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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Wie aus Sehnsucht Heimweh wird: Arnold Stadlers Afrika Roman

Arnold Stadler: Am 7. Tag flog ich zurück. Meine Reise zum Kilimandscharo.

von Simone Hamm

Über Arnold Stadlers Schreibtisch hängt ein Bild des Stuttgarter Malers Fritz Lang. In seiner Kindheit hing es lange Jahre in der großen Stube des elterlichen Hofes über dem Esstisch. Auf dem Gemälde  ist im Vordergrund eine Palme zu sehen, im Hintergrund der schneebedeckte Kilimandscharo.

Als eine Wochenzeitung Arnold Stadler vor ein paar Jahren bat, eine Reisereportage zu schreiben, wusste er sofort, wohin die Reise gehen soll: zum Kilimandscharo.

Arnold Stadler interessiert sich nicht für Safaris, nicht für wilde Tiere. Er ist auch nicht einer jener  Sportaktiven in bunter Kleidung, für die die Natur nur ein Out Door Event ist und das Leben reiner Leistungssport. (Für sie hat er nur Spott übrig.) Er lässt sich zu verschiedenen Lodges fahren, freilich nur zu solchen, wo er rauchen darf.  Wäre es nach ihm gegangen, wäre er nicht einmal durch Tansania gereist, er will nur zum Kilimandscharo. Nicht, um ihn zu erklimmen. Stadler will schauen.

Und damit konterkariert er die üblichen Erwartungshaltungen derer, die nach Afrika reisen und auch derer, die über Afrika lesen. Stadlers Erwartungen stammen aus keinem Prospekt, aus keinem Tierfilm, keinem bunten Afrikaroman. Langs Gemälde waren es, die ihn zu dieser Reise inspiriert hatten – und ein Lied. Pascal Danel hatte Ende der sechziger Jahre vom Schnee auf dem Kilimandscharo gesungen, von einem Bergsteiger im Delirium, dessen Leichentuch der Schnee sein würde: „Les neiges du Kilimandscharo“.

Am Tage der heiligen drei Könige, am 6. Januar,  ist Arnold Stadler dann für eine Woche nach Tansania geflogen. „Am siebten Tag flog er zurück“ – und so heißt sein Roman. Im Gepäck hat er Smoking und Lackschuhe. Er will sofort weiter nach Bremen fliegen, ist als Ehrengast zur Bremer Eiswette, einem traditionellen Herrenabend, eingeladen. Und diesen Smoking hängt er jeden Abend auf der Terrasse auf. Bis er von einem Affen gestohlen wird und im Flamboyantbaum hängt. Und ein Lackschuh gleich dazu.

„Am siebten Tag flog er zurück“ ist eine einzige Kette von Assoziationen, Erinnerungen, Gedankensprüngen, Wiederholungen, Träumen, Ideen.  Das reicht von deutschen Kolonialisten in Tansania (da hieß der Kilimandscharo für kurze Zeit ,Kaiser Wilhelm Spitze‘) bis zu den Geflüchteten auf Booten im Mittelmeer. Das ist eine exquite, manchmal komische, dann wieder tief berührende Mischung.

Stadler erzählt anekdotisch und autobiografisch, seine Sätze mäandern, er wechselt vom Poetischen ins Profane – es hängt ganz davon ab, was er gerade beschreibt. Immer wieder kehrt er in Gedanken zurück ins Zweistromland Schwäbisch Mesopotamien, so nennt er die Gegend zwischen Donau und Bodensee, wo er aufwuchs.

Seine Kindheit war gar nicht so verschieden von der der Bauerjungen in Tansania, von der des Massei, den er beobachtet. Auch der hat zwei Hände und zwei Beine und einen Kopf und trägt ein dreckiges Gewand und hat einen Stecken in der Hand. Der Junge erinnert Stadler daran, wie er vor fünfzig Jahren genauso ausgesehen hat. Nur, dass die Haut des Massaijungen dunkler ist und die Tiere, die er hütete, magerer sind.

Allerdings laufen die Hirtenkinder noch über ungeteerte Strassen, während Stadler in seiner Kindheit erlebte, wie die Wege unter dem Strassenbelag Makadam verschwanden, den Männer mit freien Oberkörpern mit Schaufeln auf die Strassen verteilten. Und das, so Stadler, war vielleicht der einzige wirkliche Unterschied. Und dass ihnen bevorsteht, was er schon erfahren hatte, dass ihre Welt verschwinden würde.

Auf den letzten Seiten kommt Stadler dem delirierenden Bergsteiger aus Pascal Danels Lied nahe: Wirkliches und Erträumtes, Vergangenheit und Zukunft, Deutschland und Tansania: alles wird eins. Ein fulminantes, virtuoses Finale: „Ich wusste nun für immer, dass die Sehnsucht nach diesem Berg, die solange meine Zukunft war, nun in der Erinnerung mein Heimweh würde.“

Arnold Stadler: Am 7. Tag flog ich zurück. Meine Reise zum Kilimandscharo, S. Fischer Verlag, 239 S. 23

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