leid. Diese stehen aber nicht im Vordergrund der von Dr. Ulrich Luckhardt kuratierten Schau, in der rund 60 Arbeiten zu sehen sind. Abseits von den gängigen „Klischee-Vorstellungen“ können Besucher*innen „viele neue Facetten entdecken“, wie der Kurator betont, beispielsweise Akte, Liebespaare oder die chronologisch präsentierten Selbstporträts.

„Arbeiterfrau mit schlafendem Jungen“, 1927, Kreidelithographie; © Käthe Kollwitz Museum Köln; Foto: Gisela Heier

Um das breite Spannungsfeld zu umreißen, in dem sich die Schwarz-Weiß-Arbeiten von Käthe Kollwitz thematisch bewegen, bilden die Begriffe „Realität“ und „Emotion“ die inhaltlichen Klammern. Die Schau ist klar strukturiert und in fünf Themenbereichen untergliedert. „Die ausgewählten Motive sollen“ laut Luckhardt „die menschliche Größe und Zugewandtheit der Künstlerin deutlich machen, die die Menschen ins Zentrum ihrer Kunst stellen“.

„Weberzug“, Blatt 4 aus dem Zyklus „Ein Weberaufstand“, 1893-1897, Strichätzung und Schmirgel in Schwarz auf Velinpapier; © Städel Museum, Frankfurt am Main

In ihrem Frühwerk orientiert sich Käthe Kollwitz zunächst an historischen Themen, die sie im Naturalismus der zeitgenössischen Literatur findet. In Raum 1 sind unter dem Titel „Literatur und Wirklichkeit“ u. a. je sechs Blätter der beiden frühen druckgrafischen Zyklen „Die Weber“ von 1897/98 und „Bauernkrieg“ von 1902/02-1908 zu sehen. Mit diesen beiden Serien gelingt ihr der künstlerische Durchbruch. Während sich die Künstlerin bei den „Webern“ von Gerhart Hauptmanns Drama hat inspirieren lassen, basiert der zweite Zyklus auf einer wissenschaftlichen Abhandlung über die erste Rebellion auf deutschem Boden um 1524/25. Kollwitz richtet darin den Fokus auf die Entrechtung und Erniedrigung der Bauern, die der Obrigkeit ausgeliefert sind.

„Liebesszene I“, um 1909/10, Kohle, gewischt; Käthe Kollwitz Museum Köln; © Käthe Kollwitz Museum Köln

Käthe Kollwitz war eine unermüdliche, politisch engagierte Mahnerin, deren Blick vor allem den einfachen Menschen galt, die auf den Schattenseiten der Gesellschaft lebten. In ihrem Tagebuch von 1922 schreibt sie: „Ich will wirken in dieser Zeit, in der Menschen so ratlos und hilfsbedürftig sind“. Dieses Eintreten für soziales Engagement brachte ihren Arbeiten, wie auch denen des ähnlich denkenden Ernst Barlach, nicht nur Zustimmung ein, sondern auch den verächtlichen Ruf der „Rinnsteinkunst“.

„Die Klage“, 1940, Bronze; Ernst Barlach Haus, Hamburg

Bei politisch intendierter Kunst beanstanden Kritiker häufig die geringere künstlerische Qualität der Arbeiten. Dies trifft keineswegs für die wirkstarken Werke von Käthe Kollwitz zu, bei denen die Darstellung und das Hervorrufen von tiefen Gefühlen ein wesentliches Movens ist. In ihren Arbeiten setzte sie äußerst beeindruckend Emotionen zum Transport ihrer Botschaften an das Publikum ein. Das Gezeigte sollte das Gegenüber anrühren und zum Handeln bewegen. Dabei griff sie, um sich besser verständlich zu machen, oft auf ein Repertoire traditionell vorgeprägter Mimik und Gebärden zurück, die der Kunsthistoriker Aby Warburg 1905 etwas despektierlich „Pathosformeln“ nannte.

Die in Themenraum 2 präsentierten Werke richten das Augenmerk auf Emotionen, die einerseits Leere und Einsamkeit des Menschen veranschaulichen und andererseits starke Empfindungen wie Liebe, Klage und Tod erfassen. Auch hier ergänzen sich Zeichnungen, Druckgrafik und dreidimensionale Bildwerke, um die beeindruckende Bandbreite der Ausdrucksformen von Käthe Kollwitz zu dokumentieren. Dabei kommt der Darstellung von Händen als gestalterisches Element und Träger von Gefühlen eine wichtige Rolle zu.

