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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Vielseitige multimediale Angebote als Appetizer – Kunstgenuss bei virtuellem Museumsbesuch

Mit MuWi App auf digitale Entdeckungs-Tour im Museum Wiesbaden

Von Hans-Bernd Heier

So viel Kunst im Internet war nie! Vorbildlich sind die Online-Auftritte von Städel und Liebieghaus gestaltet. So wirbt das Museumshaus schon jetzt mit einem Digitorial®live für die Blockbuster-Schau „Nennt mich Rembrandt! Durchbruch in Amsterdam“, ab dem 6. Oktober 2021 in Frankfurt zu sehen. Da können Surfer vorab schon in die innovative Bildwelt des Meisters der Hell-Dunkel-Malerei eintauchen. Aber auch andere Kunsthäuser haben ihre Auftritte im Netz attraktiv und meist kostenfrei ausgebaut, wie beispielsweise das Museum Wiesbaden. Hochkarätige Artefakte werden da zwar in mühevoll erarbeiteten Sonderausstellungen präsentiert – jedoch in Sälen ohne Besucher. Um Kunstinteressierte wenigstens virtuell am Genuss der erlesenen Exponate teilhaben zu lassen, haben die meisten Museen ihre Multimedia-Angebote inzwischen beträchtlich erweitert.

Startseite des Audioguides mit Mackes Hauptwerk „Der Seiltänzer“ (Detail) aus dem Kunstmuseum Bonn; ©Museum Wiesbaden

Das Hessische Landesmuseum für Kunst und Natur hatte gerade die großartige Ausstellung „August Macke – Paradies! Paradies?“ eröffnet, da musste das Haus coronabedingt schon wieder schließen.

Macke zählte zu einer der bedeutendsten deutschen Expressionisten und beliebtesten Maler des 20. Jahrhunderts. Dabei war sein Leben war nur sehr kurz. Er verlor es bereits mit 27 Jahren als Soldat in der Champagne – wenige Wochen nach Beginn des schrecklichen Infernos des Ersten Weltkriegs. Zu Ehren ihres Mannes, und um die Erinnerung an sein beträchtliches Oeuvre wachzuhalten, organisierte seine Frau Elisabeth nach dem Krieg die große „August Macke Gedächtnis-Ausstellung“, welche im Herbst 1920 im Museum Wiesbaden gastierte. Aus Anlass dieser vor 100 Jahren gezeigten Retrospektive präsentiert das Wiesbadener Museum in enger Kooperation mit dem Kunstmuseum Bonn jetzt sein überraschend vielfältiges Werk.

August Macke „Stillleben mit Apfelschale und japanischem Fächer“, Kunstmuseum Bonn, Leihgabe aus Privatbesitz; Foto: Kunstmuseum Bonn / Reni Hansen, Wolfgang Morell

In einem sechsminütigen Video führt Dr. Andreas Henning, Direktor des Museums Wiesbaden, in die Jubiläumsschau ein und erklärt begeistert: „Vielen Werken Mackes entströmen Impulse der Freude und Lebensleichtigkeit, sie scheinen uns regelrecht mit dem Leben versöhnen zu wollen“. Nach einem Grußwort von Karin Wolff, Geschäftsführerin des Kulturfonds RheinMain, der die Präsentation großzügig unterstützt, führt Kurator Dr. Roman Zieglgänsberger profund und unterhaltsam in einem Rundgang durch die Schau. Dabei streift er Mackes Lebensstationen und die rasante künstlerische Entwicklung des Frühvollendeten. Ein Teaser und ein etwas ausführlicher Trailer ergänzen das schon häufig angeklickte Digitalangebot, das Kunst in die Wohnstube der Kunstinteressierten bringt. So ansprechend und informativ die virtuellen Formate auch konzipiert sind, sie können allerdings einen realen Museumsbesuch nicht ersetzen. Sie sind gewissermaßen multimediale Appetizer für Kunstfreunde. Denn immerhin bieten sie wichtige Einblicke und wecken Lust, die Ausstellungen im Original zu entdecken.

