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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Kino auf Distanz. Das 21. Festival des mittel- und osteuropäischen Films goEast

Filme, die (eigentlich) auf die große Leinwand gehören

Von Renate Feyerbacher

Es ist nun schon das zweite Mal, dass goEast, das Festival des mittel- und osteuropäischen Films, zum Kino auf Distanz wird. Die lebendigen Rituale des Eröffnungsabends sowie der Preisverleihung im prächtigen Wiesbadener Filmtheater Caligari fallen aus. Der direkte Kontakt mit den Filmschaffenden und die Feiern danach fallen weg. Begegnungen und Gespräche fehlen. Früher wurden etwa 12.00 Gäste und Fachpersonal erwartet.

Plakat des diesjährigen goEast-Festivals ©goEast 

Nach dem ersten Pandemie – Debakel habe sie kündigen wollen, sagte die Festivalleiterin von goEast, Heleen Gerritsen, bei der virtuellen Pressekonferenz. Sie tat es nicht. Noch voller Zuversicht, das zeigt das Programmheft, gingen die Planer von Film-Vorführungen in den Kinos von Wiesbaden, Frankfurt, Mainz, Darmstadt, Giessen aus, von Kunst- Ereignissen im Museum Wiesbaden und so weiter. Auf dem Dern’schen Gelände mitten in der Innenstadt wird es später vielleicht das Autokino geben. Kleine Begegnungen sind am Ostkiosk K67 vor dem Nassauischen Kunstverein möglich oder im abendlichen Offenbach im Mai, wo bei einem Kurzfilmspaziergang, Filme auf Häuserwände projiziert werden – alles unter strengem Hygienekonzept.

Fast alle in Präsenz geplanten 92 Filme aus 38 Ländern, davon 32 Deutschlandpremieren und zwei Weltpremieren, stehen dem Publikum 2021 „On Demand“ zur Verfügung und das, wie Ellen M.Harrington, die Direktorin des Deutschen Filminstitut – Filmmuseum (DFF) in Frankfurt, betont, in der ursprünglichen Dauer von sieben Tagen. Und Preise wird es wie immer geben.

Szene aus „Yellow Cat“ von Adilkhan Jerzhanow ©goEast 

Am Wettbewerb beteiligen sich 16 Spielfilme und Dokumentationen. Eröffnet wird das Festival mit dem absurden Roadmovie „Yellow Cat“ (Gelbe Katze, Kasachstan / Frankreich). Der kasachische Regisseur Adilkhan Jerzhanow verantwortet Regie, Buch und Schnitt. Der Film lief bereits in Venedig und San Sebastian. Tragisch und zugleich komisch geht es um eine Flucht aus verbrecherischer Vergangenheit, aus Prostitution und dem Traum, in den Bergen ein eigenes Kino zu verwirklichen und so den Ausweg aus der düsteren Realität zu schaffen. Außer Konkurrenz.

Im Wettbewerb ist der Regisseur Adilkhan Jerzhanow auch mit dem Beitrag „Ulbolsyn“ vertreten. Ein emanzipatorischer Thriller, wie es heißt. Hier geht es um den Kampf zweier Schwestern, selbstbestimmt leben zu können. Die junge in der Stadt lebende Schauspielerin Ulbolsyn  ist im Dorf verpönt, weil arrogant und sexuell verkommen. Sie will ihre Schwester Azhar aus dem Dorf befreien, da ihr eine Zwangsehe droht. In diesem Fall wird der Regisseur virtuell bei Gesprächen zugegen sein.

aus: „Ulbolsyn“ von Adilkhan Jerzhanow©goEast

Auch Frauen stehen im Mittelpunkt des in schwarzweiß gedrehten Debütfilms „Bebia, à mon seul désir“ der aus Georgien stammenden  Regisseurin  Juja Dobrachkous, die in London lebt. Model Ariadna lebt im Ausland und kehrt in ihr georgisches Heimatdorf zurück. Aber statt an der Trauerfeier teilzunehmen, wird sie von den Familienmitgliedern dazu verpflichtet, das alte Ritual, einen Faden vom Krankenhaus bis zum Sarg zu spannen, damit der Körper und die Seele der Großmutter verbunden werden. Es sind 25 Kilometer – eine Reise in die Vergangenheit von Ariadna. Ihr Name erinnert an die kretische Prinzessin Ariadne, die Theseus den Ariadnefaden gab, damit er aus dem Labyrinth des Minotaurus herausfinden konnte.