„Selbstbildnis“, 1926 – 28, Bronze; Stiftung Hanna Reemtsma Haus Hamburg; Foto: Gisela Heier

Die menschliche Figur– vor allem der weibliche Körper – ist das zentrale Motiv in Käthe Kollwitz Werk. Von frühen Arbeiten der Künstlerin sind nur wenige Darstellungen des unbekleideten Körpers erhalten. Erst nach den beiden Paris-Reisen änderte sich dies. Eine Vielzahl von Zeichnungen nach Modell dokumentiert ihr intensives Studium der Anatomie, vor allem der Blick auf den plastischen Ausdruck, nach dem sie strebte. Unter „Aktdarstellungen, Körperlichkeit – Sinnlichkeit und Sinn“ ist in Raum 3 eine erlesene Auswahl an Blättern zu sehen, die ihre präzise Beobachtungsgabe und die exzellente zeichnerische Umsetzung zeigen.

„Arbeiter“, um 1921/23, Kohle; Privatsammlung; Foto: Käthe-Kollwitz-Museum Berlin; Fotoreproduktionen Kienzle / Oberhammer

Berührende Motive von Mutter und Kind ziehen sich durch das gesamte Werk von Kollwitz und tragen auch heute noch erheblich zur Popularität der großen Künstlerin bei. Besonders Darstellungen von Frauen und Kindern, die das Glück und die Tragik der Mutterschaft gleichermaßen aufzeigen, stehen in Ingelheim im Zentrum. Neben den menschlichen Glückserfahrungen vermitteln diese innigen Figurationen auch Botschaften von sozialen Nöten, Abschied und Tod.

Die ganze Tragik der Mutterliebe musste auch die Künstlerin durchleben: Kollwitz, die 1891 den „Armen-Arzt“ Dr. Karl heiratete, war Mutter von zwei Söhnen. Sohn Peter, der sich als 18-jähriger freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet hatte, fiel bereits kurz nach Beginn des Ersten Weltkriegs.

„Frau mit Kind im Schoß“, um 1911, Bronze; Käthe Kollwitz Museum, Köln; © Käthe Kollwitz Museum Köln; Foto: Claudia Goldberg, Sasa Fuis

„Selbstbilder“ pflegte die Künstlerin ihre Autoporträts zu nennen. Dieses Sujet hat sie ihr Leben lang beschäftigt. Weit über hundert Werke sind bekannt – angefangen von ganz frühen Beispielen bis hin zu späten Reflexionen ihrer Selbst. Eine Auswahl der chronologisch gehängten Selbstbildnisse zeigt beeindruckend ihren Alterungsprozess.

Auch bei den Selbstporträts spielt die Darstellung der Hände und ihrer Haltung eine augenfällige Rolle. Besonders beeindrucken „die späten Selbstbilder, mit denen der eigene körperliche Verfall ungeschönt ins Auge gefasst wird und die doch im selben Zuge eine Selbstvergewisserung der Künstlerin als Schaffende, ein Anarbeiten gegen den Tod sind“, schreibt Luckhardt im Begleitkatalog.

Käthe Kollwitz um 1940; Foto: Tita Binz; © Deutsches Historisches Museum, Berlin

Die sehenswerte Präsentation in Ingelheim ist in enger Kooperation mit dem Käthe Kollwitz Museum Köln – der weltweit größten Sammlung von Werken der Künstlerin – entstanden. Darüber hinaus werden zahlreiche Leihgaben von großen Museen in Berlin, Frankfurt, Hamburg und Wiesbaden sowie aus privaten Sammlungen gezeigt.

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog (Preis: 25 €), in dem alle ausgestellten Arbeiten abgebildet sind.

Die Schau „Käthe Kollwitz. Realität & Emotion“ ist bis zum 18. Juli 2021 im Kunstforum Ingelheim – Altes Rathaus zu sehen.

Weitere Informationen, insbesondere zu Öffnungszeiten und Anmeldungen, unter:

www.internationale-tage.de

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