Winston Roeth in der Wiesbadener Ausstellung; Foto: Hans-Bernd Heier

Unter dem Titel „Speed of Light“ können User das Werk des amerikanischen Malers Winston Roeth mittels einer anderen virtuellen Kuratoren-Führung entdecken, die sich mit dem Medium Malerei und Farbe beschäftigt. Roeth, Jahrgang 1945, trägt Farbe flächig und monochrom auf,“ speichert Lichtstimmungen in seiner Malerei wie Momentaufnahmen, lässt uns eintauchen in das besondere Licht jeder Stunde“, erläutern Dr. Jörg Daur, stellvertretender Direktor, und die Kuratorin Lea Schäfer, „seine Malerei gleicht einer Untersuchung der Farbe: Farbton, Farbraum, Farbauftrag, dazu die Oberflächenbeschaffenheit des Trägermaterials ergeben immer neue Varianten. Von zentraler Bedeutung ist dabei das Licht. Nicht zufällig erinnern viele seiner Titel an helles Sonnenlicht, dunkle Nacht oder alle erdenklichen Zwischentöne.“

Hans Thoma „Erinnerung an Orte“, 1874; Schenkung Jan und Friederike Baechle; Foto: Museum Wiesbaden / Bernd Fickert

Als weiteren digitalen Leckerbissen bietet das Landesmuseum einen Gang durch die Ausstellung „Exquisit — Kunst des 19. Jahrhunderts – Schenkung. Jan und Friederike Baechle“ an. Diese Schenkung ist ein weiterer Glücksfall für das Wiesbadener Museum. Die „kleine, aber feine Sammlung“, wie Jan und Friederike Baechle bescheiden ihre Kollektion umschreiben, wird laut Kustos Dr. Peter Forster die geplante „Galerie des 19. Jahrhunderts“ des Museums stärken und Lücken schließen. „Die Künstlerliste der 27 Werke weist signifikante Positionen der Kunst des 19. Jahrhunderts auf und stellt eine ideale Ergänzung für den vorhandenen Bestand dar“. Herausragend sind die Arbeiten von Wilhelm Trübner und Hans Thoma, den Meyers Großes Konversationslexikon von 1909 als „Lieblingsmaler des deutschen Volks“ bezeichnete.

Wilhelm Trübner „Unbekannte Dame nach rechts“, 1822; Schenkung Jan und Friederike Baechle; Foto: Museum Wiesbaden / Bernd Fickert

Die qualitativ hochwertigen Werke sollten ursprünglich im November letzten Jahres in der Ausstellung „Exquisit“ öffentlich präsentiert werden. Wegen Corona musste die Eröffnung verschoben, soll aber so schnell wie möglich nachgeholt werden.

„MuWi-Apps“ Foto: Kuldig, Droidsolutions

Bereits 2016 hat Rebecca Krämer, Kuratorin für Digitales, mit einem Team eine erste „Museum Wiesbaden-App“ entwickelt, um nützliche Informationen zur Vorbereitung bzw. Nachbereitung eines Museumsbesuchs anzubieten. Die App wurde anschließend weiter entwickelt. Das überarbeitete Online-Format konnte bei der Eröffnung der opulenten Dauerausstellung „Jugendstil. Schenkung F. W. Neess“ voll überzeugen. Zusätzlich gibt es jetzt auch Führungen in englischer Sprache und erstmals eine Tour für junge Menschen. Wer mit der „MuWi-App“ Ausstellungen im Wiesbadener Museum entdecken möchte, kann diese kostenfrei im Google Play Store und im App Store herunterladen.

Fluorit aus der Museumssammlung; Foto: Museum Wiesbaden / Bernd Fickert

Das Hessische Landesmuseum für Kunst und Natur ist bekanntlich ein Zweispartenhaus, das nicht nur mit seiner exzellenten naturkundlichen Dauerausstellung ein beliebter Anziehungsort für Klein und Groß ist. Das Museum glänzt auch mit spannenden Sonderausstellungen aus dem naturwissenschaftlichen Bereich, wie beispielsweise die schon aufgebaute, aber noch nicht zugängliche Schau „Kristalle -Vom Diamant bis zum Gips“.

Kristalle faszinieren. Ihre besondere Geometrie, ihre Symmetrien und ihre Farbenvielfalt zeigen sich in der Natur der Minerale. Für Lebewesen sind sie unentbehrlich. Selbst die digitale Welt kommt nicht ohne sie aus. Die ganze Vielfalt der Kristalle und Minerale können Kinder und Erwachsene in der von Fritz Geller-Grimm kuratierten Schau nicht nur bestaunen, sondern auch interaktiv mit Händen und Experimenten erforschen, wenn das Haus wieder geöffnet ist. Das Museum hat eigens eine riesige, 344 Kilogramm schwere Amethyst-Druse erworben. Vorab können Interessenten sich auf der Museums-Webseite über die Schau informieren, deren Schirmherrin Angela Dorn, Hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst, ist.