Ein kraftvoll atmosphärischer Film, so die Ankündigung.

„Amour fou auf 35mm“, so wird  der ungarische Beitrag  „Vorbereitungen um für unbestimmte Zeit zusammen zu sein“ von der in Budapest geborenen Regisseurin Lili Horvát, die schon einmal 2008, damals noch sehr jung, bei goEast einen Preis erhielt und später in Karlsbad ausgezeichnet wurde, vorgestellt.

Die in den USA lebende und praktizierende Neurochirurgin Márta lernt auf einem Kongress den Kollegen János aus Ungarn kennen. Ihre Liebe zu ihm scheint entflammt zu sein, sodass sie ihre Stellung aufgibt und nach Budapest zurückkehrt. Aber János leugnet, sie zu kennen. Sie bricht zusammen.

aus: „Das Leben der Ivanna“ von Renato Borrayo Serrano©goEast

Ein dokumentarisches Porträt über eine Nomadin „Das Leben der Ivanna“, die auf der Jamal-Halbinsel mit fünf Kindern und trinkendem Ehemann lebt, schuf Renato Borrayo Serrano. Der in Guatemala geborene, in Russland lebende, junge Filmemacher realisiert das. „Mit seinen einzigartigen Bildern macht dieser Film die Kluft zwischen indigener Kultur und russischer Mehrheitsgesellschaft peinlich sichtbar“, heißt es im Programmheft von goEast.

Drei Filme über Partisanen und Partisaninnen sind im Wettbewerb.

Vera Lacková ist die erste Romnja mit einer eigenen Filmproduktionsfirma in Tschechien, und Urenkelin eines Partisanen. In „Wie ich Partisanin wurde“ geht sie auf Spurensuche. Die Familie ihres Urgroßvaters Ján Lacko, ein Roma-Partisan, wird 1944 von deutschen Soldaten in einem slowakischen Wald ermordet. Die Filmemacherin  will mehr über ihren Urgroßvater erfahren, aber auch darauf aufmerksam machen, dass auch Roma gegen die deutsche Gewaltherrschaft kämpften.

„Landschaften des Widerstands“ von Marta Popivoda ist die Geschichte der Serbin Sonja, die als erste Partisanin im Zweiten Weltkrieg gegen die Nazis kämpfte. Popivoda, in Belgrad geboren, dort und in Berlin lebend, hat Sonja Vujanović vor 14 Jahren kennengelernt, da war sie schon über 80 Jahre alt. Zusammen mit der Enkelin, der Autorin Ana Vujanović, schrieb sie das Drehbuch. Sonja, die mit 97 Jahren starb, erzählte in ihren letzten  Lebens-jahren von ihrer Verhaftung und Deportation nach Auschwitz.

aus: „In der Dämmerung“ von Sarunas Bartas ©goEast

„In der Dämmerung“, der Beitrag des litauischen Altmeisters Sarunas Bartas, der in Cannes gezeigt wurde, widmet sich der Geschichte mehrerer litauischer Partisanen, die gegen die sowjetische Herrschaft 1948 kämpften.

Und nun eine Auswahl von weiteren interessanten Streifen, die im Wettbewerb dabei sind.

Im Bioskop werden aktuelle Filmproduktionen aus dem ost- und mitteleuropäischen Raum gezeigt. Da geht es zum Beispiel ums Schachspielen, das sich derzeit großer Beliebtheit erfreut, um den Katholizismus in Polen aus der Sicht tschechischer Filmemacher, schließlich um ein komödiantisches Multikulti-Roadmovie aus Tadschikistan.

Still aus: „Gorbachev. Heaven“ von Vitaly Mansch©goEast

„Gorbachev.Heaven“ (Gorbatschow Paradies) nennt Dokumentarfilmer Vitaly Mansky sein intimes Filmporträt des ehemaligen russischen Staatspräsidenten  Gorbatschow, von dem Ausschnitte bereits im ZDF zu sehen waren.

Michail Gorbatschow, der am 2. März 90 Jahre alt wurde, hat im letzten Jahr lange mit dem russischen Regisseur, der im lettischen Riga lebt, geredet. Die Beiden kennen sich seit über 20 Jahren. Mansky wurde 2020 zum International Documentary Filmfestival Amsterdam (IDFA), dem größten seiner Art weltweit, eingeladen.

In einem Interview, das Geoffrey Macnab am 26. November 2020 per scream mit Mansky führte, betont Mansky, dass er vorhatte, „Gorbatschow, zu der Zeit Ende 80 und in schlechtergesundheitlicher Verfassung, im menschlichsten Licht zu zeigen. Er schwört und trinkt, aber das macht ihn umso sympathischer. Es gibt eine Offenheit und einen Anstand an ihm, die Sie in Wladimir Putin, dem Thema des vorherigen Films Putins Zeugen des Regisseurs aus dem Jahr 2018, einfach nicht finden werden.“

Der Beitrag gibt dem Zuschauer das Gefühl, dem ehemaligen Generalsekretär des Zentralkomittees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und dem späteren Staatspräsidenten (1985-1991) persönlich zu begegnen. Er, der den Grundstein für die Wiedervereinigung legte, Reformen in der Sowjetunion durchzusetzen versuchte, wird im Westen geehrt (Gorbimania), im eigenen Land dagegen als Verräter kritisiert.

Ich erinnere mich an die Pressekonferenz, die vermutlich 1989 in Frankfurt stattfand, an der Gorbatschow und seine Frau Raissa teilnahmen. Im Juni 1989 hatte das Paar vier Tage lang die Bundesrepublik besucht. Meine Frage in der Pressekonferenz beschäftigte sich mit den Anschuldigungen, die gegen Gorbatschow im eigenen Land vorgebracht wurden. Sehr lange antwortete er. Am Tag darauf lächelte mich Raissa beim Einzug des Paares in die Paulskirche an. Diesen ehrlich-schönen Moment dieser außergewöhnlichen Frau werde ich nicht vergessen.

Gorbatschow liebte seine Frau Raissa, die 1999 starb, mit der er über vierzig Jahre verheiratet war. Einsamkeit beherrscht nun schon lange sein Leben.

Szene aus: „Quo vadis, Aida?“ von Jasmila Zbani©goEast

„Quo vadis, Aida?“ – ein Srebrenica-Drama der bosnischen Regisseurin Jasmila Zbanic, an dessen Produktion sich mehrere Länder beteiligten, macht das Chaos, die Flucht, die Verzweiflung, die Not der bosnischen Zivilisten im Juli 1995, die in den Tagen vor dem Massaker das Leben der Menschen in Bosnien bestimmte, spürbar. Der Film wurde zu den Filmfestspielen nach Venedig eingeladen, die Regisseurin in die Jury der BERLINALE 2021 berufen.

Erwähnen will ich noch die lange Anti-Oscar-Nacht, die Gastkurator Radu Jude verantwortet. Der rumänische Regisseur, kein Unbekannter bei goEast, gewann auf der diesjährigen BERLINALE den Goldenen Bären für seinen Streifen „Bad Luck Banging or Loony Porn“ – Story über Lügen, Sex und Videos.

Und es gibt eine Hommage an Yuri Gagarin, der vor 60 Jahren als erster Mensch die Erdatmosphäre verließ.

Das Team von goEast hat auch in diesem Jahr wieder ein vielfältiges und spannendes Programm zusammengestellt. Berühmte Gäste sind dann virtuell dabei.

Zusatzinfos:

Festivalstart ist am 20. April, 0:00 Uhr MEZ. Zugriff auf fast alle Filme des Programms gibt es schnell und unkompliziert, wie bei einem klassischen Streamingdienst.

Nach einer kostenlosen Registrierung, haben Sie zwei Möglichkeiten: Suchen Sie sich einzelne Filme und Programmpunkte für jeweils 6,50 Euro pro Ticket aus oder buchen Sie eine Online-Dauerkarte für 60 Euro, um das Angebot von goEast in vollem Umfang zu genießen. Die Zahlung kann über PayPal, Kreditkarte oder Lastschrift erfolgen.

Bei Einzelbuchung haben Sie nach Lösung des Tickets 48 Stunden Zeit, um den Film abzuspielen. Die Dauerkarte ermöglicht zu jeder Zeit Zugriff und kann bereits jetzt gebucht werden. Der Zugriff zu den Filmen ist auf Deutschland beschränkt.“

Alle Filme können unter: online.filmfestival-goeast.de  vom 20.4. bis 28.4. / 23: 59 ausgeliehen werden, Liveübertragungen unter:

www.filmfestival-goeast.de

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