In Vorbereitung ist gerade die Veranstaltungsreihe „Beuys 100 – Interventionen zum Jubiläumsjahr“ anlässlich des 100. Geburtstags des Ausnahmekünstlers. Joseph Beuys (1921—1986) ist einer der wichtigsten deutschen Abantgarde-Künstler der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er war 1971 Mitbegründer der „Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung“. Für internationales Aufsehen sorgte sein erweiterter Kunstbegriff: „Jeder Mensch ist ein Künstler.“

Das Museum Wiesbaden besitzt eine bedeutende Beuys-Sammlung, die der Medizinhistoriker Prof. Axel Hinrich Murken zusammengetragen hat. Über Jahre beschäftigten sich Beuys und Murken gemeinsam mit der Frage nach den Heilkräften der Kunst. Dazu finden im Laufe dieses Jahres drei Interventionswochen statt.

Zu Beginn steht die Intervention „Bis alles gesagt ist — Gespräche im Beuys-Raum zu den Heilkräften der Kunst“ mit dem Künstler Matthias Schenk und dem Kunstwissenschaftler Gerhard Schuster. Beide sind in der Woche vom 8. bis13. Juni 2021 Gastgeber im Beuys-Raum und stehen Besucher*innen für Gespräche und Begegnungen bereit. Dazu sind insbesondere auch junge Menschen eingeladen.

Es geht dabei um die „Beforschung“ der Heilkräfte der Kunst. Doch was ist Kunst? Wer entscheidet das? Kann das wirklich jeder Mensch? All diese Fragen sollen miteinander erörtert werden. „Niemand muss schon etwas wissen oder vorbereiten. Die einzige Bedingung ist das bedingungslose Interesse, aneinander und an dem, was geschieht“, sagt Schenk. Jeden Mittag um 12:30 Uhr gibt es einen kurzen Nach-Tisch mit Joseph Beuys. Jeden Tag eine Stunde vor Schließung des Museums wird ein Zwischenergebnis festgehalten.

©OMNIBUS für Direkte Demokratie

Vor dem Museum parkt eine Woche der „OMNIBUS für Direkte Demokratie in Deutschland“. Dieser  öffnet seine Türen für Gespräche über Grundfragen unserer Gesellschaft, nämlich über den Zusammenhang von Demokratie und Geld. Im Museum wird das Kraftfeld der Kunstwerke täglich durch eine „immersive Performance“ genutzt, die die Künstlerin Katharina Schenk und Ensemble entwickeln. Am Wochenende ziehen die Performer und der OMNIBUS für Direkte Demokratie zum Schloss Freudenberg.

Max Liebermann „Mutter mit Kind“; Foto: Museum Wiesbaden / Bernd Fickert

Aus dem umfangreichen Digital-Angebot sei beispielhaft noch der Blog „Was macht eine Registrarin?“ erwähnt, der einen Blick hinter die Kulissen der Museumsarbeit wirft. In einem Video über Provenienzforschung stellt Miriam Merz ein aktuelles Forschungsergebnis über Max Liebermanns Zeichnung „Mutter und Kind“ vor. Die Arbeit ist als Schenkung in das Museum gelangt – vermutlich als Raubkunst. „Trotz aller intensiven Bemühungen ist es bislang nicht gelungen, die ursprünglichen Besitzer des Bildes ausfindig zu machen, das begangene Unrecht aufzuarbeiten und zu restituieren. Das Museum wird auch zukünftig alles daran setzten, die Eigentümer des beschlagnahmten Bildes zu ermitteln“, versichert Dr. Peter Forster.

Nicht zuletzt sei auf die abwechslungsreiche Serie „Mein Lieblingsstück“ in Youtube sei hingewiesen. Hier präsentieren Mitarbeiter*innen ihre ganz besonderen Sammlungsobjekte, um auf diese Werke neugierig zu machen.

Fazit: Die informativen und ansprechend gestalteten Online-Formate bringen Kunst ins Zuhause und sollen Lust wecken, die Exponate in natura zu genießen.

„Aufgrund des Lockdowns verlängern wir die Laufzeiten der Sonderausstellungen und planen das gesamte Programm des ersten Halbjahres um, damit unsere Gäste eine reelle Chance erhalten, diese Ausstellungen besuchen zu können. Die neuen Daten finden Sie auf unserer Website“, sagt Henning resümierend.

www.museum-wiesbaden.de

Nutzen Sie die Gelegenheit, über die digitalen Kanäle Einblicke in die Sammlungen und Sonderausstellungen des Wiesbadener Museums zu nehmen und die dortigen Aktivitäten zu begleiten. Sie werden demnächst das Museum nochmal gezielter besuchen, weil Ihnen bislang vielleicht auch das ein oder andere verborgen geblieben ist.

 

 

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